Von den Tannen

Kurz vor Weihnachten saß ich bei Kobelian in der Kabine. Es wurde dunkel, und wir machten noch eine Schwarzfahrt zu seinem Bruder. Wir hatten Kohle geladen.

Mit der Bahnhofsruine und dem Kopfsteinpflaster begann ein Städtchen. Wir bogen in eine holprige, krumme Randstraße ein. Am Himmel war noch ein Streifen hell, hinter einem gusseisernen Zaun standen Tannenbäume — nachtschwarz schlank und spitz, hoch über alles hinaus waren sie deutlich zu sehen. Drei Häuser weiter hielt Kobelian.

Als ich mit dem Abladen begann, wedelte er mit schlaffer Hand, was sagen sollte, nicht so schnell, wir haben Zeit. Er ging in ein wahrscheinlich weißes, aber vom Scheinwerferlicht gelbes Haus.

Ich legte den Mantel aufs Kabinendach und schaufelte so langsam es nur ging. Doch die Schaufel war mein Herr und gab die Zeit vor, ich musste mitmachen. Dann war sie stolz auf mich. Schaufeln war seit Jahren das einzige, in dem noch ein Rest Stolz übrig war. Bald war das Auto leer und Kobelian noch immer im Haus bei seinem Bruder.

Manchmal reift ein Plan langsam, aber es ist eine elektrisierende Sache, wenn man prompt einen Entschluss fasst und, bevor man sich ihn zutraut, von seiner Plötzlichkeit getrieben wird. Ich hatte den Mantel schon übergestreift. Als ich mir sagte, dass es fürs Stehlen Karzer gibt, gingen meine Füße noch schneller zu den Tannen. Das Gittertor war nicht zugesperrt. Es muss ein verwilderter Park oder Friedhof gewesen sein. Ich brach alle unteren Äste ab, dann zog ich den Mantel aus und wickelte sie hinein. Das Tor ließ ich offen und beeilte mich zurück zum Haus von Kobelians Bruder. Jetzt stand es lauernd und weiß im Sackdunkeln, die Scheinwerfer brannten nicht mehr, Kobelian hatte auch die Ladeklappe schon geschlossen. Mein Bündel roch streng nach Harz und scharf nach Angst, als ich es über meinen Kopf aufs Auto warf. Kobelian saß in der Kabine und stank nach Wodka. So sage ich das heute, aber gedacht habe ich damals, er riecht nach Wodka. Er ist ja kein Trinker, Wodka trinkt er nur zu fettigem Essen, habe ich gedacht. Er hätte auch ein bisschen an mich denken können.

Wenn es so spät wird, weiß man nie, was am Lagertor passiert. Drei Wachhunde bellten. Der Posten stieß mir mit dem Gewehrlauf das Bündel aus den Armen. Die Äste lagen auf dem Boden, der städtische Mantel mit dem Samtbündchen darunter. Die Hunde schnüffelten an den Ästen und dann nur noch am Mantel. Und der stärkste, vielleicht der Leithund unter ihnen, zog den Mantel im Maul wie einen Leichnam durch den halben Hof zum Appellplatz. Ich lief ihm nach und konnte den Mantel sogar noch retten, aber nur, weil er von ihm abließ.

Zwei Tage später zog der Brotmann seinen Karren an mir vorbei. Und auf dem weißen Leintuch lag ein neuer Besen, der war aus einem Schaufelstiel und meinen Tannenästen.

In drei Tagen war Weihnachten — ein Wort, das grüne Tannen in die Zimmer stellt. Ich hatte nur die zerrissenen grünen Wollhandschuhe von meiner Fini-Tante im Koffer. Der Advokat Paul Gast war seit zwei Wochen Maschinist in einer Fabrik. Ich bestellte Draht. Er brachte mir ein Bündel handlang geschnittene Drahtstücke, an einem Ende zusammengeschnürt wie eine Quaste. Ich baute einen Drahtbaum, zog die Handschuhe auf und knüpfte grüne Wollfäden so dicht wie Nadeln an die Äste.

Der Weihnachtsbaum stand auf dem Tischchen unter der Kuckucksuhr. Der Advokat Paul Gast hängte zwei braune Brotkugeln dran. Wieso er Brot zum Schmücken übrig hat, fragte ich mich damals nicht, weil ich sicher war, er wird die Brotkugeln am nächsten Tag essen, und weil er beim Kneten der Kugeln von zu Hause erzählte.

Am Gymnasium bei uns in Oberwischau wurde in der Adventszeit jeden Morgen vor der ersten Stunde der Adventskranz angezündet. Er hing über dem Katheder. Unser Erdkundelehrer hieß Leonida und hatte eine Vollglatze. Die Kerzen brannten, und wir sangen, oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie grün sind deine Blä… Und wir hörten sofort auf zu singen, denn Leonida schrie AU. Auf die Glatze war rosa Wachs getropft. Leonida schrie, Kerzen ausblasen. Er hüpfte zur Stuhllehne und zog aus dem Rock ein Klappmesser aus Blech, es war ein Silberfisch. Komm her, rief Leonida und klappte das Messer auf und beugte sich. Und ich kratze ihm mit dem Messer das Wachs von der Glatze. Ich habe ihn nicht geschnitten. Aber als ich wieder in der Bank auf meinem Platz saß, kam er zielstrebig zu mir und gab mir eine Ohrfeige. Als ich mir die Tränen aus den Augen wischen wollte, schrie er, Hände auf den Rücken.

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