VII
AGRIPPINA
Wir verbrachten die heißeste Sommerszeit an der Küste bei Caere. Meine Gattin Flavia Sabina suchte sich einen Auslauf für ihren Betätigungsdrang und ließ ein neues Sommerhaus an Stelle der alten, mit Schilf gedeckten Fischerhütte errichten. Sie beobachtete mich und meine Schwächen, ohne daß ich dessen gewahr wurde, und vermied es, mich über meine Zukunftspläne auszufragen, da sie bemerkt hatte, daß mich die bloße Erwähnung der Beamtenlaufbahn schon verstimmte. Sobald wir aber in die Stadt zurückgekehrt waren, sprach sie mit ihrem Vater über mich, worauf der Stadtpräfekt Flavius Sabinus mich zu sich rufen ließ.
»Das neue hölzerne Amphitheater geht der Fertigstellung entgegen, und Nero wird beim Eröffnungsfest selbst anwesend sein«, erklärte er mir. »Was mir Sorgen macht, sind die wertvollen wilden Tiere, die von allen Enden der Welt herbeigebracht werden. Der alte Tiergarten an der Via Flaminia ist zu klein. Außerdem stellt Nero besondere Forderungen. Er will dressierte Tiere haben, die noch nie gesehene Kunststücke vorführen. Senatoren und Ritter sollen in der Arena ihre Jagdkünste zeigen, und dazu brauchen wir Tiere, die nicht zu wild sind. Andrerseits müssen die Tiere, die gegeneinander kämpfen, den Zuschauern etwas bieten. Was wir brauchen, ist ein zuverlässiger Tiergartenvorsteher, der sich um die Tiere kümmert und diesen Teil des Festprogramms entwirft. Nero ist gewillt, dir diesen Posten zu übertragen, da du Erfahrungen im Umgang mit Raubtieren hast. Er bietet dir damit ein Ehrenamt im Dienste des Staates an.«
Ich war selbst schuld, denn ich hatte oft damit geprahlt, daß ich als Knabe in Antiochia einen Löwen lebend eingefangen hatte und unter den Räubern in Kilikien meinen Mitgefangenen einmal das Leben rettete, als man uns in eine Bärenhöhle stieß, um sich an unserem Entsetzen zu weiden. Aber für Hunderte von wilden Tieren sorgen und Vorführungen im Amphitheater veranstalten, das schien mir eine so schwere, verantwortungsvolle Aufgabe zu sein, daß ich mich ihr nicht gewachsen fühlte. Als ich das meinem Schwiegervater erklärte, antwortete er in scharfem Ton: »Du bekommst die nötigen Geldmittel aus der kaiserlichen Kasse. Die erfahrensten Tierbändiger aller Länder werden sich darum reißen, in den Dienst Roms zu treten. Von dir wird weiter nichts verlangt als Urteilsvermögen und guter Geschmack bei der Zusammenstellung des Programms. Sabina wird dir helfen. Sie hat sich schon als Kind ganze Tage im Tiergarten aufgehalten und liebt die Dressur.«
Mein Schicksal verfluchend, kehrte ich nach Hause zurück und beklagte mich bitter bei Sabina. »Lieber wäre ich Quästor geworden, um dir zu Willen zu sein, als Tierbändiger!«
Sabina betrachtete mich abschätzend mit zur Seite geneigtem Kopf und sagte: »Nein, zum Konsul wärst du letzten Endes doch nie gewählt worden, du Armer. Als Tiergartenvorsteher hast du wenigstens ein abwechslungsreiches Leben, und im übrigen ist dieser Posten noch nie mit einem Ritter besetzt gewesen.«
Ich erklärte ihr, daß meine Neigungen mehr den Büchern galten, aber Sabina fiel mir ins Wort und rief: »Was für Ehren gewinnst du schon in einem Vorlesungssaal, wo fünfzig oder hundert gelangweilte Menschen zum Dank dafür, daß du endlich zu lesen aufgehört hast, Beifall klatschen! Du bist faul. Du hast keinen wirklichen Ehrgeiz.«
Sabina war so aufgebracht, daß ich mich hütete, sie noch mehr zu reizen, obwohl ich mich fragte, was für Ehren wohl unter stinkenden Raubtieren zu holen seien. Wir begaben uns unverzüglich in den Tiergarten, und auf einem kurzen Rundgang stellte ich fest, daß es noch schlechter um ihn stand, als der Stadtpräfekt angedeutet hatte.
Die Tiere kamen ausgehungert an und fanden kein passendes Futter vor. Der wertvollste Tiger war am Verenden, und niemand wußte recht, was die unter großen Kosten aus Afrika geholten Nashörner fraßen, da sie den einzigen, der es hätte sagen können, ihren afrikanischen Wärter, zertrampelt hatten. Das Trinkwasser war faulig. Die Elefanten nahmen ihr Futter nicht an. Die Käfige waren zu eng und schmutzig. Die Giraffen gingen vor Angst ein, weil sie in einem Gehege unmittelbar neben den Löwenkäfigen untergebracht waren.
Die kranken, Hunger und Durst leidenden Tiere brüllten, fauchten und kreischten, daß mir der Schädel dröhnte, und mir wurde übel von dem Gestank der Raubtiere. Keiner der Aufseher und Sklaven wollte für irgend etwas verantwortlich sein. »Das gehört nicht zu meinen Aufgaben«, war die übliche Antwort auf meine Fragen. Man hielt mir sogar entgegen, daß ausgehungerte und verschreckte Tiere am besten in der Arena kämpfen. Man mußte sie eben nur bis zur Vorführung irgendwie am Leben erhalten.
Sabina fand besonderen Gefallen an zwei riesigen, dicht behaarten Affen, die größer als ein Mensch waren und aus einer unbekannten Gegend Afrikas nach Rom gebracht worden waren. Sie rührten das Fleisch nicht an, das ihnen in den Käfig geworfen wurde, und wollten nicht einmal trinken.
