Vom gelben Sand

Gelber Sand kann von wasserstoffblond bis kanarienvogelgelb alle Schattierungen haben, sogar einen Stich ins Rosé. Er ist zart, es tut einem leid, wenn er in den grauen Zement gerührt wird.

Kobelian machte mit Karli Halmen und mir am späten Abend wieder mal eine Privatfuhre mit gelbem Sand. Er sagte diesmal: Wir fahren zu mir nach Hause. Ich baue nichts, aber es kommt ja der Feiertag, schließlich hat man Kultur.

Karli Halmen und ich verstanden, gelber Sand ist Kultur. Gelber Sand wurde nach dem Frühjahrs- und Herbstputz auch im Lagerhof und in der Fabrik als Verzierung auf die Gehwege gestreut. Er war der Frühjahrsschmuck für das Kriegsende und der Herbstschmuck für die Oktoberrevolution. Am 9. Mai jährte sich zum ersten Mal der Frieden. Und er hatte uns schon wieder nichts genützt, für uns war es das zweite Lagerjahr. Und der Oktober kam. Der Frühjahrsschmuck aus gelbem Sand war längst vom Wind der dürren Tage weggeweht und von den Regengüssen weggespült. Jetzt lag der frische gelbe Sand als Herbstschmuck wie Kristallzucker im Lagerhof. Schönheitssand für den großen Oktober, aber ein Anzeichen, dass wir nach Hause dürfen, war er nicht.

Unsere Fuhren wurden auch nicht wegen der Schönheit gemacht. Wir holten tonnenweise gelben Sand, die Baustellen fraßen ihn. Die Sandgrube hieß CARJERA. Sie war unerschöpflich, mindestens 300 Meter lang und 20 bis 30 Meter tief, überall nur Sand. Eine Arena aus Sand in einem Tagebau aus Sand. Die ganze Gegend konnte sich bedienen. Und je mehr Sand geholt wurde, desto höher wurde die Arena, desto tiefer fraß sie sich in den Boden.

Wenn man chitrij, schlau, war, dirigierte man das Auto ganz in den Sandhang hinein, so dass man nicht aufwärts schaufeln musste, sondern lässig auf gleicher Höhe, oder sogar bequem hinunterschippen konnte.

Die Carjera war betörend wie der Abdruck von einem großen Zeh. Purer Sand, kein Krümel Erde dazwischen. Gradlinige, waagrechte Schichtungen, wachsweiß, hautblass, fahlgelb, grellgelb, ocker und rosé übereinander. Kühl und feucht. Der Sand wurde flockig beim Schaufeln, trocknete beim Fliegen in der Luft. Die Schaufel ging wie von selbst. Das Auto füllte sich schnell. Und es lud sich von selbst ab, ein Kipplaster. Karli Halmen und ich warteten hier in der Sandgrube, bis Kobelian wiederkam.

Sogar Kobelian ließ sich in den Sand fallen und blieb, während wir aufluden, liegen. Sogar die Augen machte er zu, vielleicht schlief er. Wenn das Auto voll war, klopften wir ihm mit der Schaufelspitze leicht an den Schuh. Er sprang auf und stapfte wie ein Drahtmensch zur Kabine. Und im Sand blieb der Abdruck seines Körpers, als wäre Kobelian zweimal da, einmal liegend in Hohlform und einmal mit feuchtem Hosenboden neben der Kabine stehend. Bevor er einstieg, spuckte er zweimal in den Sand, fasste mit einer Hand das Lenkrad an und rieb sich mit der anderen die Augen. Dann fuhr er los.

Jetzt ließen Karli und ich uns in den Sand fallen und horchten, wie er nachrieselt und sich am Körper anschmiegt, sonst taten wir nichts. Oben bog sich der Himmel. Zwischen Himmel und Sand zog sich die Grasnarbe als Nullinie. Die Zeit still und glatt, rundum ein mikroskopisches Glitzern. Es kam Ferne in den Kopf, als wäre man abgehauen und gehöre jedem Sand in jeder Gegend der Welt, nicht der Zwangsarbeit hier. Flucht im Liegen war das. Ich ließ die Augen kreisen, ich war echappiert unter den Horizont ohne Gefahr und Folgen. Der Sand hielt mir von unten den Rücken, und der Himmel holte mein Gesicht zu sich hinauf. Bald wurde der Himmel blind, und meine Augen zogen ihn zu sich herunter, Augäpfel und Stirnhöhle waren vom Himmel gefüllt, durch und durch reglos blau. Zugedeckt vom Himmel wusste niemand, wo ich bin. Nicht einmal das Heimweh. Im Sand setzte der Himmel nicht die Zeit in Gang, doch er konnte sie auch nicht zurückdrehen, so wie der gelbe Sand auch den Frieden nicht ändern konnte, nicht den dritten, nicht den vierten. Auch nach dem vierten Frieden waren wir im Lager.

Karli Halmen lag auf dem Gesicht in seiner Delle. Die verheilten Narben des Brotdiebstahls schimmerten wie Wachsschrammen durch sein kurzes Haar. Durch seine Ohrmuschel leuchtete die rote Seide der Äderchen. Ich dachte an meine letzten Rendezvous im Erlenpark und Neptunbad mit diesem einen, doppelt so alten, verheirateten Rumänen. Wie lange er, als ich zum ersten Mal nicht kam, auf mich gewartet hatte. Und wie oft, bis er verstanden hat, dass ich auch die nächsten Male und nie mehr wiederkommen werde. Kobelian konnte frühestens in einer halben Stunde wiederkommen.

Und wieder hob es mir die Hand, ich wollte Karli Halmen streicheln. Zum Glück half er mir aus der Versuchung. Er hob das Gesicht aus dem Sand, und er hatte in den Sand gebissen. Er aß, und es knirschte in seinem Mund, und er schluckte. Ich war erstarrt, und er füllte sich den Mund zum zweiten Mal. Von seinen Wangen fielen die Sandkörner ab, als er kaute. Und ihr Abdruck war ein Sieb auf den Wangen und auf der Nase und auf der Stirn. Und die Tränen auf beiden Wangen eine hellbraune Schnur.

Als Kind habe ich die Pfirsiche angebissen und mit dem Biss nach unten fallengelassen, sagte er. Dann habe ich sie aufgehoben und die sandige Stelle gegessen und sie wieder fallengelassen. Bis nur der Kern übrig war. Mein Vater ist mit mir zum Arzt gegangen, weil ich nicht normal bin, weil mir der Sand schmeckt. Jetzt habe ich Sand genug und weiß gar nicht mehr, wie ein Pfirsich ausschaut.

Ich sagte: Gelb, mit feinen Härchen und bisschen roter Seide um den Kern.

Wir hörten das Auto kommen und standen auf.

Karli Halmen begann zu schaufeln. Wenn er die Schaufel füllte, liefen die Tränen gerade herunter. Wenn er den Sand fliegen ließ, liefen sie links in den Mund und rechts ins Ohr.

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