«Das mußt du dir vorstellen. Im Hotelfoyer kommt eine Frau mit Hund auf mich zu. Danke für das wunderbare Buch, das Sie geschrieben haben!«
«Nett.«
«Die Frau war Iris Berben.«
«Oh.«
«Ja.«
«Iris Berben hat sehr schöne Beine.«
«Einen netten Hund hat sie. Einen Mischling namens Pauli. Und der Fahrer, der mich ins Studio brachte, kannte die Vermessung der Welt ebenfalls. Stell dir das mal vor, ein Fahrer, der liest.«
«Daran merkt man, daß du nicht in Österreich warst.«
«Allerdings.«
«Ich glaube, ich habe gestern nacht wieder Emails geschrieben.«
«Na und? Ich habe auch Emails geschrieben.«
«Ja, aber du warst nicht betrunken.«
«Vielleicht doch.«
«Zum Kuckuck, du weißt schon, was ich meine.«
«Na sagen wir, ich kann es mir vorstellen.«
«Eben.«
«Ja, was willst du jetzt von mir hören? Schreib keine Emails, wenn du betrunken bist.«
«Ich hab es ja schon mit Zusperren des Arbeitszimmers versucht. Aber ich weiß ja vorher nicht, ob ich betrunken nach Hause komme.«
«Das würde ich so nicht sagen.«
«Ich habe das erzählt, damit du mich beruhigst.«
«Entschuldige.«
«Bitte.«
«Entschuldige bitte.«
«Nein, ich meine, ist schon okay.«
«Ach so.«
«Und was mache ich jetzt?«
«Weiß nicht. Wem hast du denn geschrieben?«
«Keine Ahnung. Hoffentlich nicht Michael Krüger.«
«Wieso denn Michael Krüger?«
«Oder Wolfgang Matz.«
«Wieso denn Wolfgang Matz?«
«Na, keine Ahnung. Die kennen mich nicht gut. Die könnten so ein Email falsch verstehen.«
«So kann man es auch ausdrücken.«
«Du bist wirklich nicht sehr konstruktiv heute.«
«Entschuldige. Ich bin etwas abgelenkt, ich habe bis jetzt mit dem Hund gespielt.«
«Mit Pauli?«
«Nein! Mit meinem eigenen!«
«Na schön. Und was mache ich jetzt wegen der Emails? Stell dir vor, ich hätte Denis Scheck irgendwas Unangenehmes geschrieben in meinem Nebel, irgendwas Unfreundliches.«
«Wieso denn Denis Scheck?«
«Mein Gott. Weiß nicht. Einfach so. Denis Scheck ist in der Jury.«
«Das ist alles falsches Wähnen, sagt Buddha.«
«Jetzt hör aber auf.«
«Nein, sagt er wirklich.«
«Was hilft mir Buddha, wenn ich Denis Scheck geschrieben habe, daß er gefälligst was für mein Buch tun soll?«
«Viel hilft er dir! Für Leute wie dich hat er doch gelehrt! Du mußt verstehen, daß Denis Scheck nicht existiert, dann geht es dir besser. Außerdem ist ohnehin alles Sein leidhaft, sagt Buddha. Falsch, das sagt er nicht, das wird immer falsch übersetzt, er sagt: unzulänglich. Unbefriedigend. Wenn du erkennst, daß Denis Scheck nicht existiert, wird es dir bessergehen.«
«Aber er existiert doch!«
«Denis Scheck existiert nicht wirklich. Denis Scheck ist ein Knoten von Gegebenheiten.«
«Du, ich lege gleich wieder auf.«
«Alles samskara ist dukha.«
«Ja ja, schon gut. Ich war heute im Sexshop.«
«Das ist auch dukha.«
«Bestimmt, aber da hab ich wenigstens was davon. Weißt du, was mir da passiert ist? Die Verkäuferin…«
«Ich will gar nicht wissen, was du da gekauft hast!«
«Ich spreche nicht davon, was ich gekauft habe. Ich will dir erzählen, was mir passiert ist.«
«Bitte.«