»Die ganze Anlage muß umgebaut werden«, beschloß ich. »Die Tierbändiger müssen genug Platz für die Dressur bekommen. Die Käfige müssen so groß sein, daß die Tiere sich bewegen können. Fließendes Wasser muß eingeleitet werden. Jede Tierart muß von eigenen Wärtern gefüttert und gepflegt werden, die ihre Lebensgewohnheiten kennen.«
Der Aufseher, der mich begleitete, schüttelte den Kopf und wandte ein: »Wozu soll das gut sein? Die Tiere sind doch für die Arena bestimmt!«
Da ich nach der Art schwacher Menschen keine Einwände ertrug, schleuderte ich einen Apfel, in den ich gerade gebissen hatte, in den Käfig der Riesenaffen und schrie: »Muß ich als erstes euch alle auspeitschen lassen, um euch euer Handwerk zu lehren!«
Sabina legte mir die Hand auf den Arm, um mich zu beruhigen, und deutete gleichzeitig mit einer Kopfbewegung in die Richtung des Affenkäfigs. Ich sah verwundert, wie sich ein haariger Arm nach dem Apfel ausstreckte und das Tier die furchtbaren Zähne entblößte, um die Frucht mit einem einzigen Biß zu zermalmen. Ich runzelte die Stirn, sah, wie ich hoffte, grimmig drein und sagte: »Gebt ihnen einen Korb Früchte und frisches Wasser in einem sauberen Gefäß.«
Der Tierwärter lachte und antwortete mir: »Solche wilden Tiere sind Fleischfresser. Das sieht man doch an den Zähnen.«
Sabina riß ihm die Peitsche aus der Hand, zog sie ihm übers Gesicht und schrie zornig: »Wie redest du mit deinem Herrn!«
Der Mann erschrak und starrte uns böse an, holte aber, um mich vor den anderen lächerlich zu machen, einen Korb voll Früchte und leerte ihn in den Affenkäfig. Die ausgehungerten Tiere erwachten zum Leben und fraßen im Nu alles auf. Zu meiner eigenen Verwunderung ließen sie nicht einmal die Weintrauben übrig, die sich unter den Früchten befanden. Das war in den Augen der Tierwärter etwas so Unerhörtes, daß sich alle um den Käfig versammelten und zusahen, und keiner lachte mehr über meine Befehle.
Ich merkte bald, daß es den Leuten nicht so sehr an Erfahrung mangelte, sondern daß die Hauptfehler Gleichgültigkeit, Habgier und Unordnung waren. Alle, von den Aufsehern bis zum letzten Sklaven, betrachteten es als ihr selbstverständliches Recht, einen Teil der für die Versorgung der Tiere zur Verfügung stehenden Mittel für sich auf die Seite zu schaffen.
Der Baumeister, der Neros Amphitheater entworfen und die Bauarbeiten beaufsichtigt hatte, fand es unter seiner Würde, sich Tierkäfige und Freigehege auszudenken. Erst als er meine Zeichnungen sah und Sabinas Erklärungen entnahm, worum es in Wirklichkeit ging, nämlich darum, einen ganzen neuen Stadtteil zu errichten, erwachte sein Ehrgeiz.
Ich entließ oder versetzte alle, die die Tiere quälten oder sich zu sehr vor ihnen fürchteten. Sabina und ich dachten uns eine einheitliche Kleidung für die vielen Hundert Angestellten des Tiergartens aus, und außerdem bauten wir uns ein Haus auf dem Gelände des Tiergartens, denn ich erkannte bald, daß ich Tag und Nacht zur Stelle sein mußte, wenn ich mich wirklich um die vielen wertvollen Tiere kümmern wollte.
Es gab für uns kein Gesellschaftsleben mehr. Wir widmeten uns ganz den Tieren, und Sabina hielt sogar ein paar Löwenjunge, deren Mutter an einem Fieber eingegangen war, nachdem sie sie geworfen hatte, in unserem Ehebett und zwang mich, sie mit einem Horn zu säugen. Unser eigenes Eheleben vergaßen wir vor lauter Geschäftigkeit, denn die Leitung eines Tiergartens ist unleugbar eine fesselnde, verantwortungsvolle Aufgabe.
Sobald der Tiergarten sauber war und die Tiere richtig gefüttert wurden und tüchtige, aufmerksame Wärter hatten, mußten wir uns die Programmnummern für die große Vorführung ausdenken, denn der Tag der Eröffnung des Amphitheaters rückte rasch näher.
Ich hatte gerade so viele Tierkämpfe gesehen, daß ich wußte, wie man die Jagden in der Arena so leitete, daß sie für die Jäger ungefährlich waren und dabei doch für die Zuschauer atemberaubend wirkten. Schwieriger war es, zu bestimmen, welche Tiere gegeneinander gehetzt werden sollten, denn die Zuschauer waren die merkwürdigsten Zusammenstellungen gewohnt. Am meisten versprach ich mir von den Kunststücken der gezähmten Tiere, und da sich mir wirklich ständig kundige Tierbändiger aus allen Ländern antrugen, hatte ich Erstaunliches zu bieten.
Es war jedoch nicht leicht, diese Dressurakte bis zum Fest geheimzuhalten, denn der Tiergarten war von Besuchern überlaufen. Zuletzt verfiel ich darauf, eine Eintrittsgebühr zu verlangen. Das Geld, das auf diese Weise zusammenkam, verwendete ich zum Nutzen des Tiergartens, obgleich ich es ruhig hätte für mich behalten dürfen, denn ich selbst war ja auf diesen Gedanken gekommen. Kinder und Sklaven hatten übrigens freien Zutritt, wenn der Andrang nicht zu groß war.
Eine Woche vor dem Eröffnungstag besuchte mich ein hinkender, bärtiger Mann. Erst als er mich anredete, erkannte ich in ihm Simon den Zauberer wieder. Das Verbot der Sterndeuterei war noch immer in Kraft, daher durfte er seinen prächtigen chaldäischen Mantel mit den Sternbildern darauf nicht tragen. Er wirkte heruntergekommen, sein Blick irrte unruhig hin und her, und er brachte ein so sonderbares Begehren vor, daß ich annehmen mußte, er habe den Verstand verloren. Er wollte im Amphitheater seine Flugkünste zeigen, um seinen alten Ruf wiederzuerlangen!
Ich entnahm seiner verworrenen Erzählung, daß seine Heilkräfte im Schwinden waren und daß er keinen Zulauf mehr hatte. Seine Tochter war, wie er behauptete, durch die Ränke feindselig gesinnter Zauberer ums Leben gekommen. Vor allem aber verfolgten ihn die Christen in Rom mit solchem Haß, daß er vollends zu verarmen drohte und nicht mehr wußte, wovon er im Alter leben sollte. Daher wollte er nun vor allem Volk seine göttlichen Kräfte beweisen.
