8

»Ich bin von Frauen umzingelt«, sagte Tubruk fröhlich, als Aurelia, Cornelia und Clodia eintraten und das stille Triclinium mit Leben erfüllten. Es war schon ein paar Wochen her, seit Fercus ihn zurückgebracht und ihm die Kaufurkunde in die von den Fesseln befreiten Hände gelegt hatte, und Tubruk hatte viel von seinem inneren Frieden zurückgewonnen, den er in der Stadt verloren hatte. Jeden Morgen zusammen zu essen, war für die vier zu einer Art Ritual geworden, und Tubruk freute sich bereits auf das leichte Frühstück. Aurelia ging es morgens immer am besten, und soweit Tubruk es beurteilen konnte, verband die drei Frauen echte Freundschaft. Seit den Sklavenaufständen hatte man im Haus kein Lachen mehr gehört, und Tubruk freute sich mit ihnen.

Sein Gesicht war nach und nach verheilt, nur eine neue Narbe über der linken Braue zeugte von seiner schweren Prüfung. Er erinnerte sich, wie erleichtert er gewesen war, als er die ersten schwarz gekleideten Legionäre in den Straßen der Stadt gesehen hatte. Diese Uniform würde die Stadt zum Zeichen der Trauer um den verstorbenen Diktator ein ganzes Jahr lang sehen. Trotzdem schien der dunkle Stoff nicht so recht zu der Stimmung in Rom zu passen. Fercus hatte ihm erzählt, dass im Senat ein neuer Wind wehte, da Cinna und Pompeius daran arbeiteten, die alte Republik wiederherzustellen. Gemeinsam versuchten sie, den Geist der alten Könige wieder loszuwerden, den Sulla heraufbeschworen hatte.

Der Gutsverwalter fuhr nur noch selten in die Stadt, und wenn, dann nur mit großer Vorsicht. Mittlerweile war er zwar davon überzeugt, dass er niemals mit dem Mord an Roms Diktator in Verbindung gebracht werden würde, aber es bedurfte nur einer einzigen Anschuldigung, und der Senat würde das ganze Gut auf der Suche nach Beweisen auseinander nehmen lassen. Wenn sie Fercus fanden und folterten, würde er ihnen Tubruk ans Messer liefern, dessen war er sich sicher. Fercus hatte eine Familie, die er liebte, und in einer solchen Situation zählten für gewöhnlich Ehre und Freundschaft bald nicht mehr viel. Dennoch war das, was sie getan hatten, richtig gewesen. Sie hatten gewonnen, auch wenn er keinen Tag mehr in völliger Ruhe und Frieden würde leben können, solange Sullas Freunde und Anhänger nach dem Mörder suchten.

Einen Monat nach seiner Rückkehr auf das Gut hatte sich Tubruk einen schweren Umhang umgeworfen und war in die Stadt geritten, um in den Tempeln des Mars und der Vesta Opfer zum Dank für Cornelias Leben darzubringen. Er hatte auch für die Seelen des Casaverius und des Wachmannes gebetet, den er am Tor getötet hatte.

Jetzt saß Cornelias Tochter auf ihrem Schoß, und Clodia kitzelte die Kleine ab und zu unter den Armen, um sie zum Lachen zu bringen. Selbst Aurelia lächelte über Julias kindliches Gekicher, und Tubruk strich sich Honig auf seine Brotscheibe, um die wilde Mischung aus Gefühlen zu überspielen, die in ihm aufwallten. Es war schön, dass Aurelia etwas von ihrer alten Fröhlichkeit wiedergefunden hatte. Zu lange war sie nur von ernsten Männern umgeben gewesen. Als sie zum ersten Mal ihre Enkelin in den Armen gehalten hatte, waren ihr stumme Tränen über das Gesicht gelaufen.

Trotzdem zweifelte er nicht daran, dass sie immer schwächer wurde. Auch jetzt fiel ihm wieder auf, dass sie nicht gemeinsam mit den anderen aß. Sanft schob er einen Teller mit frischem, knusprigem Brot auf ihre Seite des niedrigen Tisches, und ihre Blicke trafen sich kurz. Sie nahm ein Stück in die Hand, brach etwas davon ab und kaute langsam darauf herum, aber nur, weil er ihr dabei zusah. Angeblich löste Essen ihre Anfälle aus; sie behauptete, ihr werde dann übel und sie müsse sich übergeben. Sie hatte einfach den Appetit verloren, und noch bevor er das richtig bemerkt hatte, hatte sie schon bedenklich an Gewicht verloren und nahm kaum noch etwas zu sich.

