KAPITEL 6

»Einer von den beiden lügt, in ihren Aussagen stimmt nichts miteinander überein«, fand Eadulf, als sie sich von Abt Cadfan verabschiedet hatten. »So, wie sie die Dinge schildern, sehen sie den Tathergang völlig unterschiedlich.«

»Im Gegenteil, die Tatsachen als solche sind in ihren Darstellungen die gleichen«, widersprach Fidelma. »Über die Tatsachen gibt es keine strittigen Auffassungen, lediglich über die Frage, wer die Schuld trägt.«

»Der eine sagt, man hätte ihm was ins Getränk gemischt, der andere, er sei aufgefordert worden, in Ordgars Zimmer zu kommen, und dort hätte man ihm einen Schlag auf den Kopf versetzt. Sie können beim besten Willen nicht beide die Wahrheit erzählt haben.«

»Vielleicht doch«, entgegnete Fidelma ruhig.

Eadulf schüttelte den Kopf. »Es wird darauf hinauslaufen, wem wir Glauben schenken - Ordgar oder Cadfan. Da können wir auch gleich die Münze werfen und dann eine Entscheidung treffen.«

»Auf diese Weise lässt sich die Wahrheit nicht ergründen.

Da muss uns schon was Besseres einfallen.«

»Und was schlägst du vor, bitteschön? Ich sehe nur zwei Personen mit zwei völlig unterschiedlichen Standpunkten.« »Wir stehen erst am Anfang unserer Nachforschungen.« »Meinst du, Bruder Gebicca, der Arzt, könnte uns einen Hinweis geben? Vielleicht sollten wir gleich mal zu ihm gehen?«

Er hatte den Vorschlag kaum ausgesprochen, da begann eine Glocke zu läuten.

»Die Glocke ruft sicher zum Mittagsmahl«, stellte Fidelma fest. »Dann gehen wir eben nach dem Essen zur Apotheke und werden sehen, was uns Bruder Gebicca zu erzählen hat.« Sie gingen nach unten und erblickten eine Vielzahl frommer Brüder, ordentlich in einer Reihe aufgestellt, die mit gefalteten Händen und gesenkten Köpfen darauf warteten, einer nach dem anderen ins Refektorium eingelassen zu werden. Als Fidelma und Eadulf sich gleichfalls anstellten, trafen sie verstohlene Blicke. Im gleichen Moment tauchte Abt Segdae auf.

»Da bist du ja, Fidelma. Ich hoffte, dich hier zu finden.

Du und Eadulf, ihr speist beide mit uns an dem Tisch, der für die Gäste aus den fünf Königreichen freigehalten ist.« »Wir hatten uns schon Gedanken gemacht, wo wir sitzen sollen«, sagte sie erleichtert, während der Abt sie an der Schlange vorbei ins Refektorium führte.

»Beim Essen kannst du mir erzählen, wie weit ihr gekommen seid«, meinte er und schlängelte sich mit ihnen durch den großen Essenssaal vorbei an langen Bänken und Tischen, an denen sich Ordensbrüder drängten.

An dem Tisch, zu dem er die beiden brachte, saßen bereits sechs Mönche. Abt Segdae stellte sie ihnen alle namentlich vor. Ihre Namen blieben Eadulf nicht im Gedächtnis haften, doch soviel bekam er mit - sie waren Würdenträger der Kirchen aller fünf Königreiche. Auch war offensichtlich, dass Abt Segdae in ihrem Kreis der ranghöchste Geistliche war.

Wieder läutete eine Glocke, und alle im Refektorium erhoben sich. Bischof Leodegar, begleitet von Bruder Chil-peric, betrat den Raum und gesellte sich zu der Runde am Tisch, der ganz am Ende des Refektoriums stand. Alle blieben stehen, während der Bischof seinen Platz einnahm, die Arme ausbreitete und den Lobpreis anstimmte. »Gloria in excelsis Deo et in terra pax hominibus bonae voluntatis.«

»Laudamus te«, erklang es im Chor, »benedicimus te, gratias agimus tibi ...«, fuhr der Bischof mit dem Gloria fort. Nach dem Gratias und dem Segensspruch durften sich alle wieder setzen, nach dem Brot langen und dem kalten Braten und gedünsteten Gemüse zusprechen.

»Habt ihr mit allen, die ihr zu sehen wünschtet, sprechen können?«, fragte Abt Segdae unbekümmert und reichte Fidelma eine Fleischplatte.

»Bisher haben wir mit Ordgar, Cadfan und Sigeric gesprochen«, erwiderte sie.

»Und? