XII

DER VERRÄTER


Am Abend vor dem Ceresfest, nach einer letzten Unterredung mit Antonius Natalis und nachdem wir andern alle Pisos Haus schon längst verlassen hatten, begab sich Flavius Scevinus heim und begann in düsterer Stimmung sein Testament zu diktieren. Während er diktierte, zog er seinen berühmten Dolch aus der Scheide und bemerkte, daß er vor Alter grün und stumpf geworden war. Er übergab ihn seinem Freigelassenen Milichus zum Schleifen und gebot ihm mit erschreckend wirren Worten und fahrigen Gesten, Stillschweigen über die Sache zu bewahren. Dadurch wurde Milichus mißtrauisch.

Scevinus befahl weiter gegen seine Gewohnheit, ein Festmahl für alle Hausgenossen aufzutischen. Während des Mahles ließ er, bald schluchzend, bald mit gezwungener Heiterkeit, mehrere seiner Sklaven frei und teilte an die anderen Geldgeschenke aus. Dann brach er zusammen und bat Milichus unter Tränen, Wundverbände und blutstillende Arzneien herzurichten. Nun konnte Milichus nicht mehr daran zweifeln, daß sich schlimme Dinge vorbereiteten. Vielleicht hatte er auch von der Verschwörung munkeln hören.

Er beriet mit seiner Frau, was zu tun sei, und sie führte ihm mit dem gesunden Hausverstand der Frauen vor Augen, daß der zuerst mahlt, der zuerst zur Mühle kommt. Es ging um sein eigenes Leben. Mehrere andere Freigelassene und Sklaven hatten dasselbe gehört wie er. Es nutzte also nichts, zu schweigen. Im Gegenteil, Milichus mußte trachten, der erste zu sein, der Scevinus anzeigte. An sein Gewissen, an das Leben seines Hausvaters und seine Dankesschuld diesem gegenüber brauche er nun nicht zu denken, meinte seine Frau. Der reiche Lohn würde ihn dies alles nach und nach vergessen machen.

Milichus fand jedoch zunächst keine Gelegenheit, das Haus zu verlassen, denn 5cevinus konnte, obwohl er so viel getrunken hatte, nicht schlafen. Dazu kam, daß Atria Gallia, die Gattin des Scevinus, die um ihrer Schönheit, ihrer Scheidungen und ihres leichtfertigen Lebens willen berühmt war, durch das reichliche Mahl angeregt, gewisse Dienste von Milichus forderte, gegen die weder dessen Frau noch Scevinus – dieser aus nur ihm bekannten Gründen – etwas einwenden durfte. Ich glaube, dieser Umstand hatte einiges mit dem Rat zu tun, den die Frau des Milichus ihrem Manne gab, und erwähne ihn, um sie zu entschuldigen.

Erst in der Morgendämmerung erreichte Milichus mit Fortunas Dolch als Beweisstück unter dem Mantel die Gärten des Servilius. Aber die Türhüter ließen selbstverständlich nicht einmal diesen freigelassenen Sklaven ein und wollten um jeden Preis verhindern, daß er Nero am Morgen des heiligen Ceresfestes störte. In diesem Augenblick traf Epaphroditus mit einem Paar schöner junger Geparde ein, die er am frühen Morgen Nero bringen sollte. Nero wollte sie der Gemahlin des Konsuls Vestinus, Statilia Messalina, der er zur Zeit den Hof machte, schenken, damit sie während der Wagenrennen mit den schönen Tieren in der Konsulenloge Aufsehen erregen konnte. Epaphroditus wurde auf den Streit vor, der Pforte aufmerksam und eilte hinzu, um die Wächter zu beruhigen, die mit den Lanzenschäften auf Milichus einschlugen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Milichus hatte nämlich in seiner Not mit lauter Stimme nach Nero zu rufen begonnen.

Ich frage mich, ob Fortuna mir davor oder danach je so deutlich ihr Antlitz gezeigt hat. Jedenfalls erfuhr ich an diesem Tage, daß Güte und Edelmut schon in diesem Leben belohnt werden können. Epaphroditus erkannte in Milichus den Freigelassenen des Flavius Scevinus wieder, der ja mit seiner Gattin Sabina verwandt war, und half ihm deshalb. Als Milichus ihm sagte, in welcher Angelegenheit er gekommen war, erfaßte Epaphroditus sofort deren Bedeutung. Er erinnerte sich seiner Dankesschuld mir gegenüber und schickte mir seinen Sklaven, der die Geparde geführt hatte, um mich von dem Vorgefallenen zu unterrichten. Erst dann ließ er Nero wecken und führte die Geparde und Milichus an dessen Bett.

Der Sklave des Epaphroditus weckte mich aus dem tiefsten Schlaf, und seine Botschaft brachte mich augenblicklich auf die Beine. Ich warf mir nur einen Mantel um und lief, bärtig und ohne einen Bissen zu mir genommen zu haben, geradewegs zum Garten des Servilius.

Der Lauf brachte mich so außer Atem, daß ich beschloß, meine Leibesübungen im Stadion wiederaufzunehmen und wieder zu reiten, falls ich durch eine Laune des Schicksals noch einmal mit dem Leben davonkommen sollte, und während ich aus Leibeskräften rannte, versuchte ich die Lage zu überdenken und mir schlüssig zu werden, welche Personen ich am besten gleich als erste anzeigen sollte, um mich in ein möglichst vorteilhaftes Licht zu setzen.

Als ich im Palast eintraf, war Nero noch immer in der übelsten Laune, weil man ihn so plötzlich geweckt hatte, obwohl er wegen des Ceresfestes schon längst hätte auf sein müssen. Er spielte gähnend in seinem riesigen Seidenbett mit den Geparden und wollte in seiner Eitelkeit den verzweifelten Erklärungen des Freigelassenen keinen Glauben schenken. Immerhin hatte er wenigstens nach Tigellinus geschickt und noch einmal mit Epicharis zu sprechen verlangt. Die Prätorianer waren bereits unterwegs, um Flavius Scevinus festzunehmen und vor Nero zu bringen, damit er seine verdächtige Handlungsweise erklärte. Nachdem er des langen und breiten von den Wundverbänden und dem Testament geschwatzt hatte, erinnerte sich Milichus, daß seine Frau ihm aufgetragen hatte, auch die lange Unterredung zu erwähnen, die ihr Hausvater mit Natalis, dem Vertrauten des Piso, gehabt hatte. Nero winkte ungeduldig ab und befahl: »Natalis soll ebenfalls kommen und selbst für sich sprechen. Aber nun muß ich mich zum Ceresfest ankleiden!«

Trotz seiner scheinbaren Gleichgültigkeit prüfte er doch mit dem Daumen die dünn geschliffene Spitze des von Grünspan verfärbten Bronzedolchs und stellte sich mit seiner lebhaften Einbildungskraft gewiß vor, was für ein Gefühl es wohl sein mochte, wenn einem diese Spitze in die Brust fuhr. Daher war er schon gnädiger gestimmt, als ich keuchend und mir den Schweiß von der Stirne trocknend erklärte, ich hätte ihm etwas zu berichten, was von größter Wichtigkeit sei und keinen Aufschub dulde.

