Zwei

Tadschikische Flüchtlinge fand ich in der Wohnung meiner Eltern keine vor. Dreiste unansehnliche Frauen ebenfalls nicht. Ich holte mir aus dem Kühlschrank ein Päckchen tiefgekühlter Würstchen, und während sie kochten, goss ich die Blumen. Die Pflanzen konnten von Glück reden: Natürlich hatte ich versprochen, mal vorbeizukommen, es dann aber immer wieder aufgeschoben ...

Ob am Ende die Blumen hinter allem steckten? Vielleicht verfügten sie über einen kollektiven Floralverstand und beherrschten alte Magie?

In mich hineinkichernd machte ich mich über die Würstchen her. Seltsamerweise sank meine Laune nicht endgültig in den Keller, sondern ganz im Gegenteil: Sie verbesserte sich mit jeder Minute.

Man hatte mir die Wohnung geklaut? Quatsch! Die würde mir niemand abluchsen. Es würden sich die Papiere finden, es würden sich Zeugen finden, und es würden sich auch die entsprechenden Leute in der Staatsanwaltschaft finden, die die ganze Angelegenheit wieder ins Lot brachten. Schließlich hatte mein Vater sein ganzes Leben lang als Gynäkologe gearbeitet und dabei eine gewisse Reputation erworben. Allein die Richterinnen und Richtersgattinnen, die er behandelt hatte! Sie würden mir helfen. Bei uns erhält nicht derjenige recht, der die Wahrheit hinter sich weiß, sondern derjenige, der über die einflussreicheren Freunde verfügt. Ich war im Recht und hatte zudem Beziehungen parat.

Und am Ende gäbe es dann etwas, das ich meinen Enkeln erzählen könnte!

Nachdem ich mich mit diesen Gedanken beruhigt hatte, holte ich den Wodka aus dem Kühlschrank, schenkte mir ein Gläschen zu den Würstchen ein und stellte die Flasche zurück. Mich allein zu besaufen, gehörte nicht zu meinen Plänen. Die Situation mit einem klugen Menschen bei einem Fläschchen durchzukauen, den Stress loszuwerden - danach verlangte mich jetzt.

Ich schnappte mir das Telefon und lümmelte mich aufs Sofa. Wen sollte ich überfallen oder, besser noch, zu mir einladen? Es musste jemand sein, mit dem das Gespräch nicht in besoffenes Gequatsche über Gott und die Welt ausartete.

In dem Moment klingelte das Telefon.

»Hallo?«, sagte ich nervös. Meine Eltern werden es sich doch wohl nicht haben einfallen lassen, bei mir zu Hause anzurufen, um dann diese ... diese Vettel an der Strippe zu haben?

»Kirill?«, erklang eine aufgeräumte Stimme. »Ha! Hab ich dich also doch erwischt! Dein Handy ist abgeschaltet, bei dir zu Hause faselt Anka etwas daher, dass du nicht mehr dort wohnst ... Was heißt das? Bis du verrückt geworden und hast ihr die Wohnung überlassen? Bist du wirklich ausgezogen?«

»Anka?«, fragte ich, während ich mein Handy hervorkramte. Mist. Das Ding war leer. Und das Ladegerät lag natürlich in der Wohnung ...

»Wer denn sonst? Da war irgendein Weib ...«

Alle Frauen dieser Welt teilten sich für Kotja in ›Weiber‹ und ›Damen‹. ›Weiber‹ umfassten sämtliche Personen weiblichen Geschlechts. Bei einer »Dame« handelte es sich um das Weib, in das er gerade verliebt war.

