36

Julius hatte gedacht, er hätte in Afrika und Griechenland geschäftige Hafenstädte gesehen, aber Ariminum war das Zentrum des Getreidehandels des ganzen Landes; die Kais waren mit Schiffen überfüllt, die ihre Ladung löschten oder frisch beladen wurden. Es gab sogar ein Forum und Tempel, in denen die Soldaten um Beistand in den bevorstehenden Kämpfen beten und ihren Frieden finden konnten. Es war wie ein kleines Rom, errichtet am Rande der weiten Po-Ebene, und damit das Tor zum Süden. Alles, was von Norden her nach Rom unterwegs war, musste zuerst durch Ariminum.

Crassus und Pompeius hatten ein Privathaus am Rande des Forums requiriert, und dorthin lenkte Julius am zweiten Abend seine Schritte, wobei er sich mehr als einmal nach dem Weg erkundigen musste. Er war mit zehn Soldaten der Primigenia unterwegs, als Vorsichtsmaßnahme in einer fremden Stadt, aber die Bewohner schienen viel zu sehr mit ihrem Handel beschäftigt zu sein, um sich um Intrigen oder um Politik zu scheren. Ob die gewaltige Streitmacht, die in einem Ring um die Stadt lagerte, sie beunruhigte, konnte er nicht sagen. Die Schiffe und Getreidekarawanen kamen und gingen, und die Geschäfte wurden ohne Unterbrechungen fortgeführt, als bestünde die einzige Gefahr bei einem Krieg im Ansteigen der Marktpreise.

Julius und seine Männer schoben sich mit Leichtigkeit durch die dahineilenden Massen, hörten ihr Geschnatter, während sie im Gehen Geschäfte abschlossen, und sahen, dass sie von den Soldaten, denen sie auswichen, kaum Notiz nahmen. Vielleicht hatten sie Recht, sich so sicher zu fühlen, dachte er. Zusammen mit den beiden nördlichen Legionen, auf die sie in der Stadt getroffen waren, war die versammelte Streitmacht an die vierzigtausend Soldaten stark. Es war schwer, sich einen Gegner vorzustellen, mit dem sie nicht fertig werden würden, trotz des Schreckens, den Spartacus’ Rebellion nach der Verwüstung von Mutina ausgelöst hatte.

Er fand das richtige Haus, indem er sich an den Wachposten orientierte, die auf den Stufen vor der Eingangstür standen. Es war typisch für Crassus, dass er sich ein derartig opulentes Haus ausgesucht hatte, dachte Julius lächelnd. Bei aller persönlichen Bescheidenheit liebte er es, sich mit schönen Dingen zu umgeben. Julius fragte sich, ob der wahre Eigentümer die eine oder andere Lücke unter seinen Schätzen finden würde, nachdem die Römer wieder gegangen waren. Er erinnerte sich daran, dass Marius gesagt hatte, man könne Crassus in jeder Hinsicht trauen – nur nicht, wenn es um Kunst ging.

Julius wurde von einem Soldaten hineingeführt und betrat einen Raum, der von der hellen Statue eines nackten Mädchens dominiert wurde. Zu ihren Füßen hatten Crassus und Pompeius Stühle aufgestellt, ihnen gegenüber standen im Halbkreis weitere Sitzgelegenheiten.

Sechs der acht Legaten waren bereits anwesend. Als die letzten beiden eintraten, saß Julius mit den Händen im Schoß da und wartete. Der letzte war Lepidus, der in Griechenland den Leichnam des Mithridates von ihm entgegengenommen hatte. Es kam ihm vor, als sei seither eine Ewigkeit vergangen, aber der Mann trug noch immer denselben gleichgültigen Gesichtsausdruck zur Schau, als er Julius knapp zunickte und anfing, mit den Fingernägeln der einen Hand die der anderen zu säubern.

Pompeius beugte sich vor, so dass die hinteren Beine seines Stuhls sich vom Boden hoben.

»Von heute an, meine Herren, wünsche ich euch jeden Abend zu sehen, sobald die Wachen ihre Posten bezogen haben. Damit wir nicht mehr mit einer verwundbaren Reihe von vier Lagern dasitzen, habe ich Befehl gegeben, nur zwei Lager zu bilden, vier Legionen in jedem. Ihr müsstet nahe genug sein, um eure Kommandoposten zwei Stunden vor jeder Mitternacht zu erreichen.«

Interessiertes Gemurmel war von Seiten der Legaten zu vernehmen. Pompeius redete einfach weiter.

»Den letzten Berichten zufolge zieht die Sklavenarmee so rasch wie möglich nach Norden. Crassus und ich glauben, dass die Gefahr besteht, dass sie die Alpen und damit Gallien erreichen. Wenn wir sie nicht vorher abfangen, entwischen sie uns. Gallien ist groß, und unser Einfluss dort gering. Wir dürfen ihnen nicht erlauben, in die Freiheit zu entkommen, sonst haben wir es nächstes Jahr mit einem Aufstand aller noch in römischen Landen verbliebenen Sklaven zu tun. Die Zerstörung und der Verlust an Menschenleben wären unermesslich.«

Er hielt einen Augenblick inne, doch die versammelten Feldherren sahen ihn nur schweigend an. Einer oder zwei von ihnen blickten zu Crassus hinüber und fragten sich zweifellos, wer nun vom Senat beauftragt worden war, das Kommando zu führen, doch Pompeius’ Kollege saß entspannt auf seinem Stuhl und nickte nur zustimmend, während Pompeius einen Punkt nach dem anderen herunterrasselte.

»Eure Befehle lauten folgendermaßen: Ihr marschiert auf der Straße durch die Ebene in Richtung Westen, bis ich das Signal gebe, nach Norden zu schwenken. Das ist insgesamt ein längerer Weg, aber auf der Straße kommen wir rascher voran als querfeldein. Ich will dreißig Meilen am Tag, dann zwanzig, dann wieder dreißig.«

»Wie lange?«, unterbrach ihn Lepidus.

Pompeius erstarrte und verlieh seinem Verdruss durch Schweigen Ausdruck.

»Nach unseren besten Schätzungen fünfhundert Meilen nach Westen und dann weiter nach Norden, wie weit, lässt sich von hier aus ohne genauere Angaben zum Aufenthaltsort des Feindes nicht bestimmen. Es hängt selbstverständlich davon ab, wie nahe sie an die Berge herankommen. Ich erwarte…«

»Das ist nicht zu schaffen«, verkündete Lepidus kategorisch.

Pompeius hielt abermals inne. Dann erhob er sich und blickte auf den Unterfeldherrn herab.

»Ich sage dir, was geschehen wird, Lepidus. Wenn deine Legion unter meinem Kommando nicht so schnell marschiert wie die anderen, dann degradiere ich dich von deinem Rang und gebe ihn jemandem, der sie zum Marschieren bringen kann.«

Lepidus stotterte empört. Julius fragte sich, ob man ihm wohl erzählt hatte, wie dicht er davor gestanden hatte, den Befehl über sämtliche Legionen zu erhalten. Nur wenige Stimmen im Senat hatten gefehlt, dann wären die Positionen zwischen ihm und Pompeius jetzt vertauscht gewesen. Er musterte Lepidus genauer und vermutete, dass dieser sehr wohl über die Abstimmung informiert war. Zweifellos hatte Cato es ihm mitgeteilt, als die Truppen sich auf dem Campus Martius aufgestellt hatten, in der Hoffnung, damit den Grundstein für zukünftige Streitigkeiten zu legen.

»Meine Männer haben schon jetzt dreihundert Meilen in enormem Tempo zurückgelegt, Pompeius. Das können sie auch wieder tun, aber zunächst müssten sie sich zwei Wochen ausruhen, und auch dann sind nicht mehr als zwanzig, höchstens fünfundzwanzig Meilen am Tag möglich. Jede Meile mehr kostet uns Soldaten.«

»Dann kostet es eben Soldaten!«, blaffte Pompeius zurück. »Jeden Tag, den wir länger in Ariminum warten, bringt diesen Spartacus den Bergen und der Freiheit in Gallien näher. Ich bleibe keinen Tag länger hier, als es unbedingt notwendig ist, um Proviant aufzuladen. Wenn wir am Ende ein paar Dutzend Hinkebeine und verstauchte Knöchel haben, dann ist es den Preis wert. Selbst ein paar Hundert sind gerechtfertigt, wenn es den Ausschlag gibt, ob wir sie noch erwischen oder sie mit dem Blut abgeschlachteter römischer Bürger an den Händen entkommen sehen. Neuntausend Tote in Mutina!« Die Stimme des Pompeius war immer lauter geworden, bis er Lepidus schließlich mit vorgebeugtem Oberkörper anschrie. Dieser sah ihn mit aufreizender Ruhe an.

»Wer hat hier eigentlich das Kommando?«, erkundigte sich Lepidus und vollführte eine Handbewegung in Richtung Crassus. »Man hat mir zu verstehen gegeben, Crassus habe im Senat über mich obsiegt. Ich erkenne dieses ›Stellvertreter‹-Getue nicht an. Ist das überhaupt legal?«

Den anderen Legaten entging die Tatsache keineswegs, dass Lepidus der Anführer hätte sein können, ebenso wenig wie Julius. Wie Katzen beobachteten sie die Sprecher und warteten mit sorgsam verborgenen Krallen auf den Ausgang der Debatte. Jetzt erhob sich Crassus, um neben Pompeius zu treten.

»Pompeius spricht mit meiner Stimme, Lepidus, und das ist die Stimme des Senats. Was du auch gehört haben magst, du solltest dir darüber im Klaren sein, dass es dir nicht zusteht, deinen Befehlshaber anzuzweifeln.«

Pompeius’ Gesicht war verkrampft vor Zorn.

»Ich sage dir, Lepidus, beim geringsten Fehler deinerseits wirst du deines Ranges enthoben. Stellst du noch einmal einen meiner Befehle in Frage, lasse ich dich töten und an den Straßenrand werfen. Verstanden?«

»Absolut«, erwiderte Lepidus, allem Anschein nach zufrieden gestellt.

Julius überlegte, was er sich wohl von diesem Schlagabtausch versprochen hatte. Hoffte der Legat, Crassus zu untergraben? Julius wusste, dass er unter einem solchen Mann nicht dienen konnte, gleichgültig, auf welche Weise er versuchte, sich Autorität zu verschaffen. Die Drohung, die Pompeius ausgestoßen hatte, war gefährlich. Wenn die Soldaten von Lepidus’ Legion ihrem Feldherrn ebenso loyal ergeben waren, wie Julius es bei der Primigenia und Marius gesehen hatte, dann war Pompeius ein Risiko eingegangen. An Pompeius’ Stelle hätte Julius es für besser gehalten, Lepidus auf der Stelle töten zu lassen und seine Legion in Schande nach Rom zurückzuschicken. Der Verlust der Männer war leichter zu verschmerzen, als mit Soldaten zu marschieren, die ihnen eventuell in den Rücken fielen.

»Wir brechen in zwei Tagen auf, im Morgengrauen«, sagte Pompeius. »Ich habe bereits meine Spione ausschwärmen lassen. Sie haben Befehl, sich der Hauptstreitmacht anzuschließen, sobald wir nahe genug herangekommen sind. Die Kampftaktik wird entschieden, sobald uns genauere Informationen vorliegen. Ihr seid entlassen. Tribun Cäsar, ich möchte mit dir reden, wenn du noch einen Moment bleiben könntest.«

Lepidus erhob sich mit den anderen Legaten und fing mit zwei von ihnen eine Unterhaltung an, als sie langsam aus dem Raum schritten. Bevor ihre Stimmen verklangen, hörte Julius ihn über eine geistreiche Bemerkung lachen, und er sah, wie Pompeius gereizt mitten in der Bewegung erstarrte.

