KAPITEL 8

Natürlich ließ sich das Vorhaben unmöglich geheim halten. Es waren einfach zu viele Seeleute versessen darauf, auf einem Freibeuterschiff anzuheuern, und zu viele Händler und Bauern nötig, um Hunters Schaluppe Cassandra auszurüsten. Schon am frühen Morgen war Hunters bevorstehender Beutezug in aller Munde.

Es hieß, Hunter plane einen Angriff auf Campeche. Es hieß, er wolle Maracaibo plündern. Es wurde sogar gemunkelt, er wage einen Angriff auf Panama wie Drake gut siebzig Jahre zuvor. Doch für eine so lange Seereise waren enorme Mengen Vorräte erforderlich, und da Hunter erstaunlich wenig Proviant lud, vermuteten die meisten Klatschmäuler, Havanna sei Ziel des Raubzugs. Havanna war nie zuvor von Freibeutern angegriffen worden. Schon allein der Gedanke war in den Augen der meisten Leute reiner Wahnsinn.

Weitere verwirrende Informationen kamen ans Licht. Black Eye, der Jude, kaufte Kindern und Stromern im Hafen Ratten ab. Was der Jude mit Ratten wollte, überstieg die Vorstellungskraft eines jeden Seemanns. Außerdem hatte Black Eye angeblich die Gedärme eines Schweins erworben – die für Wahrsagerei benutzt werden könnten, aber doch nicht von einem Juden.

Unterdessen wurde der Goldladen des Juden geschlossen und mit Brettern vernagelt.

Der Jude war irgendwo in den Hügeln der Insel unterwegs. Er war vor dem Morgengrauen aufgebrochen, mit Schwefel, Salpeter und Holzkohle im Gepäck.

Die Ladung Vorräte für die Cassandra war gleichermaßen rätselhaft. Pökelfleisch wurde nur begrenzt bestellt, aber dafür eine erhebliche Menge Wasser – so auch etliche kleine Fässer, die der Fassbinder, Mr Longley, extra anfertigen sollte. Im Hanfladen von Mr Whitstall war eine Bestellung für über tausend Fuß dickes Seil eingegangen – zu dick für die Takelage einer Schaluppe. Der Segelmacher, Mr Nedley, war beauftragt worden, etliche große Segeltuchbeutel zu nähen, die mit Seilschlingenverschlüssen versehen waren. Und Carver, der Schmied, fertigte ganz spezielle Enterhaken – sie ließen sich klein und flach zusammenklappen, weil die Zacken Scharniere hatten.

Überdies gab es ein Omen: Am Morgen fingen Fischer einen riesigen Hammerhai und zogen ihn unweit von Chocolata Hole, wo die Wasserschildkröten ihre Nester hatten, auf den Kai. Der Hai maß über zwölf Fuß und war mit seiner breiten Schnauze und den weit auseinanderstehenden Augen ein Ausbund an Hässlichkeit. Fischer und Passanten feuerten ihre Pistolen auf das Tier ab, ohne erkennbare Wirkung. Der Hai zappelte und wand sich bis zum Mittag auf den Planken.

Dann wurde dem Hai der Bauch aufgeschlitzt, und die schleimig gewundenen Eingeweide quollen heraus. Etwas Metallisches blitzte auf, und als man die Innereien zerteilte, entpuppte sich das Metall als die vollständige Rüstung eines spanischen Soldaten – Brustpanzer, Sturmhaube, Knieschützer. Daraus wurde geschlossen, dass der Hammerhai den bedauernswerten Soldaten mit Haut und Haar verschlungen hatte. Die einen sahen darin das Omen eines drohenden spanischen Angriffs auf Port Royal, andere den Beweis dafür, dass Hunter selbst die Spanier angreifen wollte.

Sir James Almont hatte keine Zeit für Omen. An dem Vormittag befragte er einen französischen Gauner namens L’Olonnais, der am Morgen mit einem spanischen Zweimaster als Prise in den Hafen eingelaufen war. L’Olonnais hatte keinen Kaperbrief, und außerdem herrschte offiziell Frieden zwischen England und Spanien. Noch schlimmer war die Tatsache, dass der Zweimaster, als er im Hafen ankam, nichts barg, was von besonderem Wert gewesen wäre. Ein paar Felle und Tabak, das war alles, was in seinem Frachtraum gefunden wurde.

