KAPITEL 5

Bischof Ordgar stand nicht auf, als Fidelma und Eadulf sein Zimmer betraten, sondern blieb entschlossen sitzen. Sein finsteres Gesicht und düsterer Blick ließen auf einen wenig verbindlichen, eher abweisenden Charakter schließen. Hinter ihm stand ein junger Mann mit schwarzgelocktem Haar, der ihnen mit blassblauen Augen entgegensah. Er trat einen Schritt vor, wie um sie zu begrüßen, hielt dann aber inne und warf einen unschlüssigen Blick auf den sitzenden Bischof. Verlegen leckte er sich die Lippen.

»Du bist Bruder Eadulf aus Seaxmund’s Ham?«, sprach der junge Mann Eadulf an. »Du bist der gerefa, von dem uns Bischof Leodegar berichtet hat?«

»Der bin ich, ja«, bestätigte Eadulf und tat es auf Angelsächsisch, denn die Frage war in eben der Sprache gestellt worden, wenngleich der Akzent darauf hindeutete, dass man sich ihrer als Fremdsprache bedient hatte. »Das neben mir ist Fidelma von Cashel, Schwester von König Colgü, dem König von Muman - Anwältin bei den Gerichten der fünf Königreiche von Eireann - und meine Frau.«

Eadulf war sich darüber im Klaren, dass Fidelma es nicht mochte, in derart hochtrabender Art vorgestellt zu werden, aber nach allem, was er über Bischof Ordgar gehört hatte, hielt er es für angebracht, ihm von Anfang an mit Entschiedenheit zu begegnen. Ihm waren genügend Geschichten über dessen Arroganz zu Ohren gekommen, und wenn man ihm nicht gleich bei der ersten Begegnung zu erkennen gab, mit wem er es zu tun hatte, würden sie kaum eine vernünftige Befragung mit ihm zuwege bringen. Unbeirrt hielt er dem luchsähnlichen Blick des Bischofs stand.

»Mir hatte man gesagt, der Name von der Frau da wäre Schwester Fidelma«, polterte der los und verzog spöttisch den Mund.

»Der Glaube verbindet Menschen unterschiedlichster Herkunft«, erklärte Eadulf gleichmütig, »aber du hast natürlich recht. Alle, die dem Glauben dienen, sind gleich, einer wie der andere, egal ob Bischof oder Abt. Und >die Frau<, wie du sie zu nennen beliebst, ist meine Ehefrau.«

Wieder wählte er seine Worte mit Bedacht und gezielter Betonung, damit ihn der Bischof auch ja nicht falsch verstünde. Dann wandte er sich dem jungen Mann zu, der sie hatte begrüßen wollen. »Und wer bist du?«

»Ich bin Bruder Benevolentia, Kämmerer meines Herrn, Bischof Ordgar.«

»Du bist aber kein Angelsachse?«

»Das stimmt, Bruder, ich bin Burgunde.«

Fidelma hatte Schwierigkeiten, der Unterhaltung zu folgen. Zwar verfügte sie über Grundkenntnisse des Angelsächsischen, aber wenn es um Mehrdeutigkeiten oder anspruchsvollere Themen ging, fühlte sie sich in der Sprache nicht zu Hause.

»Können wir nicht auf Latein miteinander reden?«, fragte sie.

Sowohl der Bischof als auch Bruder Benevolentia blickten überrascht auf und reagierten mit bloßem Achselzucken. Fidelma nahm es als Zustimmung.

»Gut. Wir brauchen eindeutige Antworten auf etliche Fragen.«

»Ich denke, Bruder Eadulf ist derjenige, der mich vertritt«, bemerkte Bischof Ordgar. »Dir ist doch wohl bekannt, dass ich einen Rang von Bedeutung habe? Schließlich bin ich im Auftrag von Theodor, dem Erzbischof von Canterbury, hier. Sowie das Konzil beendet ist, reise ich weiter nach Rom zur Beratung mit Seiner Heiligkeit Vitalianus.«

»Ich fürchte, du bist über meine Rolle hier ungenau unterrichtet«, sagte Eadulf.

»Es heißt doch aber, du kommst aus dem Königreich der Ostangeln und bist ein gerefa«, mischte sich Bruder Benevolentia ein. »Mein Herr, Bischof Ordgar, ist natürlich davon ausgegangen, dass du im vorliegenden Fall bereit wärst, einen Stammesgenossen zu verteidigen.«

Fast hätte ein derart selbstgefälliger Gedanke Eadulf ein Schmunzeln entlockt.

»Bischof Leodegar hat Schwester Fidelma und mich gebeten, den näheren Umständen des Todes von Abt Dabhoc nachzugehen und ihm unsere Ergebnisse mitzuteilen. Das ist alles. Es ist keine Rede davon, für die Interessen des einen oder anderen einzustehen. Einzig und allein der Tote und seine Interessen stehen zur Debatte, nämlich herauszufinden, wer ihn getötet hat.«

Bischof Ordgar sah nicht gerade glücklich aus.