«Die hübsche Verkäuferin zeigt mir Handfesseln…«
«Äh…«
«…und sagt, die sind die besten, halten Sie mal die Hand her. Na, ich halte die Hand hin, fesselt sie mir das eine Handgelenk und sagt, die andere Hand her…«
«Ich hab gedacht, du sagst mir nicht, was du gekauft hast.«
«…ich halte die andere hin, die hübsche Verkäuferin fesselt mir das andere Handgelenk. Ich bin gefesselt. Sie sagt: So. Und schaut mir tief in die Augen.«
«Na ja.«
«Das hab ich mir auch gedacht.«
«Ich wollte nicht wissen…«
«Ich habe mir die Fesseln ja nicht gekauft.«
«Ich wollte auch nicht wissen, was du dir nicht gekauft hast.«
«Wieso bist du da so empfindlich?«
«Nicht empfindlich. Nur vorsichtig.«
«Wieso bist du da so vorsichtig?«
«Weil man nie weiß, was man von dir zu hören kriegt. Du hast mir mal erzählt, daß du als Kind bei der Mastu… nein, lassen wir das.«
«Doch, ich will das jetzt hören.«
«Aber ich nicht darüber reden.«
«Dann hättest du nicht damit anfangen dürfen. Ich habe so eine Ahnung, was du sagen willst, aber das kann nicht sein, darüber kann ich doch nicht gesprochen haben.«
«Ich habe dich schon ganz unglaubliche Sachen sagen hören.«
«Jahre her. Was war also mit mir als Kind?«
«Na, du hast erzählt, daß du bei der Masturbation ins Klo gestiegen bist…«
«JA JA DANKE REICHT.«
«Das mit der Verkäuferin darfst du übrigens nicht falsch verstehen, ich bin ein treuer Mensch.«
«Treue ist bürgerlich.«
«Na und?«
«Nichts und.«
«Darauf ist vor dir auch schon Rainer Langhans gekommen. Ich bin halt eher konservativ. Obwohl ich ein Linker bin.«
«Du bist… nein, du bist nicht links.«
«Wieso lachst’n jetzt so?«
«Weil du nicht links bist.«
«Was ist eigentlich aus dem Koffer geworden, den dir die ÖBB verschlampt haben?«
«Verschlampt ist das richtige Wort. Ein Koffer, auf dem groß mein Name draufsteht, nein, sie finden ihn nicht, nein, er ist nicht da, nein, wir können nicht verfolgen, wo er gerade ist, das österreichische System versteht die französischen Trackingnummern nicht, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich diese Menschen hasse. Sowohl die von der Post als auch die von den Bundesbahnen. Ein Koffer! VIER! VIER WO-CHEN UN-AUF-FIND-BAR!«
«Vielleicht hilft es dir, wenn ich dir versichere, daß der Koffer gar nicht existiert.«
«Du meinst, er liegt schon zerfetzt neben den Schienen?«
«Nein, ich meine, alle Koffertransporte sind dukha.«
«Also die der ÖBB sicher.«
«Da fällt mir ein, Stanislaus hat früher zu allem buka-buka gesagt.«
«Weißt du, mich ärgert das derartig, wenn ich nur darüber spreche…«
«Jetzt ist aber gut.«
«Nein, im Ernst. Ich könnte jetzt hundert Bahnbeamte erschießen lassen und den anderen sagen, sie haben Bewährung.«
«Und so jemand kommt mir mit Buddha, wenn ich sage, ich habe Angst, jemand könnte mein Buch nicht mögen.«