In aller Eile entdeckte ich ihm den Mordplan der Verschwörer und nannte ohne Zögern Piso und Lateranus als deren Anführer. Die beiden konnten ohnehin nichts mehr retten. Ich stand wie auf glühenden Kohlen bei dem Gedanken, was Epicharis, nun da die Verschwörung aufgedeckt war, berichten werde, um sich neue Foltern zu ersparen.

Die jungen Geparde brachten mich auf den glücklichen Einfall, auch den Konsul Vestinus als einen der Verschwörer zu nennen, da ich wußte, daß Nero dessen schöner Gemahlin nachstellte. In Wirklichkeit hatten wir uns gar nicht erst bemüht, Vestinus für unsere Sache zu gewinnen, weil wir ihn als Anhänger der Republik kannten. Doch nun wurde Nero aufmerksam. Daß ein amtierender Konsul an einer Verschwörung teilhatte, war ein ernster Fall. Er biß sich auf die Lippen, und sein Kinn begann zu zittern, wie wenn er weinen wollte. So fest hatte er geglaubt, beim Volk beliebt zu sein!

Ich gab überhaupt am liebsten Mitglieder des Senats an, denn die Sohnespflicht gebot mir, meinen Vater zu rächen. Einhellig und ohne auch nur abzustimmen, hatte der Senat meinen Vater zum Tode verurteilt, worauf auch mein eigener Sohn Jucundus vor den wilden Tieren hatte sterben müssen. Ich war daher der Meinung, daß ich den Senatoren nichts schuldete, und im Hinblick auf meine eigenen Pläne konnte es mir nur recht sein, wenn im Senat einige Plätze frei wurden.

Nachdem ich einige Namen aufgezählt hatte, faßte ich einen raschen Entschluß und gab mit fester Stimme auch Seneca an. Er hatte selbst zugegeben, daß sein Leben von der Sicherheit des Piso abhing, so daß auch ihn nichts mehr zu retten imstande war. Mir dagegen wurde es als Verdienst angerechnet, daß ich es als erster wagte, einen so mächtigen Mann anzuzeigen. Von meinem Besuch bei ihm sagte ich natürlich nichts.

Nero schien mir zuerst nicht glauben zu wollen, und sein Erschrecken über die Falschheit seines alten Lehrers, der ihm allein alle seine Erfolge und sein ungeheures Vermögen verdankte, war mehr gespielt als wahrhaftig empfunden. Seneca war doch aus freiem Willen von seinem Amt in der Verwaltung des Reiches zurückgetreten und hatte daher keinen Grund, ihm, Nero, zu grollen! Nero vergoß sogar ein paar Tränen. Er warf die Geparde auf den Boden und fragte, warum man ihn so hasse, obgleich er doch für den Senat und das Volk von Rom sein Bestes tue und auf seine eigene Bequemlichkeit verzichte, um die schwere Last der Imperatorwürde rechtschaffen zu tragen.

»Warum haben sie mir nichts gesagt!« klagte er. »Ich habe unzählige Male erklärt, daß ich die Macht am liebsten aus den Händen geben möchte, um irgendwo in der Welt als Künstler zu leben. Warum nur hassen sie mich so?«

Es wäre nutzlos und gefährlich gewesen, ihm das erklären zu wollen. Zum Glück trafen auch schon Tigellinus und Flavius Scevinus ein, und man meldete, daß Epicharis im Hof in ihrer Sänfte wartete.

Nero hielt es für das klügste, anfangs nicht zu erkennen zu geben, daß er das Ausmaß der Verschwörung sehr wohl kannte. Er wollte Flavius Scevinus und Milichus nebeneinander verhören. Mich bat er zu gehen, und ich ging gern, da ich auf diese Weise Gelegenheit erhielt, mit Epicharis zu sprechen, sie zu warnen und mit ihr auszumachen, wer noch angezeigt werden sollte. Ich hörte noch, wie Nero nach seiner germanischen Leibwache rief, und bemerkte, daß er Tigellinus mißtrauisch aus den Augenwinkeln musterte.

Die Erinnerung an die Verschwörung des Sejanus gegen Tiberius’ ist noch nicht erloschen, und seit damals verläßt sich kein Kaiser mehr blind auf den Präfekten der Prätorianer. Aus diesem Grunde gibt es auch meistens zwei, so daß der eine den andern im Auge behalten kann. Nero hatte diese Vorsichtsmaßnahme wiedereingeführt und dem Tigellinus Fenius Rufus zur Seite gestellt. Er hatte dabei lediglich den Falschen erwischt. Ich dachte nicht daran, Fenius Rufus, der mein Freund war, anzuzeigen und war, im Gegenteil, fest entschlossen, alles zu tun, damit niemand versehentlich seinen Namen mit erwähnte. Auch deshalb wollte ich mit Epicharis sprechen.

Ihre Sänfte stand auf dem Boden. Die Vorhänge waren geschlossen, die Sklaven lagen im Gras und die beiden Wachtposten verboten mir fluchend, die Gefangene zu stören. Doch auch Neros neue Münzen erfüllten ihre Aufgabe. Die Posten zogen sich ein Stück zurück, ich schob den Vorhang zur Seite und flüsterte: »Epicharis, ich bin dein Freund. Ich habe Wichtiges mit dir zu reden.«

Epicharis antwortete nicht. Da erst bemerkte ich, daß sie tot war. Sie hatte sich die Binde, die die freundlichen Gefängniswärter ihr gegeben hatten, von ihrer blutenden Brust gerissen, eine Schlinge geknüpft und sich um den Hals gelegt und das andere Ende der Binde an einer Querstange im Innern der Sänfte festgebunden. So hatte sie sich erdrosselt, zweifellos, weil sie fürchtete, einem neuen Verhör nicht mehr gewachsen zu sein. Als ich mich vergewissert hatte daß sie auch wirklich tot war, stieß ich einen überraschten Ruf aus, winkte die Wachtposten herbei und zeigte ihnen, was geschehen war. Innerlich pries ich den Edelmut, den diese ansonsten alles andere denn anständige Frau in ihrer letzten Stunde bewiesen hatte. Dieser Selbstmord rettete sie davor, ihre Mitverschwörer verraten zu müssen, und gab mir freie Hand.