»Ich weiß, daß ich fliegen kann«, sagte er. »Ich bin vor Jahren geflogen und vor den Augen der Menge aus einer Wolke aufgetaucht, aber dann kamen die Christen mit ihren Beschwörungen, und ich stürzte auf das Forum nieder und zerschlug mir die Kniescheibe. Ich will den anderen und mir selbst beweisen, daß ich noch fliegen kann. In einer der letzten Nächte habe ich mich vom Turm auf dem Aventin in einen brausenden Sturm geworfen und meinen Mantel als Schwingen ausgebreitet. Ich bin geflogen und unbeschadet wieder auf die Füße zu stehen gekommen.«
»Ich glaube, du bist nie wirklich geflogen«, sagte ich mißtrauisch. »Du blendest mit deiner Macht den Leuten die Augen, so daß sie glauben, sie sähen dich fliegen.« Simon der Zauberer rang die Hände, raufte sich den Bart und sagte: »Mag sein, daß ich den Leuten die Augen blendete, aber ich dachte mit solcher Kraft, daß ich fliege, daß ich noch immer glaube, wirklich geflogen zu sein. Doch ich strebe nicht mehr nach den Wolken. Es genügt mir, wenn es mir gelingt, ein- oder zweimal um das Amphitheater zu fliegen. Dann glaube ich wieder an meine Macht und daran, daß mich meine Engel in der Luft unter den Armen halten.«
Er hatte nur noch diesen einen Gedanken im Kopf, zu fliegen. Schließlich fragte ich ihn, wie er es anstellen wollte. Er meinte, man könnte mitten im Amphitheater einen hohen Mast errichten und ihn in einem Korb hinaufhissen, so daß er genug Luft unter sich bekam. Vom Boden könne er sich nicht erheben, wenn hunderttausend Menschen zusahen, sagte er. Er starrte mich mit seinem stechenden Blick an und sprach so überzeugend, daß mir schwindelte, und ich dachte mir, dergleichen sei jedenfalls noch nie in einem Theater gezeigt worden. Wenn er sich unbedingt den Hals brechen wollte, so war das schließlich seine Sache; und wer weiß, vielleicht glückte ihm der kühne Versuch wirklich.
Nero befand sich im Amphitheater, um einigen griechischen Jünglingen zuzusehen, die einen Schwerttanz übten. Es war ein glühendheißer Herbsttag. Nero trug nur ein schweißgetränktes Untergewand. Er feuerte die Griechen an und lobte sie und nahm ab und zu selbst an dem Tanz teil, um ihnen ein Beispiel zu geben. Als ich ihm von dem Vorschlag Simons des Zauberers berichtete, war er entzückt, meinte jedoch: »Das Fliegen ist an sich merkwürdig genug, aber wir müssen einen künstlerischen Rahmen finden, um eine wirklich sehenswerte Nummer daraus zu machen. Er könnte Ikarus darstellen, und wir sollten auch Dädalus und sein Meisterwerk haben, und warum nicht auch Pasiphae?«
Seine Einbildung begann so lebhaft zu arbeiten, daß ich froh war, als ich ihm endlich wieder entkam. Wir waren übereingekommen, daß Simon der Zauberer sich den Bart scheren und als griechischer Jüngling verkleiden mußte. Auf dem Rücken sollte er goldschimmernde Hügel tragen.
Als ich Simon die Forderungen des Kaisers überbrachte, weigerte er sich zuerst, sich den Bart abzunehmen, und behauptete, er würde dadurch alle Kraft verlieren. Gegen die Hügel hatte er nichts einzuwenden. Ich erzählte ihm von Dädalus und der hölzernen Kuh, aber darauf berichtete er mir von einer jüdischen Sage, derzufolge ein gewisser Simson alle Kraft verlor, als ihm eine fremde Frau die Haare abschnitt. Erst als ich sagte, er glaube wohl selbst nicht an seine Kunst, ging er auf die Forderung ein. Ich fragte ihn, ob ich den Mast gleich aufstellen lassen solle, damit er üben könne, aber er antwortete mir, daß das Üben nur an seinen geheimen Kräften zehren würde. Er halte es für besser, zu fasten und in der Einsamkeit Beschwörungen zu sprechen und seine Kräfte für die Vorführung aufzusparen.
Nero hatte vorgeschrieben, daß die Vorführungen im Amphitheater die Zuschauer sowohl unterhalten als auch veredeln müßten. Zum erstenmal in geschichtlicher Zeit sollte eine so gewaltige Vorstellung stattfinden, ohne daß absichtlich Menschenblut vergossen wurde. Dafür mußte das Volk zwischen den aufregenden und künstlerisch wertvollen Nummern soviel wie möglich zu lachen haben, und in den unumgänglichen Pausen sollten Geschenke unter die Zuschauer geworfen werden: gebratene Vögel, Früchte, Backwerk und kleine Lostäfelchen aus Elfenbein, mit denen dann Getreide, Kleider, Silber, Gold, Zugochsen, Sklaven und sogar ganze Landgüter verlost werden sollten.
Nero wollte keine Berufsgladiatoren verwenden. Statt dessen befahl er, um den besonderen Wert seiner Vorstellung zu betonen, daß das Spiel durch einen Kampf zwischen vierhundert Senatoren und sechshundert Rittern eingeleitet werden sollte, und tatsächlich erheiterte es das Volk über alle Maßen, vornehme Männer von untadeligem Ruf mit stumpfen Lanzen und Holzschwertern aufeinander einhauen zu sehen. Zuletzt aber herrschte allgemeines Mißvergnügen darüber, daß niemand zu Schaden kam, und die Leute begannen laut zu murren. Die Wachsoldaten machten sich daran, zu tun, was ihre Pflicht war, aber Nero ließ kundmachen, daß die Soldaten sich zurückzuziehen hätten, denn das römische Volk müsse sich an die Freiheit gewöhnen.
Diese Worte weckten Beifall und allgemeines Entzücken. Die Unzufriedenen beherrschten sich, um sich des Vertrauens des Kaisers würdig zu erweisen. Ein Zweikampf mit Netz und Dreizack zwischen zwei feisten, kurzatmigen Senatoren war außerdem so komisch, daß die Leute in nicht enden wollendes Gelächter ausbrachen. Die beiden würdigen Männer wurden nämlich so böse aufeinander, daß sie einander sicherlich verwundet hätten, wenn die Dreizacke gespitzt oder die Netze mit den üblichen Bleikugeln bestückt gewesen wären.
Man entsetzte sich über drei Männer, die Riesenschlangen vorführten und sich von den Tieren ganz umschlingen ließen, aber Nero machte ein saures Gesicht, weil niemand ohne Erklärung verstand, daß die Männer Laokoon und seine Söhne darstellten. Die Jagd auf Löwen, Tiger und Auerochsen verlief zur großen Enttäuschung der Zuschauer ohne Unglücksfälle, wofür die jungen Ritter, die als Jäger auftraten, mir und den Schutztürmen, die an verschiedenen Stellen in der Arena errichtet worden waren, danken konnten. Mir selbst mißfiel diese Vorführung, denn ich hatte meine Tiere so liebgewonnen, daß ich sie nicht sterben sehen mochte.