Sie schwand vor seinen Augen dahin, und was er auch sagte, wenn sie beide alleine waren, sie fing stets an zu weinen und sagte dann, sie könne einfach nicht essen. Für Essen sei kein Platz in ihr.

Clodia kitzelte das Kind wieder und wurde dafür mit einem Schwall erbrochener Milch belohnt. Alle drei Frauen standen gleichzeitig auf, um die Bescherung zu beseitigen. Auch Tubruk erhob sich. Er fühlte sich zwar irgendwie ausgeschlossen, doch das machte ihm wirklich nichts aus.

»Ich wünschte, ihr Vater wäre hier, um sie aufwachsen zu sehen«, sagte Cornelia wehmütig.

»Er wird kommen«, sagte Tubruk beruhigend. »Diejenigen, für die sie Lösegeld verlangen, müssen sie am Leben erhalten, sonst würden sie sich ja selbst um die Einnahmen bringen. Für die ist das nur ein Geschäft wie jedes andere. Julius kommt bald wieder nach Hause, und jetzt, wo Sulla tot ist, kann er wieder ganz neu anfangen.«

Seine Worte schienen ihr mehr Hoffnung zu geben als ihm selbst. Tubruk wusste, dass Julius, selbst wenn er wieder zurückkam, so oder so nie wieder derselbe sein würde wie bei seiner Abreise. Den jungen Mann, der zur See gegangen war, um Sulla zu entkommen, gab es nicht mehr. Wer an seiner Stelle zurückkehren würde, musste sich erst noch herausstellen. Und nachdem sie die gewaltige Lösegeldsumme für ihn bezahlt hatten, würde das Leben für sie alle sehr schwer werden. Tubruk hatte einen Teil der Ländereien an die Familie des Suetonius verkauft, die den Kaufpreis rücksichtslos gedrückt hatte, da sie durch ihre eigene Lösegeldforderung genau wussten, in welcher Zwangslage Tubruk steckte. Er seufzte. Wenigstens konnte Julius sich über eine Tochter und eine liebende Frau freuen. Das war mehr, als Tubruk hatte.

Er schaute zu Clodia hinüber und merkte jetzt erst, dass sie ihn beobachtete. Etwas in ihrem Gesichtsausdruck ließ ihn erröten wie einen kleinen Jungen. Sie zwinkerte ihm kurz zu, ehe sie sich wieder umdrehte, um Cornelia zu helfen. Tubruk fühlte sich merkwürdig unbehaglich. Eigentlich hätte er jetzt zu den Arbeitern hinausgehen müssen, die auf seine Befehle warteten. Stattdessen blieb er sitzen, nahm sich noch eine Scheibe Brot und kaute absichtlich langsam, denn er hoffte insgeheim, Clodia würde noch einmal zu ihm hersehen.

Plötzlich begann Aurelia leicht zu schwanken. Tubruk sprang auf und hielt sie an den Schultern fest. Sie war beängstigend blass geworden, ihre Haut sah aus wie Wachs. Unter dem Stoff der Stola spürte er, wie mager sie geworden war, und wieder erfasste ihn seine ständige Trauer um sie.

»Du solltest dich ausruhen«, sagte er leise. »Ich bringe dir nachher noch etwas zu essen.«

Sie gab keine Antwort. Ihre Augen hatten wieder diesen glasigen, verlorenen Blick angenommen. Willenlos und mit schlurfenden, kraftlosen Schritten ließ sie sich von ihm vom Tisch wegführen. Er spürte das Zittern, das erneut einsetzte. Jeder neue Anfall schwächte sie mehr.

Cornelia und Clodia blieben mit dem Kind allein, das an Cornelias Kleid zupfte und nach der Brustwarze suchte.

»Er ist ein guter Mann«, sagte Clodia und schaute nachdenklich auf die Tür, durch die Tubruk und Aurelia hinausgegangen waren.

»Ein Jammer, dass er für einen Ehemann schon zu alt ist«, erwiderte Cornelia mit gespieltem Ernst.

Clodia kniff die Lippen zusammen.

»Zu alt? Bei den Dingen, auf die es ankommt, ist er immer noch stark genug«, gab sie scharf zur Antwort. Dann aber sah sie Cornelias belustigten Blick und errötete. »Du siehst zu viel, Mädchen. Lass lieber das Kind trinken.«

»Sie hat einfach immer Hunger«, sagte Cornelia seufzend und hob Julias kleines Gesicht an ihre Brust.

