XIII

NERO


Die völlige Unterdrückung der Pisonischen Verschwörung dauerte alles in allem an die zwei Jahre, und es wurden auch in den Provinzen alle vermögenden Männer zur Rechenschaft gezogen, die nachweisbar von dem Plan gewußt und ihn stillschweigend gebilligt hatten. Auf diese Weise gelang es Nero, obwohl er aus Barmherzigkeit die Todesstrafe in Verbannung verwandelte, wo immer es anging, die Staatsfinanzen trotz seinen ungeheuren Ausgaben in Ordnung zu bringen.

Im Grunde verschlangen allerdings den größten Teil der staatlichen Ausgaben die Kriegsvorbereitungen gegen Parthien. Neros eigene Lebensgewohnheiten waren für einen Kaiser eher maßvoll zu nennen, vor allem wenn man sie mit denen gewisser Reicher und Neureicher verglich. Dank dem Einfluß des verstorbenen Petronius war er noch immer bestrebt, die Prunksucht des Emporkömmlings durch guten Geschmack zu ersetzen, wenngleich er manchmal freilich danebengriff, da er Petronius nicht mehr um Rat fragen konnte.

Zu seiner Ehre muß gesagt werden, daß er beispielsweise, als er seine durch den Brand zerstörten Kunstschätze durch neue, unvergleichliche Skulpturen und anderes ersetzte, die Staatskasse nur mit den Transportkosten belastete. Er schickte einen Sachverständigenausschuß nach Achaia und Asia, der jede bedeutendere Stadt durchkämmte und die besten Skulpturen für das Goldene Haus auswählte.

Das machte viel böses Blut unter den Griechen. In Pergamon kam es sogar zu bewaffnetem Aufruhr. Im übrigen aber führte der Ausschuß seine Aufgabe so geschickt durch, daß er sogar noch in Athen, das seinerzeit bei der Eroberung gründlich ausgeplündert worden war, und in Korinth, wo man einst kaum einen Stein auf dem anderen gelassen hatte, kostbare Statuen und Malereien aus der großen Zeit Griechenlands fand. Die reichen Kaufleute und Schiffsreeder in dem neu erblühten Korinth hatten gute Arbeit geleistet, als sie im Laufe der Jahre ihre Kunstsammlungen vervollständigten, und dies kam Nero nun zugute. Sogar auf den Inseln im Meer, wo man bisher nicht nach Kunstschätzen für Rom gesucht hatte, entdeckte man nun alte Skulpturen, die einen Ehrenplatz in den Sälen und Gängen des Goldenen Hauses verdienten.

Das Haus war so groß, daß es immer noch leer wirkte, obwohl der Ausschuß eine Schiffsladung nach der andern schickte. Einen großen Teil der Skulpturen, denen er geringeren Wert beimaß, schenkte Nero seinen Freunden, da er selbst von der Kunst der Alten nur das Allerbeste haben wollte. Auf diese Weise kam ich zu meiner Marmor-Aphrodite, die von Phichas stammt und deren Farben wunderbar erhalten sind. Ich schätze sie trotz Deinen Grimassen noch immer sehr hoch. Versuche nur einmal. Dir auszurechnen, wieviel sie einbringen würde, wenn ich sie öffentlich versteigern müßte, um Deinen Rennstall zu erhalten.

Wegen des bevorstehenden Krieges gegen die Parther, und um sein eigenes Gewissen zu beruhigen, machte Nero die Geldabwertung rückgängig und ließ, da nun genug Gold und Silber in die Staatskasse flossen, im Tempel der Juno Moneta wieder vollgewichtige Münzen schlagen. Die Legionen, die in aller Heimlichkeit nach dem Osten verlegt wurden, um Corbulos Truppen zu verstärken, waren wegen der verringerten Kaufkraft ihres Soldes so unzufrieden, daß der ursprüngliche Geldwert allein schon aus militärischen Gründen wiederhergestellt werden mußte.

Den Sold um ein Fünftel zu erhöhen wäre unklug gewesen. Es wird jedem einleuchten, daß das untragbare Mehrausgaben bedeutet hätte und daß es auf die Dauer billiger kam, den Geldwert wiederherzustellen. Nero gewährte außerdem den Legionären gewisse Erleichterungen, ähnlich wie er schon früher den Prätorianern kostenlose Kornrationen zugebilligt hatte.

Im Grunde war das Ganze ein Zauberkunststück, über das sich so mancher kluge Mann vergeblich den Kopf zerbrach. Ich will nichts Nachteiliges über die Freigelassenen im Dienste der Staatskasse sagen, deren Amt beschwerlich ist und die den Plan austüftelten. Ich fand es nur unverschämt, daß Neros kupferhaltige Silbermünzen im Verhältnis zehn zu acht eingetauscht werden müßten, so daß man für fünf alte Münzen nur vier neue, vollgewichtige bekam.

Ich selbst erlitt dadurch zwar keine Verluste, aber bei den Minderbemittelten löste diese Verordnung ebensoviel Bitterkeit aus wie Neros ursprüngliche Münzreform. Sie war daher nicht, so wie er sich das vorstellte, seinem Ansehen förderlich. Nero verstand ja nichts von finanziellen Dingen, sondern befolgte nur die Empfehlungen listiger Ratgeber. Die Legionen gaben sich jedoch zufrieden, weil ihr kaum merklich verringerter Sold hiernach in reinem Silber ausbezahlt wurde.

Nero konnte über den Zustand der Staatskasse nur bekümmert den Kopf schütteln, da er doch seiner Meinung nach alles tat, um die Lage zu bessern, und auf Kosten seiner künstlerischen Betätigung viel von seiner Zeit opferte, um die Steuerlisten der Provinzen durchzugehen und vermögende Männer auszusuchen, deren Eigentum zur Strafe für die Teilnahme an der Pisonischen Verschwörung beschlagnahmt werden konnte.

Es fiel nicht schwer, Beweise herbeizuschaffen. Der eine hatte sich eine unvorsichtige Freudenäußerung zuschulden kommen lassen, ein anderer hatte Neros Geburtstag übersehen, wieder ein anderer – und das war das schlimmste Verbrechen – hatte eine geringschätzige Bemerkung über seine Stimme gemacht. Kein Reicher hat ein ganz und gar reines Gewissen. Man mußte sich sogar hüten, einzuschlafen oder auch nur zu gähnen, wenn Nero im Theater auftrat, und ebensowenig duldete er es, daß einer während der Vorstellung ging, und sei es einer ernsthaften Erkrankung wegen.

