Zehnter Auftritt.

Adelma tritt auf, das Gesicht verschleiert, eine Wachskerze in

der Hand. Kalaf schlafend.

Adelma. Nicht Alles soll misslingen-Hab' ich gleich

Vergebens alle Kuenste des Betrugs

Verschwendet, ihm die Namen zu entlocken,

So werd' ich doch nicht eben so umsonst

Versuchen, ihn aus Peckin wegzufuehren

Und mit dem schoenen Raube zu entfliehn.

-O heisserflehter Augenblick! Jetzt, Liebe!

Die mir bis jetzt den kuehnen Muth verliehn,

So manche Schranke mir schon ueberstiegen,

Dein Feuer lass auf meinen Lippen gluehn!

Hilf mir in diesem schwersten Kampfe siegen!

(Sie betrachtet den Schlafenden.)

Der Liebste schlaeft. Sei ruhig, pochend Herz,

Erzittre nicht! Nicht gern, ihr holden Augen,

Scheuch' ich den goldnen Schlummer von euch weg;

Doch schon ergraut der Tag, ich darf nicht saeumen.

(Sie naehert sich ihm und beruehrt ihn sanft.)

Prinz, wachet auf!

Kalaf (erwachend). Wer stoeret meinen Schlummer?

Ein neues Trugbild? Nachtgespenst, verschwinde!

Wird mir kein Augenblick der Ruh vergoennt?

Adelma. Warum so heftig, Prinz? Was fuerchtet Ihr?

Nicht eine Feindin ist's, die vor Euch steht;

Nicht Euern Namen will ich Euch entlocken.

Kalaf. Ist dies dein Zweck, so spare deine Mueh.

Ich sag' es dir voraus, du wirst mich nicht betruegen.

Adelma. Betruegen? Ich? Verdien' ich den Verdacht?

Sagt an! War hier nicht Skirina bei Euch,

Mit einem Brief Euch listig zu versuchen?

Kalaf. Wohl war sie hier.

Adelma. Doch hat sie nichts erlangt?

Kalaf. Dass ich ein solcher Thor gewesen waere!

Adelma. Gott sei's gedankt!-War eine Sklavin hier,

Mit trueglicher Vorspieglung Euch zu blenden?

Kalaf. Solch eine Sklavin war in Wahrheit hier,

Doch zog sie leer ab-wie auch du wirst gehn.

Adelma. Der Argwohn schmerzt, doch leicht verzeih' ich ihn.

Lernt mich erst kennen! Setzt Euch! Hoert mich an,

Und dann verdammt mich als Betruegerin! (Sie setzt sich, er folgt.)

Kalaf. So redet denn und sagt, was ich Euch soll.

Adelma. Erst seht mich naeher an-Beschaut mich wohl!

Wer denkt Ihr, dass ich sei?

Kalaf. Dies hohe Wesen,

Der edle Anstand zwingt mir Ehrfurcht ab.

Das Kleid bezeichnet eine niedre Sklavin,

Die ich, wo ich nicht irre, schon im Divan

Gesehen und ihr Los beklagt.

Adelma. Auch ich

Hab' Euch-die Goetter wissen es, wie innig-

Bejammert, Prinz! Es sind fuenf Jahre nun,

Da ich, noch selber eine Guenstlingin

Des Gluecks, in niederm Sklavenstand Euch sah.

Schon damals sagte mir's mein Herz, dass Euch

Geburt zu einem bessern Loos berufen.

Ich weiss, dass ich gethan, was ich gekonnt,

Euch ein unwuerdig Schicksal zu erleichtern.

Weiss, dass mein Aug sich Euch verstaendlich machte,

Soweit es einer Koenigstochter ziemte. (Sie entschleiert sich.)

Seht her, mein Prinz, und sagt mir! Dies Gesicht,

Habt Ihr es nie gesehn in Eurem Leben?

Kalaf. Adelma! Ew'ge Goetter! Seh' ich recht?

Adelma. Ihr sehet in unwuerd'gen Sklavenbanden

Die Tochter Keicobads, des Koeniges

Der Karazanen, einst zum Thron bestimmt,

Jetzt zu der Knechtschaft Schmach herabgestossen.

Kalaf. Die Welt hat Euch fuer todt beweint. In welcher

Gestalt, weh mir, muss ich Euch wieder finden!

Euch hier als eine Sklavin des Serails,

Die Koenigin, die edle Fuerstentochter!

Adelma. Und als die Sklavin dieser Turandot,

Der grausamen Ursache meines Falles!

Vernehmt mein ganzes Unglueck, Prinz! Mir lebte

Ein Bruder, ein geliebter, theurer Juengling,

Den diese stolze Turandot, wie Euch,

Bezauberte-Er wagte sich im Divan.

(Sie haelt inne, von Schluchzen und Thraenen unterbrochen.)

Unter den Haeuptern, die man auf dem Thore

Zu Peckin sieht-entsetzensvoller Anblick!-

Erblicktet Ihr auch das geliebte Haupt

Des theuren Bruders, den ich noch beweine.

Kalaf. Unglueckliche! So log die Sage nicht!