Die Wachen fürchteten natürlich, sie könnten für ihre Unachtsamkeit bestraft werden. Doch dazu war jetzt keine Zeit. Nero hatte zu handeln begonnen und mochte nicht mit Nebensächlichkeiten behelligt werden. Der Selbstmord der Epicharis überzeugte ihn vollends davon, daß eine Verschwörung bestand und daß die Flotte daran beteiligt war. Ich muß gestehen, daß mir beim Anblick des zerfleischten Körpers der Epicharis so übel wurde, daß ich mich neben der Sänfte ins Gras erbrach, obwohl ich an diesem Morgen noch nichts zu mir genommen hatte.

Daran waren zum Teil wohl auch mein Erschrecken und meine plötzliche Erleichterung schuld. Durch ihren tapferen Tod verschaffte mir diese Frau eine Schlüsselstellung bei der Aufdeckung der Verschwörung. Ich ließ sie aus Dankbarkeit auf meine Kosten bestatten, da ihre früheren Freunde es aus begreiflichen Gründen nicht tun konnten, sondern vielmehr selbst bald jemanden brauchten, der für ihre Bestattung sorgte.

Als Nero Scevinus listig verhörte, gewann dieser im Augenblick der Gefahr die Beherrschung zurück, blickte Nero mannhaft in die Augen und beteuerte seine Unschuld.

»Der Dolch«, sagte er verächtlich, »ist seit alters her ein heiliges Erbstück in meiner Familie, und er liegt offen sichtbar in meinem Schlafzimmer, so weit ich zurückdenken kann. Dieser betrügerische Sklave, der in mein Ehebett spuckt und darum seine Strafe fürchtet, hat ihn heimlich an sich genommen. Mein Testament habe ich schon viele Male neu abgefaßt, wie es jeder vernünftige Mensch tut, wenn sich die Verhältnisse ändern. Es ist auch nicht das erste Mal geschehen, daß ich Geldgeschenke austeile oder Sklaven freilasse, wofür Milichus selbst ein Beweis ist. Ich war gestern freigebiger als sonst, weil ich viel getrunken hatte und mir wegen meiner vielen Schulden sagte, daß die Gläubiger sich nicht mit allen Bestimmungen meines Testaments einverstanden erklären würden. Deshalb wollte ich ihnen zuvorkommen. Das Geschwätz von den Wundbinden ist eine Erfindung des Milichus. Ich müßte ihn anklagen, nicht er mich. Du brauchst nur meine Gattin ein wenig ins Verhör zu nehmen, um rasch zu erfahren, warum dieser verfluchte Sklave mich fürchtet. Ich habe bisher um meines guten Rufes willen nicht darüber gesprochen, aber wenn man mich, einen unschuldigen, rechtschaffenen Mann, nun anklagt, ich hätte Mordpläne geschmiedet, so ist es an der Zeit, daß ich die Wahrheit bekenne.«

Er beging den einen Fehler, daß er seine Schulden erwähnte. Nero zog den völlig richtigen Schluß, das Scevinus, wenn er am Rande des Bankrotts stand, durch die Verschwörung alles zu gewinnen und nichts zu verlieren hatte. Er nahm sich daher Scevinus und Natalis einzeln vor und fragte sie, worüber sie am Abend zuvor so lange geredet hätten. Natürlich sagte ein jeder etwas anderes, da sie nicht daran gedacht hatten, sich auf ein Verhör vorzubereiten.

Tigellinus ließ ihnen den eisernen Kragen, die Stahlklauen und andere Folterwerkzeuge zeigen, und das genügte. Als erster brach Natalis zusammen, der die Verschwörung am besten kannte und durch ein freimütiges Geständnis etwas für sich zu gewinnen hoffte. Er verriet seinen geliebten Piso und einige andere und bekannte auch, daß er mit Seneca in Verbindung getreten war. Ich konnte von Glück sagen, daß ich Seneca schon vor ihm angezeigt hatte.

Als Scevinus hörte, daß Natalis gestanden hatte, ließ er seine eitlen Hoffnungen fahren. Er gab zu, daß er den Verschwörern angehört hatte und nannte außerdem Senecio, Lucanus, Petronius und andere – und leider auch mich. Zu diesem Zeitpunkt war es mir jedoch ein leichtes, zu behaupten, ich hätte tags zuvor nur an der Versammlung teilgenommen, um mir genaue Kenntnis von der Verschwörung zu verschaffen und das Leben meines Herrschers retten zu können.

Ich hatte mich vorsichtig zurückgehalten, als es darum ging, die Gelder für die Prätorianer einzusammeln. Daher konnte ich nun in aller Ruhe angeben, wer die Männer waren, die für die dreißig Millionen aufkommen wollten. Nero war zufrieden, weil er auf diese Weise ohne Mühe einen bedeutenden Betrag in seine stets magere Kasse erhielt, obgleich er zuletzt durch die Beschlagnahme des Eigentums der Schuldigen hundertfach erntete. Seneca und Pallas allein brachten ihm, soviel ich weiß, mindestens eine Milliarde Sesterze ein.

Um seines Ansehens willen wollte Nero jedoch nicht, daß das Volk erfuhr, welch weite Kreise die Verschwörung wirklich gezogen hatte und wie bitter der Adel ihn haßte. Man hätte sich zweifellos gefragt, was für verborgene Ursachen dieser Haß wohl haben mochte, und Neros Lebenswandel vertrug keine gründlichere Erforschung.

Um die Gerüchte zu zerstreuen, hielt er es später für das klügste, eine Ehe mit Statilia Messalina einzugehen, die Julierin war und somit weit vornehmer als Poppaea. Sowohl sie selbst als auch Nero war mir dankbar, daß ich durch meine fälschliche Anzeige einen Grund geliefert hatte, den Konsul Vestinus aus dem Wege zu räumen. Nero hatte ihr schon lange seine Neigung zu erkennen gegeben, aber Statilia Messalina hatte sich gesagt, daß sie es nicht mit Antonia aufnehmen konnte. Die ganze Stadt wußte, daß Nero um Antonia warb, und alle vernünftigen Menschen nahmen an, Antonia werde früher oder später nachgeben, obwohl sie Nero zunächst aus Schicksalsgründen abweisen mußte.