»Dann bleibt mir nur zu hoffen, dass du deiner Verantwortung deinem Volk gegenüber eingedenk bist«, erklärte er barsch. »Wie ich höre, lebst du schon viele Jahre unter den Menschen auf der westlichen Insel. Ich vertraue darauf, dass du nicht vergessen hast, wo Treue und Pflichterfüllung liegen.«

»Meine Pflichterfüllung gegenüber meinem Volk dient der Wahrheitsfindung - egal, was sich als Wahrheit herausstellt«, gab Eadulf in ähnlich scharfem Ton zurück. »Und solange wir keine Antworten von dir erhalten, Ord-gar aus Kent, werden wir die Wahrheit auch nicht zutage fördern.«

»Du vergisst, mit wem du sprichst, Bruder.« Bruder Be-nevolentia war über Eadulfs Redeweise entsetzt.

»Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass ich mit dem Zeugen eines Mordes spreche. Wir sind hier, um Fragen beantwortet zu bekommen. Können wir uns endlich dieser Aufgabe zuwenden? Auch sollten wir wieder zur lateinischen Sprache zurückkehren.« In dem heftigen Wortwechsel waren sie erneut ins Angelsächsische verfallen.

Entrüstet hob Bischof Ordgar zur Erwiderung an, besann sich aber eines Besseren. Er atmete hörbar aus, und seine Gesichtszüge glätteten sich.

»Also stell deine Fragen, Eadulf von Seaxmund’s Ham«, forderte er ihn auf.

Eadulf schaute zu Fidelma, die aber nickte ihm aufmunternd zu. Sie hatte erkannt, dass der Bischof bereitwilliger auf Eadulf eingehen würde und sie sich besser zurückhielt.

»Beschreib, was in der Nacht geschah, da man Abt Dabhoc in deinem Zimmer fand.«

»Da man mich in eine Ohnmacht versetzt hatte, kann ich nichts dazu sagen«, erklärte er schroff.

»Dann erzähl uns, woran du dich aus jener Nacht noch erinnerst. Du entsinnst dich doch bestimmt, dass du in dein Zimmer gegangen bist, oder?« Der Sarkasmus in Ea-dulfs Stimme war nicht zu überhören.

»Selbstverständlich. Nach dem Abendgebet in der Kapelle begab ich mich zu Bischof Leodegar, um mich über Cad-fans Verhalten zu beschweren, der sich mir gegenüber ungebührlich gebärdet hatte. Dann ging ich in mein Zimmer und legte mich zur Ruhe, nachdem ich wie immer meinen Wein getrunken hatte. Als ich wach wurde, war mir übel, ich hatte grässliche Kopfschmerzen und nahm meine Umgebung nur verschwommen wahr. Jemand rüttelte mich, und ich erinnere mich an erregte Stimmen ringsumher.

Dann wurde mir wieder schwarz vor Augen, und als ich das zweite Mal aufwachte, war ich in dem Zimmer hier, und der Arzt versorgte mich. Der Kopfschmerz und das Übelsein hielten eine Weile an. Erst später, als ich gänzlich bei mir war, erzählte man mir, dass man Abt Dabhoc tot in meinem Zimmer aufgefunden hätte, und neben ihm auf dem Fußboden hätte Abt Cadfan gelegen. Angeblich sei ich auf dem Bett kurz zu mir gekommen, aber das weiß ich nicht so genau. Das ist alles.«

»Aus dem, was du gesagt hast, ergeben sich etliche Fragen«, stellte Eadulf fest.

Bischof Ordgars Augen verengten sich zu Schlitzen. Er lehnte sich zurück. »Dann stelle sie.«

»Da wäre zuerst der Wein. Du glaubst, man hätte ihm ein Betäubungsmittel zugesetzt?«

»Ich glaube das nicht nur, ich sage, dass es so war«, wurde Eadulf berichtigt. »Nur mit einem Betäubungsmittel gepantschter Wein kann mich in den Zustand versetzt haben.«

»Woher kam der Wein?«

»Die Frage verstehe ich nicht. Meinst du, von welchem Weingut er stammte?«

»Wer hat dir den Wein gebracht?«

Bruder Benevolentia hüstelte und trat einen Schritt vor. »Ich war es. Ich habe den Wein neben das Bett des Bischofs gestellt. Das mache ich jeden Abend, denn es ist seine Gewohnheit, sich vorm Schlafengehen einen guten Trunk zu gönnen. Es hilft ihm beim Einschlafen und ... und .«

Verärgerung machte sich auf dem Gesicht des Bischofs breit - der Kämmerer plauderte seine menschlichen Schwächen aus, die keinen etwas angingen!

»Und wo wurde der Wein erstanden?«

»Ich habe eine kleine Amphore auf dem hiesigen Markt gekauft.«

»Wo wurde sie aufbewahrt?«

»Im Gemach des Bischofs. Es war eine kleine Amphore mit Rotwein, die musste man nicht erst in den kühleren Keller bringen.«

»Der Bischof hatte also schon vorher daraus getrunken? Es war kein frisch gekaufter Wein?«

»Bereits an den vorangegangenen drei oder vier Tagen hatte ich ihm daraus eingeschenkt.«

»Und an dem besagten Abend hattest du den Becher mit eigener Hand gefüllt?«

»Ja.«

»Wo ist die Amphore jetzt?«

»Man hat sie weggeworfen, sie wurde just an dem Abend leer.«

»Dann hat man den Becher wohl auch weggeworfen?« Es war mehr eine ironische Feststellung als eine Frage.

