21.

»Noch einen Kaffee - oder vielleicht etwas Stärkeres, Professor?« Sheriff Wilson schwenkte die Kaffeekanne in Mogens' Richtung und machte ein fragendes Gesicht, zuckte dann aber nur gleichmütig mit den Schultern, als dieser mit einem Kopfschütteln ablehnte, und schenkte sich einen weiteren Becher der dampfenden Flüssigkeit ein, die nicht nur wie geschmolzener Teer aussah, sondern nach Mogens' Dafürhalten auch genau so schmeckte.

»Ganz wie Sie wollen, Professor«, sagte er. »Aber Sie sollten es sich überlegen. Ich fürchte, wir haben noch ein ziemlich langes Gespräch vor uns.«

Mogens verzichtete auf eine Antwort. Es war lange her, aber er hatte gewisse Erfahrungen im Umgang mit Gesetzeshütern, genug zumindest, um zu wissen, dass jedes Wort überflüssig war. Er konnte nicht sagen, ob Wilson ihn verdächtigte, und wenn ja, wessen überhaupt, aber was er mit absoluter Gewissheit sagen konnte war, dass Wilson sich bereits eine Meinung über das gebildet hatte, was er draußen beim Wrack des Fords gesehen hatte, und dass jeder Versuch, ihn von irgendetwas anderem zu überzeugen, nichts als verschwendeter Atem war. Die Art, auf die Wilson seine Fragen stellte; die Art, auf die er zuhörte; die Art, auf die er ihn ansah; selbst die Art, auf die er scheinbar gar nichts tat, waren Mogens nur zu bekannt. Für Wilson war der Fall bereits klar, und nichts, was Mogens auch immer sagen oder tun konnte, würde ihn von seiner vorgefassten Meinung abbringen.

»Also noch einmal von vorn?«, fragte Wilson. In seiner Stimme war ein ganz sachter, fast flehender Unterton, doch endlich mit der Wahrheit rüberzukommen, und vor allem sein Blick machte Mogens klar, wie müde es der Sheriff war, ihm immer und immer wieder dieselben Fragen zu stellen, und immer und immer wieder die gleichen Antworten zu bekommen - nur nicht die, die er hören wollte. Aber er machte ihm auch ebenso klar, dass Wilson durchaus bereit war, noch Stunden so weiterzumachen und wenn es sein musste, Tage.

Mogens zog die dünne Wolldecke enger um die Schultern, die Wilson ihm gegeben hatte, und unterdrückte mit Mühe ein Schaudern, das seine Ursache zu gleichen Teilen in Müdigkeit wie in ganz banaler Kälte hatte. Unter der groben Wolldecke, die wie Sandpapier auf seiner Haut kratzte, war er nackt. Wilson hatte ihm seine schmutzstarrenden Kleider abgenommen, angeblich, um sie reinigen zu lassen, aber Mogens nahm an, dass es ihm viel mehr darum ging, sie nach Blut oder anderen verräterischen Spuren zu untersuchen.

»Ich bitte Sie, Sheriff«, sagte er müde. »Ich kann Ihnen nicht mehr sagen als das, was ich Ihnen schon ein Dutzend Mal gesagt habe. Ich kann Sie nicht zwingen, mir zu glauben, aber Sie werden nichts anderes von mir hören, und wenn das hier noch einen ganzen Tag dauert.«

Er hatte sich bemüht, einen allenfalls resignierenden Tonfall in seine Stimme zu legen, und keinesfalls herausfordernd oder gar herablassend zu klingen, aber dieser Versuch schien offensichtlich nicht unbedingt von Erfolg gekrönt zu sein, denn er konnte regelrecht sehen, wie sich etwas in Wilsons scheinbar gleichmütig dreinblickenden Augen änderte. Mogens gemahnte sich in Gedanken zur Vorsicht. Wilson hatte vermutlich nicht einmal etwas gegen ihn, aber er war ein einfacher Mann, und wie viele einfache Menschen begegnete er Akademikern mit einer Mischung aus Respekt und aus Unsicherheit geborener Aggressivität.