Um den bevorstehenden parthischen Krieg zu finanzieren, mußte er alle Luxusartikel mit unziemlich hohen Umsatzsteuern belegen, und die Folge davon war, daß solche Waren nur noch unter dem Ladentisch verkauft wurden. Daher wurden die Läden der Stadt immer wieder ohne Vorankündigung durchsucht, und die Kaufleute nahmen es sehr übel auf, daß ihre Vorräte beschlagnahmt und sie selbst zu Geldbußen verurteilt wurden.

Flavius Sabinus, mein ehemaliger Schwiegervater, schämte sich dieser Maßnahmen, für deren Durchführung er als Stadtpräfekt verantwortlich war, und fürchtete, sein Ansehen zu verlieren. Manchmal, das weiß ich aus ganz sicherer Quelle, ließ er die Kaufleute, zumindest die reicheren, im voraus warnen, und er brauchte seine Ehrlichkeit nicht zu bereuen. Seine finanziellen Verhältnisse besserten sich innerhalb erstaunlich kurzer Zeit.


Statilia Messalinas Eitelkeit kam jedoch Nero zu Hilfe. Statilia fand, Veilchenblau kleide sie am besten, und darin hatte sie gewiß recht. Um diese Farbe ganz für sich allein zu haben, überredete sie Nero dazu, den Verkauf veilchenblauer Farbstoffe zu verbieten. Die Folge davon war selbstverständlich, daß jede Römerin, die auf sich hielt, in Gesellschaft zuverlässiger Freunde in Veilchenblau aufzutreten oder zumindest irgendein Kleidungsstück in dieser Farbe zu besitzen wünschte.

Der Schleichhandel mit Veilchenblau nahm daraufhin solche Ausmaße an, und die Kaufleute verdienten so viel, daß sie gern ab und zu ihre Vorräte beschlagnahmen ließen und die Buße zahlten.


Nero war selbst nicht darauf erpicht, gegen die Parther Krieg zu führen, so notwendig ein solcher Krieg auch für Roms Zukunft sein mochte, da es galt, dem Handel einen Landweg in die Reiche des Ostens zu bahnen. Auch mich dünkte ein großer Krieg verhängnisvoll, aber ich dachte an Dich und freundete mich allmählich mit dem Plan an. Die Freigelassenen meines Vaters in Antiochia verdienten durch die Lieferungen an die Legionen ungeheure Summen und redeten mir in ihren Briefen eifrig zu, die Kriegspläne im Ausschuß für orientalische Angelegenheiten zu befürworten. An sich war der Zeitpunkt günstig. Parthien mußte um der Sicherheit Roms willen früher oder später unterworfen werden. Ich hatte mir nur gewünscht, es möge nicht zu meinen Lebzeiten geschehen, und es geschah auch nicht. Das Unausweichliche steht uns noch bevor.

Nero gab nach, als man ihm vor Augen führte, daß er den Krieg selbst getrost Corbulo überlassen und als oberster Feldherr den Triumph feiern konnte. Ich glaube aber, mehr als der in Aussicht gestellte Triumph verlockte ihn der Gedanke, eine Vorstellung in Ekbatana zu geben, um sich dort durch seine glänzende Stimme nach den Leiden des Krieges die Ergebenheit seiner neuen Untertanen zu sichern.

Keiner seiner Ratgeber hielt es für nötig, ihn darüber aufzuklären, daß die Parther die Musik nicht sonderlich lieben und den Gesang als keinen eines Herrschers würdigen Zeitvertreib betrachten. Weit höher schätzen sie die Kunst des Reitens und des Bogenschießens, wie der Triumvir Crassus seinerzeit am eigenen Leib erfahren mußte. Um sich seiner zu entledigen, schickte ihn Dein Ahn Julius Caesar gegen die Parther ins Feld, und die Parther töteten ihn, indem sie ihm geschmolzenes Gold in die Kehle gossen, damit er endlich einmal genug davon bekam. Laß Dir das eine Lehre sein, mein Sohn. Wenn wirklich einer nach Parthien muß, so geh nicht selbst, sondern schicke einen andern.

Über die Geschichte Parthiens und das Herrschergeschlecht der Arsakiden brauche ich nicht viel zu berichten. Es gibt da nichts als Brudermord, Staatsstreiche, orientalische Hinterlist und derlei Dinge mehr, die bei uns in Rom nicht vorkommen können. Von den römischen Kaisern ist ja im Grunde nur einer öffentlich ermordet worden, nämlich Dein Stammvater Julius Caesar, und der war selbst schuld, weil er in seiner Eitelkeit klugen Rat in den Wind schlug. Seine Mörder glaubten zudem aufrichtig, zum Besten des Vaterlandes zu handeln. Gajus Caligula ist ein Fall für sich, und es ist nie eindeutig nachgewiesen worden, ob Livia wirklich Augustus vergiftet und ob Caligula Tiberius erwürgt hat. Agrippina vergiftete Claudius, ohne öffentliches Aufsehen zu erregen. Man mag also über diese Geschehnisse denken, wie man will, eines muß man zugeben: es wurde alles auf denkbar anständige Weise, sozusagen innerhalb der Familie, erledigt.

Die Arsakiden dagegen betrachten sich als die rechtmäßigen Erben des früheren persischen Reiches und herrschen nun schon seit mehr als dreihundert Jahren. Sie brüsten sich mit ihren Morden und bilden sich auf ihre Heimtücke auch noch etwas ein. Ich will mich nicht damit aufhalten, alle diese undurchsichtigen Mordintrigen aufzuzählen. Es genügt zu sagen, daß es zuletzt Vologeses gelang, seine Macht zu festigen, und daß er ein sehr schlauer Widersacher Roms wurde. Er machte seinen Bruder Tiridates zum König in Armenien, um ihn in Bedrängnis zu bringen. Armenien war durch die Kriegszüge Corbulos dreimal verheert und zurückerobert worden. In dem armenischen Krieg erlitten zwei Legionen eine so schimpfliche Niederlage, daß Corbulo jeden zehnten Mann hinrichten ließ, um die Manneszucht wiederherzustellen. Es dauerte Jahre, bis aus den verweichlichten syrischen Legionen wieder ein kampftüchtiges Heer geworden war, aber nun begannen Corbulos Anstrengungen Früchte zu tragen.

Vologeses mußte klein beigeben und Armenien als Verbündeten Roms anerkennen, um seinen Bruder von Ekbatana fernzuhalten. In Gegenwart der Legionen und der Reiterei legte Tiridates sein Diadem zu Neros Füßen nieder. Man hatte zu diesem Zweck eine Statue Neros auf einen Senatorenschemel gestellt. Tiridates gelobte und schwor, er werde selbst nach Rom kommen, um die Bundesgenossenschaft zu bekräftigen und das Diadem aus Neros Hand zurückzuerhalten.