Als Nero nun das ganze Ausmaß der Verschwörung erkannte, wollte er davon Abstand nehmen, das Ceresfest zu begehen, aber Tigellinus und ich überzeugten ihn, daß das sehr unklug gewesen wäre. Es war viel leichter, die Stadt und, der Flotte wegen, auch Ostia zu besetzen, während sich das Volk im Zirkus befand, und dort konnte man auch ohne großes Aufsehen die schuldigen Senatoren und Ritter festnehmen, bevor es ihnen gelang, aus der Stadt zu entfliehen und bei den Legionen Schutz zu suchen.

Piso mußte unverzüglich verhaftet werden. Von seinem Ehrgeiz geblendet, hatte er sich schon vor der vereinbarten Stunde mit seinem Gefolge vor dem Cerestempel eingefunden. Dort erfuhr er von der Anzeige des Milichus und der Ergreifung des Scevinus und des Natalis. Er eilte nach Hause, obgleich die Mutigsten aus seinem Gefolge ihn aufforderten, sich mit dem Geld ins Lager der Prätorianer zu begeben oder zumindest die Rednertribüne auf dem Forum zu besteigen und das Volk zum Beistand aufzurufen.

Wer weiß, vielleicht würde Fortunas Waage doch noch zu seinen Gunsten ausgeschlagen haben, wenn er beherzt gehandelt hätte. Fenius Rufus befand sich im Lager, Tigellinus war abwesend, und mehrere Kriegstribunen und Zenturionen gehörten der Verschwörung an. Selbst wenn ihn das Volk und die Soldaten im Stich gelassen hätten: er wäre bei dem kühnen Versuch in Ehren gestorben, er hätte sich seiner Väter würdig erwiesen, und sein Name wäre der Nachwelt als der eines Freiheitskämpfers überliefert worden.

Doch ich sagte schon, daß Piso der Aufgabe nicht gewachsen war, für die man ihn ausersehen hatte. Er zauderte einen Augenblick und ging dann einfach nach Hause. Daraufhin gingen auch seine Freunde ihre eigenen Wege, um zu retten, was noch zu retten war.

Lateranus war der einzige, der Widerstand leistete. Er wurde dafür, ungeachtet seines Konsulranges, zur Richtstätte der Sklaven geschleppt, und der Kriegstribun Statius schlug ihm mit solcher Eile den Kopf ab, daß er sich selbst die Hand verletzte. Lateranus war der einzige, der schwieg und nicht einmal verriet, daß auch Statius an der Verschwörung teilgenommen hatte. Daher dessen Eile.

Alle anderen redeten bereitwillig und zeigten einander an, bevor sie starben – der Dichter Lucanus sogar seine eigene Mutter, und Junius Gallio, mein ehemaliger Vorgesetzter in Korinth, seinen Bruder Seneca. Bei der nächsten Sitzung des Senats wurde Gallio offen des Brudermordes angeklagt, und man behauptete, er sei in weit höherem Maße schuldig als Seneca, doch Nero tat, als hörte er nichts. Auch die Mutter des Lucanus verfolgte er nicht, obwohl sie, um den Dichterruhm ihres Sohnes zu fördern, immer abfällig von Nero gesprochen und ihn einen schamlosen Zitherspieler genannt hatte.

Es würde zu weit führen, wollte ich alle die berühmten Persönlichkeiten aufzählen, die hingerichtet wurden oder Selbstmord begingen, obwohl Nero viele schonte. Aber er war auch nur ein Mensch, und man konnte nicht gut von ihm erwarten, daß er sich bei der Auswahl der Angeklagten nicht von persönlichen Neigungen oder Abneigungen und seinen finanziellen Bedürfnissen leiten ließ.

Die Stadt war voller Leichen. Von den mutigen Männern will ich nur den Kriegstribunen Subrius Flavus nennen. Als Nero ihn fragte, wie er seinen Eid habe vergessen können, antwortete er offen: »Du hattest keinen treueren Soldaten als mich, solange du wert warst, geliebt zu werden. Ich begann dich erst zu hassen, als du deine Mutter und deine Gattin ermordetest und als Wagenlenker, Gaukler und Mordbrenner auftratest.«

Durch so viel Offenherzigkeit begreiflicherweise erzürnt, befahl Nero einem Neger, den er zum Zenturio befördert hatte, Subrius zum nächsten Anger zu führen und zu tun, was zu tun war. Der Neger gehorchte dem Befehl und ließ in aller Eile ein Grab ausheben. Als Subrius sah, daß das Grab zu flach ausfiel, sagte er spöttisch zu den Legionären: »Diese Schwarzhaut kann nicht einmal ein Grab nach der Dienstvorschrift machen.« Der Negerzenturio war durch die vornehme Abstammung des Subrius so beeindruckt, daß seine Hände zitterten, als dieser ihm furchtlos den Hals hinstreckte, und erst beim zweiten Hieb gelang es ihm, den Kopf vom Rumpf zu trennen.

Fenius Rufus blieb lange verschont, aber zuletzt ärgerte es die Angeklagten, daß er, wie es sein Amt erforderte, als ihr Richter auftrat. Er wurde von so vielen angezeigt, daß Nero an seine Mitschuld glauben mußte, obwohl Rufus sich als Ankläger sehr streng gab, um jeden Verdacht von sich selbst abzulenken. Auf Neros Befehl wurde er während eines Verhörs von einem Soldaten niedergeschlagen und gefesselt. Er verlor sein Leben wie die anderen – zu meinem großen Kummer, denn wir waren gute Freunde gewesen, und nach ihm wurde ein sehr selbstsüchtiger Mann Aufseher über die staatlichen Getreidelager.

Doch letzten Endes war er selbst an seinem Schicksal schuld. Er hätte eine außergewöhnliche Gelegenheit gehabt, in den Gang der Ereignisse einzugreifen. Seneca war wirklich zum Ceresfest nach Rom gekommen. Er hielt sich in einem Haus am Stadtrand, beim vierten Meilenstein, auf, als er hörte, was geschah. Nero schickte den Tribunen Gavius Silvanus aus seiner Leibwache zu ihm und ließ ihn fragen, was er nach dem Geständnis des Natalis zu seiner Verteidigung vorzubringen habe. Silvanus ließ das Haus in der Abenddämmerung umstellen und trat selbst ein, als Seneca eben mit seiner Gattin Paulina und einigen Freunden in gedrückter Stimmung zu Tisch gegangen war.