Großen Beifall erhielt eine Löwenbändigerin, eine schlanke, biegsame Frau, die plötzlich aus einem dunklen Tor stürzte und, von drei Löwen verfolgt, quer durch die Arena lief. Ein Rauschen ging durch die Zuschauermenge, aber plötzlich drehte sich die Frau um und trieb die Löwen mit der Peitsche zurück. Die Tiere gehorchten ihren Befehlen, machten Männchen wie folgsame Hunde und sprangen durch große Reifen.
Das Gemurmel und der Beifall reizten jedoch die Löwen. Als die Frau ihr gewagtestes Kunststück vorführte und den Kopf in den offenen Rachen des größten Löwen steckte, klappte dieser plötzlich die Kiefer zusammen und biß ihr den Kopf ab. Diese unvorhergesehene Wendung weckte so gewaltigen Jubel und solche Beifallsstürme, daß ich Zeit hatte, die Löwen zu retten. Eine Kette von Sklaven, die mit Fackeln und rotglühenden Eisenstangen ausgerüstet waren, umkreiste sie und trieb sie durch die Pforte in ihre Käfige zurück. Sonst hätten nämlich die reitenden Bogenschützen sie getötet, und ich war um meine kostbaren gezähmten Löwen so besorgt, daß ich selbst unbewaffnet in die Arena sprang und den Sklaven meine Befehle erteilte.
Ich war so zornig, daß ich dem Löwen mit meinem eisenbeschlagenen Stiefel unter das Kinn trat, um ihn zu zwingen, den Kopf seiner Herrin auszuspucken. Er brüllte nur böse, war aber offenbar selbst so erschrocken über das, was er angerichtet hatte, daß er mich nicht angriff.
Nachdem ein Trupp bemalter Neger ein Nashorn gehetzt hatte, stellte man eine Kuh aus Holz mitten in die Arena, und der Pantomimiker Paris stellte die Geschichte von Dädalus und Pasiphae so lebendig dar, während ein riesiger Stier die hölzerne Kuh bestieg, daß die meisten Zuschauer glaubten, in der hohlen Kuh habe sich wirklich Pasiphae versteckt.
Simon der Zauberer mit seinen großen golden glänzenden Flügeln war eine Überraschung für alle. Paris versuchte ihn durch Gesten zu einigen Tanzschritten zu verlocken, aber Simon wies ihn mit einem Schlag der prächtigen Flügel stolz ab. Einige Seeleute hißten ihn im Handumdrehen zu einer Plattform auf der Spitze des schwindelnd hohen Mastes hinauf. Ein paar Juden in den obersten Reihen stießen Flüche und Verwünschungen aus, aber die anderen Zuschauer brachten sie zum Schweigen, und Simon der Zauberer wandte sich grüßend in alle Richtungen, als er da in der größten Stunde seines Lebens oben auf dem Mast stand. Ich glaube, er war bis zum letzten Augenblick überzeugt, daß er alle seine Widersacher besiegen werde.
Dann schlug er noch einmal mit den Flügeln und sprang, zur Loge des Kaisers gewandt, in die Luft. Er stürzte so kurz vor der Loge nieder, daß einige Blutstropfen bis zu Nero hinaufspritzten, und war auf der Stelle tot. Später stritt man sich darüber, ob er wirklich geflogen sei oder nicht. Einige behaupteten, gesehen zu haben, daß der linke Flügel beschädigt worden war, als man ihn im Korb zur Mastspitze hinaufzog. Andere wieder glaubten, die Verwünschungen der Juden hätten seinen Absturz bewirkt. Vielleicht wäre er geflogen, wenn er seinen Bart hätte behalten dürfen.
Die Vorstellung mußte weitergehen. Die Seeleute spannten nun ein mannsdickes Tau zwischen dem Fuß des Mastes und der untersten Reihe, und zur ungeheuren Überraschung und Verwunderung der Zuschauer schritt ein Elefant langsam und vorsichtig über dieses Tau. Auf seinem Nacken saß ein Ritter, der in ganz Rom für seine Dummdreistigkeit bekannt war. Natürlich hatte nicht er den Elefanten gelehrt, auf dem Tau zu gehen – das tat das Tier auch ohne Führer –, aber er heimste den Schlußbeifall für seine Vorstellung ein, wie man dergleichen bis dahin nicht gesehen hatte.
Ich glaube, das Volk war im großen ganzen recht zufrieden. Besonders der Todessprung Simons des Zauberers und der Tod der Löwenbändigerin waren Glanznummern gewesen, und das einzige, was man daran auszusetzen hatte, war, daß sie zu rasch ausgeführt worden waren. Die Senatoren und Ritter, die als Jäger auftreten mußten, waren zufrieden, weil kein Unglück geschehen war, und nur die altmodischsten Zuschauer klagten, daß kein Menschenblut zu Ehren der römischen Götter geflossen war, und gedachten wehmütig der grausamen Spiele, die Claudius geboten hatte.
Die meisten verbargen jedoch ihre Enttäuschung recht tapfer, denn Nero hatte in den Pausen wirklich kostbare Geschenke verteilen lassen. Auch die Abberufung der Prätorianer gefiel dem Volk, das sich etwas auf seine ererbte Freiheit einbildete, und bei der Schlägerei um die Elfenbeinlose hatten keine hundert Zuschauer ernsthaftere Verletzungen erlitten.
Octavia, die Gemahlin des Kaisers, nahm es schweigend hin, daß Nero die schöne Acte der Vorstellung in der Kaiserloge beiwohnen ließ, wo sie allerdings hinter einer eigenen Wand mit einem Guckloch verborgen war. Agrippina hatte keinen Platz erhalten. Nero ließ verkünden, es gehe seiner Mutter nicht gut. Irgend jemand soll gerufen haben, ob Agrippina vielleicht gar Pilze gegessen habe. Ich selbst hörte diesen Ruf nicht, und Nero sagte, er sei glücklich, daß das Volk in seiner Gegenwart im Amphitheater von seiner Redefreiheit ohne Furcht Gebrauch mache.
Mein Tierbestand war auf betrübliche Weise verringert worden, aber ein gewisser Stamm war selbstverständlich übriggeblieben, und ich entwarf einen Plan, demzufolge der Tiergarten in Zukunft ständig mit wilden Tieren aus allen Ländern aufgefüllt werden sollte, so daß die Vorstellungen nicht mehr vom Zufall abhingen. Es mußte möglich sein, innerhalb kurzer Frist gute Vorführungen zustande zu bringen, wenn Nero es für notwendig erachtete, das Volk an irgendeinem Festtag zu unterhalten. Und da ich Neros Launen kannte, hielt ich es für klug, sich auf politische Ereignisse vorzubereiten, die es erforderlich machten, dem Volk Unterhaltung zu bieten, um es unangenehme Dinge vergessen zu lassen.
