Zwölf

Irgendwie hatte ich bislang das Glück gehabt, noch nie vor einer Kommission Rede und Antwort stehen zu müssen. In der Schule war ich einerseits zu gut, andererseits zu unbekümmert, als dass man mich mit einer dieser Kommissionen von der städtischen Abteilung für Volksbildung hätte erschrecken können. Studiert hatte ich in jenen kommissionsfreien Jahren, als im Land absolute Anarchie herrschte. Und bei meiner Arbeit als Manager bei ›Bit und Byte‹? Was hätte man da kontrollieren wollen? Ob ich mir eine neue Grafikkarte für den häuslichen Computer unter den Nagel gerissen hatte?

Selbstverständlich hatte ich sie mir nicht unter den Nagel gerissen! Ich hatte sie zu Testzwecken mitgenommen, in einem Monat würde ich sie zurückgeben - genau der Zeitraum, in dem sie veraltete. Falls das jemandem nicht schmeckte: Ich wäre gern bereit, zu ›Makrochips‹ zu wechseln, die zahlten ohnehin anderthalbtausend Rubel mehr.

Dennoch kroch die ererbte Angst mir mit kaltem Schauder zwischen den Schulterblättern hoch.

Was sollte ich dagegen tun? Selbst meine Generation, die von den Schrecken verschont geblieben ist, steht bis heute mit heruntergelassenen Hosen über die Sitzbank gebückt da.

Und wartet darauf, dass die Rute niederzischt.

Nachdem ich den Sand vom Hemd gestreift hatte, betrat ich den Turm. Flüchtig dachte ich darüber nach, ob ich Fußmatten vor die Tür legen sollte. Oder spezielle Teppiche, solche grünen, die wie Plastikrasen aussehen.

An der Moskauer Tür klopfte es erneut.

Kotja, der sich gewaltig ins Zeug legte, um sich den Anschein höchster Konzentration zu geben (wobei ihm die beiden Flaschen ukrainischen Biers einen Strich durch die Rechnung machten), stand neben der Treppe.

Ich öffnete die Tür.

Mir blickten drei freundliche, wohlbekannte Gesichter entgegen.

Das erste gehörte einem bekannten Komiker, einem Stern am TV-Himmel, einem pausbäckigen und faltenreichen Mann. Das Lächeln dürfte derart fest auf seinem Gesicht angeklebt sein, dass er vermutlich ein paar Muskeln anspannen müsste, um nicht zu lächeln.

Neben ihm stand ein bekannter Volksvertreter patriotisch-oppositioneller Überzeugungen. Gleichfalls lächelnd, was ihm jedoch besser gelang. Vertrauenerweckender. Stehenden Fußes wollte man in seine Partei eintreten und Seite an Seite für die Rechte des Volkes kämpfen.

Die beiden ließ ich mir ja noch gefallen. Etwas in der Art hatte ich erwartet.

Die Dritte war allerdings Natalja Iwanowa.

Gesund und munter, nickte sie mir freundlich zu. In ihrem Blick fand sich freilich nicht die Spur des freundlichen Lächelns wieder. Der war durch und durch wachsam.

Innerlich stattete ich Kotja Dank dafür ab, mich noch rechtzeitig in seine Schlussfolgerungen eingeweiht zu haben.

»Hallo, Natascha!«, begrüßte ich sie, beugte mich zu ihr vor und schmatzte ihr einen Kuss auf die Wange. »Freut mich, dich bei guter Gesundheit zu sehen.«

Dem Politiker streckte ich die Hand hin, um die seine kräftig zu drücken. Den Komiker hätte ich ehrlich gesagt am liebsten mit einem aufblasbaren Hammer bearbeitet oder ihm eine Sahnetorte ins Gesicht geklatscht. Ich beschränkte mich jedoch auf ein Nicken und ein Lächeln von unüberbietbarer Herzlichkeit.

Natalja sah mich unverwandt an. Etwas in ihren Augen geriet in Auflösung, gruppierte sich um, arrangierte sich neu. Nach vorn schoben sich nun einzig Güte und Wohlwollen. An ihren Augenwinkeln bündelten sich sogar Lachfältchen, obgleich diese bei sehr geschickten Miststücken erst zwischen dreißig und fünfunddreißig auftreten.

Die Wachsamkeit hingegen versteckte sich, verschwand aus ihrem Blick, um sich der Seele zu nähern.

Ich Idiot.

Dabei hatte Kotja mir doch gerade eben noch geraten, mich dumm zu stellen! Und jetzt brüstete ich mich damit, ihr Spiel zu durchschauen, wunderte mich nicht im Geringsten darüber, dass Natalja noch lebte.

»Du bist nicht sauer auf mich, Kirill?« Natalja beugte sich ebenfalls vor, um mich mit trockenen, heißen Lippen zu berühren. Ihre Begrüßung umwehte Kälte.