»Das hilft einem, sie lieb zu gewinnen«, sagte Clodia mit einem eigenartigen Unterton, und als Cornelia fragend den Blick hob, sah sie Tränen in ihren Augen.

Drinnen, im abgedunkelten und kühlen Schlafzimmer, hielt Tubruk Aurelia fest, bis der Anfall endlich abgeklungen war. Ihre Haut war fiebrig heiß, und wieder schüttelte er besorgt den Kopf, weil sie so dünn geworden war. Nach einer Weile erkannte sie ihn schließlich wieder, und er ließ sie in die weichen Kissen zurücksinken.

In der Nacht, als ihr Ehemann beerdigt worden war, hatte er sie zum ersten Mal so gehalten, und seither war es zu einem Ritual zwischen ihnen geworden. Er wusste, dass seine Stärke sie beruhigte, und sie hatte jetzt auch weniger Prellungen, weil ihre ziellos um sich schlagenden Glieder in seiner Umklammerung keinen Schaden anrichten konnten. Überrascht stellte er fest, dass er selbst vor Anstrengung keuchte. Es war ihm nach wie vor ein Rätsel, wie in einem so ausgemergelten Körper noch so viel Kraft stecken konnte.

»Danke«, flüsterte sie mit halb geöffneten Augen.

»Das war nicht der Rede wert. Ich hole dir etwas Kühles zu trinken und lasse dich dann schlafen.«

»Lass mich bitte nicht allein, Tubruk«, flüsterte sie.

»Ich habe dir doch versprochen, dass ich auf dich aufpasse. Ich bleibe so lange hier, wie du mich brauchst«, sagte er und versuchte dabei aufmunternd zu klingen.

Sie öffnete die Augen ganz und drehte ihm den Kopf zu.

»Julius hat auch gesagt, er würde bei mir bleiben, und doch ist er von mir gegangen. Und jetzt ist auch mein Sohn fort.«

»Dein Ehemann war ein anständiger Mann, auch wenn die Götter manchmal unsere Versprechen zum Gespött machen, meine Liebe. Und so wie ich deinen Sohn kenne, kommt er ganz sicher gesund und munter zurück.«

Erschöpft schloss Aurelia die Augen, und bevor er sich aus dem Raum stahl, wartete Tubruk, bis sie eingeschlafen war.

Wilde Stürme suchten die Küste heim und ließen die vertäute Trireme trotz des Schutzes der kleinen afrikanischen Bucht, fern von Rom, wild schaukeln und schwanken. Ein paar der Offiziere würgten, doch sie waren so ausgehungert, dass sie sich gar nicht mehr übergeben konnten. Diejenigen, die wenigstens ihre dürftige Ration Wasser im Magen hatten, bemühten sich, es bei sich zu behalten, indem sie die Hände fest auf den Mund pressten. Es gab nie genug Süßwasser für sie, und in der drückenden Hitze lechzte der Körper nach jedem Tropfen Flüssigkeit. Wenn sie sich erleichterten, fingen die meisten Männer den Urin mit den Händen auf und tranken die warme Flüssigkeit, so schnell sie konnten, damit auch ja kein Tropfen verloren ging.

Julius machte das Schwanken des Schiffes nichts aus. Er verspürte große Genugtuung angesichts von Suetonius’ Unwohlsein, der mit geschlossenen Augen und auf den Magen gepressten Händen leise stöhnend dalag.

Trotz der Seekrankheit hatte sich unter den Zelleninsassen neue Zuversicht breitgemacht. Der Kapitän hatte einen Boten geschickt, um ihnen mitzuteilen, dass alle Lösegelder bezahlt worden seien. Das Geld war über Land und Meer an einen geheimen Treffpunkt gebracht worden, wo ein Mittelsmann der Piraten es in Empfang genommen und schließlich in diesen verlassenen Hafen gebracht hatte. Für Julius war es ein kleiner Sieg, dass der Kapitän es nicht gewagt hatte, selbst herunterzukommen. Seit jenem Tag vor etlichen Monaten, an dem er versucht hatte, sie zu quälen, hatte er sich zur diebischen Freude der Männer nicht mehr hier unten blicken lassen. Wäre er zu ihnen heruntergekommen, so wäre er von dem Anblick wahrscheinlich sehr überrascht gewesen. Die Römer waren über den Tiefpunkt ihrer Gefangenschaft hinweg und kamen langsam wieder zu Kräften.