Er ließ sich jedoch nie in Rom blicken. Auf Fragen antwortete er mit Ausflüchten. Unter anderem behauptete er, sein Glaube verbiete ihm, sich den Gefahren einer Seereise auszusetzen. Als man ihn daraufhin bat, den Landweg zu benutzen, klagte er über seine Armut. Ohne Zweifel verschlang der Wiederaufbau Armeniens alle seine Mittel.

Nero versprach ihm, für die Kosten der Landreise bis auf römischen Boden aufzukommen, doch Tiridates zog es vor zu bleiben, wo er war. Sicheren Angaben zufolge bemühte er sich, unnötig enge Verbindungen mit den armenischen Edlen anzuknüpfen, von denen immer noch einige am Leben waren, obgleich sowohl Römer wie Parther alle hinrichteten, die ihnen in die Hände fielen.

Im Senatsausschuß für orientalische Angelegenheiten betrachteten wir die Ausflüchte des Tiridates als bedenklich. Wir wußten nur zu gut, daß die Parther insgeheim Aufwiegler zu den Verbündeten Roms im Osten und sogar in die Provinzen schickten, die die Unzufriedenheit schürten, um einen Krieg zu verhindern. Sie bestachen germanische Stämme und stifteten sie zu Unruhen an, damit die Legionen nicht aus Germanien abgezogen und in den Osten verlegt werden konnten, und versuchten durch allerlei Versprechungen sogar in Britannien feindlich gesinnte Stämme zum offenen Aufruhr aufzuhetzen. In Britannien standen damals noch immer vier Legionen, um den Frieden zu sichern. Als Boten verwendete Vologeses umherziehende jüdische Händler, die sprachkundig waren und sich neuen Verhältnissen gut anzupassen verstanden.

Zum Glück erfuhr ich rechtzeitig von diesen Umtrieben, und zwar durch den alten Petro in Lugundanum. Ich war es, des großen Erbes wegen, Lugunda schuldig, eine Stadt nach ihr zu benennen. Der Ort ist glücklich gewählt und zu einem Knotenpunkt im Land der Icener geworden. Petro wohnt dort und genießt eine wohlverdiente Alterspension, die ich ihm zum Lohn für seine Treue ausbezahle. Durch ihn stehe ich weiterhin mit den Druiden in Verbindung, und er berichtet mir, was die einzelnen Stämme treiben.

Die Druiden rieten von einem Aufruhr ab, weil gewisse Vorzeichen sie davon überzeugt hatten, daß die Macht Roms auf ihrer Insel ohnehin nicht bestehen werde. Ich bin, wenn es um mein Vermögen geht, nicht abergläubisch. Ich lasse mein Geld ruhig in Britannien weiterarbeiten und sich vermehren und lege sogar immer wieder welches dort an.

Wie dem auch sei: durch meine Verbindungen mit den Druiden erfuhr ich von den verdächtigen Reisen der jüdischen Kaufleute in Britannien. Auf meinen Rat ließ der Prokurator zwei von ihnen ans Kreuz schlagen, und zwei weitere opferten die Druiden von sich aus in Weidenkörben ihren Göttern, weil die Juden, ungeachtet ihres geheimen Auftrages, in Glaubensdingen allzu selbstbewußt auftraten. Wenigstens eine der in Britannien stehenden Legionen konnte in den Osten verlegt werden. Die anderen blieben meiner Ansicht nach besser, wo sie waren.

Allmählich gelang es, unter vielen Vorsichtsmaßnahmen zehn Legionen im Osten zusammenzuziehen. Ich zähle sie nicht auf, weil sie auf dem Marsch sowohl die Nummern als auch die Adler wechseln mußten, um die parteiischen Kundschafter irrezuführen. Trotzdem war Vologeses sehr gut über die Bewegungen und die Aufstellung unserer Truppen unterrichtet, und er wußte sogar, daß wir die Absicht hatten, dem Senat und dem Volk von Rom einen Streit um Weideland am Euphrat als Kriegsursache darzustellen. Corbulo, der noch gut bei Kräften war, hatten wir in einer geheimen Ausschußsitzung die Ehre bewilligt, als Kriegserklärung einen Speer über den Euphrat auf parthisches Gebiet zu werfen. Er versicherte in einem Brief, er sei dazu imstande, versprach aber, vorsichtshalber täglich zu üben, damit der Speer nicht ins Wasser fiel, sondern wirklich das umstrittene Weideland erreichte.

Neros schon seit langem geplante Reise nach Griechenland kam nun sehr gelegen und diente unseren militärischen Absichten als Tarnung^ Nicht einmal die Parther konnten daran zweifeln, daß es Nero wirklich darum zu tun war, bei den uralten Spielen der Griechen Sängerlorbeer zu gewinnen, und es konnte keinen Verdacht erwecken, daß er zu seinem Schutz die eine der beiden Prätorianerlegionen mitnahm und die andere zur Bewachung seines Thrones zurückließ.

Tigellinus versprach, Neros Gegner während seiner Abwesenheit im Zaum zu halten, so bitter er es auch beklagte, daß ihm nicht die Ehre vergönnt war, mit dem Kaiser zu reisen. Selbstverständlich wollte jeder, der jemand zu sein glaubte, den Kaiser begleiten, um Zeuge seiner Siege im Wettstreit der Sänger zu sein und sich in seiner Nähe aufzuhalten. Es war darunter so mancher, der von dem geplanten Krieg und den Möglichkeiten, sich auszuzeichnen, die er bot, nichts wußte und vermutlich Krankheit oder irgendeinen anderen Hinderungsgrund vorgeschützt haben würde, wenn er davon gewußt hätte.

Zwar waren Nachrichten von dem Aufruhr der Juden in Jerusalem und Galiläa, der selbstverständlich von den Parthern geschürt wurde, nach Rom gelangt, aber keiner von uns nahm sie wirklich ernst. In diesen Gegenden gab es immer Streit, ob nun Felix Prokurator war oder Festus. König Herodes Agrippa schien allerdings aufrichtig bekümmert zu sein.

Wir beschlossen im Ausschuß für orientalische Angelegenheiten, aus Sicherheitsgründen eine ganze Legion aus Syrien hinzuschicken, um diesen zur Unzeit auftretenden Unruhen mit harter Faust ein Ende zu machen. Die Legion konnte ein wenig Kampferfahrung sammeln, wenn schon keinen größeren Kriegsruhm gewinnen. Jedenfalls waren die mit Keulen und Steinschleudern bewaffneten Juden unserer Meinung nach nicht imstande, einer gut ausgebildeten Legion nennenswerten Widerstand zu leisten.