»Kotja, jetzt hör mir mal zu«, bat ich. »Hier sind Dinge im Gang, da brauche ich deinen Rat.«

»Und ich deinen!«, meinte Kotja fröhlich. Aus Katzen machte er sich nicht das Geringste, doch seinen offiziellen Namen Konstantin konnte er aus irgendeinem Grund nicht leiden, weshalb er sich von klein auf gern Kotja oder Kotjonok, ›Katerchen‹, nennen ließ. Normalerweise bleibt dieser Spitzname nur an kräftigen gemächlichen Kerlen kleben, die ihm ihrerseits mit Ironie gegenüberstehen. Kotja war jedoch nicht besonders groß, schmächtig und agil bis zur Zappeligkeit. Kein Quasimodo, aber mit Sicherheit auch kein Apoll, besaß Kotja einen außerordentlichen Charme. Manch Bild von einem Mann, das in seiner Gesellschaft ein paar Mädchen anbaggerte, musste erstaunt feststellen, dass die attraktivste Frau von allen unbeirrbar Kotja den Vorzug gab. »Verzichten wir doch auf die Formalitäten, sagen wir einfach Kotjonok«, bot Kotja einer neuen Bekanntschaft lächelnd an, was erstaunlicherweise weder manieriert noch aufgesetzt klang.

»Komm einfach her«, lud ich ihn ein. »Zu meinen Eltern. Weißt du noch, wo sie wohnen?«

»Ja.« Jetzt schaltete Kotja auf einen geschäftigen Ton um. »Hör mal, ich muss unbedingt noch einen Artikel raushauen. Das sind noch zwei Stunden Arbeit. Komm du doch einfach her, ja?«

»Hat denn deine Dame nichts dagegen?«, fragte ich.

»Die Weiber sind doch alle gleich«, sinnierte Kotja niedergeschlagen.

Alles klar. Wieder einmal war eine Dame in die Kategorie ›Weib‹ gewandert, nachdem sie meinen allzu zappeligen Freund nicht vor den Traualter zu schleppen vermochte. Und am Horizont zeigte sich bislang keine neue.

»Gut, ich komme zu dir«, gab ich seufzend nach. »Obwohl es mir nicht passt, meinen Sofaplatz aufzugeben ...«

»Ich habe einen guten Kognak«, lockte Kotja. »Das ist doch ein gewichtiger Grund, oder?«

»Vergiss deinen Kognak!«, seufzte ich. »Okay, ich komme. Was soll ich mitbringen?«

»Du bist doch hier der Schlaukopf«, konterte Kotja. »Alles, was du willst, von Weibern abgesehen!«

So kam es, dass ich mich, meiner Wohnung beraubt, zu einem Besäufnis mit meinem Freund begab. Eine durchaus übliche russische Variante, mit der die Dinge ihren Lauf nehmen können. Etwas anderes zu erwarten wäre geradezu absurd gewesen.

Kotja lebte in einer großen Zweizimmerwohnung in einem alten Stalinbau im Nordwesten. Mitunter herrschten in der Wohnung Ordnung und Sauberkeit, doch jetzt, in Ermangelung einer Dame, griff nach und nach das für Kotja typische wüste Chaos um sich. Der Staub auf den Fensterbrettern sowie der schmutzige Herd ließen darauf schließen, dass Kotjas Abschied von seiner letzten Passion mindestens eine Woche zurücklag.

Bei meinem Erscheinen riss sich Kotja vom Computer los, stellte eine Flasche Kognak auf den Tisch - in der Tat ein vorzüglicher, fünf Jahre alter ›Ararat‹ - und rieb sich zufrieden die Hände. »Jetzt wird es wie geschmiert laufen«, sagte er. »Ohne ein Gläschen kriege ich die Geschichte nicht hin, aber allein trinke ich nicht.«

Mit diesen Worten leitete er stets ein Schlückchen ein. Ohne seine hundert Gramm war er nicht bereit, über den neuerlichen Abgang einer Dame hinwegzukommen, eine Geschichte zu Ende zu schreiben oder einen klugen Rat zu erteilen. Allein trank er, nebenbei bemerkt, jedoch wirklich nie.