»Dieser Bursche ist Catos verlängerter Arm«, sagte Pompeius zu Crassus. »Wir können uns darauf verlassen, dass er sich zu allem, was wir tun, Notizen macht, damit er ihm Bericht erstatten kann, sobald wir wieder in Rom sind.«

Crassus zuckte die Achseln. »Dann schick ihn zurück. Ich versehe die Entscheidung mit meinem Siegel, und wir schlagen die Aufständischen mit sieben Legionen ebenso leicht wie mit acht.«

Pompeius schüttelte den Kopf. »Vielleicht. Aber es gibt noch andere Berichte, die ich nicht erwähnt habe. Julius, das hier muss unter uns bleiben, verstanden? Es besteht keine Veranlassung, die Gerüchte vor morgen im Lager umgehen zu lassen, und genau das wäre geschehen, wenn ich es den anderen mitgeteilt hätte, besonders Lepidus. Die Sklavenarmee ist erschreckend angewachsen. Mir liegen Meldungen vor, die von fünfzigtausend Mann sprechen. Hunderte von Höfen und Gütern sind geplündert worden. Sie können jetzt nicht mehr zurück, und das macht sie zu entschlossenen Kämpfern. Sie kennen die Strafe für entflohene Sklaven, und dieser Aufstand lässt sich nur mit einer gewaltigen Machtdemonstration beenden. Ich glaube, wir werden jede Legion brauchen, die wir haben.«

Julius stieß einen leisen Pfiff aus. »Wir können uns also nicht darauf verlassen, dass wir sie vernichtend schlagen«, sagte er.

Pompeius verzog das Gesicht. »Nein, es sieht nicht so aus. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass sie bei unserem ersten Angriff Hals über Kopf davonlaufen, aber man muss bedenken, dass sie Frauen und Kinder bei sich haben, und dass sie nirgendwo hinkönnen, wenn sie verlieren. Diese Gladiatoren haben inzwischen mehr als einen Sieg für sich verbuchen können, das heißt, es handelt sich um mehr als nur einen bunt zusammengewürfelten Haufen.« Er schnaubte leise. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich mich fragen, ob Cato vielleicht sogar darauf hofft, dass wir verlieren… aber nein, das wäre sogar für ihn zu vermessen. Sie könnten sich immer noch nach Süden wenden, und ab Ariminum liegt das Land offen da. Sie müssen vernichtet werden, und um das zu bewerkstelligen, brauche ich gute Anführer, Julius.«

»Ich habe mehr als zweitausend Mann unter dem Adler der Primigenia«, erwiderte Julius. Er verschwieg, dass Cato die Hälfte davon gestellt hatte, um seinen Sohn zu schützen. Renius hatte sie bis zum Umfallen exerzieren lassen, doch im Vergleich zu den schon länger bestehenden Legionen waren sie immer noch zweite Wahl. Er fragte sich, wie viele von ihnen auf den richtigen Augenblick warteten, um ihm ein Messer in den Rücken zu jagen. Mit solchen Männern strotzte er nicht gerade vor Selbstvertrauen, trotz all seiner Versicherungen Renius gegenüber, dass sie eines Tages Primigenia-Legionäre werden würden.

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie gut es tut, diesen Namen wieder auf dem Feld zu sehen«, sagte Pompeius, dessen Lächeln erstaunlich jungenhaft wirkte. Dann legte sich wieder der Mantel seines ständigen Zorns über ihn, so wie es seit dem Tod seiner Tochter gewesen war. »Ich will, dass die Primigenia an Lepidus’ Flanke marschiert. Ich traue keinem Mann, der Cato als Gönner hat. Wenn es zum Kampf kommt, halte dich in seiner Nähe. Ich vertraue darauf, dass du tust, was auch immer zu tun sein wird. Damit bist du wohl so etwas wie mein persönlicher Extraordinarius. Du hast dich in Griechenland gut geschlagen. Schlag dich auch für mich gut.«

»Ich stehe dir zu Befehl«, bestätigte Julius mit einem kurzen Neigen des Kopfes. Er sah Crassus in die Augen und schloss ihn in seine soeben aufkeimenden Pläne ein. Er musste unbedingt Brutus einweihen.