So kam nun die langersehnte Reise nach Griechenland, mit der Nero seine Künstlerlaufbahn zu krönen gedachte, endlich zustande. Er hatte befohlen, daß alle Wettspiele unmittelbar nacheinander abgehalten werden mußten, so daß er gleich nach seiner Ankunft an allen teilnehmen konnte.

Soviel ich weiß, war dies das einzige Mal, daß die Olympischen Spiele auf einen früheren Zeitpunkt vorverlegt wurden, und man kann sich ausmalen, was für Schwierigkeiten das mit sich brachte. Nicht zuletzt kam die griechische Zeitrechnung durcheinander, denn stolz auf ihre Vergangenheit rechnen die Griechen, mit den ersten Spielen in Olympia beginnend, noch immer in Olympiaden, obwohl sie sich damit begnügen könnten, die Jahre, bescheiden wie wir Römer, ganz einfach von der Gründung der Stadt an zu zählen. Damit hätten wir eine einheitliche Zeitrechnung, aber den Griechen ist nichts umständlich genug.

Im letzten Augenblick vor der Abreise weigerte sich Nero, Statilia Messalina mitzunehmen. Als Grund gab er an, er könne im Falle eines Kriegsausbruchs nicht für ihre Sicherheit bürgen. Der wahre Grund trat unterwegs ans Licht. Nero hatte endlich den Menschen gefunden, der in allen Zügen Poppaea ähnelte. Er hieß Sporus und war leider keine Frau, sondern ein ungewöhnlich schöner Jüngling.

Sporus versicherte jedoch, er fühle sich in seinem Herzen mehr als Mädchen denn als Knabe. Daher ließ Nero auf seinen eigenen Wunsch einen kleinen Eingriff an ihm vornehmen und gab ihm Arzneien, die ein alexandrinischer Arzt empfohlen hatte, um den Bartwuchs zu unterbinden, die Brust zu vergrößern und überhaupt die aphrodisischen Eigenschaften zu entwickeln.

Um nicht später noch einmal auf diese Geschichte, die viel böses Blut machte, zurückkommen zu müssen, will ich gleich berichten, daß Nero sich in Korinth unter den üblichen Zeremonien mit Sporus vermählte und diesen hinfort als seine Gattin behandelte. Nero selbst behauptete allerdings, die Trauung mit der Überreichung der Mitgift, den Schleiern, dem Umzug und was sonst noch dazugehört, sei eine reine Formsache, die eben von gewissen Mysterien gefordert werde, im übrigen aber nicht rechtlich bindend. Seiner Göttlichkeit wegen betrachtete er sich als zwiegeschlechtig wie alle männlichen Götter. Alexander der Große hatte viel zu dieser Anschauung beigetragen, als er sich in Ägypten zum Gott erhöhen ließ. Deshalb sah Nero in seinen Neigungen eine Art zusätzlichen Beweis für seine Göttlichkeit.

Er war von der Richtigkeit seiner Anschauung so überzeugt, daß er sich die gröbsten Scherze auf Sporus’ Kosten gefallen ließ. Eines Tages fragte er im Spaß einen als Stoiker bekannten Senator um seine Meinung über diese Ehe. Der Alte antwortete boshaft: »Es stünde besser um die Welt der Menschen, wenn auch dein Vater Domitius so eine Gattin gehabt hätte.« Nero nahm es ihm nicht übel, sondern lachte laut.

Über Neros Siege in den musikalischen Wettspielen ist genug geschrieben worden. Er brachte ja über tausend Siegeskränze heim. Nur bei den olympischen Wagenrennen erging es ihm übel, denn beim Rennen der Zehngespanne stürzte er am Wendepfahl vom Wagen und konnte gerade im letzten Augenblick noch die Zügel kappen, die er sich um den Leib geschlungen hatte. Er zog sich ein paar böse Schrammen zu, aber als Lohn für seine Kühnheit bewilligten ihm die unparteiischen Preisrichter einstimmig einen Kranz. Nero fand jedoch, er könne ihn nicht annehmen, da er das Rennen hatte aufgeben müssen. Er begnügte sich mit den Olivenkränzen, die er im Sängerwettstreit und beim Ringen gewann.

Auch in anderen Fällen versuchte Nero nach bestem Vermögen sich so ehrenhaft zu verhalten, wie es dem Geist der Spiele entsprach, und er hütete sich, seine Mitbewerber im Sängerwettstreit so grob zu verunglimpfen, wie er es in Rom gewohnt war. Seine Siege waren um so verdienstvoller, als er vom Mißgeschick verfolgt wurde. Eine ganze Woche lang litt er heftige Zahnschmerzen, so daß der kranke Zahn zuletzt gezogen werden mußte. Er zerbrach trotz der Geschicklichkeit des Arztes in der Zange, und die Wurzeln mußten Stück für Stück aus den Kiefer gestochert werden. Nero ertrug den Schmerz mannhaft.

Zum Glück hatte der Arzt ein Betäubungsmittel, und Nero trank sich vorher einen Rausch an, wie es der mutigste Mann gern tut, ehe er sich dem Zahnbrecher ausliefert. Wieweit der Zahnschmerz und die Schwellung seine Stimme beeinträchtigten und seine Angst vor dem Auftreten verstärkten, mögen Sachkundigere als ich beurteilen.

Als einen Beweis für Neros Ehrenhaftigkeit sehe ich es auch an, daß er, als man ihm anbot, ihn in die Eleusinischen Mysterien einzuweihen, diese Ehre bescheiden ablehnte, indem er darauf hinwies, daß er im Ruf eines Muttermörders stehe. Böse Zungen behaupteten später freilich, er habe die Strafe der Götter gefürchtet, falls er an diesem heiligsten aller Mysterien teilnähme. Das ist ein haltloses Geschwätz. Nero wußte, daß er selbst ein Gott war wie die anderen Götter des Landes auch, wenngleich er aus reiner Bescheidenheit diese öffentliche Ehrung ablehnte. Wir im Senat waren mit großer Mehrheit bereit, ihn schon zu Lebzeiten zum Gott zu erhöhen, sobald er nur wollte.

Nachdem ich mir die Sache überlegt hatte, kam ich zu dem Schluß, daß es auch für mich das beste war, nicht an den eleusinischen Zeremonien teilzunehmen. Den Priestern erklärte ich unter dem Siegel der Verschwiegenheit, daß ich, ohne zu wissen, was ich tat, gezwungen gewesen war, meinen eigenen Sohn hinrichten zu lassen. So vermied ich es, die heilige Priesterschaft zu beleidigen, und konnte Nero sagen, ich schlösse mich aus Freundschaft zu ihm von den Mysterien aus. Er vertraute mir darum um so mehr, und das sollte mir binnen kurzem zustatten kommen.