L’Olonnais war zwar ein bekannter Korsar, aber er war ein dummer, brutaler Mann. Viel Intelligenz brauchte man als Freibeuter freilich nicht. Man musste lediglich in den richtigen Breiten abwarten, bis zufällig ein geeignetes Schiff vorbeikam, und es dann angreifen. Jetzt stand L’Olonnais mit seiner Mütze in den Händen im Büro des Gouverneurs und erzählte seine unwahrscheinliche Geschichte mit kindlicher Unschuld. Er sei zufällig auf den Zweimaster gestoßen, sagte er, und habe ihn verlassen vorgefunden. Es sei niemand an Bord gewesen, und das Schiff sei steuerlos herumgetrieben.

»Wahrhaftig, es muss von einer Seuche oder einem anderen Unheil befallen worden sein«, sagte L’Olonnais. »Aber es war ein stattliches Schiff, und ich hielt es für meine Pflicht der Krone gegenüber, es hierher in den Hafen zu bringen, Sire.«

»Es war überhaupt niemand an Bord?«

»Nicht eine Menschenseele.«

»Auch keine Toten?«

»Nein, Sire.«

»Und Ihr habt keinen Hinweis darauf entdeckt, welches Unglück dem Schiff widerfahren ist?«

»Nicht einen, Sire.«

»Und die Ladung –«

»So wie Eure Inspektoren sie vorgefunden haben, Sire. Wir würden nichts anfassen, Sire. Das wisst Ihr.«

Sir James fragte sich, wie viele unschuldige Menschen L’Olonnais ermordet hatte, um die Decks des Handelsschiffes zu leeren. Und er fragte sich, wo der Pirat an Land gegangen war, um die kostbaren Anteile der Ladung zu verstecken. Im Karibischen Meer lagen unzählige Inseln und kleine brackige Eilande, die sich bestens dafür eigneten.

Sir James trommelte mit den Fingern auf seinen Schreibtisch. Der Mann log offensichtlich, aber er brauchte Beweise. Selbst im rauen Port Royal galt das englische Gesetz.

»Nun gut«, sagte er schließlich. »Ich weise Euch ausdrücklich darauf hin, dass die Krone überaus unzufrieden mit der Beute ist. Der König nimmt daher ein Fünftel –«

»Ein Fünftel!« Normalerweise nahm der König ein Zehntel oder sogar nur ein Fünfzehntel.

»In der Tat«, sagte Sir James gelassen. »Seine Majestät erhält ein Fünftel, und ich weise Euch zudem ausdrücklich darauf hin, dass Ihr unverzüglich vor Gericht gestellt und als Pirat und Mörder gehängt werdet, falls mir irgendein Beweis für niederträchtiges Verhalten Eurerseits zu Ohren kommt.«

»Sire, ich schwöre Euch, ich –«

»Genug«, sagte Sir James und hob eine Hand. »Ihr dürft vorläufig gehen, aber denkt an meine Worte.«

L’Olonnais verbeugte sich mit übertriebenem Eifer und ging rückwärts aus dem Zimmer. Almont läutete nach seinem Berater.

»John«, sagte er, »spürt mir einige von L’Olonnais’ Seeleuten auf und sorgt dafür, dass ihre Zungen gut mit Wein geölt werden. Ich will wissen, wie er an das Schiff gekommen ist, und ich will stichhaltige Beweise gegen ihn.«

»Sehr wohl, Euer Exzellenz.«

»Und John: Legt den Zehnt für den König beiseite und ein Zehntel für den Gouverneur.«

»Ja, Euer Exzellenz.«

»Das wäre alles.«

John verbeugte sich. »Euer Exzellenz, Captain Hunter ist da wegen seiner Papiere.«

»Dann führt ihn herein.«

Einen Moment später betrat Hunter den Raum. Almont stand auf und schüttelte ihm die Hand.