Wir schenkten uns jeder ein Gläschen Kognak ein. Nachdenklich betrachtete Kotja mich. In meinem Kopf schwirrten Dutzende von Fragen, doch ich stellte die dümmste: »Kotja, was ist eine Vettel?«

»Ist es das, was du von mir wissen willst?« Kotja rückte sich die Brille zurecht. Seine Kurzsichtigkeit hielt sich im äußerst geringfügigen Bereich, aber jemand hatte ihm versichert, eine Brille stünde ihm gut. Im Prinzip stimmte das, zudem Kotja bebrillt wie ein typischer, kluger jüdischer Bursche aussah, der ›irgendwo im kulturellen Bereich‹ arbeitet. Womit bei ihm der Nagel auf den Kopf getroffen war. »Eine Vettel, mein naiver Freund, ist eine Prostituierte untersten Ranges. Eine Bahnhofsnutte, eine Kühlerfigur...«

»Eine Kühlerfigur?«

»Na, eine, die es den Fernfahrern besorgt ...« Kotja runzelte die Stirn. »Und lass dir eins von mir gesagt sein: In jedem Weib steckt eine Vettel!«

»Darauf erhebe ich mein Glas nicht«, protestierte ich.

»Dann einfach auf die Weiber.«

Darauf tranken wir.

»Wenn du in deinem Kummer zu einer Prostituierten willst ...«, setzte Kotja an.

»Nein. Was wolltest du mich denn fragen?«

»Dein Herr Papa ist doch Frauenarzt, oder?«

»Hm.«

»Welche Geschlechtskrankheiten gibt es? Exotische, meine ich?«

»Zerbrichst du dir den Kopf darüber, welche Diagnose du deinem Helden stellen sollst?«, platzte ich heraus. »Aids, Syphilis ...«

»Das ist doch alles kalter Kaffee«, seufzte Kotja. »Ich schreibe gerade einen Brief an eine Zeitung, die Beichte eines Mannes, der ein ausschweifendes Sexualleben geführt hat und infolge dessen an ... Der wird sich doch nicht Syphilis eingefangen haben! Und auch kein Aids! Das ist alles Schnee von gestern, langweilig ...«

»Greif doch auf deine eigenen Erfahrungen zurück«, schlug ich scheinheilig vor. »Ich hab davon doch keine Ahnung, mein Alter. Zu Hause könnte ich das nachschlagen, aber aus dem Kopf ... Schließlich bin nicht ich der Arzt.«

Kotja verdiente sich seinen Lebensunterhalt auf recht originelle Weise: Er schrieb Erzählungen für Boulevardblätter. Die er als authentische Berichte ausgab. Beichten von Müttern, die sich an ihren Söhnen vergingen, die Qualen von Schwulen, die sich in Heteros verliebten, Aufzeichnungen von Zoophilen, die in Leidenschaft für Stachelschweine entflammten, Geständnisse minderjähriger Mädchen, die ihr Nachbar oder Lehrer verführt hatte. Diesen ganzen Scheiß schied er kilometerweise aus, sobald ihn seine nächste Freundin verließ. Wenn sein Sexleben in normalen Bahnen lief, griff er auf Sensationsmeldungen über fliegende Untertassen, Geister und Gespenster, das Privatleben von Prominenten, freimaurerische Verschwörungen, Intrigen von Juden und kommunistische Geheimnisse zurück. Im Grunde war ihm völlig schnurz, was er schrieb, denn es gab für ihn ohnehin nur zwei Phasen: eine mit Sexgeschichten, eine ohne.

»Gut«, gab sich Kotja zerknautscht zufrieden. »Dann also Aids ... schließlich ...«

Ich ging zu seinem Computer hinüber und schaute auf den Bildschirm. »Ist dir eigentlich selbst klar, was du hier schreibst, Kotja?«, fragte ich kopfschüttelnd.

»Wie?«, horchte Kotja auf.

»Was soll denn das für ein Satz sein? ›Obwohl sie erst sechzehn war, war sie bereits wie eine Siebzehnjährige entwickelt‹?«

»Was ist schlecht daran?«, gab Kotja mit finsterer Miene zurück.

»Willst du mir etwa weismachen, du könntest ein sechzehnjähriges Mädchen von einem siebzehnjährigen unterscheiden? Aufgrund ihrer körperlichen Entwicklung?«

Kotja nuschelte etwas Unverständliches. »Dann ersetz halt ›Siebzehnjährige‹ durch ›Zwanzigjährige‹«, knurrte er nach einer Weile.