In Wirklichkeit sagte ich mir, daß Claudia mir allzu viele Fragen gestellt haben würde, wenn ich mich hätte einweihen lassen. Ich verzichtete also um des Hausfriedens willen darauf, obwohl ich es danach bereute, als ich sah, wie die anderen Senatoren noch Tage nach der Einweihung offensichtlich glücklich waren, weil sie göttliche Geheimnisse erfahren hatten, die seit Menschengedenken noch kein Eingeweihter Außenstehenden entdeckt hat.

Und dann kam die unglaubliche, beschämende Eilbotschaft, daß jüdische Freischaren die syrische Legion, die aus Jerusalem geflohen war, zersprengt und bis auf den letzten Mann niedergemacht hatten. Den eroberten Legionsadler hatten die Juden als Opfergabe in ihrem Tempel aufgestellt.

Ich nenne weder die Nummer noch das Losungswort der Legion, denn sie wurde aus den Rollen getilgt. Noch heute verbieten die Zensoren, daß diese Legion in den Annalen Roms erwähnt wird. Die Geschichtsschreiber verschweigen am liebsten sogar den Aufstand der Juden, obwohl sich Vespasian und Titus ihres späteren Sieges nicht zu schämen brauchten, sondern sogar einen Triumph feierten. Zum Teil war es allerdings bloße Sparsamkeit, daß man die Legion einfach ausstrich, denn es kam nicht zum Krieg gegen die Parther.

Ich gestehe, daß ich meinen ganzen Mut zusammennehmen mußte, um Nero Aug in Aug gegenüberzutreten, als er vom Ausschuß für orientalische Angelegenheiten eine Erklärung zu dem Geschehenen forderte. Es war seiner Ansicht nach unfaßbar, daß wir nicht gewußt hatten, wie weit die jüdischen Aufrührer die Mauern Jerusalems verstärkt hatten und wie es ihnen gelungen war, sich heimlich Waffen zu verschaffen und Truppen auszubilden, was sie zweifellos getan hatten, denn anders hätten sie niemals eine ganze Legion aufreiben können.

Ich als der Jüngste wurde vorgeschoben, um meine Ansicht zu sagen, wie es beim Kriegsrat üblich ist. Vermutlich vertrauten meine Amtsbrüder auf die Freundschaft zwischen Nero und mir und wollten mir gar nichts Böses, und außerdem fällt es mir im allgemeinen nicht schwer zu sprechen.

Ich konnte auf die Verschlagenheit der Parther hinweisen und auf die ungeheuren Summen, die Vologeses ausgegeben hatte, um Roms Streitkräfte zu binden, wo immer es möglich war. Die Juden hatten die Waffen vermutlich von ihm gekauft oder vielleicht sogar geschenkt bekommen, und es war ihnen ein leichtes gewesen, sie unbemerkt von unseren Grenzwachen durch die Wüste nach Judäa zu schaffen. Man wußte außerdem, wie treu diese jüdischen Aufwiegler ihrer Sache anhingen, so daß es niemanden zu wundern brauchte, daß die Vorbereitungen nicht verraten worden waren.

Die fortwährenden Streitigkeiten, während Felix und Festus als Statthalter in Caesarea saßen, hatten alle, auch die Klügsten, in Sicherheit gewiegt. Viel Geschrei, wenig Wolle, sagt man. In Judäa wie anderswo glaubten wir zu herrschen, indem wir teilten. »Das größte Wunder ist es«, sagte ich, »daß die uneinigen jüdischen Parteien sich zum gemeinsamen Aufruhr zusammenschlossen.«

Vorsichtig wies ich auch auf die entsetzliche Macht des jüdischen Gottes hin, von der in den heiligen Schriften der Juden überzeugende Beispiele zu finden sind, obwohl dieser Gott weder Abbild noch Namen hat, sondern nur durch gewisse Umschreibungen genannt wird. Dann fuhr ich fort: »Vieles ließe sich noch erklären. Eines aber ist unbegreiflich: Wie konnte Corbulo, in dessen Hände der kommende Krieg gelegt war, trotz seinem Feldherrnruhm und seinen Erfolgen in Armenien dies alles geschehen lassen? Es ist seine Sache und nicht die des Prokonsuls in Syrien, in Judäa und Galiläa die Ordnung wiederherzustellen und somit Stützpunkte für die weitere Kriegführung zu schaffen. Offenbar hat Corbulo seine ganze Aufmerksamkeit nach Norden gerichtet und die Hyrkaner darauf vorbereitet, die parthischen Truppen an dem Meer dort oben zu binden. Indem er sich aber nur einer Einzelheit des großen Planes widmete, verlor er den Überblick über das Ganze, beurteilte die Lage falsch und bewies damit, daß er ungeachtet seines Ansehens nicht das Zeug zu einem wirklich großen Heerführer hat.«

Das war meiner Ansicht nach die Wahrheit, und im übrigen verband mich mit Corbulo keine Freundschaft. Ich kannte ihn nicht einmal näher. Außerdem muß die Freundschaft beiseite treten, wenn der Staat in Gefahr ist. Dieser Grundsatz wird jedem Senator eingeprägt. Manchmal wird er sogar befolgt. Es ging aber nicht nur um das Wohl des Staates, es ging um unser eigenes Leben, und wir hatten keine Ursache, Corbulo zu schonen.

Ich erkühnte mich sogar zu bemerken, daß der Krieg gegen die Parther unserer Meinung nach aufgeschoben werden mußte, bis der Aufruhr in Jerusalem niedergeworfen war. Dazu brauchte man zunächst drei Legionen. Zum Glück standen die Legionen schon in ihrem Aufmarschgebiet, und wir hatten genug Belagerungsmaschinen, um auch die stärksten Mauern zu brechen. Mit dem Aufstand der Juden in Jerusalem konnten wir im Handumdrehen fertig werden. Gefährlicher schien es mir, daß es jüdische Kolonien in fast allen Städten des Reiches gab, von den dreißigtausend Juden Roms ganz zu schweigen.