Seneca ließ sich nicht beim Mahle stören. Er antwortete gleichsam ganz beiläufig, Natalis habe ihn als Bote Pisos besucht, um sich darüber zu beklagen, daß er die Einladung Pisos nicht angenommen hatte. Darauf habe Seneca höflich auf seine schlechte Gesundheit hingewiesen. Er habe keinen Anlaß, irgend jemanden zu unterstützen. Mit dieser Antwort mußte sich Silvanus zufriedengeben.

Als Nero fragte, ob Seneca Anstalten treffe, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, mußte Silvanus ihm erklären, daß er keine Anzeichen von Furcht an ihm entdeckt habe. Daraufhin schickte Nero Silvanus noch einmal zu Seneca, um ihm zu sagen, daß er sterben müsse. Dieser Befehl widerstrebte Nero. Er würde es um seines eigenen Ansehens willen lieber gesehen haben, wenn sein alter Lehrer von sich aus beschlossen hätte, sich in aller Stille das Leben zu nehmen.

Daß aber in diesem Augenblick Neros Schicksal noch immer auf des Messers Schneide stand, mag man daraus ersehen, daß Silvanus nicht geraden Wegs zu Seneca zurückkehrte, sondern Fenius Rufus im Prätorianerlager aufsuchte, ihm von dem Befehl berichtete und fragte, ob er ausgeführt werden solle. Silvanus war nämlich selbst einer der Verschwörer gewesen. Nun hatte Rufus noch immer die Möglichkeit, Seneca zum Imperator ausrufen zu lassen, die Prätorianer zu bestechen und einen bewaffneten Aufruhr anzustiften, wenn er schon glaubte, Nero aufgrund seiner Stellung nicht selbst ermorden zu dürfen.

Ich überlegte mir später, was für Möglichkeiten ihm eigentlich zur Wahl standen. Die Prätorianer wären gewiß nicht sehr darauf erpicht gewesen, an Stelle eines Zitherspielers einen Philosophen auf den Thron zu setzen, aber sie verabscheuten Tigellinus wegen seiner Härte und wären gern bereit gewesen, ihn aus dem Wege zu räumen. Außerdem kannten sie Senecas Reichtum und hätten große Geldgeschenke erpressen können.

Rufus hätte aber noch einen besonderen Grund gehabt, Seneca zu stützen. Er war jüdischer Abstammung und ursprünglich in Jerusalem daheim. Seines hohen Amtes wegen hielt er jedoch seine Herkunft geheim. Sein Vater war ein Freigelassener gewesen, ein Getreidehändler in Kyrene. Als der Sohn nach Rom ging, zahlte er den Feniern große Summen, damit sie ihn adoptierten. Rufus hatte sodann eine gründliche juristische Ausbildung erhalten und dank seiner Begabung und seinem Geschäftssinn Erfolg gehabt.

Ich weiß nicht, warum sein Vater Simon gewollt hatte, daß Rufus Römer wurde, aber ich weiß, daß dieser Sympathien für die Christen hegte. Mein Vater hatte mir einmal davon erzählt, daß Simon für Jesus von Nazareth das Kreuz zur Richtstätte in Jerusalem getragen haben soll, aber genau erinnere ich mich nicht mehr. Später stieß ich dann noch einmal auf den Namen Simon von Kyrene in den verworrenen Briefen, die mein Vater aus Jerusalem geschrieben hatte, und ich vermute, mein Vater half Rufus, seine Abstammung zu verbergen, und legte bei den Feniern ein Wort für ihn ein. Vielleicht hatte ich deshalb so leicht die Freundschaft des Rufus gewinnen können, als ich mich auf den Getreidehandel verlegte und seine Hilfe nötig hatte.

Seneca auf dem Kaiserthron wäre ein so großer politischer Vorteil für die Christen gewesen, daß es sich gelohnt hätte, einige Grundsätze zu opfern. Gewiß aber hatte Fenius Rufus eine schwere Wahl. Doch er war in erster Linie Jurist und Kaufmann, nicht Soldat. Deshalb konnte er sich nicht zu dem großen Entschluß durchringen und verließ sich offensichtlich darauf, selbst nicht entdeckt zu werden. Er bat also Silvanus, Nero zu gehorchen, Silvanus, das muß zu seiner Ehre gesagt werden, schämte sich, selbst zu Seneca zu gehen. Er schickte ihm einen Zenturio. Über Senecas Gleichmut im Angesicht des Todes ist so viel Erbauliches geschrieben worden, daß ich nicht mehr viel darüber zu sagen brauche. Ich meine allerdings, es war nicht sehr edel von ihm, seine junge Gattin, die noch das Leben vor sich hatte, überreden zu wollen, mit ihm zu sterben.

Seine Freunde berichteten, daß er sie zuerst tröstete und sie beschwor, nicht in ewigen Kummer zu versinken, sondern ihren Verlust zu verschmerzen und sich vor Augen zu führen, wie doch sein ganzes Leben der Ausübung der Tugend gewidmet gewesen sei. Als er sie auf diese Art weich gestimmt hatte, schilderte er im gleichen Atemzug, wie sehr ihn die Vorstellung erschrecke, was für Mißhandlungen seine geliebte Gattin in den Händen des blutdürstigen Nero ausgesetzt sein werde. Das trieb er so lange, bis Paulina erklärte, sie wolle lieber mit ihrem Gatten sterben. Seneca hob die Hände und sagte: »Ich habe dir gezeigt, wie du dir dein Leben erleichtern kannst. Du ziehst jedoch selbst einen ehrenvollen Tod vor, und ich glaube nicht, daß du schlecht gewählt hast. So wollen wir beide in der Stunde der Trennung die gleiche Festigkeit beweisen.« Dann – um Paulina keine Zeit zu lassen, sich anders zu besinnen – bat er den Zenturio rasch, ihm und seiner Gattin die Pulsadern aufzuschneiden.

Nero hatte jedoch nichts gegen Paulina. Er hatte ausdrücklich befohlen, sie zu schonen, wie er überhaupt, um seines Ansehens willen, darauf bedacht war, in seinen Urteilen alle unnötige Grausamkeit zu vermeiden. Der Zenturio mußte nun zwar Seneca gehorchen, aber er hütete sich, die Sehnen oder die Pulsader zu verletzten, als er Paulina in den Arm schnitt.

Senecas Körper war vom Alter und von der Diät so schwach, daß das Blut nur träge floß. Er stieg jedoch nicht in ein heißes Bad, wie es ein anderer an seiner Stelle getan hätte, sondern begann seinem Schreiber einige Berichtigungen zu seinen gesammelten Schriften zu diktieren. Da Paulina ihn durch ihr Weinen störte, bat er sie ungeduldig, in den Nebenraum zu gehen, und rechtfertigte sich damit, daß er sagte, ihre Standhaftigkeit solle nicht dadurch erschüttert werden, daß sie mit ansehen mußte, wie er litt.

