KAPITEL 27

Die El Trinidad steuerte auf Monkey Bay zu.

An Bord der Cassandra sah Sanson das größere Schiff manövrieren. »Heiliger Strohsack, die nehmen Kurs auf Land«, sagte er. »Gegen die Sonne!«

»Das ist Wahnsinn«, stöhnte der Mann am Ruder.

»Jetzt hör gut zu«, sagte Sanson und wirbelte zu ihm herum. »Dreh bei und häng dich ins Kielwasser von diesem spanischen Ungetüm und dann folge ihm haargenau. Und ich meine wirklich haargenau. Sonst schneid ich dir die Kehle durch.«

»Wie können die das machen, gegen die Sonne?«, stöhnte der Steuermann.

»Sie haben Lazues Augen«, sagte Sanson. »Das könnte genügen.«


Lazue hielt vorsichtig Ausschau. Ebenso vorsichtig war sie mit ihren Armbewegungen, denn selbst die nachlässigste Geste würde eine Kursänderung bewirken. In diesem Augenblick schaute sie westwärts, hielt die linke Hand flach unter die Nase, um den Widerschein der Sonne vom Wasser unmittelbar vor dem Bug abzuschirmen. Sie richtete den Blick ausschließlich auf das Land – auf die grünen Hügel von Cat Island, die sie jetzt nur als flache Silhouette sah, ohne Tiefe.

Sie wusste, irgendwo weiter vorn, wenn sie näher dran waren, würden die Umrisse der Insel sich genauer abzeichnen, deutlicher werden, und sie würde die Einfahrt zur Monkey Bay sehen. Bis dahin war es ihre Aufgabe, das Schiff auf dem schnellsten Kurs zu dem Punkt zu dirigieren, wo sie die Einfahrt vermutete.

Die Höhe ihres Ausgucks war eine Hilfe; von dort oben aus konnte sie die Farbe des Wassers viele Meilen entfernt sehen, das verschlungene Muster aus unterschiedlich kräftigen Blau-und Grüntönen. Im Kopf nahm sie sie als Wassertiefen wahr, und sie konnte sie lesen wie eine Seekarte mit Tiefenangaben.

Das war eine beachtliche Fähigkeit. Der gewöhnliche Seemann, der wusste, wie klar das karibische Wasser war, ging gemeinhin davon aus, tiefblau als tiefes Wasser zu deuten, und grün als noch tieferes. Lazue wusste es besser: Wenn der Meeresgrund sandig war, sah das Wasser womöglich hellblau aus, obwohl es fünfzig Fuß tief war. Oder eine tiefgrüne Farbe konnte einen mit Seegras bewachsenen Grund in nur zehn Fuß Tiefe bedeuten. Und der veränderte Sonnenstand im Laufe des Tages spielte einem auch seltsame Streiche. Am frühen Morgen oder am späten Nachmittag waren alle Farben satter und dunkler, und auch das galt es zu berücksichtigen.

Doch im Augenblick kümmerte sie die Wassertiefe noch nicht. Sie suchte die Farben an der Küstenlinie nach irgendeinem Hinweis auf die Einfahrt zur Monkey Bay ab. Ihrer Erinnerung nach mündete ein kleiner Süßwasserfluss in die Monkey Bay, wie das bei den meisten Buchten der Fall war. Viele andere karibische Buchten waren nicht sicher für große Schiffe, weil es in den Korallenriffen vor der Küste keine Lücke gab. Eine Lücke gab es nur in Buchten mit Süßwasserzufluss, denn wo Süßwasser war, konnten keine Korallen gedeihen.

Lazue ließ den Blick über das Wasser nahe der Küste schweifen. Sie wusste, dass die Lücke sich nicht unbedingt in der Nähe der Flussmündung selbst befinden musste. Je nach Strömung, die das Süßwasser hinaus ins Meer trug, konnte sich die eigentliche Öffnung im Riff eine Viertelmeile nördlich oder südlich befinden. Zu erkennen war sie oftmals an einer durch die Strömungen verursachten bräunlichen Trübung im Wasser und der Veränderung an der Wasseroberfläche.