Nero ließ mich zu Ende sprechen. Seine Erregung schien sich allmählich zu legen. Ich beeilte mich daher zu versichern, daß die Juden der Julius-Caesar-Synagoge in Rom nichts mit dem Aufruhr zu tun hatten. Dafür konnte ich geradestehen, obwohl ihre Abgaben an den Tempel zu Jerusalem offenbar dazu mißbraucht worden waren, den Aufruhr zu finanzieren. »Aber auch Poppaea schickte, nichts Böses ahnend, Geschenke an den Tempel.«

Als ich schwieg, wagte kein anderer ums Wort zu bitten. Nero dachte lange nach. Er runzelte die Stirn und biß sich auf die Lippen. Dann verabschiedete er uns mit einer ungeduldigen Handbewegung. Er hatte an anderes zu denken. Wir sollten zur Strafe für unsere Versäumnisse eine Weile warten und im ungewissen bleiben.

Nero gedachte in seiner Eigenschaft als Imperator, ohne den Senat anzuhören, einen Befehlshaber zu ernennen, der seiner Ansicht nach fähig war, Jerusalem zu erobern, und ihm die dazu nötigen Truppen zur Verfügung zu stellen. Corbulo hatte er bereits rufen lassen, damit er ihm über Geschehenes und Ungeschehenes Rechenschaft ablege. Den parthischen Feldzug auf unbestimmte Zeit aufzuschieben war ein so ernster Entschluß, daß Nero zuerst die Vorzeichen erfragen und ein Opfer verrichten wollte.

Wir waren ein wenig erleichtert, als wir gingen, und ich lud meine Amtsbrüder zu einem guten Mahl in meiner Herberge, aber obwohl meine beiden berühmten Köche ihr Bestes getan hatten, wollte uns das Essen nicht recht schmecken. Wir sprachen über den Aufruhr und dachten nicht daran, Wasser in den Wein zu mischen. Meine Gäste äußerten so bittere und voreingenommene Ansichten über die Juden, daß ich mich gezwungen sah, ihnen zu widersprechen und die Juden geradezu in Schutz zu nehmen.

Sie haben gewiß auch ihre guten, achtenswerten Eigenschaften, und sie kämpften für die Freiheit ihres Volkes. Im übrigen war Judäa kaiserliche Provinz und nicht senatorische. Nero trug an dem Aufruhr selbst die Schuld, denn er hatte nach Felix einen rücksichtslosen Räuber wie Festus zum Prokurator ernannt.

Ich legte vielleicht ein wenig zu viel Eifer in meine Verteidigungsrede, denn die anderen Senatoren, denen der Wein schon zu Kopf gestiegen war, betrachteten mich mit verwunderten Blicken, und zuletzt sagte einer voll Verachtung: »Es scheint zu stimmen, was über dich gesagt wird. Du bist wirklich ein Narbenschwanz.«

Ich wollte diesen scheußlichen Spitznamen eigentlich verschweigen, aber dank dem Spottgedicht Deines bärtigen Freundes Juvenal ist er ohnehin wieder in aller Leute Mund. Nein, ich mache Dir keine Vorwürfe, mein Sohn, weil Du das Gedicht liegen ließest, als Du das letzte Mal hier warst, um Deinen Vater eine Freude zu machen. Es ist nur gut, daß ich erfahre, was man von mir denkt und was Du von Deinem Vater denkst. Außerdem gebrauchen die Dichter heutzutage noch viel unflätigere Ausdrücke. Soweit ich es verstehe, wollen sie die Wahrheit und den natürlichen Sprachgebrauch gegen die gekünstelte Schönrederei verteidigen, die uns Seneca hinterlassen hat. Vielleicht haben sie recht. Aber den Bart haben sie Titus abgeschaut, der diese Mode in Rom einführte, als er aus Jerusalem heimkehrte.

Corbulo vermochte nichts mehr zu retten. Nero wollte ihn nicht einmal sehen. Corbulo erhielt den Befehl, Selbstmord zu begehen, kaum daß er in Kenchreae an Land gegangen war. »Wenn ich das Glück gehabt hätte, unter einem anderen Kaiser zu leben, würde ich Rom die ganze Welt erobert haben«, sagte er. Dann stürzte er sich auf dem Kai in sein Schwert, nachdem er verfügte, daß es zerbrochen und ins Meer geworfen werden sollte, damit es nicht in unwürdige Hände geriet. Gleichwohl glaube ich nicht, daß er ein großer Feldherr war. Das beweist sein Fehlurteil, als sich ihm die größte Gelegenheit seines ganzen Lebens bot.

Nero hatte genug Vernunft, von seinem Lieblingsgedanken, eine Vorstellung in Ekbatana zu geben, abzulassen. Er war ein geschickter Schauspieler, und es fiel ihm nicht schwer, überzeugend zu stolpern, als er das Opfer darbrachte. Wir konnten also mit eigenen Augen sehen, daß die unsterblichen Götter die Unterwerfung der Parther noch nicht wünschten. Um ein verheerendes Unglück zu vermeiden, war es daher das klügste, den Feldzug aufzuschieben. Er hätte zu diesem Zweck auch gar nicht durchgeführt werden können, denn Vespasian verlangte, sobald er sich mit der Lage vertraut gemacht und genaue Erkundigungen über die Kriegsvorbereitungen der Juden eingezogen hatte, für die Belagerung Jerusalems vier Legionen.

Denn unbegreiflich sind die Wege der Vorsehung, wie Deine Mutter griesgrämig zu sagen pflegt, wenn mir wieder einmal ein Unternehmen geglückt ist. Ausgerechnet meinen früheren Vorgesetzten Flavius Vespasian beauftragte Nero in seiner Launenhaftigkeit mit der Belagerung Jerusalems. Vespasian wehrte sich bis zuletzt. Er erklärte, er sei des Kriegführens müde und habe in Britannien genug Ehre erworben, er sei ein alter Mann und es genüge ihm, Mitglied zweier Priesterkollegien zu sein.

Da er wirklich nicht mehr der Jüngste war und noch unmusikalischer als ich, widerfuhr ihm eines Tages das Mißgeschick, einzuschlafen, als Nero an einem Sängerwettstreit teilnahm. In seinem Zorn kommandierte ihn Nero zu einer beschwerlichen Strafexpedition ab, bei der keine Ehre zu gewinnen war. Er ließ sich zuletzt zwar durch seine Tränen erweichen, gab ihm aber dafür den endgültigen Befehl, Jerusalem zu belagern, und tröstete ihn, indem er sagte, nun habe er, Vespasian, eine einmalige Gelegenheit, sich an den Schätzen der Juden zu bereichern. So brauchte er nicht mehr Maulesel zu verkaufen, was ohnehin eine eines Senators unwürdige Beschäftigung war, und nicht mehr ständig über seine Armut zu jammern.