»Du kommst auf Ideen!« Ich rang mir ein Lachen ab und nickte dem Komiker zu, als lüde ich ihn ein, meine Belustigung mit mir zu teilen. »Hältst du mich etwa für einen ausgemachten Dummkopf? Wie kommst du darauf, dass ich mich gegen den Plan sträuben würde? Hättest du mir gleich alles erklärt, wäre ich kaum ...«

»Man darf niemals etwas erklären.« Natalja drosselte ihre aufgesetzte Herzlichkeit ein wenig. »Gehen wir’rein?«

»Natürlich!« Ich trat vor die Tür, wobei ich einen kurzen Blick sowohl auf die etwas abseits parkenden teuren Wagen wie auch auf einige kräftige Burschen im Umkreis des Turms erhaschte. Die drei traten ein, machten jedoch halt, als sie Kotja erblickten. »Ich habe gerade einen Freund zu Besuch ... Wir wollten ein Bierchen zusammen trinken. Dagegen ist doch nichts einzuwenden, oder?«

Aufmerksam musterte Natalja Kotja. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte stramme Haltung angenommen. »Tschagin, Konstantin Igorewitsch!«, rapportierte er. »Fünfundzwanzig Jahre! Aus Gesundheitsgründen nicht zur Armee eingezogen. Journalist!«

»Was für ein Journalist?«, fragte Natalja angewidert.

»Sensationsreporter!«, platzte Kotja heraus.

»Bist du der, bei dem Kirill übernachtet hat?«

»Ja.« Kotja legte bereitwillig die Karten auf den Tisch. »Ich erinnere mich jedoch nicht mehr daran, ich habe alles vergessen, wir haben uns danach noch einmal kennengelernt ... Machen Sie sich keine Sorgen, ich bin nicht beruflich hier! Sondern nur als Freund! Ich will Kirjucha nichts Böses!«

»Die Hauptsache ist, sich selbst nichts Böses zu wollen.« Anscheinend hatte Natalja in puncto Kotja eine Entscheidung getroffen. »Ihr seid Freunde. Natürlich. Es ist sehr wichtig, Freunde zu haben.«

»Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Schönste, was es gibt auf der Welt!«, krähte der Komiker. Erwartungsvoll schielte er erst zu Natalja, dann zu dem Politiker hinüber.

Natalja ignorierte ihn, der Politiker verzog das Gesicht. »Shenja, du bist hier nicht bei der Arbeit ...«, sagte er schließlich.

»Ich habe geglaubt, das sei witzig!«, erklärte der Komiker trotzig, um danach mit den Schultern zu zucken. »Aber irren kann sich ja jeder mal!«

»Stellen wir uns dem jungen Mann lieber vor«, schlug der Politiker harmoniebedürftig vor. »Ich kann mir schon denken, wie man uns angekündigt hat ... als Kommission oder Inspektion ... Ach, ich hasse diese Bürokratie!«

»Ich kenne Sie ja sowieso ... vom Sehen«, brummelte ich. »Sie sind ...«

»Einfach Dima.« Der Politiker breitete die Arme aus. »Verzichten wir doch auf alle Formalitäten, schließlich sind wir ja unter uns! Kirill, Shenja, Dima ... äh ... Kostja, Natascha. Wie haben Sie sich eingelebt, Kirill?«

»Mühsam nährt sich das Eichhörnchen ...« Ich versuchte, nicht zu Natalja hinüberzugucken, und setzte eine gequälte Miene auf, um nuschelnd fortzufahren: »Mir fehlt es an Geld ... Ich hab jetzt zwar ein Dach über dem Kopf, aber ich muss ja auch was essen ... ein Fernseher wäre auch schön, damit ich in Kontakt mit meinem Vaterland bleibe ...«

Der Politiker nickte und sah zu Natalja hinüber, die inzwischen die Treppe erklommen hatte und interessiert in den ersten Stock des Turms hinauflugte. »Natascha«, sagte er, »ist es bei euch wirklich nicht üblich, bei einem durch den Wechsel des Arbeitsplatzes bedingten Umzug eine Unterstützung auszuzahlen? Solange der Mann seine Tätigkeit noch nicht aufgenommen hat ...«

Schwer durchschaubare Beziehungen verbanden die Drei miteinander. In dem Komiker identifizierte ich unfehlbar das harmloseste und einzig zum Zwecke der Massenbildung hinzugezogene Mitglied. Aber wer von den beiden anderen das Sagen hatte, Natalja oder Dima, vermochte ich nicht zu entscheiden.

»Ich werde ihm etwas auszahlen«, lenkte Natalja ein. »Kirill, ist der zweite Stock schon offen?«

»Da sind Küche und Bad.«

»Hervorragend.« Natalja kam die Treppe wieder herunter und stellte sich neben mich. Während sie mir fest in die Augen blickte, tastete sie in ihrer Tasche nach einem dicken Bündel blauer Tausend-Rubel-Noten. »Reichen dir hundert davon, um dich einzurichten?«

Kotja schnalzte mit der Zunge. »Der Turm ist ja ziemlich groß«, flüsterte er deutlich hörbar.