Die Männer, die in den ersten paar Monaten noch so verzweifelt gewesen waren, warteten jetzt geduldig auf ihre Freilassung. Das Fieber hatte zwei weitere Todesopfer gefordert, was die erstickende Enge ein wenig gemildert hatte. Der neue Lebenswille war zu einem Großteil von Cabera ausgegangen, der endlich bessere Rationen für sie hatte aushandeln können. Es war ein gefährliches Spiel gewesen, aber der alte Mann wusste, dass nicht einmal die Hälfte der Männer ihre Freilassung erleben würde, wenn sie nicht endlich mehr zu essen bekamen und man ihnen erlaubte, sich zu säubern. Er hatte sich aufs Deck gesetzt und sich geweigert, auch nur einen einzigen weiteren Piraten zu behandeln, wenn man ihm nicht entgegenkam. Zu diesem Zeitpunkt litt der Kapitän gerade an einem schlimmen Ausschlag, den er sich im Hafen zugezogen hatte, weshalb es nicht allzu lange dauerte, bis er schließlich nachgab. Mit dem Essen kehrte auch die Hoffnung zurück, und die Männer waren wieder zuversichtlich, Rom und die Freiheit wiederzusehen. Ihr geschwollenes, blutendes Zahnfleisch heilte allmählich, und Cabera hatte ihnen einen Becher weißen Schiffstalg geben dürfen, mit dem sie ihre Schrunden einrieben.

Auch Julius hatte seine Rolle gespielt. Als seine Schiene abgenommen wurde, war er entsetzt gewesen, wie sehr die Muskeln zurückgegangen waren. Sofort hatte er sich an die Übungen gemacht, die Cabera ihm gezeigt hatte. In der stickigen Enge ihrer Zelle war es eine Qual, aber Julius hatte die Männer in zwei Gruppen von jeweils vier und fünf Männern eingeteilt. Die eine Gruppe kauerte sich für eine Stunde so eng wie möglich zusammen, damit die andere Platz zum Ringen und Bewegen hatte. Statt Gewichten stemmten sie ihre Kameraden, um die verlorenen Muskeln wieder aufzubauen. Dann tauschten sie die Plätze und ließen die andere Gruppe arbeiten und schwitzen. Der Latrineeimer war unzählige Male umgeworfen worden, doch die Männer wurden stärker, und keiner erlag mehr dem Fieber.

Auch Julius’ Kopfschmerzen traten jetzt seltener auf. Bei den schlimmsten Anfällen war er jedoch vor Schmerzen immer noch kaum fähig zu sprechen. Die anderen wussten jetzt, dass es besser war, ihn in Ruhe zu lassen, wenn er blass wurde und die Augen schloss. Der letzte Anfall dieser Art war bereits zwei Monate her, und Cabera meinte, es könnte durchaus der letzte gewesen sein. Julius betete zu den Göttern, dass er Recht hatte. Die Erinnerung an die Krankheit seiner Mutter hatte ihm panische Angst vor dieser Schwäche beschert, die ihn niederrang und seinen Verstand in die Finsternis verbannte.

Als ihnen endlich mitgeteilt wurde, dass das Schiff im Begriff war, die Segel zu setzen, um sie an einem verlassenen Küstenabschnitt abzusetzen, brachen die Offiziere der Accipiter in Jubel aus. Pelitas klopfte Suetonius sogar vor Freude und Aufregung auf die Schulter. Sie trugen noch immer Bärte und sahen wild und verwahrlost aus, doch nun drehte sich das Geplauder um Badehäuser, wo man von oben bis unten mit Öl abgerieben wurde.

Seltsam, wie die Dinge sich änderten. Früher hatte Julius einmal davon geträumt, ein General wie Marius zu werden, jetzt jedoch erschien es ihm als wesentlich erstrebenswerter, einfach nur sauber zu sein. Trotz allem hatte sich an seinem Vorsatz nichts geändert. Er würde die Piraten aufspüren und töten. Einige seiner Kameraden sprachen davon, auf dem schnellsten Weg nach Rom zurückzukehren, aber er wusste, dass er das unmöglich tun konnte, solange das Geld seiner Familie noch im Laderaum eines Piratenschiffes schaukelte. Sein Zorn hatte ihn die Krankheit sowie die Schmerzen der anstrengenden Übungen überstehen lassen. Jeden Tag zwang er sich, ein wenig mehr zu tun; er wusste, dass er stark werden musste, sollte das Versprechen, das er dem Kapitän gegeben hatte, nicht bloß in den Wind gespuckt sein.