Die Fußballen der getöteten Nashörner hatten die ganze Nacht in Kochgruben nach afrikanischer Art geschmort und waren am nächsten Tag zu einer durchsichtigen, wabbelnden Masse erstarrt. Ich bereitete mich darauf vor, diesen seltenen Leckerbissen, der, soviel ich weiß, bis dahin Rom noch unbekannt gewesen war, auf den Tisch des Kaisers zu bringen. Wehmütig betrachtete ich die leeren Käfige, die Sklaven, die zu ihren täglichen Verrichtungen zurückgekehrt waren, und das bescheidene Haus, in dem Sabina und ich einen anstrengenden, aber, wie ich nun glaubte, glücklichen Lebensabschnitt verbracht hatten.
»Sabina!« rief ich dankbar. »Ohne deine Erfahrung im Umgang mit Tieren und deine unermüdliche Arbeitslust wäre es mir wohl nicht gelungen, mich dieses Auftrags ehrenvoll zu entledigen. Trotz allen Schwierigkeiten, die wir überwinden mußten, werden wir bestimmt gern an diese Zeit zurückdenken, wenn wir wieder ein gewöhnliches Leben fuhren.«
»Ein gewöhnliches Leben führen?« fragte Sabina schroff und blickte mich streng an. »Wie soll ich das verstehen?«
»Ich habe meinen Auftrag ausgeführt, und zwar, wie ich hoffe, zur Zufriedenheit deines Vaters und des Kaisers«, antwortete ich gut gelaunt. »Nun gehe ich mit diesem Gericht zu Nero, und unser Verwalter macht die Abrechnung mit der kaiserlichen Kasse. Nero versteht nichts von Geldangelegenheiten, und mir selbst ist unsere Buchführung, offen gestanden, auch viel zu schwierig. Ich hoffe aber, sie ist in Ordnung, und trauere dem verlorenen Geld nicht nach. Vielleicht gibt Nero mir auch eine Belohnung, aber mein schönster Lohn ist der Beifall des Volkes. Mehr als das begehre ich nicht, und im übrigen hätte ich diese ständigen Aufregungen auch nicht mehr lange ausgehalten.«
»Wer von uns beiden hat wohl am meisten aushalten müssen?« fragte Sabina lebhaft. »Ich traue meinen Ohren nicht! Du hast ja erst den ersten Schritt getan. Meinst du denn, du könntest die Löwen, die nun keine Wärterin mehr haben, einfach im Stich lassen, oder diese beinahe menschlichen Riesenaffen, von denen der eine so hustet, daß es einem ins Herz schneidet – von den anderen Tieren ganz zu schweigen? Nein, Minutus, ich will annehmen, daß du nur müde und schlecht gelaunt bist. Mein Vater hat versprochen, daß du deine jetzige Stelle unter meiner Aufsicht behalten darfst. Das erspart ihm viele Sorgen, weil er nicht mehr um die ohnehin knapp bemessenen Mittel zu streiten braucht, die der Senat dem Tiergarten bewilligt.«
Nun war ich derjenige, der seinen Ohren nicht traute. »Flavia Sabina«, sagte ich, »ich gedenke nicht, mein ganzes Leben lang Tierwärter zu sein, so teuer und schön die Tiere auch sein mögen. Ich erinnere dich daran, daß ich in der väterlichen Linie ebenso wie Otho oder sonst einer von den etruskischen Königen in Caere abstamme.«
Sabina fauchte zornig: »Deine Abstammung ist, gelinde ausgedrückt, zweifelhaft, und von deiner griechischen Mutter wollen wir lieber nicht reden. Die schäbigen Wachsmasken im Haus deines Vaters sind Tullias Erbgut. Unter den Flaviern hat es zumindest Konsuln gegeben. Wir leben in einer neuen Zeit. Begreifst du nicht, daß der Vorsteher des Tiergartens eine politische Stellung innehat, um die man ihn beneiden kann, auch wenn das noch nicht allen einleuchtet?«
»Ich habe keine Lust, mit Stallburschen und Zitherspielern in Wettbewerb zu treten«, entgegnete ich steif. »Dagegen kann ich dir ein paar vornehme ältere Männer nennen, die sich schon jetzt einen Zipfel ihrer Toga vor die Nase halten, wenn sie mir begegnen, um den Raubtiergestank nicht riechen zu müssen. Vor fünfhundert Jahren konnte sich der vornehmste Patrizier damit brüsten, daß er nach Dung roch, aber diese Zeiten sind vorbei. Außerdem möchte ich, ehrlich gesagt, auch keine jungen Löwen mehr in unserem Ehebett haben, für die du mehr Zärtlichkeit übrig zu haben scheinst als für mich.«
Sabinas Gesicht wurde gelb vor Zorn. »Ich habe von deinen Eigenschaften als Ehemann nie gesprochen, weil ich dich nicht verletzen wollte«, sagte sie böse und beherrschte sich mit Mühe. »Ein klügerer, rücksichtsvollerer Mann hätte längst seine Schlüsse gezogen. Wir sind nicht aus demselben Holz, aber eine Ehe ist eine Ehe, und das Bett ist nicht das Wichtigste. An deiner Stelle würde ich mich freuen, daß deine Frau eine andere Beschäftigung gefunden hat, die ihr leeres Leben ausfüllt. Wir behalten den Tiergarten, das ist mein fester Entschluß, und mein Vater stimmt mir zu.«
»Mein Vater könnte da anderer Meinung sein, und er hat wohl auch noch ein Wort mitzureden«, erwiderte ich kläglich. »So viel Geld hat er auch nicht, daß er ständig für den Unterhalt des Tiergartens aufkommen kann.« Das war jedoch im Grunde belanglos. Was mich am tiefsten gekränkt hatte, war Sabinas unerwarteter Vorwurf, ich hätte als Ehemann versagt.
Doch nun mußte ich dafür sorgen, daß das Gelee aus den Fußballen der Nashörner ins Palatium kam, solange es noch warm war, und deshalb brach ich unseren Streit ab, der gewiß nicht der erste, aber der bisher schwerste gewesen war.
Nero bat mich, am Mahl teilzunehmen, was ganz natürlich war, und um mir seine Gunst zu beweisen, befahl er, mir als Anerkennung für meine Leistungen eine halbe Million Sesterze auszuzahlen. Ich ersah daraus, daß er keine Vorstellung davon hatte, was der Tiergarten kostete. Es fand sich außerdem nie einer, der mir wenigstens diesen Betrag ausgezahlt hätte, und ich selbst nahm mir nicht die Mühe, danach zu fragen, denn an Kleingeld hatte mein Vater keinen Mangel.