Sorgfältig suchte sie das Wasser ab und schließlich wurde sie fündig, südlich vom gegenwärtigen Kurs des Schiffes. Sie signalisierte die Berichtigung nach unten zu Enders. Als die El Trinidad sich der Stelle näherte, war Lazue froh, dass der Meereskünstler keine Ahnung hatte, auf was er da zusteuerte. Er würde in Ohnmacht fallen, wenn er wüsste, wie schmal die Lücke im Riff wirklich war. Auf beiden Seiten ragten die Korallenköpfe bis knapp unter die Wasseroberfläche, und die Öffnung dazwischen war höchstens zwölf Yards breit.

Zufrieden mit dem neuen Kurs schloss Lazue für einige Minuten die Augen. Sie nahm die rosa Farbe des Sonnenlichts auf ihren Lidern wahr, aber nicht die Bewegung des Schiffes oder den Wind in den Segeln oder die Gerüche des Ozeans. Ihre Wahrnehmung war gänzlich auf ihre Augen gerichtet, während sie ihnen eine Erholungsphase gönnte. Nur ihre Augen waren wichtig, nichts anderes. Sie atmete tief und langsam, bereitete sich auf die bevorstehende Anstrengung vor, sammelte Energie, bündelte ihre Sinne.

Sie wusste, was auf sie zukam. Sie kannte die unausweichliche Entwicklung – ein leichter Anfang und dann der erste Schmerz in den Augen, der unaufhaltsam zunahm, dann Tränen, ein Stechen, Brennen. Am Ende würde sie völlig erschöpft sein, ihr ganzer Körper ermattet. Sie würde Schlaf brauchen, als wäre sie eine Woche wach gewesen, und wahrscheinlich würde sie zusammenklappen, sobald sie wieder hinunter aufs Deck geklettert war.

Auf diese bevorstehende gewaltige Erschöpfung bereitete sie sich jetzt vor, indem sie tiefe, langsame Atemzüge nahm und die Augen geschlossen hielt.


Für Enders am Ruder gestaltete sich die Bündelung seiner Sinne ganz anders. Er hatte die Augen geöffnet, interessierte sich aber nur wenig für das, was er sah. Enders spürte das Steuer in den Händen, den Druck, den es auf die Handflächen ausübte, die Neigung des Decks unter den Füßen, das Rauschen des Wassers am Rumpf, den Wind auf den Wangen, das Beben der Takelage, das Zusammenspiel sämtlicher Kräfte und Belastungen, die über die Lage des Schiffes im Wasser bestimmten. Ja, in diesem Zustand vollkommener Konzentration wurde Enders ein Teil des Schiffes, verschmolz fast körperlich mit ihm. Er war der Verstand, das Schiff der Körper, und er wusste haargenau, in welcher Verfassung es sich befand.

Er wusste bis auf den Bruchteil eines Knotens, wie schnell das Schiff war; er spürte, wenn eines der Segel falsch stand; er wusste, wenn sich im Schiffsbauch Ladung verschob und er wusste auch wo; er spürte, wie viel Wasser in der Bilge war; er wusste, wann das Schiff leicht dahinsegelte, wann es alle seine Möglichkeiten ausschöpfte; er wusste, wann es an seine Grenzen kam und wie lange es so durchhalten würde und was er noch aus ihm herausholen konnte.

All das hätte er mit geschlossenen Augen aufzählen können. Er hätte nicht sagen können, woher er es wusste, nur dass er es wusste. Jetzt, während er mit Lazue zusammenarbeitete, war er verunsichert, eben weil er einen Teil seiner Kontrolle abgeben musste, denn Lazues Handzeichen für ihn waren nichts, was er unmittelbar spüren konnte. Trotzdem befolgte er ihre Anweisungen blind, wusste er doch, dass er ihr vertrauen musste. Aber nervös machte es ihn trotzdem. Er schwitzte am Ruder, sodass er den Wind stärker auf den feuchten Wangen spürte, und jedes Mal wenn Lazue die Arme ausstreckte, korrigierte er folgsam den Kurs.

Sie dirigierte das Schiff nach Süden. Sie muss die Bresche im Riff entdeckt haben, dachte er, und hält jetzt darauf zu. Bald würden sie die Lücke durchfahren. Schon allein bei dem Gedanken daran brach ihm erneut der Schweiß aus allen Poren.