Die Ernennung Vespasians wurde allgemein als ein Beweis für Neros Wahnsinn angesehen. Vespasian war in dem Maße verachtet, daß Neros Lieblingssklaven ihn mit der größten Unhöflichkeit behandelten, wenn er sich bei seltenen Gelegenheiten einmal im Goldenen Haus blicken ließ. Eingeladen wurde er nur einmal im Jahr, an Neros Geburtstag, und selbst für diese Gunst mußte er sich erkenntlich zeigen, indem er Poppaea und später Statilia Messalina ein paar Maulesel schenkte.

Mit den Verhältnissen im Osten war Vespasian nicht vertraut. Es wäre niemandem eingefallen, ihn für einen Ausschuß oder irgendeinen Sonderauftrag vorzuschlagen. Dagegen hätte Ostorius, den Claudius seinerzeit gleichsam aus Versehen nach Britannien geschickt und der sich dort ausgezeichnet hatte, gern den Befehl über die Legionen übernommen, um den Aufstand der Juden niederzuwerfen. Er äußerte diesen Wunsch so oft, daß Nero schließlich mit gutem Grund mißtrauisch wurde und ihn enthaupten ließ. Vespasian hingegen vertraute er um so mehr, als dieser sich sträubte, den Auftrag zu übernehmen, und ihn als Strafe für seine Schläfrigkeit betrachtete, die er nicht genug verfluchen konnte.

Immerhin zweifelte Nero selbst so sehr an der Richtigkeit seiner Wahl, daß er Vespasian aufforderte, seinen Sohn Titus mitzunehmen, der sich gleichfalls in Britannien ausgezeichnet und als ganz junger Mann einmal seinen Vater durch einen kühnen Reiterangriff aus einem Hinterhalt der Briten herausgehauen hatte. Nero hoffte, Titus werde seinen Vater durch seinen jugendlichen Eifer anspornen und ihm helfen, Jerusalem in kürzester Zeit zu erobern.

Er ermahnte Vespasian jedoch, unnötige Verluste zu vermeiden, denn er hatte von den starken Mauern Jerusalems gehört. Die Lage der Stadt war in militärischer Hinsicht so vorteilhaft, daß es sogar Pompejus seinerzeit schwergefallen war, Jerusalem einzunehmen, und Vespasian war nach Neros eigener Ansicht mit Pompejus nicht zu vergleichen.

Ich fand in Korinth Gelegenheit, wieder Verbindungen mit meinem früheren Befehlshaber anzuknüpfen, und bot ihm freien Aufenthalt in dem neuen prächtigen Haus meines Freigelassenen Hierax. Vespasian war mir dafür sehr dankbar. Ich war überhaupt auf der ganzen Reise der einzige Mann von Rang, der den einfachen, kriegsmüden Vespasian anständig behandelte.

Ich bin, was meine Freundschaften anbelangt, weder voreingenommen noch sonderlich wählerisch. Das dürfte mein Lebenslauf bewiesen haben. In meinen Augen waren die unbeschwerten Jugendjahre, die ich unter seinem Befehl in Britannien verbracht hatte, ein hinreichender Grund, seine barsche Freundlichkeit durch eine Gastlichkeit zu vergelten, die mich nichts kostete.

Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht angebracht, noch einmal darauf hinzuweisen, dal? ich bei der Aufdeckung der Pisonischen Verschwörung alles tat, um die Flavier zu schonen, was wegen des Mordplans des Flavius Scevinus wahrhaftig nicht leicht war. Zum Glück gehörte er einer eher verachteten Seitenlinie dieses Geschlechtes an. Ich hatte ihn selbst angezeigt und hatte daher ein gewisses Recht, für die anderen Flavier ein gutes Wort einzulegen.

Auf Vespasian fiel nie der Schatten eines Verdachts, denn er war so arm, daß er seine Stellung als Senator nur mit knapper Not zu halten vermochte. Ich hatte eines meiner Landgüter auf seinen Namen überschreiben lassen, als die Zensoren bemerkten, daß er die Vermögensbedingungen nicht mehr erfüllte. Außerdem kannte man ihn allgemein als einen so rechtschaffenen Mann, daß es der schäbigste Verräter nicht der Mühe wert fand, seinen Namen auf eine Liste zu setzen.

Ich erwähne all dies, um zu zeigen, wie fest ich seit jeher mit den Flaviern verbunden war und welchen Wert Vespasian schon zu einer Zeit auf meine Freundschaft legte, da einer von Neros Sklaven ihm noch ungestraft vor die Füße spucken durfte, obwohl er Senator war und den Konsulsrang innehatte. Und meine Freundschaft war ganz uneigennützig. Den Traum, den ich damals gehabt hatte, als die Druiden mich in Schlaf versenkten, hatte ich längst vergessen, aber das wird mir natürlich niemand glauben, denn ich gelte als ein Mann, der immer und überall auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. So stellt mich ja auch das Spottgedicht Deines Freundes dar.

Im Haus des Hierax hatte ich Gelegenheit genug, festzustellen, daß »manche Menschen ungeschliffenen Edelsteinen gleichen, indem sie nämlich unter der rauhen Oberfläche glänzende Eigenschaften verbergen«, wie Dein bärtiger junger Freund Juvenal gerade unlängst erst schrieb, um dem Kaiser Vespasian zu schmeicheln. Ich kenne diesen Burschen durch und durch. Er hat allen Grund, nach der Gunst des Kaisers zu streben, denn seine ungebührliche Sprache und seine frechen Spottverse haben Anstoß erregt. Nicht bei mir, denn er ist ja Dein Freund. Nach der Art junger Menschen bewunderst Du den, der die loseste Zunge hat. Denk aber wenigstens daran, daß Du vier Jahre jünger bist als dieser ungewaschene Lümmel.

Wenn ich eines mit Sicherheit sagen kann, so ist es das, daß Juvenals unanständige Verse bald vergessen sein werden. Ich habe schon so manchen heller strahlenden Stern als den seinen aufflammen und wieder verlöschen sehen. Außerdem werden ihm seine alberne Trunksucht, seine Unverschämtheit, seine üble Gewohnheit, die Nacht zum Tag zu machen, und dieses ständige Geklimper mit ägyptischen Spielwerken bald noch den letzten Rest echter dichterischer Begabung austreiben, den er vielleicht noch besitzen mag.

Ich schreibe das nicht, weil Du ein Spottgedicht bei mir liegen ließest, das ein verachtungswürdiger junger Mann über mich geschrieben hat, weil ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren konnte, seine Versuche in meinem Verlag erscheinen zu lassen. Nein, so einfältig bin ich nicht. Ich mache mir nur ernste Sorgen um Dich, mein Sohn.