»Er wurde am nächsten Tag ausgespült und abgewaschen«, erwiderte Bruder Benevolentia selbstgefällig. »Also bleibt uns nur Ordgars Aussage, dass man dem Wein etwas beigemischt hatte.«

»Seit wann darf man meine Worte anzweifeln?«, fragte Ordgar in drohendem Ton.

Eadulf ließ sich nicht einschüchtern. »Es geht nicht um deine Glaubwürdigkeit, sondern um die Bestätigung einer Aussage. Wenn Weintrinken zu deinen Gewohnheiten gehört, kannst du sicher sagen, wie der Wein neulich Abend geschmeckt hat.«

»Wie er geschmeckt hat?« Ordgar runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«

»Ob er eine dir ungewohnte Geschmacksnote hatte.« »Hatte er nicht.« Er machte eine Pause. »Vielleicht .« »Ja?«, versuchte ihn Eadulf zum Weitersprechen zu bewegen.

»Vielleicht war er eine Spur süßer als sonst, aber nicht unangenehm.«

»Aha. Eine Frage an dich, Bruder Benevolentia. Wann am Abend hast du den Wein in den Becher gegossen?«

»Nach Beendigung der Gebete läutete die Glocke. Ich ging davon aus, dass der Bischof unmittelbar danach in sein Gemach zurückkehren würde, eilte voraus und schenkte den Wein ein.«

»Nur dass ich mich eben nicht geradewegs in mein Zimmer begab«, unterstrich Ordgar. »Ich suchte zuvor Bischof Leodegar auf, um mich über das Benehmen dieses Menschen aus Britannien auf dem Konzil zu beschweren.«

»Hast du in Bischof Ordgars Zimmer gewartet, bis er zurückkam?«, fragte Eadulf Bruder Benevolentia.

Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Ich habe den Wein wie sonst immer neben das Bett gestellt und bin in meine Kammer gegangen, wo ich sofort einschlief.«

»Und wo liegt deine Kammer?«

»Neben dem Zimmer vom Bischof. So kann er mich jederzeit rufen, wenn er meiner Hilfe bedarf.«

»War das Zimmer des Bischofs abgeschlossen?« »Abgeschlossen? In der Abtei werden die Türen nie abgeschlossen.«

»Wer immer wollte, hätte also jederzeit Zugang zum Zimmer und damit zum Wein gehabt?«

»Ja. Die leere Amphore hatte ich in den Schrank getan, die konnte niemand sehen, aber den Becher mit dem Wein, den hatte ich ja dem Bischof ans Bett gestellt.« »Und du bist, wie du sagst, ziemlich rasch eingeschlafen und hast nicht gehört, wie der Bischof in sein Zimmer zurückkehrte?«

»So war es, ich habe nichts gehört.«

»Hast du mitbekommen, dass in der Nacht Abt Dabhoc oder Abt Cadfan nach nebenan kamen?«

»Nein. Ich schlafe tief und fest.«

»Wann wurdest du wach?«

»Erst als Bruder Gebicca, der Arzt der Abtei, an meine Tür klopfte und mir sagte, dem Bischof ginge es nicht gut. Er wollte ihn in ein anderes Zimmer schaffen, wo er ihn behandeln konnte, und brauchte meine Hilfe. Als ich dann das Zimmer betrat, sah ich die Leiche des Hiberniers und das Blut und auch den bewusstlosen Britannier.«

»Und wer hat am nächsten Morgen den restlichen Wein weggekippt und den Becher ausgewaschen? Du?«

Bruder Benevolentia schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Bruder Gebicca hat alles zusammengeräumt, nachdem man die Leiche fortgebracht hatte.«

»Seit wann stehst du bei Bischof Ordgar als Kämmerer in Diensten?«, fragte Eadulf unvermittelt.

Statt seiner erwiderte der Bischof selbst.

»Mein vorheriger Kammerherr starb an Fieber auf der Überfahrt von Hibernia. Auf meinem Weg hierher stattete ich der Abtei von Divio einen Besuch ab. Dort begegnete ich Bruder Benevolentia und bot ihm den Posten an.«

»Divio?«

»Eine Stadt der Burgunden, sie liegt nördlich von hier«, erläuterte Bruder Benevolentia. »Ich habe dort in der Abtei als Schreiber gearbeitet, bei Bischof Ordgar stehe ich erst seit drei Wochen im Dienst.«

Fidelma hatte sich die ganze Zeit zurückgehalten und zufrieden Eadulfs Vorgehensweise verfolgt. Jetzt fühlte sie sich bemüßigt, dem Bischof selbst eine Frage zu stellen.