»Werdet jetzt nicht frech, Freunde.« Grinsend drückte mir Natalja das Bündel in die Hand. »Welche Türen sind schon offen?«

»Die nach Kimgim«, sagte ich. »Das war die erste. Heute hat sich ... die hier geöffnet.«

Natürlich interessierten sie die Türen weit mehr als meine Person. Schon im nächsten Augenblick stapfte das Terzett durch den Sand. Auf ihren Gesichtern spiegelte sich unverhohlene Begeisterung wider. Der Komiker lief sogar zum Meer, tauchte die Hände ins Wasser und machte kehrt, um zufrieden und lauthals mit einer widerlichen Theaterstimme zu deklamieren:

Es klirrt der Frost, und Schnee liegt überall,

Doch mir auf Malta ist das scheißegal ...

Natalja seufzte, verlor jedoch kein Wort. Der Politiker lockerte den Knoten seiner Krawatte, zog sein weißes Jackett aus und legte es sich über den Arm. »Ich liebe das Meer«, sagte er. »Wie schön, Kirill. In Moskau gab es bislang nur einen Zugang zum Meer. Und der liegt ausgerechnet in Kapotnja, völlig ab vom Schuss, das musst du dir mal vorstellen!«

»Wie viele Türme gibt es denn insgesamt in Moskau?«

»Es müssen nicht immer Türme sein. In Kapotnja ist es beispielsweise ein Keller ... Es gibt siebzehn Zollstellen.«

Ich schielte zum Komiker hinüber, der gerade den Turm umrundete, dabei dessen Mauern betastete, gelegentlich sogar gegen sie trat, als wolle er ihre Solidität prüfen. »Ist das wirklich Malta?«, fragte ich.

»Wir sind hier sehr weit weg von unserer Erde«, antwortete der Politiker unbeschwert. »Natürlich nicht von der Entfernung her, sondern bezogen aufs Multiversum. Das ist nicht Kimgim. Hier sind die Kontinente ganz anders. Und es gibt keine Menschen.«

»Das ist ein Ferienparadies.«

»Genau. Du wirst enormen Zulauf haben.«

»Wir haben uns in dir nicht getäuscht«, bestätigte Natalja. »Alle Achtung, Kirill. Ich gratuliere. Das ist eine vorzügliche Tür. Aber ... das ist dir ja selbst auch schon aufgefallen.«

Ich folgte ihrem Blick - und entdeckte die Bierflaschen und die Tütchen mit den Nüssen, die wir im Sand zurückgelassen hatten. Doch nicht nur ich sah sie. Der Politiker begab sich überraschenderweise an den Ort des Picknicks, hob zwei Bierflaschen auf und öffnete eine an der anderen. Anschließend nahm er einen tiefen Schluck.

Das Meer hatte es ihnen angetan. Es entspannte sie. Offenbar hatten sie sich über die Maßen gewünscht, ein weiteres Türchen möge an diesen Ort führen.

»Wovon hängt es ab, wohin sich eine Tür öffnet?«, wollte ich wissen.

»Vom Zöllner«, antwortete Natalja nach ganz kurzem Zögern. »Du öffnest Türen in die Welten, die dir besonders nahe sind.«

»Und wie viele Welten gibt es?«, fragte Kotja hinter mir.

Diesmal zögerte Natalja länger. »Wir wissen von dreiundzwanzig«, antwortete sie dann aber doch. »Die Zugänge dorthin sind stabil ... obwohl fast die Hälfte dieser Welten niemand braucht. Es kursieren Geschichten über weitere Welten, zu denen sich die Zugänge unregelmäßig auftun ... Vielleicht sind das aber auch bloß Gerüchte. Einige Welten kommen öfter vor, andere seltener.«

»Kimgim wohl öfter«, vermutete ich.

»Kimgim ist eine beliebte Welt«, bestätigte Natalja. »Sie dient sogar als Zwischenwelt, wenn man in eine seltenere will ... Gut, da wir schon mal mit diesem Frageund-Antwort-Spielchen angefangen haben, dann frag jetzt auch weiter. Ich werde dir antworten.«

»Wer bist du, Natalja?«

»Ein Funktional.«

»Das habe ich mir schon gedacht. Aber was für eins?«

»Eine Hebamme.« Die Antwort erfolgte ganz offensichtlich nicht spontan. Brav riss ich denn auch die Augen auf, um mit dieser Miene weiterer Erklärungen zu harren. »Eine Hebamme beziehungsweise Gynäkologin. Ich spüre zukünftige Funktionale auf und helfen ihnen, ihren Posten einzunehmen.«

»Gestern Abend bin ich durch Kimgim spaziert. Da habe ich einige Funktionale kennengelernt ...«, sagte ich lässig. Und bemerkte, dass diese Information meinen Gäste neu war. Natalja bewahrte eine steinerne Miene, der Politiker kniff das linke Auge leicht zusammen, der Komiker verbarg seine Verblüffung in keiner Weise. »Sie haben mich ins Bild gesetzt. Aber Hebammen hat keiner von ihnen erwähnt.«

»Das hängt damit zusammen, dass die Geburt manchmal problemlos, manchmal aber mit Komplikationen verläuft«, erklärte Natalja sanft. »In deinem Fall war das alles ... nicht so einfach. Lass uns ein Stück spazieren gehen, Kirill. Dieses Gespräch ist nur etwas ... für Funktionale.«

Sie griff behutsam nach meiner Hand und zog mich vom Turm weg, hin zum Meer. Kotja blieb zurück. Und nicht nur er. Auch der Politiker und der Komiker folgten uns nicht. Dann handelte es sich bei ihnen also um normale Menschen?