Sobald sie den Raum verlassen hatte, nahmen sich auf Befehl der Soldaten Senecas Sklaven ihrer an, stillten die Blutung und legten einen Verband an. Paulina ließ sie gewähren. Auf diese Weise rettete ihr Senecas grenzenlose Eitelkeit das Leben.

Wie viele Stoiker fürchtete Seneca körperliche Schmerzen. Daher bat er seinen Leibarzt um ein betäubendes Gift, um das gleiche Gift, das die Athener Sokrates gegeben hatten. Vielleicht bildete er sich ein, die Nachwelt werde ihn darum mit Sokrates auf eine Stufe stellen. Als er zu Ende diktiert hatte und der Zenturio schon ungeduldig wurde, nahm er endlich ein heißes Bad und ging danach in die Dampfkammer des Hauses, wo er in den Dämpfen erstickte. Sein Leichnam wurde in aller Stille und ohne Zeremonien verbrannt, so wie er es im voraus bestimmt hatte, indem er aus der Not eine Tugend machte, denn Nero würde aus Angst vor politischen Kundgebungen eine öffentliche Bestattung ohnehin nicht zugelassen haben.

Paulina lebte dank dem Zenturio noch viele Jahre. Sie war allerdings bleich wie ein Gespenst, und es hieß, sie habe sich heimlich den Christen angeschlossen. Ich berichte, was man mir erzählt hat. Selbst verspürte ich kein Verlangen danach, mit der trauernden Witwe in Verbindung zu treten, und das wird jeder vernünftige Mensch verstehen. Erst nach ihrem Tode gestattete ich meinem Freigelassenen, der einen Verlag gegründet hatte, sich der gesammelten Schriften Senecas anzunehmen.

Mein Freund Petronius Arbiter, der Schriftsteller, starb, wie er es seinem Rufe schuldig war. Er lud seine Freunde zu einem üppigen Mahl, in dessen Verlauf er all die kostbaren Kunstschätze, die er gesammelt hatte, vernichtete, damit Nero sie nicht erbte. Am meisten trauerte Nero zwei unvergleichlichen Kristallbechern nach, um die er Petronius seit jeher beneidet hatte.

Seine Schriftstellereitelkeit stellte Petronius dadurch zufrieden, daß er in sein Testament ein vollständiges Verzeichnis aller Laster Neros aufnahm und alle Personen anführte, die ihm behilflich gewesen waren, sie zu befriedigen, wobei er es sich angelegen sein ließ, auch Zeit und Ort genau zu nennen, damit niemand meinte, er mißbrauche seine Phantasie. Er wird wohl dennoch ein wenig übertrieben haben, aber dafür erweckte er um so mehr Heiterkeit, als er seinen Freunden, während er langsam verblutete, das Testament vorlas. Er ließ sich übrigens mehrmals verbinden, um, wie er sagte, auch dem Tod möglichst großen Genuß abzugewinnen.

Das Testament ließ er Nero schicken, und es ist nur schade, daß er niemandem erlaubte, es vorher abzuschreiben. Das wäre ihm als ein Verstoß gegen die Freundschaft erschienen, die ihn einst mit Nero verbunden hatte. Petronius war ein vornehmer Mann, ich glaube, der vornehmste, dem ich je begegnet bin – trotz den pöbelhaften Geschichten, die er veröffentlichte.

Mich konnte er nicht zu seinem Abschiedsmahle laden, doch das nahm ich ihm nicht übel. Er ließ mich wissen, daß er für mein Verhalten volles Verständnis hatte und wahrscheinlich ebenso gehandelt hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Er selbst würde mich gern eingeladen haben, aber er fürchtete, ich könnte mich in Gegenwart einiger seiner Freunde nicht wohl fühlen. Ich habe mir seinen feinfühligen Brief aufgehoben und denke an Petronius noch heute wie an einen guten Freund.

Doch wozu von Tod und Verbannung so vieler guter Bekannter, edler Freunde und hochgeachteter Männer berichten! Angenehmer ist es, zu erzählen, welche Belohnungen Nero an diejenigen austeilte, die sich um die Aufdeckung und Unterdrückung der Verschwörung verdient gemacht hatten. Den Prätorianern gab er denselben Betrag, den die Verschwörer ihnen versprochen hatten: zweitausend Sesterze für jeden Mann. Außerdem erhöhte er ihren Sold, indem er bestimmte, daß sie fortan ihr Korn, das sie bis dahin zum geltenden Preis hatten kaufen müssen, umsonst erhalten sollten. Tigellinus und einige andere erhielten das Triumphrecht, und ihre Triumphstatuen wurden auf dem Palatin aufgestellt.

Ich selbst erinnerte Nero daran, daß es leer geworden war in der Kurie und daß auch der Platz meines Vaters noch nicht wieder ausgefüllt war. Im Ausschuß für orientalische Angelegenheiten brauchte man dringend einen Mann, der wie mein Vater mit den Juden zu verhandeln verstand und, im Hinblick auf ihre Sonderstellung, zwischen ihnen und dem Staat als Mittler dienen konnte. Von Neros Standpunkt aus betrachtet, wäre es politisch klug gehandelt, wenn er Senatoren einsetzte, die ihre Treue durch die Tat bewiesen hatten, da der Senat als solcher unzuverlässig war und mit der Republik liebäugelte.

Nero war verblüfft und meinte, er könne nicht einen Mann wie mich zum Senator ernennen. Ich möge doch an meinen Ruf denken. Die Zensoren würden es zu verhindern wissen. Außerdem habe er nach dieser Verschwörung zu seinem Kummer den Glauben an die Menschheit verloren und traue niemandem mehr, auch mir nicht.

Ich vertrat jedoch meine Sache mit Nachdruck und wies darauf hin, daß ich bei Caere und an anderen Orten in Italien die Ländereien besaß, die Voraussetzung für den Senatorenrang waren. Zu jener Zeit war außerdem der Prozeß, den mein Vajer in Britannien um das Erbe des Jucundus eingeleitet hatte, zu einem guten Ende gekommen. Die Briten erben auch in der weiblichen Linie. Lugunda war von vornehmer Geburt und obendrein Hasenpriesterin gewesen. Sie war bei dem Aufruhr zusammen mit ihren Eltern und Brüdern umgekommen. Jucundus war somit Alleinerbe und zudem als Adoptivsohn eines Senators eindeutig Römer. Der neue König der Icener hatte seine Forderung anerkannt. Als Kriegsschadenersatz erhielt er neben großen Ländereien auch einen Teil Weideland im angrenzenden Reich der Catavelauner, die ebenfalls an dem Aufruhr beteiligt gewesen waren, und dieser Schadenersatz kostete den König der Icener nichts.