«Ich komme zum Schalter, wo Gepäckannahme steht. Warte eine halbe Stunde. Bin endlich an der Reihe. Sagt mir der Kerl, sie nehmen keine Koffer an, Bahn-Kurier, das hat er noch nie gehört. Ich gehe zum Bahnreisebüro, dort sagt mir die Frau am Schalter, natürlich gibt es das, und gibt mir eine Broschüre. Ich also zurück zum Schalter. Ich warte noch eine halbe Stunde. Zeige ihm die Broschüre. Er sagt, das interessiert ihn nicht, im Reisebüro arbeiten ungelernte Hilfskräfte, und die Broschüre hat er noch nie gesehen. Er weigert sich, den Koffer anzunehmen. Also gehe ich zur Post. Und jetzt das!«
«Das erinnert mich an einen Film mit Bud Spencer. Banana Joe.«
«Bud Spe… Wieso schaust du dir solchen Dreck an? Das ist doch wirklich das Allerletzte.«
«Das befriedigt eben mein Kitschbedürfnis.«
«Wieso Kitschbedürfnis?«
«Ja nun, ich sage halt so dazu. Jeder hat doch das Bedürfnis, sich ab und zu Trash anzusehen. Bei mir verhält es sich eben so, daß ich mir gern ansehe, was ich schon als Kind gern gesehen habe. Die rechte und die linke Hand des Teufels, Vier Fäuste gegen Rio, Vier Fäuste für ein Hallelu…«
«Ist gut. Jedenfalls, wenn man drei Stunden auf einem österreichischen Bahnhof zubringt und ständig mit diesem unendlichen Ausmaß des Mißlingens zu tun hat, beginnt man zu verstehen, warum jemand wie Trotzki überall Saboteure gesehen hat.«
«Während wir hier quatschen, habe ich ein Email bekommen. Es ist ein Retourmail. Auf ein Mail, das ich heute nacht geschrieben habe, und an das ich mich nicht im geringsten erinnern kann.«
«Aber nicht von Denis Scheck.«
«Nein. Es ist…«
«Und auch nicht von Michael Krüger!«
«Ich lese da, ich habe einer alten Malerin geschrieben, was für eine Wahnsinnsfrau sie ist, und ich bedauere, jetzt kommt’s, ich bedauere, daß sie nicht jünger ist und ich sie vor Jahren getroffen hätte…«
«Sehr höflich ist das nicht. Du hättest schreiben müssen, du bedauerst, daß du nicht älter bist. So rum wäre es richtig gewesen.«
«Jaja. Sie ist mir jedenfalls nicht böse, sondern findet das sehr nett. Und will mich treffen. Wieso hab ich ihr das bloß geschrieben? Ich kenn die ja gar nicht.«
«Du warst eben betrunken.«
«Du bist mir wirklich keine Hilfe.«
«Es gibt keine Hilfe, sagt Buddha.«
«Was ist eigentlich aus deiner Malergeschichte für dieses Magazin geworden? Du weißt schon, für die du 2000 Euro bekommen hast. Haben sie die gebracht?«
«Natürlich haben sie die gebracht. Aber… jetzt fällt mir ein… von denen habe ich nie Geld gesehen. Danke, daß du mich erinnerst. Denen muß ich schreiben.«
«Wie, jemand bleibt dir 2000 Euro schuldig, und du merkst das gar nicht?!«
«Ja offenbar.«
«Das finde ich allerhand.«
«Ich eigentlich auch.«
«Übrigens, ich treffe demnächst Journalisten von zwei verschiedenen Zeitungen, die eine Kolumne von mir wollen. Die haben mich für nächste Woche eingeladen.«
«Mich hat man gerade eingeladen, in Berlin Kissinger zu treffen.«
«Welchen Kissinger?«
«Kissinger. Aber ich will nicht. Hab keine Zeit. Außerdem müßte ich den Flug selber zahlen.«
«Was findest du eigentlich an Bud-Spencer-Filmen schlimm?«
«Na, daß es Schrott ist.«
«Du siehst dir doch sicher auch mal was zur Entspannung an.«
«Ja, Horrorfilme.«
«Du weißt aber schon, daß das nicht viel besser ist?«