»Das sind nur Menschen«, sagte Natalja leise. »Was brauchen sie ... Einzelheiten zu wissen. Du erstaunst mich jetzt schon zum zweiten Mal, Kirill.«

»Das erste Mal war, als ich mit dem Messer gekommen bin?«

»Ja. Das hat deinem Charakter überhaupt nicht entsprochen. Und jetzt begreifst du verblüffend schnell. Gut, da habe ich dich wohl etwas unterschätzt. Lass uns ein für alle Mal klarstellen, Kirill: Schließen wir Frieden oder nicht?«

»Was, wenn nicht?«, fragte ich.

Natalja zuckte mit den schmalen Schultern. »Das hier ist dein Territorium. Hier kannst du mich durch den Wolf drehen. Aber dann ...«

»Schon verstanden«, lenkte ich ein. »Dann besucht mich ein Polizistenfunktional. Eine Frage noch, Natalja. Warum bin ausgerechnet ich Zöllner geworden? Liegt das an einer angeborenen Besonderheit?«

»Nein«, antwortete Natalja widerwillig. »Vermutlich nicht. Die Mechanismen durchschaue ich selbst nicht, aber das will ich auch gar nicht.«

»Aber du bist doch Hebamme!«

»Ja, und? Man teilt mir mit, dass jemand zum Funktional wird. Ich beobachte ihn. Normalerweise wird er leicht und schnell aus der Realität gelöscht. In seiner Wohnung taucht jemand anders auf, an seinem Arbeitsplatz ebenfalls. Mitunter ist es jedoch nicht ganz so einfach. Deine Wohnung hat sich zwar verändert, aber deinen Platz hat kein anderer eingenommen. Die Stelle in deiner Firma ist momentan unbesetzt.«

Mir fiel wieder ein, wie bereitwillig mein Chef mir einen Arbeitsplatz bei ›Bit und Byte‹ angeboten hatte. Unwillkürlich nickte ich.

»Dich hat man nur langsam vergessen«, fuhr Natalja fort. »Deshalb mussten wir dich ersetzen. Deinen Platz ausfüllen und dir entsprechend einheizen. Was blieb uns denn sonst übrig? Irgendwie hattest du es geschafft, dich an deine Umwelt zu klammern ...«

»Oder meine Umwelt sich an mich?«, murmelte ich. »Schon verstanden.«

»Das Einzige, was du mir vorwerfen kannst«, meinte Natalja, »ist, dass ich dich ein wenig geschubst habe. Um damit deine Umwandlung in ein Funktional zu beschleunigen. Mit dieser Simulation ... damit du selbst ein anderer werden wolltest. Jedes andere Funktional an meiner Stelle hätte genauso gehandelt. Also?«

Sie neigte den Kopf und sah mir ins Gesicht. In ihren Augenwinkeln bildete sich abermals ein Kranz aus Fältchen.

Sie ist ja gar nicht jung, ging es mir auf. Funktionale altern vermutlich überhaupt nicht, sondern bewahren sich ihr Menschenalter. Aber Natalja war mit Sicherheit nicht mit etwas über zwanzig zum Funktional geworden ...

»Du bist eine gutherzige Frau«, sagte ich.

»Mir blieb keine andere Wahl. Du hast mir das Leben schwer gemacht, Kirill. Einen ganzen Tag hast du mich gekostet.« Das gekünstelte Wohlwollen stahl sich ansatzweise aus ihren Augen. Gott sei Dank nahm seinen Platz jedoch Gleichgültigkeit ein. Natalja blieb also bei der Auffassung, ich stelle keine Gefahr dar.

»Warum hast du mich so einschüchtern müssen? Du hättest mir doch gleich sagen können ...«

»Damit hätte ich alles verdorben«, fiel mir Natalja ins Wort. »Sag einem Funktional nicht, wie es seine Funktion auszuüben hat.«

»Ist das ein Sprichwort?«

»Etwas in der Art. Was ist, schließen wir Frieden?«

»Ja.« Lächelnd drückte ich ihre Hand. »Trotzdem hast du mir das Leben ganz schön zur Hölle gemacht ...«