Ich bemerkte ein wenig mürrisch, es wäre wichtiger für mich, daß der Posten des Tiergartenvorstehers unter die staatlichen Ämter aufgenommen würde, damit ich ihn auf der Liste meiner Verdienste anführen könnte, wenn ich ihn eines Tages aufgab. Mein Vorschlag löste eine scherzhafte Diskussion aus, die mein Schwiegervater damit beendete, daß er erklärte, ein so wichtiges Amt, das noch dazu ein so großes eigenes Vermögen erforderte, dürfe nicht eines Tages von dem launischen Senat mit einem untauglichen Bewerber besetzt werden. Es sei, seiner Auffassung nach, juristisch gesehen, ein Amt von Kaisers Gnaden, etwa wie das des Küchenvorstehers oder Kleiderverwalters oder Oberstallmeisters, und könne einem nur durch Ungnade des Kaisers abgesprochen werden.
»An der fröhlichen Miene unseres Herrschers erkenne ich, daß du noch sein Vertrauen besitzt«, schloß mein Schwiegervater, an mich gewandt. »Soweit es von mir als dem Stadtpräfekten abhängt, bist du der Vorsteher des Tiergartens. Und nun störe unser wichtiges Gespräch nicht mehr mit dergleichen Bemerkungen.«
Nero begann uns voll Eifer seine Pläne zu erklären. Er wollte alle fünf Jahre nach griechischem Vorbild große Spiele veranstalten, um die Bildung und den Geschmack des Volkes zu heben. »Wir können ja sagen, sie dienten dem Fortbestand des Staates«, meinte er. »Ich selbst möchte es dahin bringen, daß diese Spiele als die größten aller Zeiten betrachtet werden. Fürs erste könnte man sie ganz bescheiden Neronische Festspiele nennen, um das Volk daran zu gewöhnen. Wir unterteilen sie in musische Spiele, athletische Spiele und die üblichen Wagenrennen. Zu den athletischen Spielen will ich die Vestalinnen als Zuschauerinnen einladen, denn ich habe gehört, daß in Griechenland die Cerespriesterinnen den olympischen Spielen beiwohnen. Auf diese Weise wird man ganz von selbst meine Spiele mit den olympischen vergleichen. Alle edlen Wettkämpfe werden in Zukunft in Rom ihre Heimstatt haben, und das ist politisch betrachtet nicht mehr als recht und billig, denn wir verwalten das Erbe Griechenlands und wollen uns dessen würdig erweisen.«
Ich vermochte mich für diese großen Pläne nicht zu begeistern, denn die gesunde Vernunft sagte mir, daß solche Spiele nach griechischem Vorbild nur das Ansehen der Tiervorführungen und damit den Wert meines eigenen Amtes mindern konnten. Ich kannte freilich das Volk von Rom und wußte, daß es stets mehr Vergnügen an den Vorstellungen im Amphitheater finden würde als an Gesang, Musik und dem Wettstreit der Athleten, aber Neros künstlerische Neigungen und hochfliegende Pläne verwandelten das Amphitheater gleichsam in einen Ort niedriger, sittlich zweifelhafter Vergnügungen.
Als ich in unser Haus im Tiergarten zurückkehrte, war ich nicht bei bester Laune, und zu meinem Unglück traf ich dort auch noch Tante Laelia an, die sich mit Sabina stritt. Sie war gekommen, um die Leiche Simons des Zauberers zu holen, die sie nach der abergläubischen Juden Weise unverbrannt bestatten wollte, da Simon nach seinem Unglück keinen anderen Freund mehr hatte, der ihm diesen letzten Dienst erwiesen hätte. Die Juden und ihresgleichen ließen draußen vor der Stadt unterirdische Höhlen graben und bestatteten darin ihre Toten, ohne sie zu verbrennen. Tante Laelia hatte viel Zeit verloren, bis es ihr endlich gelungen war, diese halb und halb geheimgehaltenen Begräbnisstätten ausfindig zu machen.
Ich ging der Sache nach und erfuhr, daß niemand rechtzeitig nach der Leiche Simons des Zauberers gefragt hatte. Sie war daher, wie die Leichen von im Tiergarten verunglückten Sklaven, den Raubtieren zum Fraß vorgeworfen worden. Ich war mit diesem Brauch selbst nicht ganz einverstanden, aber natürlich sparte man auf diese Weise Futterkosten, und man mußte nur darauf sehen, daß das Fleisch nicht verdorben war. Ich hatte es daher meinen Untergebenen verboten, Menschen zu verfüttern, die an Krankheiten gestorben waren.
In diesem Fall hatte Sabina wohl voreilig gehandelt. Simon der Zauberer war immerhin ein in seinen eigenen Kreisen geachteter Mann gewesen und hatte eine Bestattung nach der Sitte seines Volkes verdient. Ein benagter Schädel und ein paar Knochen waren alles, was die Sklaven noch retten konnten, als sie die Löwen mit Besenstielen von ihrer Mahlzeit verjagten.
Ich ließ die Reste in eine schnell herbeigeholte Urne legen und übergab diese Tante Laelia mit der Bitte, sie um ihrer eigenen Gemütsruhe willen nicht zu öffnen. Sabina ließ sich deutlich ihre Verachtung für unsere Gefühlsduselei anmerken.
Von diesem Abend an schliefen wir in getrennten Räumen, und trotz meiner Bitterkeit schlief ich besser als seit langem, da ich mich nicht mehr der Löwenjungen zu erwehren brauchte, die auf mir herumgeklettert waren und in letzter Zeit schon nadelscharfe Zähne bekommen hatten.
Nach dem Tod Simons des Zauberers verlor Tante Laelia in kürzester Zeit ihren Lebenswillen und das Restchen Verstand, das ihr noch geblieben war. Sie war zwar schon lange eine alte Frau mit allen Eigenheiten einer solchen gewesen, aber während sie bisher immer noch versucht hatte, es durch Kleider, Perücken und Schminke zu verbergen, ließ sie sich nun gehen und versteckte sich die meiste Zeit in meinem Haus, murmelte vor sich hin und erzählte von längst vergangenen Zeiten, an die sie sich besser erinnerte als an alles, was zuletzt geschehen war.