So ist sie wahr, die klaegliche Geschichte,

Die ich fuer eine Fabel nur gehalten!

Adelma. Mein Vater Keicobad, ein kuehner Mann,

Nur seinem Schmerz gehorchend, ueberzog

Die Staaten Altoums mit Heeresmacht,

Des Sohnes Mord zu raechen-Ach, das Glueck

War ihm nicht guenstig! Maennlich fechtend fiel er

Mit allen seinen Soehnen in der Schlacht.

Ich selbst, mit meiner Mutter, meinen Schwestern,

Ward auf Befehl des wuethenden Veziers,

Der unsern Stamm verfolgte, in den Strom

Geworfen. Jene kamen um; nur mich

Errettete die Menschlichkeit des Kaisers,

Der in dem Augenblick ans Ufer kam.

Er schalt die Graeuelthat und liess im Strom

Nach meinem jammervollen Leben fischen.

Schon halb entseelt werd' ich zum Strand gezogen;

Man ruft ins Leben mich zurueck; ich werde

Der Turandot als Sklavin uebergeben,

Zu gluecklich noch, das Leben als Geschenk

Von eines Feindes Grossmuth zu empfangen.

O, lebt in Eurem Busen menschliches Gefuehl,

So lasst mein Schicksal Euch zu Herzen gehn!

Denkt, was ich leide! Denkt, wie es ins Herz

Mir schneidet, sie, die meinen ganzen Stamm

Vertilgt, als eine Sklavin zu bedienen.

Kalaf. Mich jammert Euer Unglueck. Ja, Prinzessin,

Aufricht'ge Thraenen zoll' ich Eurem Leiden-

Doch Euer grausam Loos, nicht Turandot

Klagt an-Eu'r Bruder fiel durch eigne Schuld,

Euer Vater stuerzte sich und sein Geschlecht

Durch uebereilten Rathschluss ins Verderben.

Sagt, was kann ich, selbst ein Ungluecklicher,

Ein Ball der Schicksalsmaechte, fuer Euch thun?

Ersteig' ich morgen meiner Wuensche Gipfel,

So sollt Ihr frei und gluecklich sein-Doch jetzt

Kann Euer Unglueck nichts als meins vermehren.

Adelma. Der Unbekannten konntet Ihr misstrauen;

Ihr kennt mich nun-Der Fuerstin werdet Ihr,

Der Koenigstochter, glauben, was sie Euch

Ans Mitleid sagen muss und lieber noch

Aus Zaertlichkeit, aus Liebe sagen moechte.

-O, moechte dies befangne Herz mir trauen,

Wenn ich jetzt wider die Geliebte zeuge!

Kalaf. Adelma, sprecht, was habt Ihr mir zu sagen?

Adelma. Wisst also, Prinz-Doch nein, Ihr werdet glauben

Ich sei gekommen, Euch zu taeuschen, werdet

Mit jenen feilen Seelen mich verwechseln,

Die fuer das Sklavenjoch geboren sind.

Kalaf. Quaelt mich nicht laenger! Ich beschwoer' Euch, sprecht!

Was ist's? Was habt Ihr mir von ihr zu sagen,

Die meines Lebens einz'ge Goettin ist?

Adelma (bei Seite). Gib Himmel, dass ich jetzt ihn ueberrede!

(Zu Kalaf sich wendend.)

Prinz, diese Turandot, die schaendliche,

Herzlose, falsche, hat Befehl gegeben,

Euch heut am fruehen Morgen zu ermorden.

-Dies ist die Liebe Eurer Lebensgoettin!

Kalaf. Mich zu ermorden?

Adelma. Ja, Euch zu ermorden!

Beim ersten Schritt aus diesem Zimmer tauchen

Sich zwanzig Degenspitzen Euch ins Herz,

So hat es die Unmenschliche befohlen.

Kalaf (steht schnell auf und geht gegen die Thuere).

Ich will die Wache unterrichten.

Adelma (haelt ihn zurueck). Bleibt!

Wo wollt Ihr hin? Ihr hofft noch, Euch zu retten?

Ungluecklicher, Ihr wisst nicht, wo Ihr seid,

Dass Euch des Mordes Netze rings umgeben!

Dieselben Wachen, die der Kaiser Euch

Zu Huetern Eures Lebens gab, sie sind-

Gedingt von seiner Tochter, Euch zu toedten.

Kalaf (ausser sich, laut und heftig mit dem Ausdruck des

innigsten Leides).

O Timur! Timur! Ungluecksel'ger Vater!

So muss dein Kalaf endigen! Du musst

Nach Peckin kommen, auf sein Grab zu weinen!

Das ist der Trost, den dir dein Sohn versprach!

-Furchtbares Schicksal!

(Er verhuellt sein Gesicht, ganz seinem Schmerz hingegeben.)

Adelma (fuer sich, mit frohem Erstaunen). Kalaf! Timurs Sohn!

Gluecksel'ger Fund!-Fall' es nun, wie es wolle!

Entgeh' er meinen Schlingen auch, ich trage

Mit diesen Namen sein Geschick in Haenden.