»Der Preis dürfte wohl kaum der Rede wert sein.« Natalja nickte in Richtung des tosenden Brandungsstreifens, der bis dicht an unsere Füßen heranreichte. »Das ist noch nicht alles. Diese beiden ...« Sie sah zu dem Politiker und dem Komiker hinüber. »... sind keine Funktionale. Sie dürfen sich unsere Fähigkeiten jedoch zunutze machen. Sie können von einer Welt in eine andere reisen. Um sich irgendwo eine anständige Frisur verpassen zu lassen und mal gut zu essen. Um einen Arzt aufzusuchen oder um zu studieren. Aber wir sollten uns hüten, in ihrer Gegenwart allzu offen zu sein. Du bist ein Funktional in deiner Funktion. Sie sind die Ableitungen. Knöpf ihnen Gebühren ab, wenn sie deine Zollstelle passieren. Sei höflich, aber streng. Funktionale lassen Zöllner dagegen ohne große Formalitäten durch ... falls nicht etwas absolut Gesetzwidriges damit einhergeht.«

»So etwas wie die Einfuhr verbotener Waren?«

»Richtig«, bestätigte Natalja. »Das ist alles, gehen wir zurück ...«

»Einen Moment noch! Ich hab noch ein paar Fragen.«

»Ja?« Natalja sah mich gespannt an.

»Woher wissen die Menschen etwas von Funktionalen? Wer hat das Recht, sich unserer ... Funktionen zu bedienen?«

»Brauchst du Geld, Kirill?« Natalja zwinkerte. »Sachen ... die über einen Hocker und einen Kochtopf hinausgehen? Sicherheit?«

»Ja«, gab ich zu, während ich zu den beiden anderen Inspektionsmitgliedern hinüberschielte. »Und vielleicht noch eine Prise Humor?«

»Nicht alles auf der Welt ist für Geld zu haben! Hast du deinen Freund in alles eingeweiht?«

Die Abfuhr kam so rigoros und unerwartet, dass ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte. Natalja setzte ein triumphierendes Lächeln auf.

»Dann noch eine letzte Frage. Wer hat bei uns das Sagen?«

»Du lebst noch in einer degenerierten Welt.« Natalja schüttelte den Kopf. »Einer Welt, in der Geld eine Rolle spielt, Macht, die gesellschaftliche Stellung. In einer Welt voll gieriger Kinder ... Entspann dich! Das hast du hinter dir gelassen. Hier gibt es niemanden, der das Sagen hat. Wir sind alle gleich. Erfülle deine Funktion mit gutem Gewissen - und es wird dir wohlergehen.«

Natalja drehte sich um und marschierte auf den Turm zu. Dann blieb sie stehen, wandte sich zurück und sah mich an. »Gehen wir. Ich finde, wir sollten deinen Eintritt in die Funktion als Fakt anerkennen. Und dein Freund ... ja doch, findige Journalisten können wir vielleicht gebrauchen.«

Sie blieben noch eine halbe Stunde im Turm. Nachdem Natalja verkündet hatte, sie sei zufrieden mit mir, breitete sich im Nu eine warmherzige Atmosphäre aus. Wir verließen den Strand und gingen in die Küche hinauf. Zuvor steckte der Politiker allerdings noch einmal den Kopf zur Tür hinaus, rief einen der Leibwächter zu sich und ließ sich eine Flasche Champagner bringen. Echten, französischen, natürlich brût, gekühlt, aber nicht eiskalt, nicht aus dem Gefrierfach: »He, he, schau, da schwimmen Eisstückchen drin, he, he, wir kriegen’s aber schön eisig hin ...« Den süßen, sogenannten ›Sowjetischen Champagner‹, diesen mit Kohlensäure angereicherten Weinverschnitt, konnte man dagegen nicht anders als eisgekühlt und auch so nur einmal im Jahr, nämlich zu Silvester, trinken.

Unter dem Geschirr, das zusammen mit dem zweiten Stock aufgetaucht war, fand ich einigermaßen passende Weingläser. Der Komiker erklärte, »in Russland leben, heißt einen heben«, worauf wir einen Schluck von dem Champagner tranken.

Dima und Shenja ließen mir ihre Visitenkarten da. Natalja teilte mir natürlich nicht mit, wie ich sie erreichen könnte. Allerdings versprach sie mir, wir würden uns regelmäßig sehen. Außerdem gab sie mir den Rat, mir selbst ein, zwei Dutzend Visitenkarten zuzulegen, da in den nächsten Monaten einige Hundert berühmte Persönlichkeiten bei mir auftauchen würden.

Als ich die ›Kommission‹ hinausgeleitete, raubte mir der Komiker auch noch den letzten Nerv, indem er sich mit theatralischer Geste gegen die Geheimratsecken schlug und ausrief: »Was man nicht im Kopf hat, hat man in den Füßen!«, dann zum Auto stürmte, lange im Kofferraum herumkramte und mit einer leicht zerfledderten Ausgabe seiner humoristischen Prosa zurückkehrte - die er in gebotener Umständlichkeit signierte. Natalja wartete gar nicht erst auf ihn, sondern winkte mir zu und machte sich zu Fuß auf den Weg zur Metro. Vermutlich, um zum Tscherkisowski-Markt zu fahren und dort diese tollen chinesischen Schuhe zu verkaufen. Der Politiker dagegen wartete höflich, bis der Komiker seine widmende Tätigkeit beendet hatte, wobei er mir mit vielsagender Miene zu verstehen gab, dergleichen sei unvermeidlich.