»Wie gut hast du Abt Dabhoc gekannt?«

»Überhaupt nicht. Wir sind uns in aller Form vor der Eröffnung des Konzils begegnet, haben aber nicht mehr als ein paar Worte gewechselt.«

»Und es ist bei dem Disput zu keinen Meinungsverschiedenheiten gekommen?«

»Es hat gar keinen Disput gegeben.«

»Man hat mir gesagt, es wäre bei der Eröffnungssitzung zu einem erbitterten Wortgefecht gekommen.«

»Es handelte sich um keine ernstzunehmende Erörterung. Es war lediglich eine Zusammenkunft der Delegierten vor dem eigentlichen Beginn der Arbeitssitzungen. Auf der hatte ich einen Streit mit Cadfan, dem Britannier«, erklärte der Bischof.

»Du hast also keine Ahnung, was Abt Dabhoc mitten in der Nacht zu deinem Zimmer geführt haben könnte?« »Beim besten Willen nicht. Es sei denn, er ist von dem Welschen, der ihn umgebracht hat, dazu verleitet worden, um letztlich die Schuld auf mich schieben zu können. Ich vermute so etwas.«

»Gegen Abt Cadfan hegst du offensichtlich regelrechten Unwillen.«

»Diese Welschen sind alle gleich. Hassen meine Blutsbrüder, sind meine Feinde. Jammern nur herum und sind obendrein undankbar.«

»Dass sie sich so verhalten, ist doch wohl verständlich, oder nicht?«, merkte Fidelma an.

Mit einer jähen Kopfbewegung und wütendem Blick wandte er sich Fidelma zu. »Wie meinst du das?«

»So lange ist es noch gar nicht her, dass deine Stammesbrüder übers Meer kamen und mit der Vertreibung der Britannier begannen, die ihr >Fremdländische<, in eurer Sprache >die Welschen<, nennt. Ihr habt ihnen das Land, ihre Dörfer und Gehöfte genommen und euch selbst dort festgesetzt. Auch heute noch treibt ihr sie immer weiter nach Westen. Könnt ihr da Dankbarkeit und Freundlichkeit von ihnen erwarten?«

Bischof Ordgar spitzte verächtlich den Mund. »Gott wies uns den Weg zur Insel der Britannier und gab sie uns, sie zu besiedeln und zu bewohnen.«

«Sie war aber bereits bewohnt.«

»Aber nur von Schafen. Gott hätte nicht die welschen Schafe geschaffen, wenn er nicht gewollt hätte, dass man sie auch schert.«

»So leicht haben sie sich nicht scheren lassen. Sie kämpfen immer noch um das Land, das ihnen gehört«, gab Fidelma zu bedenken. Man merkte ihr an, dass sie keinerlei Sympathie für den Bischof empfand. »Wenn es Gott war, der deinem Volk den Weg gewiesen hat, Ordgar von Kent, dann erschien er ihm in merkwürdiger Verkleidung ... Damals waren es Wodan, Tius, Donar und Freya, die ihr verehrtet. Ich kenne eure Götter sehr wohl, denn viele deines Volkes verehren sie auch heute noch. Vor ein oder zwei Generationen war Christus den Angeln und Sachsen ein völlig Unbekannter, erst die Missionare meines Volkes haben euch von euren Götzen abgebracht. Berufe dich nicht auf Gott oder Christus, um zu rechtfertigen, dass ihr auch heute noch die christlichen Britannier verfolgt und sie ihres Hab und Guts beraubt.«

Bischof Ordgar schluckte. Er suchte nach einer passenden Entgegnung, aber Fidelma hatte sich bereits Eadulf zugewandt. Aus Gründen der Höflichkeit blieb sie auch ihm gegenüber beim Latein: »Wir müssen weder Bischof Ord-gar noch Bruder Benevolentia weiter die Zeit stehlen . fürs Erste jedenfalls nicht.«

Eadulf war verwirrt. Gedanklich war er noch mit dem beschäftigt, was Fidelma da eben gesagt hatte, hatte er doch selbst bis in seine Jugendjahre hinein Wodan verehrt und war dann von umherziehenden Missionaren aus Hibernia zum Neuen Glauben bekehrt worden. Aus seinen Betrachtungen aufgeschreckt, begriff er, dass Fidelma bereits zur Tür ging, und sagte rasch zum Bischof: »Wir belassen es zunächst dabei.«

»Halt!«, schallte es hinter ihm, als er Fidelma folgen wollte. »Ich wünsche, auf der Stelle von den unverschämten Beschuldigungen entlastet zu werden! Wann gestattet man mir, wieder meinen Sitz im Konzil einzunehmen?« Fidelma drehte sich im Türrahmen um und antwortete ihm: »Sowie wir unsere Befragungen abgeschlossen haben, Bischof Ordgar aus Kent. Du wirst davon erfahren, wenn es so weit ist, keine Bange.«