Als ich bemerkte, daß sie nicht einmal mehr zu sagen vermochte, wer Kaiser war, und mich mit meinem Vater verwechselte, hielt ich es für angebracht, so oft wie möglich in meinem alten Haus auf dem Aventin zu übernachten. Sabina hatte nichts dagegen einzuwenden. Im Gegenteil, es schien ihre Herrschsucht zu befriedigen, daß sie im Tiergarten schalten und walten durfte, wie sie wollte.
Sabina verstand sich ausgezeichnet mit den Tierbändigern, obwohl diese trotz ihrer gewiß achtenswerten beruflichen Geschicklichkeit zumeist ungebildete Menschen waren und über nichts anderes zu reden wußten als über ihre Tiere. Sabina überwachte auch das Ausladen der Tiere von den Schiffen und verstand es viel besser als ich, die Preise herunterzuhandeln. Vor allem aber hielt sie unter den Angestellten des Tiergartens unerbittlich Zucht und Ordnung.
Ich mußte mir bald eingestehen, daß ich eigentlich nicht mehr viel zu tun hatte und Sabina nur die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen brauchte. Die Zuwendungen aus der kaiserlichen Kasse reichten bei weitem nicht für den Unterhalt und die Neuanschaffungen. Deswegen hatte man mir ja auch zu verstehen gegeben, daß die Leitung des Tiergartens ein Ehrenamt sei, das beträchtliche eigene Mittel voraussetze.
Ich hatte Einkünfte aus dem Seifenhandel meines gallischen Freigelassenen, einer meiner ägyptischen Freigelassenen stellte teure Hautsalben für Frauen her, und Hierax sandte mir reiche Geschenke aus Korinth. Meine Freigelassenen steckten ihre Gewinne gern in neue Unternehmungen. Der Seifensieder hatte seine Verbindungen in allen großen Städten des Reiches, und Hierax betrieb in Korinth Grundstückspekulationen. Nur der Tiergarten brachte mir nichts ein.
Um die Wohnraumnot zu lindern, ließ ich auf einem durch Brand zerstörten Grundstück, das ich dank meinem Schwiegervater billig erwerben konnte, einige siebenstöckige Mietshäuser errichten. Ein wenig verdiente ich auch dadurch, daß ich Fangexpeditionen nach Thessalien, Armenien und Afrika ausrüstete und überschüssige Tiere in Provinzstädte verkaufte. Die besten behielt ich natürlich selbst.
Bald verdiente ich auch das erste Geld an den Schiffen, die vom Roten Meer nach Indien segelten und an denen ich – um seltene Tiere aus Indien herbeischaffen zu können – Anteile hatte erwerben dürfen. Die Waren wurden über Alexandria nach Rom befördert. Es war die Zeit, in der handwerkliche Erzeugnisse aus Gallien und kampanische Weine nach Indien ausgeführt wurden.
Dank einem Übereinkommen mit den arabischen Fürsten erhielt Rom einen Stützpunkt mit einer ständigen Garnison am südlichen Ende des Roten Meeres. Das war notwendig, weil die Nachfrage nach Luxuswaren mit dem steigenden Wohlstand des Reiches immer größer wurde und die Parther die römischen Karawanen nicht durch ihr Gebiet ziehen lassen, sondern selbst als Zwischenhändler an den Waren verdienen wollten.
Alexandria gewann durch die neue Ordnung, aber große Handelsstädte wie Antiochia und Jerusalem erlitten Verluste, weil die Preise der Waren aus Indien sanken. Daher ließen die mächtigen syrischen Handelsherren durch Mittelsmänner in Rom die Auffassung verbreiten, ein Krieg gegen Parthien sei früher oder später unerläßlich, um dem Handel einen Landweg nach Indien zu eröffnen.
Sobald in Armenien Ruhe eingetreten war, hatte Rom Beziehungen zu den Hyrkanern angeknüpft, die das salzige Kaspische Meer nördlich des Partherreiches beherrschten. Auf diese Weise erhielt man unter Umgehung der Parther einen Handelsweg nach China und konnte Seide und andere Waren über das Schwarze Meer nach Rom bringen. Ich hatte davon, offen gestanden, recht unklare Vorstellungen, und wie mir erging es den anderen. Es wurde zum Beispiel behauptet, man brauche zwei Jahre, um die Waren auf Kamelrücken von China an die Küste des Schwarzen Meeres zu schaffen, aber die meisten vernünftigen Menschen glaubten nicht, daß irgendein Land so weit entfernt liegen könne, sondern meinten, die Behauptung sei eine reine Erfindung der Karawanenkaufleute, die ihre unverschämten Wucherpreise rechtfertigen wollten.
Wenn Sabina recht schlecht gelaunt war, forderte sie mich auf, selbst auf Reisen zu gehen und Tiere heimzubringen, Tiger aus Indien, Drachen, von denen die Sagen berichten, aus China oder Nashörner aus dem dunkelsten Nubien. In meiner Verbitterung hatte ich manchmal wirklich Lust, eine so lange Reise anzutreten, aber zuletzt siegte doch immer wieder die Vernunft, und ich sagte mir, daß erfahrenere Männer als ich besser dazu taugten, wilde Tiere einzufangen und die Mühen der Reisen zu bestehen.
Ich ließ daher alljährlich am Todestag meiner Mutter einen der Sklaven des Tiergartens frei und rüstete ihn für eine Reise aus. Einen meiner abenteuerlustigen griechischen Freigelassenen schickte ich nach Hyrkanien. Er sollte versuchen, nach China zu gelangen, und da er des Schreibens kundig war, hoffte ich, von ihm einen brauchbaren Reisebericht zu bekommen, aus dem ich ein neues Buch hätte machen können. Ich hörte jedoch nie mehr von ihm.
Nach dem Tod des Britannicus und meiner Vermählung war ich Nero mehr oder weniger aus dem Weg gegangen. Wenn ich heute darüber nachdenke, will mir scheinen, daß meine Ehe mit Sabina in gewissem Sinne eine Flucht aus dem Kreis um Nero war. Vielleicht habe ich mich deshalb so plötzlich und auf so vernünftige Weise in sie verliebt.
Als ich wieder mehr Zeit für mich selbst hatte, begann ich römische Schriftsteller in mein Haus einzuladen. Annaeus Lucanus, der Sohn eines Vetters Senecas, hielt sich gern in meiner Gesellschaft auf, weil ich seine dichterische Begabung ohne Hemmungen lobte. Petronius, der einige Jahre älter als ich war, fand Gefallen an dem kleinen Buch, das ich über die Räuber in Kilikien geschrieben hatte, vor allem wegen der absichtlich volkstümlichen Sprache.