Das Schwanken des Schiffes veränderte sich langsam, und die Römer stießen gedämpfte Freudenrufe aus, als es durch gleichmäßige Ruderschläge ausgeglichen wurde und das Schiff in See stach.

»Jetzt geht’s nach Hause«, sagte Prax verwundert und mit belegter Stimme. Die Worte »nach Hause« besaßen eine seltsame Macht. Einer der Männer begann leise zu weinen. Verlegen schauten die anderen weg, obwohl sie in den vergangenen Monaten weitaus Schlimmeres gesehen hatten. Im Laufe ihrer Gefangenschaft hatte sich vieles zwischen ihnen verändert. Gaditicus fragte sich insgeheim, ob sie wohl je wieder als Mannschaft zusammenarbeiten könnten, selbst wenn sie die Accipiter unversehrt und fahrbereit zurückbekämen. Doch sie hatten es geschafft, eine Art Disziplin zu wahren. Gaditicus und Prax schlichteten Streit und verhinderten Schlägereien, aber das Bewusstsein für Rang und Stand war langsam dahingeschwunden, und sie beurteilten einander jetzt nach neuen Regeln, hatten bei ihren Leidensgenossen andere Stärken und Schwächen entdeckt.

Pelitas und Prax waren gute Freunde geworden, denn trotz des Altersunterschiedes hatten beide im anderen etwas von der eigenen, gelassenen Lebenseinstellung wiedergefunden. Während der Gefangenschaft hatte Prax seinen Bauchansatz gegen harte Muskeln eingetauscht, die sie alle durch die wochenlangen täglichen Übungen und gegenseitiges Stemmen aufgebaut hatten. Julius vermutete, er würde das ihm erneut geschenkte Leben wieder genießen können, sobald er erst einmal rasiert und sauber war. Bei dem Gedanken daran lächelte er und kratzte sich eine wunde Stelle unterm Arm.

Gaditicus war einer von denen, die am meisten unter den kurzen, harten Wellen am Kai gelitten hatten, aber jetzt, da das Schiff Fahrt aufnahm, statt immer nur hin und her zu schwanken, kehrte wieder Farbe in sein Gesicht zurück. Julius hatte ihm gegenüber den Respekt und die Zuneigung entwickelt, die seinem rituellen Gehorsam Gaditicus’ Rang gegenüber zuvor gefehlt hatten. Der Mann hatte die Gruppe durch sämtliche Schwierigkeiten hindurch zusammengehalten und schien sehr zu schätzen, was Julius und Cabera für sie alle getan hatten.

Suetonius hingegen war die Gefangenschaft nicht gut bekommen. Er hatte die Freundschaft, die sich zwischen Pelitas, Prax, Julius und Gaditicus entwickelt hatte, bemerkt, und war neidisch auf Julius gewesen. Eine Zeit lang hatte er sich mit den vier anderen Offizieren angefreundet, und es waren zwei Lager entstanden. Julius hatte den Wettstreit der beiden Gruppen gegeneinander beim täglichen Training ausgenutzt, und schließlich hatte einer der Offiziere Suetonius schroff zurückgestoßen, als dieser sich flüsternd bei ihm beklagen wollte.

Kurz danach hatte Cabera endlich das erste richtige Essen seit Beginn ihrer Gefangenschaft zu ihnen herunterbringen können, was die Laune der Männer schlagartig verbessert hatte. Wie immer überließ es der alte Mann Julius, die Früchte zu verteilen. Suetonius konnte es kaum erwarten, bis sie endlich wieder frei waren, denn dann musste die alte Ordnung wiederhergestellt werden. Er freute sich unbändig auf den Moment, an dem Julius wieder klar werden würde, dass er nur ein junger Unteroffizier war.

Zwei Wochen nachdem sie den Hafen verlassen hatten, wurden sie mitten in der Nacht aus der Zelle geholt und ohne Waffen und Verpflegung an einer fremden Küste abgesetzt. Als man sie zu dem kleinen Boot führte, in dem sie zum Strand gerudert werden sollten, hatte der Kapitän sich zum Abschied ironisch vor ihnen verbeugt. Laut und deutlich hörten sie die Wellen sich an der nahe gelegenen Küste brechen.