Als er das Haus verließ und die Soldaten der Primigenia sich ihm wieder anschlossen, verspürte Julius einen Anflug von Aufregung und Stolz. Man hatte ihn nicht vergessen, und er würde dafür sorgen, dass Pompeius sein Vertrauen nicht bereute.

Der Sklave bohrte seine Hacke in den harten Boden und teilte die bleichen Erdschollen mit einem Grunzen. Schweiß tropfte ihm vom Gesicht und hinterließ dunkle Flecken im Staub, und seine Schultern brannten vor Anstrengung. Zuerst bemerkte er den Mann nicht, der ganz in seiner Nähe stand, so sehr war er mit seinem eigenen Elend beschäftigt. Wieder hob er das Werkzeug, und erst jetzt registrierte er aus dem Augenwinkel eine kleine Bewegung. Er reagierte nicht sofort, sondern überspielte seine Überraschung mit den Bewegungen seiner Arbeit. Die Blasen an seinen Händen waren wieder aufgegangen, und er legte die Hacke nieder, um sie zu versorgen, wobei er sich der Gegenwart des Mannes bewusst war, sich sein Wissen jedoch noch nicht anmerken lassen wollte. Er hatte gelernt, auch den kleinsten Vorteil vor seinen Herren zu verbergen.

»Wer bist du?«, fragte die dunkle Gestalt leise.

Der Sklave drehte sich ruhig zu ihm um. Der Mann trug einen groben braunen Umhang über einer zerlumpten Tunika. Sein Gesicht war teilweise verdeckt, aber die Augen brannten vor Wissbegier und Mitleid.

»Ich bin ein Sklave«, antwortete er und kniff die Augen gegen die Helligkeit der Sonne zusammen. Sogar hier, zwischen den Reihen der Weinreben, brannte sie auf seine Haut herab, versengte und verbrannte ihn. Auf seinen Schultern waren rote, wunde Flecken zu sehen, und die sich schälende Haut hörte nicht auf zu jucken. Er kratzte müßig an einer dieser Stellen, während er den Neuankömmling musterte. Ob der Mann wusste, wie nahe die Wachen waren?

»Du solltest nicht hier bleiben, Freund. Der Eigentümer hat Wächter auf seinen Äckern. Wenn sie dich finden, töten sie dich, weil du unbefugt sein Land betreten hast.«

Der Fremde zuckte die Achseln, ohne den Blick abzuwenden.

»Die Wächter sind tot.«

Der Sklave hörte auf sich zu kratzen und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sein Verstand fühlte sich vor Erschöpfung taub an. Wie war es möglich, dass die Wächter tot waren? War der Mann verrückt? Was wollte er überhaupt? Seine Kleider sahen nicht viel anders aus als seine eigenen. Der Fremde war nicht reich, vielleicht ein Bediensteter des Herrn, der gekommen war, um seine Treue auf die Probe zu stellen. Oder auch nur ein Bettler.«

»Ich… ich muss zurück«, murmelte er.

»Hast du mich nicht gehört? Die Wächter sind tot. Du musst nirgendwohin. Wer bist du?«

»Ich bin ein Sklave!«, fuhr er den Fremden an. Es war ihm nicht möglich, die Bitterkeit aus seiner Stimme zu verbannen.

Um die Augen des Fremden bildeten sich Fältchen, und der Sklave erkannte, dass er unter dem Tuch lächelte.

»Nein, mein Bruder. Wir haben dich zu einem freien Mann gemacht.«

»Das ist unmöglich.«

Der Mann lachte laut bei diesen Worten und zog den Umhang herab. Ein kräftiges, gesundes Gesicht wurde sichtbar. Ohne Warnung schob er zwei Finger in den Mund und pfiff leise. Es raschelte in den Reben, und der Sklave packte in einem Anflug von Furcht seine Hacke fester; sein Kopf füllte sich mit Bildern von Mördern, die aus Rom kamen, um ihn zu töten. Beinahe konnte er die Süße schmecken, an die er sich erinnerte, und sein Magen verkrampfte sich jäh, obwohl nichts darin war, was er hätte auswürgen können.