Im Eilschritt strebte sie dem Ende des Ganges entgegen und blieb dort an einem Fenster stehen. Es ging auf einen kleinen Innenhof mit einem Blumengärtchen und einem plätschernden Springbrunnen hinaus. Sie lehnte sich über den Fenstersims und atmete tief die frische Luft ein. »Entschuldige, Eadulf.« Sie spürte, dass er hinter ihr stand, und ahnte seinen vorwurfsvollen Blick. »Dieser Mann mit seiner Arroganz hat mich rasend gemacht. Ich hätte mich nicht so unbeherrscht über deine Landsleute und was sie angerichtet haben auslassen dürfen.«

»Ich bin mir ihrer Fehler durchaus bewusst«, erwiderte er. »Es gibt kein Volk auf dieser Erde, das nur über Tugenden verfügt. Unsere Geschichtenerzähler berichten zum Beispiel, dass auch unsere Vorväter von feindlichen Stämmen aus ihrem Land vertrieben wurden und dass sie deshalb über das Wasser nach Britannien setzten und die ursprünglichen Bewohner dort bekämpften, um selbst siedeln zu können.«

»Mag ja gut für deine Landsleute gewesen sein, aber hart für die Britannier, denen man alles nahm.«

Eadulf versuchte das Thema zu wechseln. »Glaubst du, Bischof Ordgar ist der Täter?«

»Die Geschichte, die er vorbringt, ist weiß Gott schwach. Wiederum könnte gerade in ihrer Schwäche die Wahrheit liegen. Vor allen Dingen aber ist es eine zu lächerliche Geschichte, um sie sich eigens zurechtzulegen.«

»Und Bruder Benevolentia, der junge Mann?«

»Der schaut voller Ehrfurcht auf zu Bischof Ordgar und tut, was sein Herr und Meister sagt.« Fidelma löste sich vom Fenstersims und machte Anstalten zu gehen. »Wir haben ja gerade erst angefangen, und es ist noch früh am Tage«, meinte sie aufmunternd, als sie Eadulfs düsteren Gesichtsausdruck sah.

Bruder Chilperics Wegerläuterungen zu folgen, bereitete ihnen keine Schwierigkeiten.

Als sie auf Abt Cadfans »Herein« dessen Zimmer betraten, kam er ihnen mit ausgestreckter Hand entgegen und schüttelte zuerst Fidelma und dann Eadulf die Hand. Er war ein kleiner Mann mit dunklem Haar. Seinen fast schwarzen Augen schienen die Pupillen zu fehlen, denn ihre Farbgebung hob sich nicht von der der Iris ab.

»Ich kenne dich, Fidelma von Cashel«, begann er lebhaft. »Ich war am Hofe Gwlyddiens von Dyfed, als ihr beide, du und Bruder Eadulf, dort hinkamt und die rätselhaften Vorgänge um Pen Caer erhelltet. Ich bin froh, dass du hier bist. Wenn irgendjemand die Dinge hier klären kann, dann bist du es.«

»Pen Caer liegt lange zurück«, wehrte sie lächelnd ab.

»Ich kann nur hoffen, dass es uns gelingt, deine Erwartungen nicht zu enttäuschen.«

»Was im Königreich von Dyfed geschah, ist bei festlichen Zusammenkünften sogar im nördlichen Königreich von Gwynedd oft genug in aller Munde gewesen. Aber kommt, setzt euch. Darf ich euch eine Erfrischung anbieten?«

Es war gewiss ein freundlicherer Empfang als bei Bischof Ordgar. Sie nahmen Platz und ließen sich den kühlen, erfrischenden Weißwein munden.

»Ich weiß, dass mich Ordgar beschuldigt, den armen Abt Dabhoc umgebracht zu haben«, ging Cadfan zum eigentlichen Anliegen ihres Besuches über. »Stellt also eure Fragen, und ich werde sie, so gut ich kann, beantworten.« Fidelma war von der selbstverständlichen und offenen Art des Mannes angetan. Auch entsann sie sich, dass die Bri-tannier ein Gesetzessystem hatten, das dem der Brehons ähnelte. Das Amt des Barnwr in Britannien entsprach dem des Brehon in Eireann.

»Beginnen wir am besten damit, wann du Bischof Ordgar zum ersten Mal begegnet bist. Zu fragen, ob er dir sympa-tisch war oder nicht, ist wohl müßig.«

Die Bemerkung erheiterte Cadfan.

»Dass er mir >unsympathisch< war, wäre noch untertrieben.« Er überlegte. »Aber das bringt uns hier nicht weiter. Trotzdem, was wahr ist, muss wahr bleiben. Läge er am Wegesrand und bedürfte der Hilfe, würde ich es schwerlich übers Herz bringen, den guten Samariter zu spielen. Vielleicht fehlt mir der tiefe Glaube an Christus. Doch um auf deine Frage zurückzukommen: Bis zu meiner Ankunft hier in Autun hatte ich nicht die geringste Ahnung von der Existenz dieses Mannes. Vor dem Beratungsraum des Konzils sind wir uns zum ersten Mal begegnet, und ich erzählte ihm, dass ich auf der Zusammenkunft zu Beginn den Vorschlag unterbreiten würde, die angelsächsischen Königreiche wegen ihrer mutwilligen Zerstörung von Benchoer zu rügen.«