»Lebt wohl, Römer! Ich werde an euch denken, wenn ich euer Geld ausgebe!«, hatte er ihnen lachend nachgerufen. Keiner hatte ihm geantwortet, nur Julius hatte ihn starr angesehen, so als wolle er sich jeden seiner Gesichtszüge genau einprägen. Er war wütend, weil man Cabera nicht erlaubt hatte, mit ihnen zu gehen. Julius hatte das zwar erwartet, aber es war ein Grund mehr, den Kapitän aufzuspüren und zu töten.

Am Strand schnitt man ihnen die Fesseln durch, und die Matrosen gingen mit gezogenen Dolchen langsam rückwärts zu ihrem Boot zurück.

»Tut jetzt nichts Unüberlegtes«, warnte sie einer von ihnen. »Mit der Zeit findet ihr schon euren Weg nach Hause.« Dann saßen sie wieder in ihrem Boot und ruderten schnell zum Schiff zurück, das sich schwarz von der mondglänzenden See abhob.

Pelitas bückte sich, ergriff eine Hand voll von dem feinen Sand und ließ ihn durch die Finger rieseln.

»Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich gehe jetzt schwimmen«, sagte er und riss sich in plötzlicher Hast die verdreckten Kleider vom Leib. Einen Moment später stand nur noch Suetonius an Land, dann wurde auch er von den lachenden und schreienden Offizieren mitsamt seinen Kleidern ins Wasser gezerrt.

Mit dem Dolch häutete Brutus die beiden Hasen ab, die sie einem Bauern abgekauft hatten, und scharrte ihre schleimigen Innereien auf einem Haufen zusammen. Renius hatte ein paar wilde Zwiebeln gefunden, und zusammen mit dem knusprigen Brot und dem halben Schlauch Wein würde das in ihrer letzten Nacht im Freien ein richtiges Festmahl abgeben. Rom war jetzt weniger als eine Tagesreise entfernt, und nachdem sie die Pferde verkauft hatten, hatten sie auch wieder Geld.

Renius ließ ein paar schwere, trockene Holzscheite neben die Feuerstelle fallen, dann legte er sich so nah wie möglich daneben und genoss die Wärme.

»Gib mir den Schlauch mit dem Wein, mein Junge«, sagte er mit weicher Stimme.

Brutus zog den Stöpsel heraus und reichte ihn ihm hinüber. Er sah zu, wie Renius den Weinstrahl auf seinen Mund richtete und schluckte.

»Wenn ich du wäre, würde ich es langsam angehen lassen«, sagte Brutus. »Du verträgst keinen Wein. Ich habe keine Lust, dass du nachher anfängst, mit mir zu streiten, oder zu heulen oder so etwas.«

Renius ignorierte ihn und holte erst wieder Luft, als er den Schlauch absetzte.

»Es tut gut, wieder zu Hause zu sein«, sagte er.

Brutus füllte den kleinen Kochtopf bis an den Rand und legte sich dann auf der anderen Seite des Feuers nieder.

»Allerdings. Bevor der Ausguck die Küste gesichtet hat, habe ich gar nicht gewusst, wie sehr ich es vermisst habe. Erst das hat mir alles wieder in Erinnerung gerufen.«

Bei dem Gedanken daran schüttelte er verwundert den Kopf und rührte mit dem Dolch das Fleisch im Topf um. Renius hob den Kopf und legte ihn in die stützende Hand.

»Du bist nicht mehr der Junge, den ich einmal ausgebildet habe. Du hast dich sehr verändert. Ich glaube, ich habe dir nie gesagt, wie stolz ich war, als du Zenturio in der Bronzefaust geworden bist.«

»Du hast es allen anderen gesagt, so dass es mir letztendlich doch zu Ohren gekommen ist«, erwiderte Brutus lächelnd.

»Und jetzt willst du einer von Julius’ Männern werden?«, fragte Renius und beäugte beiläufig den brodelnden Eintopf.

»Warum nicht? Schließlich gehen wir denselben Weg, oder hast du das vergessen? Cabera hat das gesagt.«

»Ja, das hat er mir auch gesagt«, murmelte Renius und tauchte einen Finger in die Fleischbrühe, um zu kosten. Der Eintopf brodelte wild, aber Renius schien die Hitze gar nicht zu spüren.

»Ich dachte, das sei der Grund, warum du mit mir zurückgekommen bist. Du hättest bei der Faust bleiben können, wenn du gewollt hättest.«

Renius zuckte die Schultern. »Ich wollte lieber wieder mitten im Geschehen sein.«

Brutus grinste den stämmigen Mann an. »Ich weiß. Jetzt, wo Sulla tot ist, ist unsere Stunde gekommen.«

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