In Korinth gewann ich Vespasians Freundschaft in dem Maße, daß er mich, ehe er nach Ägypten reiste, um die beiden Legionen zu übernehmen, die dort in Garnison lagen, eindringlich bat, ihm meine Sachkenntnis und meine guten Beziehungen zu den Juden zur Verfügung zu stellen und ihn ins Feld zu begleiten. Ich mußte höflich ablehnen. Es handelte sich ja damals um, keinen wirklichen Krieg, sondern nur um eine Strafexpedition gegen aufrührerische Untertanen.

Als Vespasian abgereist war, ließ Nero, um seine Absichten zu tarnen, die Prätorianerlegion bei Korinth einen Kanal graben. Dieses Unternehmen war auf seinen Befehl schon früher in Angriff genommen worden, hatte aber wieder aufgegeben werden müssen, weil sich die unheimlichsten Dinge ereigneten. Die tagsüber ausgehobenen Gräben füllten sich während der Nacht mit Blut, und im Dunkeln konnte man entsetzliche Klagerufe hören, die bis in die Stadt hinüberhallten und den Korinthern Angst und Schrecken einjagten. Das ist die reine Wahrheit und kein dummes Geschwätz. Ich weiß es nämlich aus der sichersten Quelle, die es in diesem Falle gibt.

Hierax hatte im Zuge seiner glänzenden Geschäfte auch sehr einträgliche Anteile an der Gleitbahn erworben, auf der die Schiffe über die Landenge getreidelt wurden. Es versteht sich von selbst, daß die Besitzer dieser Bahn, die beträchtliche Gelder investiert hatten – nicht zuletzt in die kräftigen Sklaven, die zu dieser Arbeit erforderlich waren –, von einem Kanal nichts wissen wollten. Hierax hatte jederzeit frisches Blut in großen Mengen, denn er verkaufte in seinen wassergekühlten Fleischläden auch an Juden und mußte daher die Schlachttiere, so wie es die Juden verlangten, vollständig ausbluten lassen, bevor sie zerteilt wurden.

Aus diesem Blut, das in Blasen aufbewahrt wurde, ließ er gewöhnlich Blutwürste für die Sklaven in seiner Kupfergießerei braten. Auf den Rat seiner Geschäftsfreunde hin opferte er, ohne auf seinen eigenen Vorteil zu sehen, das während mehrerer Tage anfallende Blut und ließ es in den Nächten in die Gräben auf dem Bauplatz schaffen. Für das Seufzen und Jammern der Verstorbenen sorgten seine Geschäftsfreunde. Daß sich dergleichen leicht bewerkstelligen läßt, habe ich, glaube ich, schon berichtet, als ich erzählte, wie Tullias Haus mein gesetzliches Eigentum wurde.

Nero verriet ich selbstverständlich nichts von dem, was mir Hierax anvertraute, und ich hatte ja auch keinen Grund, den Kanalbau zu unterstützen. Als sich die Prätorianer weigerten weiterzuarbeiten, weil die unheimlichen Geschehnisse sie erschreckten und körperliche Arbeit ihnen außerdem zuwider war, setzte es sich Nero erst recht in den Kopf, seinen Plan auszuführen, und grub unter großen Festlichkeiten mit eigenen Händen die erste Grube in der zukünftigen Fahrrinne. Die Prätorianer und das Volk von Korinth sahen ihm zu.

Auf seine eigenen kaiserlichen Schultern hob er den ersten Korb Erde und trug ihn tapfer an das zukünftige Kanalufer. Diese Grube füllte sich nicht mit Blut, und das nächtliche Klagegeschrei hörte auf. Die Prätorianer faßten wieder Mut und gruben weiter, und die Zenturionen erleichterten ihnen die Arbeit mit Stockhieben, um selbst nicht zur Schaufel greifen zu müssen. Das trug dazu bei, daß die Prätorianer Nero noch bitterer zu hassen begannen als den strengen Tigellinus, der sie durch gewöhnliche Übungsmärsche bestrafte. Sie gaben eben ihre letzten Kräfte lieber draußen auf den Straßen her als am Spatenstiel.

Ich selbst hatte nach gründlicher Überlegung Hierax gebeten, kein Blut mehr in die Gräben schütten zu lassen. Meine wahren Gründe gab ich nicht preis. Ich riet ihm nur, um seiner eigenen Gesundheit willen den Verlust wie ein Mann zu tragen. Hierax befolgte meinen Rat um so lieber, als der mißtrauische Nero dazu übergegangen war, in der Nacht Wachen aufzustellen, die alle Unbefugten am Betreten des Kanalgeländes hinderten.

Hierax und seine jüdischen Verbindungen in Korinth brachten mir großen Nutzen. Ich hatte nämlich, gleich als die Nachricht vom Untergang der Legion in Judäa eintraf, allen Judenchristen eine, Warnung zugehen lassen und ihnen geraten, sich still zu verhalten, denn Nero sandte damals nach Italien und in alle Provinzen den Befehl, jeden jüdischen Aufwiegler beim geringsten Anzeichen von Unruhen sofort festzunehmen und hinzurichten.

Man konnte von einem römischen Beamten nicht gut verlangen, daß er zwischen dem himmlischen und dem irdischen Reich oder zwischen einem Christus und irgendeinem anderen Messias unterschied. Ein Aufwiegler war ein Aufwiegler. Für den Verstand eines Römers war das Wirken der Judenchristen nichts anderes als politische Hetze unter einem religiösen Deckmantel. Die Sache wurde dadurch nicht besser, daß Nero nach zahllosen Schnellverfahren und Hinrichtungen öffentlich als der Antichrist bezeichnet wurde, dessen Kommen Jesus von Nazareth prophezeit hatte. Nero nahm ihnen allerdings diesen Spitznamen nicht übel, sondern stellte lediglich fest, daß die Christen ihn offensichtlich als einen ihrem Christus ebenbürtigen Gott betrachteten, da sie ihn durch einen so großartigen Namen ehrten.

Im Grunde ist die Schwäche der Christen gerade darin zu sehen, daß sie die Politik verachten, sich jeder politischen Betätigung enthalten und ihre Hoffnung auf ein unsichtbares Reich richten, das nach allem, was ich davon verstehe, keine Gefahr für den Staat bedeutet. Deshalb haben sie, nun da ihre Führer tot sind, keine Zukunft auf dieser Welt. Ihr Glaube wird bald ganz verschwunden sein, nicht zuletzt, weil sie fortwährend Streit miteinander haben und der eine dies glaubt und der andere das und jeder seinen Glauben für den einzig richtigen hält. Das ist meine feste Überzeugung, was immer Deine Mutter behaupten mag. Eine Frau hat keinen Sinn für die politische Wirklichkeit.

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