Auf den Gesichtern seiner beiden Zuhörer zeigte sich Verständnislosigkeit, und so erklärte ihnen Cadfan: »Benchoer ist das größte und bekannteste Kloster in Gwynedd. Seinen Abt Drosto hatte man zum Konzil eingeladen, und ich sollte ihm als Begleiter zur Hand gehen. Kurz vor dem Antritt unserer Reise überfielen die Sachsen aus Mercia Benchoer, legten es in Schutt und Asche und metzelten nahezu tausend unserer Brüder nieder. Gott sei Dank war ich zu dem Zeitpunkt nicht dort, denn ich war beim Bischof von Dewi Sant in Menevia, um mit ihm Dinge zu beraten, die hier auf dem Konzil zur Sprache gebracht werden sollten. Wir erfuhren, dass Drosto und einige wenige Überlebende in die Wälder geflohen waren und von den Sachsen verfolgt wurden. Dann erhielten wir eine Nachricht von Drosto selbst, in der er uns mitteilte, dass er seine Leute in der Bedrängnis nicht allein lassen könne. Man beschloss, ich solle als Vertreter herreisen, weil das Konzil zu wichtig sei, als dass sich niemand von uns daran beteiligte. Die Vorschläge, die hier zur Debatte stünden, könnten erhebliche Auswirkungen auf unsere Kirchen und Klöster haben.«

Er schwieg. Eadulf war betroffen.

»An die tausend deiner Brüder wurden ermordet?«, wiederholte Fidelma und schaute Abt Cadfan teilnahmsvoll an.

»Brüder und Schwestern«, bestätigte er. »Es gab keinerlei Anlass, es war ein Überfall wie aus heiterem Himmel.« »Wulfheres Bestreben, Herrscher über alle angelsächsischen Königreiche zu sein, ist bekannt«, sagte Eadulf bedächtig. »Er erhebt auch den Anspruch, Bretwalda zu sein, was so viel heißt wie Herrscher über alle Britannier. Er hat die Befugnis des Erzbischofs von Canterbury erwirkt, sich so zu nennen. Seine Bündnisse und Eroberungen schließen selbst meine eigenen Leute ein, die Königreiche der Ostangeln. Er hat das Königreich der Ostsachsen und auch das Königreich von Lindsey nördlich von uns in der Hand.« »Du wirst es mir nachsehen, wenn mir meine eigenen Leute mehr am Herzen liegen«, erwiderte Abt Cadfan trocken. »Was mich umtreibt, sind Wulfheres Versuche, uns zu vernichten. Ich habe Ordgar als Christen gefragt, als einen, der den neuen Bischof vertritt, der von Rom entsandt wurde, die angelsächsischen Königreiche zu leiten und zu lenken, ob er mich dabei unterstützen würde, diesen Frevel und grundlosen Überfall auf ein frommes Haus zu verurteilen. Er hat mir frech ins Gesicht gelacht und erklärt, er höre mit Freuden von Wulfheres Heldentaten.« Peinlich berührt blickte Eadulf zu Boden.

»Zwischen deinem und meinem Volk hat es ständig kriegerische Auseinandersetzungen gegeben«, murmelte er schließlich, weil er das Gefühl hatte, irgendetwas zu dem soeben Geschilderten sagen zu müssen.

Ohne jede Spur von Gereiztheit entgegnete Abt Cadfan: »Und warum ist das so, Bruder Eadulf? Haben wir euer Land überfallen oder ihr das unsrige? Du bist doch klug genug und ergreifst nicht blindlings Partei für dein Volk, wenn es im Unrecht ist?«

Fidelma hielt den Moment für gekommen, sich einzumischen. »Bischof Ordgar weigerte sich also, die Zerstörung von Benchoer zu verurteilen«, lenkte sie rasch ab. »Was geschah dann?«

»Wir gingen in den Versammlungsraum, und ehe ich überhaupt Gelegenheit hatte, das Thema zur Sprache zu bringen, fing Ordgar an, mich zu beleidigen. Ein Wort gab das andere, und der Rat wurde vertagt. Beim Hinausgehen wurde Ordgar ein weiteres Mal ausfallend. Nun werde ich leider leicht jähzornig. Ich hatte mich nicht in Gewalt und versetzte ihm eine Ohrfeige. Er schlug zurück, und schon lagen wir auf der Erde und rangen miteinander. Es war entwürdigend und ist unverzeihlich. Die Brüder trennten uns schließlich.«

»Wann war das?«, fragte Fidelma. »Ich meine, im Zusammenhang mit den Geschehnissen in Ordgars Zimmer gesehen.«

»An ebendem Nachmittag.«

»Was geschah, nachdem man euch Kampfhähne getrennt hatte?«

»Ich beschloss, ihn zu meiden, und ging mit einem der gallischen Brüder zum alten römischen Theater nicht weit vom Kloster hier. Ein Prachtbau ...«

»Wir kennen römische Theater«, fiel ihm Eadulf ins Wort, der merkte, wie Abt Cadfan in Begeisterung verfiel; ihm war wichtig, dass sie nicht von ihrem eigentlichen Anliegen abkamen.