»Sheriff, was erwarten Sie eigentlich von mir?«, fuhr er, nach einer spürbaren Pause und mit deutlich veränderter, ruhigerer Stimme fort. »Ich kann Ihnen nicht mehr sagen. Ich bin nach draußen gegangen, um nach einer Katze zu suchen, die verschwunden war.«

»Und Sie haben sie gefunden, aber leider nicht mehr lebendig«, seufzte Wilson. »Irgendein Raubtier hatte sie in Stücke gerissen. Doch statt zurückzugehen und Hilfe zu holen - oder wenigstens eine Waffe! - haben Sie sich auf eigene Faust und mit leeren Händen an die Verfolgung des Raubtieres gemacht, das, wie Sie selbst sagen, eine ausgewachsene Katze in Stücke gebissen hat.« Er schüttelte den Kopf. »Können Sie sich vorstellen, welches Tier in der Lage ist, so etwas zu tun, Professor?«

Mogens schwieg. Er konnte es sich nicht vorstellen, er hatte es gesehen, aber er hatte Wilson nichts von dem glutäugigen Ungeheuer erzählt. So etwas hatte er einmal getan, vor neun Jahren, und er würde es nie wieder tun.

»Sie müssen entweder ein sehr mutiger Mann sein, Professor, oder ein sehr dummer«, fuhr Wilson fort, als er keine Antwort bekam.

»Dumm«, mischte sich eine Stimme von der Tür her ein, »wäre es allerhöchstens, wenn Professor VanAndt jetzt auch nur noch eine einzige Ihrer Fragen beantworten würde, Sheriff.« Wilson sah mit einem Ruck auf, und Mogens konnte nicht nur erkennen, dass alle Farbe aus seinem Gesicht wich, sondern auch, wie sich seine Augen mit einer jähen Mischung aus Schrecken und Zorn füllten, ohne dass er hätte sagen können, welches dieser beiden Gefühle nun überwog. Dann fuhr auch er überrascht zusammen, als er sich auf seinem Sitz umdrehte und den uneingeladenen Gast erkannte, der Wilsons Büro betreten hatte. »Jonathan!«

Graves nickte ihm flüchtig zu, bevor er die Tür mit einer unnötig heftigen Bewegung hinter sich ins Schloss warf und an Wilsons Schreibtisch herantrat. »Was geht hier vor?«, fragte er herausfordernd.

Im allerersten Moment schien es, als reiche allein Graves' herrischer Ton, um Wilsons Widerstand zusammenbrechen zu lassen, dann aber erinnerte sich der Sheriff ganz offensichtlich, wo sie hier waren. Er stand nicht auf, funkelte Graves aber mit trotzig vorgerecktem Kinn an und ließ ganz bewusst einige Sekunden verstreichen, bevor er antwortete: »Guten Morgen, Doktor Graves. Und um Ihre Frage zu beantworten: Ich habe einige Fragen an Professor VanAndt, und ich denke nicht, dass es Sie etwas angeht, was...«

»Oh, Sie denken«, fiel ihm Graves höhnisch ins Wort. »Nun, dann werde ich Ihnen sagen, was ich denke, Sheriff.« Er wedelte mit der Hand in Mogens' Richtung, ohne Wilson dabei auch nur für eine Sekunde aus den Augen zu lassen. »Es geht mich sehr wohl etwas an, wenn Sie einen meiner Mitarbeiter verhören, Sheriff!«

»Niemand hat etwas von einem Verhör gesagt«, antwortete Wilson. Es versuchte, selbstbewusst zu klingen, aber seine Worte hörten sich eigentlich nur noch verstockt an. Er hatte bereits verloren, begriff Mogens. »Ich habe lediglich ein paar Fragen an Professor VanAndt.«

»Und dazu muss er sich ausziehen und halb nackt vor Ihnen auf einem Stuhl sitzen?«

»Das hat damit nichts zu tun«, sagte Mogens rasch. »Meine Kleider waren verschmutzt. Sheriff Wilson war so freundlich, sie säubern zu lassen.«

Graves warf ihm einen kurzen, eisigen Blick zu, sprach jedoch an Wilson gewandt weiter. »Was ist geschehen?«

»Wir haben Ihren«, er deutete auf Mogens, »... Mitarbeiter in der Nähe des ausgebrannten Wagens aufgegriffen. Er hat sich daran zu schaffen gemacht.«