Er schrieb mir einen Brief und bat mich, als Gegenleistung zu versuchen, Seneca dazu zu überreden, daß er seine Wucherzinsen, die das neu erwachte Wirtschaftsleben Britanniens lahmzulegen drohten, wenigstens zum Teil senke. Ich war ja Jucundus’ gesetzlicher Erbe, da mein Vater ihn adoptiert hatte.

Ich benutzte also nun die Gelegenheit, mir dieses Erbe von Nero bestätigen zu lassen. An sich hätte er das Recht gehabt, es wegen des Verbrechens meines Vaters zu beschlagnahmen, aber nun hatte er durch die Verschwörung endlich einmal so viel Geld in die Hand bekommen, daß er nicht kleinlich zu sein brauchte. Ich vergalt ihm seine Großzügigkeit damit, daß ich ihn über Senecas ungeheure Investitionen in Britannien aufklärte und ihm riet, die Zinsen auf ein erträgliches Maß herabzusetzen. Nero fand, Wucher stehe einem Kaiser nicht an, und beschloß die Zinsen ganz aufzuheben.

Dadurch stieg der Wert meines Erbes in Britannien beträchtlich, denn die Steuern sanken, und ich war zu meiner Freude der erste, der dem König der Icener davon Mitteilung machen konnte. Das brachte mir in Britannien hohes Ansehen ein, und dank dem Vertrauen, das die Briten in mich setzten, wurde ich später in den Senatsausschuß für britische Angelegenheiten gewählt, wo ich viel erreichte, was sowohl den Briten als auch mir selbst nützte.

Doch zunächst mußte ich mich um meinen Besitz in Britannien kümmern. Ich ließ zwei meiner tüchtigsten Freigelassenen aus Caere kommen und schickte sie nach Britannien, wo sie den Ackerbau auf römische Art betrieben und zu einem ertragreichen Geschäft machten und Schlachtvieh züchteten, das an die Legionen verkauft wurde. Sie vermählten sich später mit achtbaren britischen Frauen, hatten ungewöhnliche Erfolge und wurden zuletzt Stadttetrarchen in Lugundanum, der Stadt, die ich zur Erinnerung an meine britische Gattin hatte gründen lassen.

Der Ackerbau und die Viehzucht warfen mir große Gewinne ab, bis neidische Nachbarn die Methoden meiner Freigelassenen nachzuahmen begannen, aber selbst dann noch bezog ich aus Britannien hohe Einkünfte, obwohl der Gewinnanteil meiner Freigelassenen nicht unerheblich war. Ich glaube übrigens nicht, daß die beiden mich übermäßig betrogen. Ich hatte sie dazu erzogen, in geschäftlichen Dingen meinem Beispiel zu folgen. Ehrlichkeit innerhalb vernünftiger, zumutbarer Grenzen währt stets länger als der nur für den Augenblick einträgliche Betrug. Ich konnte nun also im Hinblick auf meine Ernennung zum Senator nicht nur Grundbesitz in Italien, sondern auch in Britannien nachweisen und wurde tatsächlich Senator, wie es Claudia gewünscht hatte. Man brachte zuletzt keinen anderen Einwand gegen mich vor als den, daß ich das erforderliche Alter noch nicht erreicht hätte, aber darüber lachte der Senat laut, denn es waren schon früher so viele Ausnahmen bewilligt worden, daß die betreffende Bestimmung längst jede Bedeutung verloren hatte. Außerdem wußten alle, was der Sprecher in Wirklichkeit meinte, aber nicht zu sagen wagte. Auf Neros Vorschlag wurde ich daher so gut wie einstimmig zu diesem hohen Amte gewählt. Ich nahm mir nicht die Mühe, mir diejenigen zu merken, die gegen mich stimmten, denn nach der Sitzung trat einer von ihnen lächelnd auf mich zu und erklärte mir, es sei dem Ansehen des Senates förderlich, wenn weniger wichtige Vorschläge Neros nicht einstimmig angenommen würden. Diese Lehre prägte ich mir dankbar ein.

Ich habe alles, was im Zusammenhang mit der Verschwörung des Piso geschah, so ausführlich berichtet, nicht um mich selbst zu rechtfertigen – dazu habe ich keinen Anlaß –, sondern um das Schmerzlichste so lange wie möglich aufzuschieben. Ja, ich spreche von Antonia. Noch heute, nach so vielen Jahren, kommen mir die Tränen, wenn ich an ihr Schicksal denke.


Gleich nach Pisos Selbstmord stellte Nero Antonias Haus auf dem Palatin unter Bewachung. Von allzu vielen Seiten hatte er zu hören bekommen, daß Antonia sich verpflichtet hatte, den Usurpator ins Lager der Prätorianer zu begleiten. Es ging sogar das wahnwitzige Gerücht um, Piso habe gelobt, er werde sich scheiden lassen und Antonia zur Gattin nehmen, sobald er Kaiser wäre. Ich selbst glaubte es besser zu wissen, sofern nicht Antonia aus Liebe zu mir und im Hinblick auf Deine Zukunft eine solche Ehe für notwendig gehalten hätte.

Eine einzige Nacht durfte ich noch mit Antonia verbringen, und diese Nacht kostete mich eine Million Sesterze. So sehr fürchteten die Wachtposten Nero und Tigellinus. Doch ich trennte mich gern von dieser großen Summe. Was bedeutet Geld einem Manne, der liebt! Mein ganzes Vermögen hätte ich hergegeben, wenn damit Antonias Leben gerettet worden wäre. Oder jedenfalls einen großen Teil meines Vermögens. Doch es half alles nichts.

Wir planten in jener Nacht allen Ernstes, alles aufzugeben und zusammen nach Indien zu fliehen, wo ich gewisse Geschäftsverbindungen hatte. Aber der Weg war zu weit. Wir sahen ein, daß wir früher oder später angehalten worden wären, denn Antonias Gesichtszüge waren, dank ihren vielen Statuen, allen Römern und sogar in den Provinzen bekannt, und keine Verkleidung hätte ihr vornehmes Wesen verbergen können.