»Mach das mal schön selbst.« Ich kehrte wieder an den Tisch zurück. »Wie lange willst du diesen Mist eigentlich noch produzieren? Warum nimmst du dir nicht mal einen erotischen Roman vor? Etwas Großes, Richtiges. Das ist immerhin Literatur. Vielleicht kriegst du sogar den Nobelpreis oder den Booker dafür.«

Jäh senkte Kotja den Blick, womit mir zu meiner Verblüffung klar wurde, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. Er schrieb bereits etwas ... Richtiges. Oder spielte zumindest mit dem Gedanken.

Im Grunde brauchte Kotja nur sein eigenes Leben in einer schönen Sprache zu schildern - und schon hätte er ein spannendes Portrait der Gepflogenheiten der Moskauer Boheme und der Jugend in ihrem Dunstkreis parat. Diesmal verkniff ich es mir jedoch, ihm das zu sagen, schien mir die Grenze freundschaftlicher Sticheleien für heute doch erreicht.

»Ich sitze in der Tinte, Kotja«, wechselte ich das Thema - und wunderte mich selbst, wie harmlos das klang. Wie zutreffend. »Mir ist da eine verrückte Geschichte passiert ...«

Die Worte kamen mir von selbst über die Lippen. Während ich alles erzählte, leerten wir fast die ganze Flasche Kognak. Kotja nahm mehrmals seine Brille ab, um sie zu putzen, und legte sie am Ende beiseite, auf den Fernseher. Ab und an hakte er an einer Stelle nach, einmal hielt er es dann nicht mehr aus und platzte heraus: »Das denkst du dir doch bloß aus, oder?«

Als ich endete, war es bereits nach elf.

»Da hast du dir was eingebrockt«, konstatierte Kotja im Ton eines Arztes, der eine vorläufige, aber höchst unerfreuliche Diagnose bereithält. »Und du hast keine Papiere?«

»Richtig.«

»Du ... du hast die Kaufurkunde bestimmt nicht irgendwo verloren? Oder die anderen Papiere? Vielleicht hat jemand die Wohnung heimlich verkauft, dann dieses Luder bei dir einquartiert ...«

»Kotja! Sie behauptet steif und fest, schon seit drei Jahren dort zu wohnen! Und ihre Papiere besagen genau das: drei Jahre!«

»Auf den ersten Blick sieht das wie eine stinknormale Wohnungsschiebung aus«, meinte Kotja nickend. »Aber ... an einem Tag alles frisch tapezieren, kacheln ... Was ist dir sonst noch aufgefallen?«

»Das Linoleum ...«

»Aha. Und dann hat sie noch den Wasserhahn ausgetauscht, die Möbel abtransportiert, neue rangeschafft ... obendrein den Eindruck erweckt, sie wohne schon immer da ... Sie hat ihre Hausschuhe in der Wohnung verteilt, BHs aufgehängt ... Kirill, die einzige vernünftige Version, die es gibt, ist folgende: Du lügst.«

»Vielen Dank.«

»Jetzt spiel nicht gleich die beleidigte Leberwurst. Ich habe ja gesagt - die einzige vernünftige Version. Schauen wir uns nun mal die unvernünftigen an. Die erste ist die, dass du den Verstand verloren hat. Oder zum Quartalssäufer geworden bist. Dann hättest du die Wohnung vor einer Woche verkauft, als Anka dich verlassen hat, und es danach einfach vergessen.«

»Außerdem habe ich noch die Papiere gefälscht, sodass der Verkauf der Wohnung nun schon vor drei Jahren stattgefunden hat!«

»Überzeugen wir uns zunächst mal davon, dass noch gestern Abend alles in Ordnung war. Hat dich da jemand besucht?«

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Halt! Doch! Igorjok ist abends kurz vorbeikommen. Er hat sich eine DVD von mir ausgeborgt.«

»Was für einen Film?«

»Keinen Porno«, konnte ich mir auch diesmal nicht verkneifen. »Japanische Zeichentrickfilme.«

»Was für ein Igorjok?«

»An seinen Nachnamen erinnere ich mich nicht. Igorjok halt ... So ein hippeliger Typ, der bei uns in der Firma gearbeitet hat, dann aber zur Konkurrenz gegangen ist ... Mensch, du kennst ihn doch! Er hat deinen Computer zusammengebaut und die Software installiert!«

»Ist das der, der sich vor der Armee gedrückt hat?«, grinste Kotja. »An den erinnere ich mich. Hast du seine Nummer?«

»Mein Handy ist leer.«

»Du hast doch auch ein Nokia, oder? Dann nimm mein Ladegerät, die Dinger sind standardisiert. Die Stromrechnung präsentiere ich dir später.« Kotja kicherte.