Aus den grünen Schatten tauchten Männer auf, die ihn anlächelten. Er hob die Hacke und hielt sie drohend.

»Wer ihr auch sein mögt, lasst mich in Ruhe. Ich sage niemandem, dass ihr hier wart«, zischte er. Sein Herz machte einen Satz, und vor Hunger wurde ihm ein wenig schwindelig.

Der erste Mann lachte.

»Es gibt niemanden mehr, dem du es sagen könntest, mein Freund. Du bist ein Sklave, und du bist befreit worden. Das ist die Wahrheit. Die Wächter sind tot, und wir ziehen weiter. Willst du mit uns kommen?«

»Was ist mit…« Er brachte es nicht fertig, vor diesen Männern von seinem »Herrn« zu sprechen. »Was ist mit dem Eigentümer und seiner Familie?«

»Sie sind Gefangene in ihrem eigenen Haus. Willst du sie wiedersehen?«

Der Sklave schaute die Männer an und musterte ihre Züge. In ihnen war eine Begeisterung, die er verstehen konnte, und endlich begann er, ihnen zu glauben.

»Ja, ich will sie sehen. Ich möchte eine Stunde mit den Töchtern und dem Vater allein sein.«

Der Mann lachte wieder, doch es war kein angenehmer Laut.

»So viel Hass. Aber ich kann dich verstehen. Kannst du mit einem Schwert umgehen? Ich habe hier eins für dich, wenn du willst.« Er streckte es ihm versuchsweise hin. Sklaven war es verboten, Waffen zu tragen. Wenn er es nahm, war er des Todes, wie die anderen auch. Er streckte die Hand aus, packte den Gladius mit beherztem Griff und spürte das vertraute Gewicht.

»Also, wer bist du?«, fragte der Fremde leise.

»Ich heiße Antonidus. Einst war ich ein Heerführer in Rom«, sagte er und streckte kaum merklich den Rücken.

Der Mann hob die Brauen.

»Spartacus wird dich sehen wollen. Er ist auch in der Armee gewesen, bevor… das alles hier passiert ist.«

»Überlasst ihr mir die Familie?«, fragte Antonidus ungeduldig.

»Du bekommst deine Stunde, aber dann müssen wir weiter. Heute müssen noch mehr Sklaven befreit werden, und unsere Armee braucht das Getreide, das hier in den Kammern lagert.«

Bei dem Gedanken daran, was er den Menschen, die sich seine Herren genannt hatten, antun würde, breitete sich ein träges Lächeln auf Antonidus’ Gesicht aus. Er hatte sie bei der Arbeit immer nur aus der Ferne gesehen, aber seine Vorstellungskraft hatte die überheblichen Blicke und Kränkungen ergänzt, die er nicht sehen konnte. Er fuhr mit dem Daumen über die Klinge.

»Bringt mich zuerst dorthin. Nachdem ich meine Genugtuung gehabt habe, gehöre ich euch.«

Das Labyrinth aus schmutzigen Straßen schien völlig abgetrennt vom Leben und vom Licht Roms. Die beiden Männer, die Cato entsandt hatte, trotteten vorsichtig durch Abfall und Unrat und versuchten, nicht auf die scharrenden Geräusche von Ratten und größeren Raubtieren in den finsteren Gassen zu achten. Irgendwo schrie ein Kind, dann brach das Geräusch jäh ab, wie erstickt. Die beiden Männer hielten den Atem an, warteten darauf, dass das Schreien wieder einsetzte, und schauderten verstehend, nachdem die Stille zu lange angehalten hatte. Ein Leben zählte nicht viel an diesem Ort.