Erst nachdem die letzten Autos abgefahren waren, in denen die Bodyguards, die sich zuvor um den Turm herum gelangweilt hatten, verschwunden waren (was sie wohl von den Marotten ihrer Chefs hielten?), schloss ich die Tür und sah Kotja fragend an.

»Alle Achtung«, bemerkte Kotja. Er war sehr ernst. »Du bist einfach unschlagbar. Du hast eine gute Show abgezogen. Vor allem am Anfang: ›Freut mich, dich bei guter Gesundheit zu sehen.‹«

»Damit habe ich mir doch beinah selbst ein Bein gestellt ...«, setzte ich an. Um dann zu verstummen.

»Ganz im Gegenteil!«, geriet Kotja in Fahrt. »Du hast doch nicht etwa wirklich geglaubt, Natalja sei tot? Wenn du bei ihrem Anblick erschreckt oder fassungslos gewesen wärst, das wäre verdächtig gewesen ... Nein, mach dir keine Gedanken, du hast dich absolut richtig verhalten.«

»Du bist aber auch nicht ohne!«, blaffte ich ihn an. »Ein Sensationsreporter!«

»Klingt doch gut.« Kotja streckte stolz die Brust heraus. »Ich habe nicht vor, mein ganzes Leben lang Geschichten à la ›Wie meine verhasste Schwiegermutter zu meiner geliebten Frau wurde!‹ zu schreiben. Sobald ich endlich mal echten Sensationen auf die Spur komme ...«

Er verstummte. »Genau«, meinte ich nickend. »Auf die erste bist du ja schon gestoßen. Wo bleibt denn dein Aufmacher? Ich habe noch ein paar Fotos, wenn du die verwenden willst ...«

Seufzend fuhr sich Kotja über die Stirn. »Selbst Bier will ich keins mehr ...«, erklärte er. »Sag mal, bei uns in der Regierung, sitzen da eigentlich durch die Bank Funktionale?«

»Der ist kein Funktional«, verneinte ich. »Was meinst du, warum Natalja mich beiseite genommen hat? Ein paar Leute wissen Bescheid und greifen auf unsere Dienste zurück. Das müssen nicht unbedingt Politiker sein ...«

»O nein!« Kotja schüttelte sich. »Es können auch Komiker sein.«

»Er gibt sich ja alle Mühe ...«, erwiderte ich diplomatisch, wobei ich das Buch hinter meinem Rücken versteckte. Es gehört sich nicht, einen Menschen, der einem gerade ein Buch signiert hatte, schlecht zu machen.

»Weißt du, was ich glaube?« Kotja wurde immer munterer. »Deine Natalja, das ist auch bloß eine kleine Nummer.«

»Auch?«

»Die hat sich viel zu sehr aufgespielt«, fuhr Kotja fort, ohne auf meine Frage einzugehen. »Die tut sich dicke ...«

Seine Ausführungen unterbrach ein Klopfen an der Tür. Auf der Seite von Kimgim.

»Du wirst langsam berühmt«, meinte Kotja aufgeräumt. »Du solltest mal ernsthaft darüber nachdenken, ein Schild mit den Öffnungszeiten an der Tür anzubringen ...«

Ich ging zur Tür. Kotja hatte bereits seinen üblichen Platz auf der Mitte der Treppe eingenommen. Ich hegte den gemeinen Verdacht, diese Position locke ihn vor allem durch die Möglichkeit, einen schnellen Rückzug über die Strecke »erster Stock, Fenster, Moskau« anzutreten. Obwohl: Wenn ich ehrlich sein soll, würde ich mich an seiner Stelle, ohne meine Fähigkeiten, genauso absichern.

Als ich die Tür öffnete, strömte ein Schwall kalter Luft herein.

Und mit ihm eine junge schwarzhaarige Frau mit Schlitzaugen.

»Ich bitte um Durchlass!«, schrie die Frau, kurz bevor meine Faust sie an der Schläfe treffen konnte.

Ich schaffte es gerade noch. Im letzten Moment gelang es mir, meine Hand zu bremsen.

Von außen betrachtet, musste das aussehen, als streiche ich der Frau mit einer schnellen Bewegung über den Kopf.

Diesmal trug sie keinen schwarzen Overall, sondern einen etwas längeren Rock, wie man ihn auch bei uns ab und an sieht. Dazu Stiefel. Und eine Art kurzen Schafpelzmantel sowie eine Fellmütze.

Eine ganz normale junge Frau. In der Metro würde sich niemand nach ihr umdrehen. Weder wegen ihrer Kleidung noch wegen ihres Äußeren.

»Wohin willst du denn?«, fragte ich.