Ich holte mein Handy heraus und legte es ins Ladegerät. Es war wirklich von Vorteil, dass man verschiedene Mobiltelefone in dieselbe Basis stecken konnte. Danach blätterte ich in meinem Adressbuch.

»Da haben wir sie ja. Und jetzt?«

»Wähl die Nummer.«

Daraufhin nahm Kotja mir das Handy ab, kippte riskant mit dem Hocker nach hinten, wobei ihm freilich keine Gefahr drohte, denn er lehnte mit dem Rücken gegen die Wand. »Igorjok?«, legte er fröhlich los. »Hallo, mein Guter. Ich bin’s, Kotja. Dem du vor einem Jahr den Computer eingerichtet hast. Ein Freund von Kirill.«

Er zwinkerte mir zu. Ich machte mich daran, die von mir gestiftete Flasche zu öffnen.

»Ja, klar ist es schon spät. Entschuldige. Aber ich habe eine verdammt wichtige Frage, die ich nicht auf die lange Bank schieben kann. Bist du gestern bei Kirill gewesen? Weswegen? Kikis kleiner Lieferservice? Nein, der interessiert mich nicht. Ich habe eine andere Frage: Wohnt er immer noch in Medwedkowo? Die alte Adresse? Du hast ihn vorher noch nie besucht? Er macht da auf Einer, nicht wahr? Eine Einzimmerwohnung hat er, das meine ich! Ah ja. War da irgendwie Chaos in der Wohnung? Wurde renoviert? Gab es Hinweise auf einen Umzug? Ja, das muss ich wissen, dringend sogar! Verstehe. Und hat er noch seinen Hund? Ein prachtvolles Tier, sagst du? Er hat Kirill gestern nicht zufällig gebissen? Nein, ich habe so gut wie nichts getrunken. Hör mal, Igorjok, sag deinem Weib, dass sie den Mund halten soll, wenn Männer sich unterhalten! Selbst wenn sie im Bett ist und auf dich wartet ... Was?«

Schweigend reichte Kotja mir das Handy. »Die Jugend muss noch viel lernen ...«, sinnierte er kopfschüttelnd. »Sexuell heranreifen ... trotzdem erziehen sie ihre Weiber nicht! So sieht’s doch aus! Aber einen Zeugen hast du, soweit ich das beurteilen kann. Gestern hast du da noch gewohnt. Und dein Hund hat dich für sein Herrchen, nicht für eine vor Angst schlotternde Kreatur gehalten.«

»Ich kann noch ein Dutzend Zeugen auftreiben, Kotja. Vor drei Tagen ist Romka Litwinow vorbeigekommen, und wir haben Bier getrunken. Er besucht mich überhaupt oft. Außerdem hat noch jemand vorbeigeschaut ... Glaub mir doch, ich habe nicht den Verstand verloren. In meiner Wohnung hat sich eine mir unbekannte Frau eingenistet. Und alles sieht so aus, als ob sie schon seit langer Zeit da lebe.«

»Du sagst, das Weib sei unansehnlich?«, fragte Kotja beiläufig.

»Als Dame geht sie nicht durch.«

»Was macht man nicht alles für einen Freund«, seufzte Kotja. »Wo arbeitet sie?«

»Dem Bullen hat gesagt, sie arbeite auf dem Tscherkisowski-Markt ... Sie verkauft Schuhe ...«

»Wie grauenvoll«, stöhnte Kotja. »Wie furchterregend und grauenvoll. Seit Ewigkeiten habe ich keiner Verkäuferin den Hof gemacht. Andererseits könnte ich ein paar neue Schuhe gebrauchen.«

»Wenn du es nicht lassen kannst«, meinte ich bloß. »Aber was bringt uns das?«

»So kann ich wenigstens herauskriegen, was das für eine ist.«

An Kotjas Fähigkeiten, die reizlose Motte Natalja Iwanowa zu verführen, zweifelte ich nicht. Darüber hinaus empfand ich nicht das geringste Mitleid mit dieser Hochstaplerin. Trotzdem stellte mich das nicht zufrieden.

»Gut. Vielen Dank. Aber was soll ich denn deiner Meinung nach tun? Mich an die Presse wenden?«

Kotja schnaubte. Von der Presse hielt er nicht gerade sonderlich viel. »Morgen nimmst du dir frei. Du rufst deinen Chef an und entschuldigst dich ... Dann begibst du dich auf die Tour durch die Wohnungsämter, Notariate ...«

»Die heißen schon lange nicht mehr Wohnungsamt, sondern Direktionen für Gebäudenutzung.«

»Was spielt das für eine Rolle? Kurzum, du suchst alle Stellen auf, an denen Unterlagen über deine Existenz in deiner ehemaligen Wohnung aufbewahrt werden könnten.«

»Wenn du noch einmal ›ehemalig‹ sagst, zieh ich dir eins über die Rübe«, knurrte ich finster.

»Entschuldige. In deiner zukünftigen Wohnung.« Geschickt brachte sich Kotja vor einem bewusst langsam ausgeführten Kinnhaken in Sicherheit. »In deiner jetzigen, deiner aktuellen ... Kurz und gut, du klapperst alles ab. Vergiss auch die Telefongesellschaft nicht.«

»Gut, dass du mich daran erinnerst.« Meine Stimmung besserte sich wieder.

»Und dann, wenn du deine Unterlagen nirgendwo auftreiben kannst ...«

»Warum sollte das der Fall sein?« Schlagartig verflüchtigte sich mein Optimismus.

»Angesichts der Ausmaße des Schwindels hat man dich ernsthaft auf dem Kieker, Kirill. Mir ist völlig schleierhaft, wer dahintersteckt und warum, aber es wäre absolut hirnrissig, deine Wohnung auf die Schnelle zu renovieren und sämtliche Unterlagen zu fälschen, dabei aber die echten nicht zu vernichten. Deine mysteriösen Feinde sind jedoch alles andere als Dummköpfe! Du wirst die Papiere nicht auftreiben! Deshalb wendest du dich danach an einen Anwalt. Einen guten. Einen exzellenten, wenn dein Geld dafür reicht, und nicht an einen dieser üblichen Rechtsberater. Falls du knapp bei Kasse bist, kann ich dir etwas leihen ... Fünfhundert Euro könnte ich mit Sicherheit lockermachen.«

»Danke«, sagte ich bloß. »Mach dir keine Sorgen, ich habe Geld. Auf meiner Karte sind noch fast tausend Euro, außerdem könnte ich von meinen Eltern ... ich weiß, wo sie ihr Gespartes aufbewahren.«

»Gut. Der Anwalt wird dir ein paar kluge Ratschläge geben. In der Zwischenzeit werde ich versuchen, dieses W...« Kotja tat sich förmlich Gewalt an, um tapfer hervorzubringen: »... diese Dame kennenzulernen. Mit so einem Zug dürften sie kaum rechnen.«

»Sie?«

»Ist die Dame etwa Schiwa? Dass sie mit einer Hand kachelt, mit der anderen tapeziert, mit der dritten Linoleum auslegt? In dem Fall möchte ich dieses Wunder unter allen Umständen kennenlernen! Apropos! Diese sensationelle Renovierung! Du wirst auch noch einen Handwerker aufsuchen. Einen guten, soliden. Versuch, einen verrückten Spinner mit einem Haufen Geld zu mimen. Frag ihn, ob er glaubt, man könne eine Einzimmerwohnung innerhalb von acht Stunden renovieren. Ob man in der Zeit all das machen kann, was in deiner Wohnung gemacht wurde. Zähl das genau auf. Sag, du willst deine Frau überraschen ... Halt! Welche Frau? Du trägst ja gar keinen Ring! Also, deine Freundin. Oder denk dir was anderes aus. Nein, mit einer Freundin wirkt es am glaubwürdigsten. Es ist sehr wichtig, dass man dir sagt ...«

Kotja kam zusehends in Fahrt. Die Schuld daran trug keineswegs der Kognak, sondern einzig die Situation, in die ich hineingeraten war. So ist das doch immer im Leben: Selbst deinen besten Freunden dienen deine Probleme zum Amüsement!