Hunter hatte derweil ganz andere Sorgen. Er hastete zwischen Bug und Heck hin und her, ohne auf Lazue und Enders zu achten. Das spanische Kriegsschiff kam von Minute zu Minute näher. Der obere Rand des Hauptsegels war jetzt deutlich unterhalb des Horizonts. Es fuhr nach wie vor unter vollen Segeln, wohingegen die El Trinidad, jetzt nur noch eine Meile von der Insel entfernt, einen Großteil ihrer Segel eingeholt hatte.

Unterdessen hatte sich die Cassandra hinter das größere Schiff zurückfallen lassen und folgte ihm in einigem Abstand auf backbord, um sich den Kurs zur Bucht zeigen zu lassen. Das Manöver war notwendig, doch Hunters Segel nahmen der Cassandra einigen Wind, wodurch das kleine Schiff nicht genügend Fahrt machte. Das würde sich erst ändern, wenn sie genau hinter der El Trinidad war. Und dann wäre sie leichte Beute für das spanische Kriegsschiff, falls sie sich nicht dicht hinter Hunter halten konnte.

Richtig schwierig würde es in der Einfahrt zur Bucht werden. Die beiden Schiffe mussten die Engstelle im kurzen Abstand passieren. Falls die El Trinidad nicht reibungslos hindurchkam, könnte sie von der Cassandra gerammt werden, was beide Schiffe beschädigen würde. Falls das bei der Durchfahrt der Engstelle passierte, wäre das der reinste Albtraum, da beide Schiffe auf die Korallenriffe auflaufen würden. Er war sicher, dass Sanson sich der Gefahr bewusst war; und ebenso sicher wusste Sanson auch, wie riskant es wäre, sich allzu weit zurückfallen zu lassen.

Es würde ein ausgesprochen kniffliges Manöver werden. Er lief nach vorn und spähte gegen das grell flirrende Sonnenlicht zur Monkey Bay hinüber. Er konnte die hügelige Landzunge sehen, die sich wie ein gekrümmter Finger von der Insel ausstreckte und die geschützte Spitze der Bucht bildete.

Die eigentliche Lücke im Riff konnte er nicht sehen. Die lag irgendwo unterhalb der glitzernden, funkelnden Wasserfläche vor ihm.

Er blickte am Hauptmast hoch zu Lazue und sah, wie sie Enders Zeichen gab – sie schwang die Faust nach oben und schlug mit der flachen Hand darauf.

Prompt brüllte Enders den Befehl, noch mehr Segel einzuholen. Hunter wusste, das konnte nur eines bedeuten: Sie waren der Passage durchs Riff ganz nahe. Er blinzelte ins grelle Licht, konnte aber noch immer nichts erkennen.

»Lotleinen! Steuerbord und backbord!«, rief Enders, und gleich darauf standen zwei Männer auf beiden Seiten des Bugs und riefen abwechselnd Tiefenangaben. Gleich die erste beunruhigte Hunter. »Volle fünf!«

Fünf Faden – dreißig Fuß – bedeutete bereits Untiefen. Die El Trinidad hatte drei Faden Tiefgang, viel Spiel war daher nicht. In seichten Gewässern konnten die Korallenriffe ohne Weiteres ein Dutzend Fuß hoch in unregelmäßigen Mustern wachsen. Und die scharfen Korallen würden den Holzrumpf aufreißen, als wäre er aus Papier.

»Cinq et demi«, lautete der nächste Ruf. Das war schon besser. Hunter wartete.

»Volle sechs und mehr!«

Er atmete ein wenig leichter. Anscheinend waren sie am äußeren Riff vorbei – die meisten Inseln hatten zwei, ein flaches inneres Riff und ein tieferes, das der Küste weiter vorgelagert war. Über eine kurze Strecke würde das Wasser jetzt sicher sein, bis sie das gefährliche Innenriff erreichten.

»Moins six!«, lautete der Ruf.

Es wurde schon wieder flacher. Hunter blickte erneut zu Lazue oben am Hauptmast hoch. Sie hatte den Körper vorgebeugt, entspannt, beinahe gleichgültig. Ihren Gesichtsausdruck konnte er nicht erkennen.

Lazues Körper war in der Tat entspannt. Er war so schlaff, dass sie Gefahr lief, von ihrem hohen Ausguck zu fallen. Sie hatte beide Arme locker um die obere Brüstung geschlungen, während sie vorgebeugt dasaß. Ihre Schultern hingen herab, jeder Muskel war locker.