»Dahin, wo ... Wo kann ich denn hin?« Sie blickte über die Schulter zurück. Entweder wollte sie meinem Blick nicht begegnen - oder rechnete mit einem Verfolger.

»Nach Moskau. Oder ans Meer, wo keine Menschen sind.«

»Dann ans Meer.« Die Frau trat ein, indem sie mich zur Seite schob. Sie schlug die Tür zu und legte den Riegel vor. Als sie Kotja erblickte, warf sie stolz den Kopf in den Nacken. Schließlich sah sie auch mir in die Augen.

Sie war halb tot vor Angst. Drei viertel tot, neunzehntel tot. Verängstigt bis zu dem Punkt, wo sogar die Panik schwindet und nur die Ruhe der Todgeweihten bleibt.

»Die Zollgebühren!«, sagte ich. »An deinem Gürtel stecken Wurfmesser. Für Hieb- und Stichwaffen, die weniger als eine Elle messen, sind Gebühren in Höhe von ...«

Mit einer Bewegung kehrte die Frau ihre Manteltasche nach außen. Eine Handvoll Münzen fiel auf den Boden. Allem Anschein nach Silbermünzen.

Das sollte keine Beleidigung sein. Sie hatte es einfach eilig.

»Das reicht«, versicherte ich. Das Geld brauchte ich nicht zu zählen. Ich wusste, dass sie mehr als genug gezahlt und ansonsten nichts zu verzollen hatte. »Geh. Durch die Tür da.«

»Du musst sie mir öffnen!«, sagte die Frau. Sie befeuchtete sich die Lippen. »Ich hab’s eilig.«

Ich öffnete die Tür. Ob ihr das nicht geglückt wäre? Mit einer übertriebenen Geste wies ich zum Strand hinunter. Die Frau huschte an mir vorbei. Ohne Zeit zu verlieren, schlüpfte sie aus dem Schafpelzmantel, sodass sie im schwarzen Pullover vor mir stand.

»Wart mal!«, rief ich. »Warum habt ihr eigentlich das Hotel überfallen?«

Indem sie auf einem Fuß herumhüpfte, zog die Frau sich die Stiefel aus. »Wir brauchten einen Meister.«

»Welchen?«

»Irgendeinen.« Nach den Schuhen flogen die Wollsocken in den Sand. Das Ganze erinnerte ein wenig an einen Striptease.

»Wozu?«, bohrte ich weiter.

Die Frau zog ein Wurfmesser aus der Scheide. Sie raffte den Rock hoch, um ihn mit raschen Schnitten in Kniehöhe abzusäbeln.

»Wir hatten da so eine Idee ...«, antwortete sie vage. Um dann, sich mir zudrehend, im Brustton der Überzeugung auszurufen: »Wie ich euch alle hasse!«

»Und trotzdem bittest du mich um Hilfe?«

»Nicht um Hilfe! Um Durchlass.«

Eine Sekunde behielt sie die Klinge in der Hand, gleichsam als überlege sie, ob sie mit ihr nach mir werfen sollte. Doch ihre Vernunft gewann die Oberhand. Das Messer wanderte in die Scheide zurück, die Frau drehte sich um, machte barfuß ein, zwei Schritte, fast wie beim Aufwärmtraining. Anschließend lief sie - leicht und schön anzuschauen - zum Ufer hinab, in Richtung des sich in der Ferne abzeichnenden grünen Walddachs. Eine gute Läuferin... Ich hätte sie nicht eingeholt - zumindest nicht zu Zeiten meines Managerdaseins.

»Wohin rennt sie denn?«, fragte Kotja nachdenklich.

»Nicht wohin, sondern: Vor wem läuft sie davon«, korrigierte ich. »Ich glaube ...«

Ich glaubte nicht nur. An der Tür nach Kimgim klopfte es. Leise, aber nachdrücklich.

»Vielleicht solltest du das ignorieren?«, meinte Kotja und nickte zur Tür hin. »Du könntest ja auch mal weggegangen sein ... einkaufen, einen Fernseher besorgen ...«

Ich schüttelte den Kopf. Kotja vermochte das nicht zu begreifen - aber es stand mir nicht zu Gebote, nicht zu öffnen. Wenn ich im Turm weilte, überstieg es meine Kräfte, so zu tun, als sei ich nicht da. Das war, als wollte man ein Niesen unterdrücken.

Das Einzige, was ich mir herausnehmen konnte, war, sehr langsam zur Tür zu schlendern, sie gemächlich zu öffnen und den Menschen, der draußen wartete, nicht gleich hineinzulassen.

Dort stand ein etwa dreißig Jahre alter Mann. Er war groß, hatte eine normale Figur. Vielleicht war sein Gesicht etwas auffällig. Es gibt ja Menschen, deren Gesicht nicht oval, nicht rund, sondern irgendwie trapezförmig ist, fast als hätte jemand mit Lego einen Menschen gebaut. Er trug ausgesprochen leichte Kleidung, die für einen Spaziergang an einem frischen Sommerabend geeignet schien, einen legeren Blouson und auf dem Kopf eine unseriös wirkende Kappe.