»Im letzten Jahr musste ich mein Klo erneuern lassen«, erzählte er. »Also ... Das alte war hinüber ... aber das war meine eigene Dusseligkeit ... Ich habe einen tüchtigen Handwerker aufgetrieben, einen älteren, der nicht trinkt. Denn wie ist es denn bei den Installateuren?«

Vorsichtshalber nickte ich vage.

»Man braucht Erfahrung! Erfahrung ist alles«, verkündete Kotja. »Und dieser erfahrene alte Meister hat einen ganzen Tag geschuftet. Von morgens um acht bis abends um zehn. Ich habe mich geplagt, er hat gelitten ... Bei guten Handwerkern gilt nämlich der Brauch: Erst muss das Klo am Orte steh’n, dann darfst du wieder pinkeln geh’n. Dafür können sie es dann nach allen Regeln der Kunst einweihen. Das ist ihr heiliges Recht und ihre Pflicht ... Vierzehn Stunden! Nur für das Klo! Und bei dir will jemand in acht Stunden die ganze Wohnung gemacht haben ...«

Kotja holte Zigaretten und einen Ascher aus dem Küchenschrank. Ich nickte ihm zu, obwohl ich genauso selten rauchte wie er. Da Kotja keine Streichhölzer fand, behalfen wir uns mit dem Gasherd und seinem Anzünder.

»Was hattest du denn mit deinem Klo angestellt?«, fragte ich.

»Wie ich schon sagte, das war meine eigene Dusseligkeit. Weißt du, es gibt da diese chinesischen Knaller, die so klein sind wie Streichhölzer. Du zündest sie an, wirfst sie weg, und dann explodieren sie. Silvester treiben die Kinder mit diesen Dingern allerlei Unfug ...«

»Und weiter?«

»Im Sommer bin ich mit Freunden schwimmen gewesen. Ich hatte ein Päckchen von diesen Knallern mit, die habe ich ins Wasser geworfen. Sie gingen nicht aus, sondern explodierten im Wasser. Sah echt klasse aus. Meine Freunde waren wirklich begeistert. Als ich wieder zu Hause war, wollte ich ... einer Dame ... zeigen, dass diese Knaller im Wasser unverdrossen weiterbrennen. Wozu hätte ich dafür die Wanne volllaufen lassen sollen? Ich habe also einen ins Klo geworfen ... Ich kann von Glück sagen, dass die Tür zu war. Ein Knall - und das ganze Klo zersprang in Scherben! Nur das Knie war danach noch intakt, allerdings mit einem ganz zackigen Rand ...«

»Ein hydrodynamischer Stoß«, konstatierte ich. »Eine Explosion in flüssigem Milieu in einem geschlossen Raum. Daran hättest du vorher denken sollen.«

Kotja widersprach nicht. Seufzend zog er an seiner Zigarette. »Und noch was ...«, fuhr er fort. »Dein Hund lässt mir keine Ruhe. Überhaupt keine.«

»Das hat der Bulle auch gesagt ...«

»Und recht hatte er. Wände kann man überstreichen. Menschen können lügen. Aber ein Hund verrät dich niemals ...«

Daraufhin rauchte er schweigend, bis er schließlich genüsslich wiederholte: »Menschen können dich täuschen. Aber ein Hund verrät dich niemals ... Das muss ich in eine Geschichte über einen Zoophilen einbauen.«

»Was bist du doch für ein jämmerlicher Dreckskerl«, sagte ich. »Du wirst bestimmt Schriftsteller. Aus menschlichem Leid machst du eine Geschichte!«