Aber ihr Gesicht war angespannt und verkniffen, der Mund zu einer starren Grimasse verzogen, die Zähne fest zusammengebissen, während sie in die blendende Sonne spähte. Sie hatte die Augen fast geschlossen, und zwar schon so lange, dass ihre Lider vor Anspannung flatterten. Das hätte sie ablenken können, doch Lazue merkte es nicht einmal, da sie schon längst in eine Art Trancezustand gefallen war.

Ihre Welt bestand aus zwei schwarzen Gebilden – die Insel vor ihr und der Schiffsbug genau unter ihr. Dazwischen lag eine weite Fläche flimmerndes, unerträglich helles, sonnenbeschienenes Wasser, das in hypnotischen Mustern flirrte und glitzerte und in dem sie praktisch keinerlei Einzelheiten erkennen konnte.

Mitunter sah sie Korallenköpfe dicht unter Wasser. Sie tauchten kurz wie schwarze Punkte in dem grellweißen Licht auf.

Dann wieder, wenn der böige Wind vorübergehend abflaute, meine sie, Strudel und Strömungen zu sehen, die das einheitlich funkelnde Muster aufwühlten.

Ansonsten war das Wasser einheitlich blendend silbern. Durch diese flirrende Fläche lotste sie das Schiff allein aus dem Gedächtnis, denn vor über einer halben Stunde, als das Schiff noch weiter von der Küste entfernt war und das Wasser vor ihr klar, hatte sie sich eingeprägt, wo sich Untiefen, Korallenköpfe und Sandbänke befanden. Anhand von Orientierungshilfen am Ufer und im Wasser hatte sie sich ein genaues Bild gemacht.

Jetzt, da sie den Blick nach unten gerichtet hielt, auf das mittschiffs vorbeifließende Wasser, das durchsichtig war, konnte sie die Position der El Trinidad in Bezug auf dieses geistige Bild abschätzen. Tief unten sah sie einen runden Hirnkorallenkopf, der einem riesigen Blumenkohl ähnelte, auf der Backbordseite vorbeiziehen. Er verriet ihr, dass sie sich nördlicher halten mussten. Sie streckte den rechten Arm aus, sah, wie die schwarzen Bugumrisse einen leichten Schwenk machten, und wartete ab, bis das Schiff wieder auf einer Linie mit einer abgestorbenen Palme am Ufer war. Dann senkte sie die Hand, und Enders hielt den neuen Kurs.

Sie spähte voraus. Ein Stück weiter vorne sah sie die Korallen, die unter Wasser die Ränder der Fahrrinne begrenzten. Sie steuerten geradewegs auf diese Lücke zu. Aus dem Gedächtnis wusste sie, dass sie kurz vor der Lücke leicht nach steuerbord drehen mussten, um einem weiteren Korallenkopf auszuweichen. Sie hob die rechte Hand. Enders korrigierte.

Sie blickte nach unten. Der zweite Korallenkopf glitt vorbei, gefährlich nah am Rumpf. Das Schiff bebte, als es an der Riffkante entlangschabte, doch dann fuhr es wieder frei.

Sie streckte den linken Arm aus, und Enders änderte den Kurs erneut. Dann orientierte sie sich wieder an der abgestorbenen Palme und wartete.

Das Geräusch des Korallenkopfs am Rumpf war Enders durch Mark und Bein gegangen. Seine Nerven, die auf just dieses gefürchtete Geräusch gelauscht hatten, lagen blank. Er zuckte am Ruder zusammen, doch als das Knirschen anhielt, ein Schaben Richtung Heck, wurde ihm klar, dass sie nur an den Korallen entlangschabten, und er stieß einen tiefen Seufzer aus.

Am Heck spürte er, wie das Beben über die Länge des Schiffs auf ihn zukam. Im letzten Augenblick ließ er das Steuer los, weil er wusste, dass das Ruderblatt der empfindlichste Teil des Schiffes unter Wasser war. Selbst durch bloßes Streifen von Seepocken konnte ein hart eingeschlagenes Ruderblatt zerbrechen, daher nahm er den Druck heraus. Dann packte er das Ruder wieder mit beiden Händen und befolgte Lazues Anweisungen.

»Der reinste Schlingerkurs ist das«, knurrte er, als die El Trinidad sich drehend und wendend auf Monkey Bay zusteuerte.