Petronius war ein fein gebildeter Mann, der es – nächst der Erfüllung seiner politischen Pflichten – als sein Lebensziel ansah aus dem Leben selbst ein Kunstwerk zu machen. Er war insofern ein recht anstrengender Freund, als er gern tagsüber schlief und des Nachts wachte, weil ihn, wie er behauptete, der nächtliche Verkehrslärm Roms nicht schlafen ließ.
Ich begann ein Handbuch über wilde Tiere, ihren Fang, ihre Beförderung, Pflege und Dressur zu schreiben. Um es für die Zuhörer genießbar zu machen, berichtete ich von vielen merkwürdigen Ereignissen, die ich selbst mit angesehen oder von anderen gehört hatte, und machte fleißig Gebrauch von dem Recht eines jeden Schriftstellers, zu übertreiben, um das Interesse wachzuhalten. Petronius meinte, es könnte ein ausgezeichnetes Buch von bleibendem Wert werden, und entlehnte daraus für seine eigenen Schriften einige grobe Wendungen, wie sie in der Sprache des Amphitheaters üblich sind.
An den nächtlichen Streifzügen Neros in die verrufenen Viertel Roms nahm ich nicht mehr teil, da mein Schwiegervater der Stadtpräfekt war, und ich handelte klug, denn diese wilden Vergnügungen nahmen ein trauriges Ende.
Nero war nie böse, wenn er Prügel bekam. Er nahm das nur als ein Zeichen dafür, daß ehrlich gekämpft worden war. Eines Nachts versetzte ihm ein Senator, der die Ehre seiner Gattin verteidigte, einen kräftigen Hieb über den Schädel, und als er zu seinem Entsetzen erfuhr, wen er geschlagen hatte, schrieb er in seiner Dummheit Nero einen Brief, in dem er sich demütig entschuldigte. Darauf blieb Nero nichts anderes übrig, als sich darüber zu verwundern, daß ein Mann, der seinen Herrscher geschlagen hatte, noch am Leben war und sich obendrein in schamlosen Briefen mit seiner Missetat brüstete. Der Senator ließ sich von einem Arzt die Pulsadern öffnen.
Seneca nahm diese Sache sehr übel auf und fand, Nero müsse seine Wildheit auf andere Weise austoben. Er ließ daher den Zirkus des Kaisers Gajus am Rand des Vatikanischen Hügels instand setzen und stellte ihn Nero zur Verfügung. Dort konnte sich dieser nun endlich, mit zuverlässigen Freunden als Zuschauer, nach Herzenslust in der Kunst üben, ein Viergespann zu lenken.
Agrippina schenkte ihm dazu ihre Gärten, die sich bis zum Janiculum erstreckten. Seneca hoffte, daß die Wettkämpfe, in denen sich Nero mehr oder weniger heimlich übte, seine für einen Kaiser übertriebene Vorliebe für Musik und Gesang aufs rechte Maß zurückführen würden. Binnen kurzer Zeit wurde Nero ein kühner, unerschrockener Wagenlenker. Er hatte ja die Pferde schon als Kind geliebt.
Um die Wahrheit zu sagen, brauchte er sich freilich auf der Rennbahn selten umzusehen oder zu befürchten, daß andere seinen Wagen umwarfen, aber es gehört doch einiges dazu, ein iberisches Viergespann im Zirkus zu wenden, ohne die Herrschaft über die Pferde zu verlieren, und so mancher hat sich schon auf der Rennbahn den Hals gebrochen oder ist fürs Leben zum Krüppel geworden, weil er vom Wagen stürzte und die um den Leib geschlungenen Zügel nicht rechtzeitig zu kappen vermochte.
In Britannien hatte sich Flavius Vespasian ernstlich mit Ostorius überworfen, und er erhielt den Befehl, zurückzukehren. Der junge Titus hatte sich in seinem Dienst ausgezeichnet, indem er eines Tages mutig den Befehl über eine Abteilung Reiterei übernahm und seinem von Briten umzingelten Vater zu Hilfe eilte. Vespasian meinte allerdings, er hätte sich auch ohne fremde Hilfe herausgehauen.
Seneca betrachtete den ständigen Kleinkrieg in Britannien als nutzlos und gefährlich und vertrat die Ansicht, daß die Anleihen, die er den britischen Königen gewährt hatte, eher dazu angetan seien, den Frieden im Lande herzustellen, als Straffeldzüge, die nur die Staatskasse belasten. Nero ließ Vespasian ein paar Monate lang das Konsulsamt ausüben, machte ihn zum Mitglied eines hochgestellten Priesterkollegiums und ließ ihn danach für die übliche Amtsdauer zum Prokonsul in Afrika wählen.
Als wir in Rom zusammentrafen, musterte er mich eine Weile, lächelte dann verschmitzt und sagte: »Du hast dich in diesen Jahren sehr verändert, Minutus Manilianus, und ich meine nicht nur die Narben in deinem Gesicht. Als du noch in Britannien warst, hätte ich mir nicht träumen lassen, daß wir eines Tages miteinander verwandt sein würden, weil du meine Nichte geheiratet hast. Aber ein junger Mann bringt es in Rom natürlich viel weiter, als wenn er sich in Britannien einen Rheumatismus fürs Leben holt und sich bald hier, bald dort nach der Sitte der Briten verheiratet.«
Ich hatte meine Ehe im Land der Icener beinahe schon ganz vergessen, und Vespasian erinnerte mich nun zu meinem Unbehagen an die peinlichen Dinge, die ich dort erlebt hatte. Ich flehte ihn an, darüber zu schweigen, und er sagte tröstend: »Welcher Legionär hat nicht irgendwo einen Bankert! Aber deine Hasenpriesterin Lugunda hat nicht wieder geheiratet. Sie erzieht deinen Sohn nach römischer Art, so zivilisiert sind die vornehmsten Icener nun schon.«
Diese Worte schmerzten mich, denn Sabina zeigte keine Neigung, mir ein Kind zu gebären, und wir waren schon lange nicht mehr mit dieser Absicht beieinander gelegen. Ich verjagte jedoch die störenden Gedanken an Lugunda, wie ich es bisher getan hatte. Vespasian versprach bereitwillig, meine britische Ehe geheimzuhalten, da er, wie er sagte, das herbe Wesen seiner Nichte Sabina kannte.
Auf einem Fest, das mein Schwiegervater zu Ehren seines Bruders Vespasian gab, traf ich zum erstenmal Lollia Poppaea. Es hieß, ihre Mutter sei einst die schönste Frau Roms gewesen und habe die Aufmerksamkeit des Claudius in solchem Maße erregt, daß Messalina es für angebracht hielt, sie aus der Zahl der Lebenden verschwinden zu lassen. Doch was wurde nicht alles über Messalina geredet!