»Nicht aus dem menschlichen Leid, sondern aus meiner eigenen geglückten Formulierung«, widersprach Kotja. »Das war’s fürs Erste. Ich werde mir die Sache weiter durch den Kopf gehen lassen, aber momentan gibt es nichts, was ich dir noch raten könnte. Erzähl mir lieber mal, was mit dir und Anka ist.«

»Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Sie wollte Sicherheit, klare Verhältnisse. Mit anderen Worten, einen Ring am Finger.«

»Und du hast dich dagegen gesträubt? Langsam solltest du erwachsen werden. Ein Vierteljahrhundert hast du jetzt hinter dir, und nach wie vor verplemperst du deine Zeit als Manager in einer Handelsfirma, vertreibst Ersatzteile für Computer ... Nennst du das etwa Arbeit? Das ist doch, als ob du sagen würdest: Meine Arbeit in der Abteilung für Qualitätssicherung besteht darin, Präser aufzublasen! Du brauchst eine anständige Arbeit, eine treue Gattin, irgendein übrig gebliebenes Kind ...«

Ich riss die Augen auf.

»Schon gut, ich mach ja nur Spaß«, brummte Kotja. »Es steht mir nicht zu, dir Lektionen zu erteilen. Aber es ist schade, dass ihr euch getrennt habt, Anka und du. Ich mochte sie.«

Diesmal schien er nicht zu scherzen. Ich dachte kurz darüber nach und schenkte uns einen weiteren Kognak ein.

»Mir tut es auch leid, Kotja. Aber es hat sich nun mal so ergeben.«

»Würde Anka im Notfall als Zeugin aussagen?«

»Bestimmt«, antwortete ich überzeugt. »Wir haben uns nicht überworfen, sondern sind auseinandergegangen, wie es sich für intelligente Menschen gehört.«

»Wenn sich Intelligenzler trennen, fliegen die Fetzen doch nur so. Ein Installateur brächte dergleichen mit Sicherheit nicht fertig.«

»Sie haben’s dir ja wahrlich angetan, diese Installateure ...«, murmelte ich. »Gieß uns lieber noch mal ein!«

Noch zwei Stunden saßen wir zusammen. Eine dritte Flasche brachen wir Gott sei Dank nicht mehr an. Allerdings waren wir auch gegen Ende der zweiten schon gewaltig angegangen. Die Geschichte mit meiner Wohnung mutierte endgültig zum Abenteuer. Kotja erzählte mir von einem entfernten Verwandten, der durch geschickte Tauschgeschäfte, Scheidungen und mehrmaliges erneutes Zusammenziehen mit der Holden zwei Einzimmerwohnungen an entgegengesetzten Enden Moskaus in eine Vierzimmerwohnung »fast im Zentrum« verwandelt hatte. Aus irgendeinem Grund amüsierten wir uns köstlich über diese Geschichte, lachten lauthals darüber, und selbst als Kotja mir mitteilte, seinen Verwandten habe nach dem übermäßigen Kraftaufwand ein Herzinfarkt ereilt, obendrein habe ihn seine Frau verlassen, weshalb er jetzt wie ein Idiot in einer riesigen Wohnung hocke, krank und mutterseelenallein, dämpfte das unsere Stimmung nicht.

In diesem Zusammenhang wies Kotja darauf hin, das Wichtigste im Leben eines Menschen sei, seiner Vorherbestimmung nachzukommen, darüber habe sogar der große Denker Coelho geschrieben. Offenbar habe die Vorherbestimmung seines Verwandten darin bestanden, diesen grandiosen Tausch durchzuziehen. Im Vergleich zur Verwirklichung seiner ureigenen Bestimmung seien sowohl die eingebüßte Gesundheit wie auch die verlorene Frau Kinkerlitzchen, mit denen das Leben aufwartete.

Schließlich bereitete mir Kotja auf dem Sofa ein Nachtlager und kehrte zu seinem unvollendeten Werk zurück. Ich bettete den Kopf aufs Kissen, erklärte, überhaupt nicht müde zu sein - und schlief bereits im nächsten Augenblick beim gleichmäßigen Klappern der Tastatur ein.

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