«Wie soll ich sagen? Es gibt Stimmen, die da meinen, es gebe für das innere Gleichgewicht eines Menschen Zuträglicheres als das Ansehen von Filmen, die einem nächtelang den Schlaf rauben, und obwohl ich der Ansicht bin, daß man ihnen nicht ganz unrecht geben kann, will ich festhalten, daß solche Filme mir auf eine gewisse Art sehr wohl zur Entspannung gereichen.«
«Moment, Stanislaus ist da… Stanislaus, geh raus zu Konstantin! Spiel mit deinem Freund! Oder geh zu Mama! Ja, so! Nein, draußen bleiben! Ich komme bald!«
«Hast du übrigens gewußt, daß Konstantin auf Russisch Tschernenko heißt?«
«Wie, Konstantin heißt übersetzt Tschernenko?«
«Ja. Hat mir ein Russe mal gesagt.«
«Aber dann hätte der alte Kerl im Kreml doch Tschernenko Tschernenko heißen müssen.«
«Hallo? Noch da?«
«Stimmt. Großer Gott, mir kann man aber auch alles erzählen.«
«Gräm dich nicht. Mir geht es viel schlimmer als dir. Ich weiß nicht, ob sich mein Buch gut verkaufen wird…«
«Wird es!«
«…und ich weiß nicht, ob ich heute nacht nicht ein Email an Denis Scheck geschrieben habe…«
«Du solltest die Nichtexistenz von Denis Scheck akzeptieren.«
«…und ob mich das Feuilleton wahrnimmt…«
«Wird es schon. Und wenn nicht, auch kein Malheur.«
«So etwas kann auch nur jemand sagen, der von seinem letzten Buch 700.000 Exemplare verkauft hat.«
«Eigentlich sind es erst 680.000.«
«Sorry.«
«Also erstens wirst du bestimmt Erfolg haben. Den Preis kriegst du nicht, aber du kommst auf die Shortlist. Unter die letzten sechs kommst du, auch wenn dann Endstation ist und sie den Preis jemandem geben, auf den sich alle einigen können. Und zweitens, ja, es wird dir kein Trost sein, aber alles samskara ist dukha.«
«Ein wenig hörst du dich an wie meine Großtante, aber die ist 82.«
«Weil es stimmt. Buddha sagt, alles Streben ist unbefriedigend. Was immer du machst, es hätte auch besser laufen können. Alles könnte besser sein. Es ist immer unbefriedigend. Du mußt dich damit abfinden, daß alles passieren kann, daß viel passieren wird, viel Gutes, aber daß es auch besser hätte laufen können. So ist die Welt.«
«Was du mir da erzählst, ist ziemlich unbefriedigend.«
«Nein.«
«Kommst du zur Lesung ins Museumsquartier?«
«Wer liest denn da?«
«Sehr witzig. Kommst du?«
«Und was wird gelesen?«
«Ha, ha. Die Arbeit der Nacht.«
«Ach so. Donnerstag ist das, nicht? Da wollte ich mit Till Fellner Horrorfilme ansehen.«
«Dann laß dich davon nicht abbringen. Lesungen sind ja langweilig. Und was mache ich jetzt wegen der Emails?«
«Wegen welcher Emails?«
«Die ich vielleicht geschrieben habe. Und vielmehr, die ich möglicherweise demnächst mal in der Nacht an irgendwen schreiben werde: Wie verhindere ich, daß sie in die Welt gelangen?«
«Du könntest dein Mailprogramm so einstellen, daß immer eine Fußzeile mitgeschickt wird: Der Inhalt dieses Mails sollte nur gelesen werden in Berücksichtigung des Umstands, daß der Verfasser Borderline-Psychotiker ist.«
«Und was werden sich die Leute dann denken?«
«Daß du Borderline-Psychotiker bist.«