»Aber bestimmt kein Amphitheater wie das hier, fünfzehnhundert Zuschauer haben da Platz. Es ist ...«

»Warum bringst du so beharrlich das Theater zur Sprache?«, wollte Fidelma wissen. »Hat sich dort etwas Besonderes getan?«

»Nein.« Der Abt begriff, dass er besser nicht abschweifen sollte, und fuhr fort: »Zum Abendgebet kehrten wir hierher zurück. Ich sah Ordgar in der Kapelle, mied ihn aber auch dort, ging auf mein Zimmer und zog mich zur Nachtruhe zurück. Ein Klopfen an der Tür weckte mich. Ich rief >Wer da?<, bekam aber keine Antwort. Es war noch dunkel, wiederum konnte es nicht mehr lange bis zur Morgendämmerung sein. Ich zündete eine Kerze an und ging zur Tür, doch da war niemand, und der Gang war leer.

Auf der Schwelle lag eine Notiz, ein Stück Pergament.« »Und was stand darauf?«

»Es trug die Unterschrift von Ordgar und besagte, er hätte einen großen Fehler gemacht und wünschte mich unverzüglich zu sehen. Er würde mich in seinem Zimmer erwarten.«

»Stimmt es, dass du diese Notiz nicht mehr hast?«, fragte Fidelma.

»Als ich zu Ordgars Zimmer ging, hatte ich den Zettel bei mir, aber als ich später wieder zu Bewusstsein kam, war er fort.«

»Aha. Sonst stand nichts weiter drauf?«

»Nein.«

»Kam es dir nicht merkwürdig vor - zu nächtlicher Stunde solch eine Nachricht zu erhalten?«

»Merkwürdig, wieso?«

»Dass Bischof Ordgar nach den Zusammenstößen, die ihr hattet, dir plötzlich eine Entschuldigung schickt und dich mitten in der Nacht zu sehen wünscht.«

Abt Cadfan zuckte mit den Achseln. »Paulus erschien auf seinem Weg nach Damaskus ein blendendes Licht. Warum nicht Ordgar mitten in der Nacht?«

»Ich fürchte, dass selbst Paulus nicht so veranlagt war wie Ordgar«, wandte Fidelma vorsichtig ein.

Abt Cadfan sann eine Weile nach, ehe er weiterredete. »Wenn ich es recht bedenke, war es vielleicht wirklich merkwürdig. Wahrscheinlich lag mir das Verbrechen in Benchoer zu sehr auf der Seele, ich wollte die Christenheit aufrütteln. Und so eilte ich ohne Bedenken in sein Zimmer. Ich glaubte tatsächlich, er wäre zu einer anderen Meinung gelangt. Nun aber, da der Zettel mit der Nachricht von ihm verschwunden ist, stehe ich wie ein Lügner da.«

»Und wie ging’s weiter?«

»Ich klopfte an die Tür, sie schwang auf, und ich ging hinein. Es war dunkel, und ich rief nach dem Bischof. Für den Bruchteil einer Sekunde empfand ich einen heftigen Schmerz; mir war, als hätte ich von hinten einen Schlag erhalten. Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist erst wieder, dass ich hier auf meinem Bett lag. Man hatte mir den Kopf verbunden, der schmerzte und blutete.« Er tastete nach dem Kopf. »Verbunden ist er nicht mehr, aber leicht geschwollen ist die Stelle immer noch, und die Wunde ist auch noch zu sehen.«

»Hat man dir erzählt, was geschehen war?«

Man teilte mir mit, Abt Dabhoc wäre tot, mich hätte man bewusstlos liegend vorgefunden und Ordgar würde behaupten, man hätte ihm etwas in den Wein gemischt. Ich erfuhr, dass Bruder Gebicca, der Arzt, mich in mein Zimmer zurückgebracht und sich um mich gekümmert hatte. Am nächsten Tag hörte ich von Bischof Leodegar, Ordgar würde mich beschuldigen, den Mord begangen zu haben, um letztlich ihn in Verdacht zu bringen und ihm die Schuld zuzuweisen. Daraus ergibt sich für mich, wer der Übeltäter ist. Wenn du mich fragst, so stand Ordgar hinter der Tür und schlug mich beim Betreten des Raumes nieder.«

Der Logik konnte Fidelma nicht folgen und machte auch keinen Hehl daraus. »Wie kommst du zu dieser Schlussfolgerung? Das musst du mir erklären, Abt Cadfan.« »Ganz einfach. Ich war mit Abt Dabhoc auf dem Konzil zusammen. Weshalb hätte ich ihn umbringen sollen? Er war entgegenkommend, und die Leute aus Iwerddon, wie wir dein Land nennen, haben viele Bräuche und Rituale mit uns gemeinsam, die Sachsen hingegen nicht. Es gab keinerlei Grund, mich mit Abt Dabhoc anzulegen. Die Beschuldigung, die Ordgar gegen mich erhebt, besteht zu Unrecht. Er konnte Abt Dabhoc ebenso wenig ausstehen wie mich. Meine Meinung ist die: Ordgar hat das Ganze inszeniert, um mir die Schuld zuzuschieben. Das ist alles.«