Unter Tränen und Umarmungen gaben wir unsere eitlen Hoffnungen auf. Antonia sagte mir zärtlich, sie sterbe mutig und gern, da sie einmal in ihrem Leben wahre Liebe erfahren habe. Sie gestand mir auch offen, daß sie die Absicht gehabt hatte, mich zu ihrem Gemahl zu machen, sobald Claudia auf die eine oder andere Art gestorben wäre. Diese Versicherung ist die größte Ehre, die mir in meinem ganzen Leben zuteil wurde. Ich glaube nicht unrecht zu handeln, indem ich davon spreche, denn ich will mich ja nicht damit brüsten, sondern nur beweisen, daß sie mich wirklich liebte.

Sie sprach viel in unserer letzten Nacht und wie im Fieber und erzählte von ihrer Kindheit und ihrem Onkel Sejanus, der ihrer Meinung nach Claudius zum Kaiser gemacht haben würde, wenn es ihm gelungen wäre, Tiberius zu ermorden und die Unterstützung des Senates zu erlangen. Auf diese Weise wären Rom die Verbrechen des Gajus Caligula erspart geblieben. Doch das Schicksal wollte es anders, und Antonia gab auch zu, daß Claudius damals vielleicht noch nicht reif gewesen wäre zu regieren. Er würfelte, trank und trieb Antonias Mutter an den Rand des Bankrotts.

Wir saßen jedoch nicht die ganze Nacht Hand in Hand und plauderten. Der Tod stand auf der Schwelle und wartete. Dieses Bewußtsein gab unseren Küssen Blutgeschmack und trieb mir brennende Tränen der Leidenschaft in die Augen. Eine solche Nacht erlebt ein Mensch nur einmal im Leben, und er vergißt sie nie. Danach ist jede andere Neigung, jeder andere Genuß ein schwacher Abglanz, und ich habe nach Antonia keine andere Frau mehr wirklich geliebt.

Unwiederbringlich eilten die Stunden dahin, und allzu rasch graute der Morgen. Zuletzt machte mir Antonia einen seltsamen Vorschlag, der mich verstummen ließ, dessen Weisheit ich aber nach meinen ersten entsetzlichen Einwänden bald erkannte. Wir wußten beide, daß es uns nicht mehr möglich war, noch einmal zusammenzutreffen. Ihr Tod stand so unausweichlich bevor, daß Fortuna selbst sie nicht mehr retten konnte.

Daher wollte sie sich die qualvolle Wartezeit abkürzen und schlug mir vor, nach den anderen solle auch ich sie Nero anzeigen. Dies würde ihren Tod beschleunigen, mich von allem Verdacht reinwaschen, den Nero etwa noch gegen mich hegte, und Deine Zukunft sichern.

Der bloße Gedanke an einen solchen Verrat machte mich schaudern, aber Antonia überredete mich zuletzt doch. Es war ja, vernünftig besehen, wirklich das Klügste, auch aus dem Unausweichlichen noch Gewinn zu schlagen.

Noch auf der Schwelle ihres Schlafgemachs gab sie mir gute Ratschläge. Sie nannte mir alte Familien, mit denen ich um Deinetwillen freundschaftliche Beziehungen anknüpfen mußte, und andere, die ich aus Amt und Stellung drängen sollte. Mit Tränen in den Augen sagte sie mir, daß sie ihren Tod nur deshalb beklagte, weil sie gern noch mitgeholfen hätte, eine passende Braut für Dich auszusuchen. Es gab ja nicht mehr viele in Rom, die in Frage kamen. Antonia ermahnte mich, mit Bedacht zu wählen und Dich zu verloben, sobald das rechte Mädchen zwölf Jahre alt geworden war. Aber Du willst ja auf meine vernünftigen Vorschläge nicht hören.

Die Wachtposten wurden unruhig und trieben mich zum Aufbruch. Wir mußten Abschied nehmen. Solange ich lebe, werde ich Antonias tränennasses, lächelndes, vornehm schönes Antlitz nicht vergessen. Ich hatte jedoch einen Plan gefaßt, der mir die Trennung erleichterte, obwohl ich den schwersten Schritt meines Lebens vor mir hatte.

Ich mochte nicht nach Hause gehen, ich mochte Claudia nicht sehen, und nicht einmal Dich, mein Sohn. Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich in den Gärten auf dem Palatin umherwanderte. Eine Zeitlang stand ich an eine vom Feuer versengte uralte Pinie gelehnt, die mit unglaublicher Lebenskraft noch immer grünte. Ich blickte nach Ost und West, nach Nord und Süd. Selbst wenn dies alles eines Tages mein gewesen wäre, ich hätte das ganze Erdenrund gegeben für einen einzigen Kuß Antonias und alle Perlen Indiens für die Weiße ihrer Glieder. So wunderbar verblendet den Menschen die Liebe. Dabei war Antonia älter als ich und ihre üppige Blüte lang vorbei. Ihr schmales Gesicht trug die Furchen des Leids und der Erfahrung, und sie hätte da und dort ein wenig fülliger sein dürfen. In meinen Augen aber erhöhte diese Magerkeit nur ihren Zauber. Das Zittern ihrer Nasenflügel, die jähen Bewegungen ihres Kopfes … Schöneres habe ich in meinem Leben nicht gesehen.

Ich blickte in meiner Verzückung auf das Forum nieder, auf seine uralten Bauten, auf das neue Rom, das aus Asche und Ruinen entstand, auf Neros Arkaden und das Goldene Haus drüben auf dem Esquilin, das im Sonnenaufgang glänzte. An Grundstücksgeschäfte dachte ich in diesem Augenblick eigentlich nicht, aber es fiel mir doch ein, daß mein altes Haus auf dem Aventin zu eng geworden war und daß ich mir um Deinetwillen in naher Zukunft eine neue Wohnstatt schaffen mußte, so nah wie möglich beim Goldenen Haus.

Ich wandte mich ab und stieg den Palatin hinunter, um zum Goldenen Haus hinüberzugehen und bei Neros Morgenempfang um Vortritt zu bitten. Wenn ich Antonia schon anzeigen mußte, so durfte mir kein anderer zuvorkommen. Beim Gedanken an den Wahnwitz des Lebens lachte ich laut auf, so daß ich bald weinend, bald lachend dahinging, wie ein Mensch, dessen Sinne sich verwirrt haben. Und plötzlich rief ich: »Die Welt ist sinnlos!« als hätte ich eine neue, überraschende Wahrheit entdeckt. Die höchste Weisheit schien es mir jedenfalls in meiner Verfassung zu sein, obwohl ich mich später wieder beruhigte und auf andere Gedanken kam.

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