»Hallo!« Der Mann begrüßte mich mit einem kräftigen Händedruck. »Du bist Kirill, hab schon von dir gehört. Felix hat sehr gut von dir gesprochen. Ich bin Zeies.«

Abermals ging mir durch den Kopf, dass die Einwohner von Kimgim kein sonderlich glückliches Händchen mit ihrer Phonetik bewiesen hatten. Und Kotjas schwermütigem Seufzer nach zu urteilen unterhielten Zeies und ich uns keinesfalls auf Russisch miteinander.

»Nenn mich einfach Zei«, fuhr der Mann freundlich fort. »Mir ist klar, dass unsere Namen seltsam für euch klingen.«

»Ich bin Kirill«, stellte ich mich überflüssigerweise vor. Von seinem Gehabe angesteckt, fügte ich unwillkürlich hinzu. »Sag ruhig Kir.«

»Ist das dein Freund?« Zeies nickte zu Kotja hinüber und winkte ihm einen Gruß zu. »Ich bin entzückt ... Wohin ist die Frau verschwunden?«

»In die Richtung.«

»Dann werd ich mal ...« Seufzend trat Zeies an die entsprechende Tür heran. Die groben Sohlen seiner Stiefel hinterließen Klumpen schmelzenden Schnees auf dem Fußboden. »Wenn es kein Problem für dich ist, Kumpel, dann bleib die nächste halbe Stunde im Turm. Ich bin gleich wieder da.«

Ohne jede Schwierigkeit öffnete er die Tür. Er trat hinaus und sah sich um. Mit dem Fuß kickte er den Mantel weg, den die Frau zurückgelassen hatte. Schließlich lief er, ihren Spuren folgend, los, anfangs langsam, dann mit jeder Sekunde schneller und schneller. Seinen Bewegungen fehlte dabei jede mechanische Gleichförmigkeit, wie sie Terminatoren oder Vampire in Hollywoodfilmen an den Tag legen. Vielmehr lief er locker, ungezwungen und sprang hin und wieder ohne ersichtlichen Grund, vielleicht weil er versuchte, sein Opfer zu erspähen, vielleicht weil er einfach Freude am Laufen, dem Strand, dem Meer und der Sonne fand.

Alles in allem wirkte das weit schreckenerregender als bei jedem Filmmonster.

»Das ist ein Polizistenfunktional«, sagte ich.

»Habe ich auch mitgekriegt«, antwortete Kotja leise. »Vielleicht hättest du ihn nicht durchlassen sollen?«

»Aber sie hat doch versucht, dich umzubringen!«

»Egal. Gegen den hat sie doch keine Chance ...«

»Die hatte ich auch nicht. Wenn ich ihn nicht durchgelassen hätte, dann wäre er eben eigenmächtig durchgegangen.«

»Aber das hier ist schließlich dein Territorium!«, rief Kotja mir in Erinnerung. »Du bist sozusagen in deiner Funktion.«

Möglicherweise hatte er ja recht. Eventuell hätte ich dem freundlichen Polizisten Widerstand leisten können. Vielleicht wäre unter ihm das Parkett - pardon, eine massive Diele - geborsten, oder ihm wären alle möglichen Dachsparren und Geländerpfosten auf den Kopf geregnet. Zu Hause helfen einem Funktional buchstäblich die eigenen vier Wände. Abgerissene Arme und Beine wüchsen mir unverzüglich wieder nach. Ich wäre blitzschnell, unerschöpflich und teuflisch stark. Und am Ende hätte ich den Polizisten besiegt.

Wozu?

»Wozu?«, fragte ich. »Wozu hätte ich ihn aufhalten sollen? Schließlich verfolgt er eine Verbrecherin!«

»Eine Dame!«

»Eine miese kleine Verbrecherin!« Ich sah meinen Freund an. »Mir gefällt er ja auch nicht, Kotja«, gestand ich ganz offen. »Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich Angst vor ihm.«

Daraufhin knickte Kotja sofort ein und hörte auf, mich zu bedrängen. Er nahm seine Brille ab, um sie mit einem Zipfel seines nicht mehr sauberen Taschentuchs zu putzen. »Ich auch«, räumte er widerwillig ein. »Und unsere Freundin ist mir auch nicht gerade sympathisch. Aber ihr den Polizisten auf die Fersen zu hetzen, ist doch genauso, als würdest du einen Schäferhund auf ein Schoßhündchen ansetzen.«

»Kotja!« Ich breitete die Arme aus. »Und womit hat dieses Schoßhündchen gedacht, als es zu kläffen anfing? Lass uns ein Bier trinken.«

»Du bist imstande, Bier zu trinken, während jemand eine Frau ermordet?« Kotja fasste es nicht.

»Du nicht?«

Kotja ließ sich die Frage durch den Kopf gehen. »Doch«, gestand er zerknirscht ein. »Ständig bringt irgendwo auf der Welt irgendjemand wen um. Deswegen wollen wir doch nicht verdursten.«

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