Sie schwiegen alle drei. Plötzlich fragte Abt Cadfan Ea-dulf: »Hast du nicht eine der bekannten Arztschulen in Iwerddon besucht, Bruder Eadulf?« »Ja, ich war auf der Tuam Brecain«, kam die Antwort. »Großartig. Dann schau dir doch mal bitte meinen Kopf an, die Wunde an der Schädeldecke und die Schwellungen.«

Eadulf tat wie geheißen. »Soviel ich erkennen kann, handelt es sich um eine schartige Wunde, die oberhalb des linken Ohrs verläuft. Sie war ganz schön tief, heilt aber gut. Ringsherum ist noch alles geschwollen. Ich würde davon ausgehen, dass sie von einem stumpfen Werkzeug herrührt.«

»Du hast einen sachkundigen Blick, Bruder Eadulf«, sagte Abt Cadfan anerkennend. »Ich habe deinem Urteil nichts entgegenzusetzen. Und nun sag mir eins: Wie konnte ich, nachdem ich Ordgar mit einem Getränk betäubt und Abt Dabhoc getötet hatte, mir selbst diese Wunde beibringen? Eine Wunde am Hinterkopf, die mich viele Stunden bewusstlos sein ließ?«

»Das wäre schwer zu bewerkstelligen gewesen«, gab Eadulf zu und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Unter Umständen hätte dir Dabhoc in dem Moment, als du ihn zu ermorden versuchtest, den Schlag versetzen können, oder aber du hattest einen Mittäter.«

»Du enttäuschst mich«, entgegnete Abt Cadfan immer noch gut gelaunt. »Ich würde meinen, dass ich mit der einen Hand, die ich nur frei gehabt hätte, unmöglich zu einer solchen Kraftanstrengung in der Lage gewesen wäre. Kannst du dir wirklich vorstellen, dass ich einen Holzklotz ergreife und versuche, mir damit auf den Hinterkopf zu schlagen?« Er lachte. »Und dass Dabhoc mir den Hieb versetzt hätte, der Gedanke verbietet sich. Du musst mir ja nicht glauben - frage Bruder Gebicca. Nachdem man mich aber so schwer getroffen hatte, konnte ich wohl kaum noch die Kraft aufbringen, Dabhoc zu töten. Und ein Mittäter - wer sollte das sein?«

»Hat sich Bruder Gebicca, der Arzt, dazu geäußert?«, fragte Fidelma.

»Ich habe ihm die Dinge dargelegt, und er fand meine Sichtweise logisch. Ich werde in meiner Verteidigung darauf verweisen«, erwiderte Abt Cadfan, von sich überzeugt.

»Verteidigung?« Fidelma wiederholte das Wort mit leichtem Vorwurf in der Stimme. »Bislang ist noch niemand angeklagt worden.«

»Es wird aber geschehen, da bin ich ganz sicher«, sagte Cadfan mit einem Stoßseufzer. »Bischof Leodegar ist Franke. Sind die Franken und die Sachsen nicht miteinander verwandt? Ihre Sprachen weisen Ähnlichkeiten auf.

Ich denke, er hat sich bereits entschieden, wie er vorgehen wird, und er wird sich hüten, die Sachsen oder Rom zu verärgern. Nicht umsonst ist Ordgar der Gesandte von Theodor aus Canterbury, der von niemand anderem als dem Papst Vitalianus in Rom geschickt wurde, sich um die Belange der angelsächsischen Königreiche zu kümmern. Ich glaube nicht, dass Bischof Leodegar den hohen Mächten Verdruss bereiten wird. Er wird mich opfern, dessen bin ich gewiss.«

»Auch Bischof Leodegar wird sich an die Wahrheit halten müssen«, versicherte ihm Fidelma. »Um der Wahrheit willen hat man uns beauftragt, der Sache nachzugehen.« Abt Cadfan brach in schallendes Gelächter aus.

»Verzeih, Schwester Fidelma, verzeih«, sagte er und wischte sich mit dem Ärmel die Augen. »Nichts liegt mir ferner, als dich zu verletzen. Aber Leodegar wird das tun, was für ihn und seine fränkische Kirche das Beste ist. Er wird solche wie Ordgar nicht tadeln, aus Furcht, Rom zu missfallen. Das Geschick der Britannier schert ihn herzlich wenig.«

»Es kommt anders, ich baue darauf, Abt Cadfan. Am Ende siegt immer die Wahrheit.« Mit diesen Worten stand Fidelma auf und ging zur Tür.

»Manchmal siegt auch die Wahrheit, ja - hoffentlich lebe ich dann noch«, erwiderte Abt Cadfan. »Bitte halte mich auf dem Laufenden bei deiner Suche nach ihr.«

Fidelma blieb an der Tür stehen und beteuerte mit ernstem Gesicht: »Die Wahrheit wird siegen, Abt Cadfan. Ich werde dafür Sorge tragen.«

Загрузка...