Graves hob scheinbar gelangweilt die Schultern. »Was nicht strafbar ist, oder? Streng genommen gehört der Wagen immer noch mir. Und ich habe nichts dagegen, dass Professor VanAndt ihn sich anschaut.«

In Wilsons Augen blitzte es auf. »Übertreiben Sie es nicht, Doktor Graves! Das hier ist vielleicht nur eine einfache kleine Stadt, und ich bin nur ein einfacher Sheriff, aber wir wissen hier immerhin, was Recht ist und was nicht. Die Ursache des Unfalls ist noch nicht geklärt. Es sind zwei Menschen ums Leben gekommen, vielleicht sogar drei, und Professor VanAndt wurde mitten in der Nacht dabei beobachtet, wie er sich in der Nähe des ausgebrannten Fahrzeugs herumgetrieben hat.« Er ließ eine kurze, genau bemessene Pause folgen, bevor er fast triumphierend hinzufügte: »Und die Leichen Doktor McClures und Doktor Mercers sind verschwunden.«

»Und?«, fragte Graves so ruhig, als wäre an dieser Neuigkeit rein gar nichts Besonderes. »Glauben Sie jetzt vielleicht, dass Professor VanAndt sie weggeschafft hat?«

»Immerhin hatte er Blut an den Händen«, sagte Wilson.

»Ja, Doktor Hyams' Blut!«, begehrte Mogens auf.

»Doktor Hyams?« Immerhin schien es Mogens zumindest für einen Moment gelungen zu sein, Graves' Aufmerksamkeit zu erregen. »Wieso Hyams? Soll das heißen...?«

»Sie ist noch am Leben«, sagte Mogens. »Jedenfalls glaube ich, dass sie das war, als Sheriff Wilson mich verhaftet hat.«

Graves fuhr mit einer zornigen Bewegung wieder zu Wilson herum, aber diesmal kam ihm der Sheriff zuvor. »Selbstverständlich nehme ich Professor VanAndts Aussage ernst«, sagte er. »Auch wenn es mir, offen gestanden, schwer fällt, sie zu glauben. Trotzdem habe ich fünf Männer zur Unfallstelle hinausgeschickt, um noch einmal das ganze Gelände absuchen zu lassen. Glauben Sie mir - sollte Doktor Hyams noch am Leben sein, dann finden meine Leute sie.«

»Und sollte sie nicht mehr am Leben sein, Sheriff...«, Graves beugte sich herausfordernd vor und stützte die Fingerknöchel auf Wilsons Schreibtisch ab, »... dann werden meine Leute herausfinden, wann Doktor Hyams gestorben ist. Und sollte sich herausstellen, dass sie sterben musste, weil Sie nicht auf Professor VanAndt gehört und die Suche nach ihr zu spät eingeleitet haben, dann gnade Ihnen Gott!«

Wilsons Gesicht verlor auch noch das letzte bisschen Farbe, aber Graves gab ihm keine Gelegenheit, etwas zu erwidern, sondern fuhr mit leiserer, aber beinahe noch schneidenderer Stimme fort: »Darf ich nun davon ausgehen, dass ich Professor VanAndt wieder mit zurück ins Lager nehmen kann? Wir haben eine Menge Arbeit vor uns!«

»Selbstverständlich«, antwortete Wilson gepresst. Er warf Mogens einen prüfenden Blick zu. »Sie haben zwar nicht genau meine Größe, aber ich könnte Ihnen meine Reserveuniform anbieten - nur für den Rückweg.«

»Und zweifellos werden Sie auch so freundlich sein, sie selbst wieder abzuholen, nicht wahr?«, fragte Graves höhnisch. »Am besten gleich heute Nachmittag.«

Wilsons Gesicht verdüsterte sich noch weiter, aber er schluckte die zornige Antwort, die ihm auf der Zunge lag, mit sichtbarer Mühe herunter und ging, vermutlich um die versprochene Uniform zu holen. Graves wartete gerade, bis er den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann fuhr er zu Mogens herum, und die vermeintliche Gelassenheit glitt wie eine Maske von seinem Gesicht.