»Unter vier!«, rief der Leinenmann.

Am Bug stand Hunter zwischen den Männern mit ihren Lotleinen und starrte auf das glitzernde Wasser vor sich. Er konnte vorn rein gar nichts erkennen. Wenn er seitlich hinabschaute, sah er Korallengebilde beängstigend dicht unter der Wasseroberfläche, aber irgendwie geriet die El Trinidad nicht mit ihnen in Berührung.

»Trois et demi!«

Er knirschte mit den Zähnen. Zwanzig Fuß Wasser. Viel weniger durfte es nicht werden. Noch während er das dachte, stieß das Schiff erneut gegen einen Korallenkopf, aber diesmal nur ganz kurz und laut, dann war es wieder ruhig. Das Schiff hatte den Kopf abgebrochen und fuhr weiter.

»Dreieinhalb!«

Sie hatten wieder einen Fuß Tiefe verloren. Das Schiff durchpflügte weiter das funkelnde Wasser.

»Merde!«, brüllte einer der Männer mit den Lotleinen und rannte ein paar Schritte Richtung Heck. Hunter wusste, was passiert war: Seine Leine hatte sich an einer Koralle verheddert und er versuchte, sie zu befreien.

»Volle drei!«

Hunter runzelte die Stirn – nach dem, was seine spanischen Gefangenen ihm erzählt hatten, müssten sie eigentlich jetzt schon auf Grund gelaufen sein. Sie hatten geschworen, dass die El Trinidad drei Faden Tiefgang hatte. Offenbar täuschten sie sich. Das Schiff glitt weiterhin sanft auf die Insel zu. Innerlich verfluchte er die gesamte spanische Seefahrt.

Doch er wusste, dass drei Faden Tiefgang nicht völlig falsch sein konnte. Für ein Schiff dieser Größe musste das ungefähr hinkommen.

»Volle drei!«

Sie waren noch immer in Bewegung. Und dann sah er plötzlich und unerwartet die Lücke im Riff, ein furchtbar schmaler Durchlass zwischen hohen Korallen auf beiden Seiten. Die El Trinidad fuhr genau in der Mitte hindurch, und das war ein verdammtes Glück, denn sie hatte auf beiden Seiten nur höchstens fünf Yards Platz.

Hunter blickte nach achtern zu Enders, der ebenfalls sah, wie nah die Korallen auf beiden Seiten waren. Enders bekreuzigte sich.

»Volle fünf!«, rief einer der Männer heiser, und die Besatzung brach in Jubelgeschrei aus. Sie waren nun innerhalb des Riffs in tieferem Wasser und hielten nach Norden auf die geschützte Bucht zwischen dem Inselstrand und der gekrümmten, leicht hügeligen Landzunge zu, die die Bucht zur Meerseite hin abschloss.

Monkey Bay lag jetzt offen vor Hunters Augen. Er sah mit einem Blick, dass sie kein idealer Ankerplatz für seine Schiffe war. Das Wasser an der Öffnung der Bucht war tief, flachte aber an geschützteren Stellen rasch ab. Die Galeone würde an einer Stelle ankern müssen, die vom offenen Ozean her einsehbar war, was ihm aus mehreren Gründen gar nicht behagte.

Hunter warf einen Blick nach hinten und sah, dass die Cassandra der El Trinidad so dicht im Kielwasser folgte, dass er sehen konnte, wie ängstlich der Mann mit der Lotleine am Bug der Schaluppe dreinblickte. Und hinter der Cassandra sah er das spanische Kriegsschiff, nur noch höchstens zwei Meilen entfernt.

Aber die Sonne sank. Das Kriegsschiff würde nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit in die Monkey Bay einlaufen können. Und falls Bosquet entschied, einen Vorstoß in der Morgendämmerung zu wagen, wäre Hunter auf ihn vorbereitet.

»Anker werfen!«, rief Enders. »Festmachen!«

Die El Trinidad kam bebend im Zwielicht zum Stehen. Die Cassandra glitt an ihr vorbei, tiefer in die Bucht hinein. Das kleinere Schiff konnte mit seinem geringeren Tiefgang in das flache Wasser näher am Ufer. Kurz darauf klatschte Sansons Anker ins Wasser, und beide Schiffe wurden festgemacht.

Sie waren in Sicherheit, wenigstens vorläufig.


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