»Ihr seid offenbar guter Laune, Captain.«

»Das bin ich, Sir James.«

»Die Vorbereitungen laufen gut?«

»Vortrefflich, Sir James.«

»Zu welchen Kosten?«

»Fünfhundert Dublonen, Sir James.«

Almont hatte mit dieser Summe gerechnet. Er holte einen Beutel Münzen aus seinem Schreibtisch hervor. »Das wird genügen.«

Hunter nahm das Geld mit einer Verbeugung entgegen.

»Nun denn«, sagte Sir James. »Ich habe ein Schreiben aufsetzen lassen, das Euch das Fällen von Blutholz gestattet, wo immer Ihr es als angemessen erachtet.« Er reichte Hunter den Brief.

Im Jahre 1665 galt der Handel mit Blutholzbäumen bei den Engländern als rechtmäßig, obgleich die Spanier das Monopol auf diesen Handel für sich beanspruchten. Das Holz des Blutholzbaumes, Haematoxylum campechianum, wurde für die Herstellung von rotem Farbstoff sowie in gewissen Arzneien verwendet. Es war ebenso wertvoll wie Tabak.

»Ich muss Euch darauf hinweisen«, sagte Sir James bedächtig, »dass wir keinen Angriff auf irgendeine spanische Siedlung gutheißen können, solange keine Provokation vorliegt.«

»Ich verstehe«, sagte Hunter.

»Vermutet Ihr, dass es zu einer Provokation kommen wird?«

»Ich bezweifle es, Sir James.«

»Dann wird Euer Angriff auf Matanceros selbstredend als Piratenüberfall betrachtet werden.«

»Sir James, unsere kümmerliche Schaluppe Cassandra, leicht bewaffnet und, wie Eure Papiere beweisen, zu Handelszwecken unterwegs, könnte von den Kanonen auf Matanceros unter Feuer genommen werden. Wären wir in diesem Fall nicht gezwungen zurückzuschlagen? Der ungerechtfertigte Beschuss eines harmlosen Schiffs ist nicht zu billigen.«

»Wahrhaftig nicht«, sagte Sir James. »Ich bin sicher, ich kann darauf vertrauen, dass Ihr wie ein Soldat und Gentleman handelt.«

»Ich werde Euer Vertrauen nicht enttäuschen.«

Hunter wandte sich zum Gehen. »Noch ein Letztes«, sagte Sir James. »Cazalla genießt Philipps Gunst. Cazallas Tochter ist mit Philipps Vizekanzler verheiratet. Sollte Cazallas Bericht über die Ereignisse in Matanceros anders ausfallen als Eure Darstellung, wäre das für Seine Majestät König Charles höchst unerfreulich.«

»Ich bezweifele«, sagte Hunter, »dass Cazalla irgendwelche Berichte abliefern wird.«

»Es darf keine geben.«

»Aus den Tiefen des Meeres werden gemeinhin keine Berichte gesandt.«

»Fürwahr«, sagte Sir James. Die beiden Männer schüttelten einander die Hände.

Als Hunter die Gouverneursresidenz verließ, reichte eine schwarze Dienstmagd ihm einen Brief, machte dann wortlos kehrt und verschwand wieder. Hunter ging die Stufen der Residenz hinunter und las dabei den Brief, der von einer Frauenhand verfasst worden war.


Verehrter Captain – Wie mir unlängst zur Kenntnis gebracht wurde, soll sich im Innern der jamaikanischen Insel, im sogenannten Crawford’s Valley, eine wunderschöne Süßwasserquelle befinden. Um die Wonnen meiner neuen Heimstatt kennenzulernen, werde ich am Nachmittag einen Ausflug dorthin machen und hoffe, dass mir nicht zu viel versprochen wurde.


Herzlichst Eure Emily Hacklett

Hunter steckte den Brief in die Tasche. Unter normalen Umständen hätte er der zwischen Mrs Hackletts Zeilen versteckten Einladung auf keinen Fall Folge geleistet. Er hatte an diesem letzten Tag vor dem Auslaufen der Cassandra noch alle Hände voll zu tun. Doch er musste ohnehin ins Landesinnere, um sich mit Black Eye zu treffen. Falls ihm danach noch etwas Zeit blieb … Er zuckte die Achseln und ging zu den Ställen, um sein Pferd zu holen.


Загрузка...