»Was, um alles in der Welt...«, begann er.

»Es ist wieder da, Jonathan«, fiel ihm Mogens ins Wort.

Graves legte den Kopf auf die Seite. »Was ist wieder da?«

»Das... das Ding«, antwortete Mogens. Seine Stimme zitterte so heftig, dass er Mühe hatte, überhaupt weiterzusprechen. »Das Ungeheuer vom Friedhof, das Janice geholt hat.«

»Was redest du da, Mogens?«, fragte Graves. Er versuchte zu lachen, aber es gelang ihm nicht. »Das ist doch Unsinn.«

»Ich habe es gesehen«, fuhr Mogens beinahe im Flüsterton fort. »Es hat Cleopatra getötet, und... und ich glaube, es hat auch Hyams geholt.« Er atmete tief ein, um überhaupt die Kraft zum Weitersprechen zu finden. »Vor ein paar Tagen, Jonathan, draußen auf dem Friedhof, da habe ich es zum ersten Mal gesehen. Es war das Ding aus dem Mausoleum. Dasselbe, das damals Janice und die beiden anderen geholt hat. Es ist hier, Jonathan.«

Er rechnete mit Widerspruch; vielleicht, dass Graves ihn auslachte, zumindest aber zweifelte, aber Graves sah ihn nur sekundenlang schweigend und sehr nachdenklich an, bevor er in sehr ernstem Ton fragte: »Bist du sicher?«

»Ja«, antwortete Mogens. »Todsicher.«

Graves schwieg eine ganze Weile. Er sah sehr nachdenklich aus, aber auch sehr erschrocken. »Aber warum?«, murmelte er. »Warum jetzt? Warum hier?«

»Vielleicht war es die ganze Zeit hinter uns her, Jonathan«, antwortete Mogens. »Vielleicht... hat es all die Jahre nur darauf gewartet, dass es uns zusammen erwischt.«

»Unsinn«, sagte Graves. Er lachte, aber er klang noch immer nervös. Jetzt vielleicht noch mehr. »Das ist... ich meine: Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Warum sollte es... Ich habe doch gar nichts...«

»Ich habe es verletzt«, sagte Mogens leise. »Aber du warst dabei, Jonathan. Vielleicht will es uns ja beide.« Er hob die Schultern. »Es kann kein Zufall sein, dass es nach all der Zeit wieder auftaucht. Wir waren seit jener Nacht nie wieder zusammen, Jonathan.« Er zögerte einen Moment, fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen und sah rasch zu der Tür, durch die Wilson verschwunden war, dann zum Eingang, bevor er weitersprach. »Und da ist noch etwas.«

»Was?«

»Tom«, sagte Mogens. »Ist er bei dir?«

Graves sah ebenfalls rasch zu der Tür, durch die er gerade selbst hereingekommen war, bevor er antwortete. »Nein. Ich bin mit dem Buick gekommen. Warum fragst du?«

»Weil ich glaube, dass... dass er irgendetwas damit zu tun hat«, antwortete Mogens zögernd.

»Tom?«

Mogens nickte. Er antwortete nicht gleich, und als er es tat, da sprach er mit leiser, stockender Stimme. Plötzlich ergab alles einen Sinn, auch wenn er sich immer noch weigerte, es zu glauben. Tom, der so unglaublich viel wusste. Der alles konnte und keinen Schlaf zu brauchen schien. Der immer und stets zur Stelle war, wenn man ihn brauchte. Der auf alles eine Antwort hatte. »In der Nacht, in der ich es zum ersten Mal gesehen habe, Jonathan, draußen auf dem Friedhof. Es war Tom. Er hat mich zurückgebracht, nachdem ich in Ohnmacht gefallen war. Ich meine, er... er sagt, dass er es war, den ich dort draußen gesehen habe, aber ich bin nicht mehr sicher, dass das stimmt. Er muss es einfach gesehen haben.«

Graves schwieg. Er wurde noch blasser.

»Was hast du?«, fragte Mogens.

»Tom«, antwortete Graves. »Miss Preussler hat ihn gebeten, ihm die Ausgrabungsstelle zu zeigen. Als ich losgefahren bin, haben sie sich gerade auf den Weg nach unten gemacht.«

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