Kalaf. So bin ich mitten unter den Soldaten,

Die man zum Schutz mir an die Seite gab,

Verrathen! Ach, wohl sagte mir's vorhin

Der feilen Sklaven einer, dass Bestechung

Und Furcht des Maechtigen das schwache Band

Der Treue loesen-Leben, fahre hin!

Vergeblich ist's, dem grausamen Gestirn,

Das uns verfolgt, zu widerstehn-Du sollst

Den Willen haben, Grausame-dein Aug

An meinem Blute weiden! Suesses Leben,

Fahr hin! Nicht zu entfliehen ist dem Schicksal.

Adelma (mit Feuer). Prinz, zum Entfliehen zeig' ich Euch die Wege,

Nicht muess'ge Thraenen bloss hab' ich fuer Euch.

Gewacht hab' ich indess, gesorgt, gehandelt,

Kein Gold gespart, die Hueter zu bestechen.

Der Weg ist offen. Folgt mir! Euch vom Tode,

Mich aus den Banden zu befreien, komm' ich.

Die Pferde warten, die Gefaehrten sind

Bereit. Lasst uns aus diesen Mauern fliehen,

Worauf der Fluch der Goetter liegt. Der Khan

Von Berlas ist mein Freund, ist mir durch Bande

Des Bluts verknuepft und heilige Vertraege.

Er wird uns schuetzen, seine Staaten oeffnen,

Uns Waffen leihen, meiner Vaeter Reich

Zurueck zu nehmen, dass ich mit Euch theile,

Wenn Ihr der Liebe Opfer nicht verschmaeht.

Verschmaeht Ihr's aber und verachtet mich,

So ist die Tartarei noch reich genug

An Fuerstentoechtern, dieser Turandot

An Schoenheit gleich und zaertlicher als sie.

Aus ihnen waehlt Euch eine wuerdige

Gemahlin aus! Ich-will mein Herz besiegen,

Nur rettet, rettet dieses theure Leben!

(Sie spricht das Folgende mit immer steigender Lebhaftigkeit, indem

sie ihn bei der Hand ergreift und mit sich fortzureissen sucht.)

O, kommt! Die Zeit entflieht, indem wir sprechen.

Die Haehne kraehn, schon regt sich's im Palast,

Todbringend steigt der Morgen schon herauf.

Fort, eh der Rettung Pforten sich verschliessen!

Kalaf. Grossmuethige Adelma! Einz'ge Freundin!

Wie schmerzt es mich, dass ich nach Berlas Euch

Nicht folgen, nicht der Freiheit suess Geschenk,

Nicht Euer vaeterliches Reich zurueck

Euch geben kann-Was wuerde Altoum

Zu dieser heimlichen Entweichung sagen?

Macht' ich nicht schaendlichen Verraths mich schuldig,

Wenn ich, des Gastrechts heilige Gebraeuche

Verletzend, aus dem innersten Serail

Die werthgehaltne Sklavin ihm entfuehrte?

-Mein Herz ist nicht mehr mein, Adelma. Selbst

Der Tod, den jene Stolze mir bereitet,

Wird mir willkommen sein von ihrer Hand.

-Flieht ohne mich, flieht, und geleiten Euch

Die Goetter! Ich erwarte hier mein Schicksal.

Noch troestlich ist's, fuer Turandot zu sterben,

Wenn ich nicht leben kann fuer sie-Lebt wohl!

Adelma. Sinnloser! Ihr beharrt? Ihr seid entschlossen?

Kalaf. Zu bleiben und den Mordstreich zu erwarten.

Adelma. Ha, Undankbarer! Nicht die Liebe ist's,

Die Euch zurueckhaelt-Ihr verachtet mich!

Ihr waehlt den Tod, um nur nicht mir zu folgen!

Verschmaehet meine Hand, verachtet mich;

Nur flieht, nur rettet, rettet Euer Leben!

Kalaf. Verschwendet Eure Worte nicht vergebens;

Ich bleibe und erwarte mein Geschick.

Adelma. So bleibet denn! Auch ich will Sklavin bleiben,

Ohn' Euch verschmaeh' ich auch der Freiheit Glueck.

Lass sehn, wer von uns beiden, wenn es gilt,

Dem Tode kuehner trotzt! (Von ihm wegtretend.)

Waer' ich die Erste,

Die durch Bestaendigkeit ans Ziel gelangte? (Fuer sich. Mit Accent.)

Kalaf! Sohn Timurs! (Verneigt sich spottend.)

Unbekannter Prinz!

Lebt wohl! (Geht ab.)

Kalaf (allein). Wird diese Schreckensnacht nicht enden?

Wer hat auf solcher Folter je gezittert?

Und endet sie, welch neues groessres Schreckniss

Bereitet mir der Tag! Aus welchen Haenden!

Hat meine edelmuethig treue Liebe

Solches um dich verdient, tyrannisch Herz!

-Wohlan! Den Himmel faerbt das Morgenroth,

Die Sonne steigt herauf, und allen Wesen

Bringt sie das Leben, mir bringt sie den Tod!

Geduld, mein Herz, dein Schicksal wird sich loesen!

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