Sie merkten sich die Anzahl der Abbiegungen und verständigten sich flüsternd miteinander, ob eine kleine Lücke zwischen den Gebäuden als Gasse zählte oder nicht. Diese Zwischenräume waren manchmal kaum mehr als einen Fuß breit und mit einer dunklen Masse angefüllt, die sie nicht näher zu betrachten wagten. Aus einer ragte ein toter, halb in irgendwelchen Abfällen versunkener Hund hervor, der sich ihnen im Vorübergehen zuzuneigen schien und dabei leise bebte, während der begrabene Teil seines Körpers von ungesehenen Mäulern abgenagt wurde.

Als sie die Kreuzung erreicht hatten, an der sie laut Catos Anweisungen warten sollten, waren die beiden Männer halb verrückt vor Unruhe. Die Kreuzung war beinahe verlassen, nur wenige Leute huschten an ihnen vorüber, ohne sie zu beachten.

Nach einer Weile löste sich ein Schatten aus der Dunkelheit eines Überhangs und kam geräuschlos auf sie zu.

»Wen sucht ihr hier?«, flüsterte eine Stimme.

Beide Männer schluckten ängstlich, ihre Augen versuchten angestrengt, Gesichtszüge in der Finsternis zu erkennen.

»Seht mich nicht an!«, fuhr sie die Stimme an.

Sie drehten sich zur Seite, als hätte sie jemand gestoßen, und blickten die von Kehricht übersäte Gasse hinunter. Ein Übelkeit erregender Geruch hüllte sie ein, als die dunkle Gestalt so nahe an sie herantrat, dass sie sie berühren konnte.

»Unser Herr hat uns aufgetragen, demjenigen, der sich uns nähert, den Namen Antonidus zu nennen«, sagte einer der Männer und atmete durch den Mund.

»Er ist weit in den Norden als Sklave verkauft worden. Wer ist jetzt euer Herr?«, gab die Stimme zurück.

Einer der Männer erinnerte sich plötzlich an den Geruch von damals, als sein Vater gestorben war. Er musste sich übergeben, krümmte sich zusammen und spie seine letzte Mahlzeit in den unkenntlichen Matsch, der den Boden der Gasse bedeckte. Der andere antwortete stockend: »Keine Namen, hat man uns gesagt. Mein Herr wünscht die Verbindung mit dir fortzusetzen, aber es dürfen keine Namen genannt werden.«

Ein warmer Verwesungsgeruch wallte über sie hinweg.

»Ich könnte ihn erraten, ihr Narren, aber das hier ist ein Spiel, das ich nur allzu gut beherrsche. Na schön. Und was will euer Herr von mir? Redet, solange meine Geduld für euch noch ausreicht.«

»Er… unser Herr sagt, du sollst denjenigen vergessen, um den dich Antonidus gebeten hat… jetzt, wo der Heerführer in die Sklaverei verkauft wurde. Er wird dir andere Namen nennen und dir deinen Preis zahlen. Er will die Geschäftsbeziehung fortführen.«

Die Gestalt stieß einen leisen, enttäuschten Seufzer aus. »Sagt ihm, er soll mir die Namen nennen, dann werde ich entscheiden. Ich verspreche niemandem, dass ich ihm diene. Was den Tod angeht, den Antonidus gekauft hat, so ist es zu spät. Ich kann die Männer, die ich ausgesandt habe, nicht mehr zurückrufen. Das Opfer ist bereits tot, auch wenn es noch nichts davon weiß. Jetzt geh zurück zu deinem Herrn und nimm deinen Gefährten mit dem schwachen Magen mit.«

Die Gestalt verschwand, und Catos Bediensteter holte erst einmal tief Luft. Der Gestank der Straße war allemal angenehmer als der süßliche Geruch, der während der Unterhaltung in seine Kleider und seine Haut eingedrungen zu sein schien. Er haftete den beiden Männern noch immer an, bis sie die breiteren Straßen der Stadt erreicht hatten, eine Welt, die lachte und schrie und nichts von den schwärenden Gassen wusste, die ihr so nahe waren.

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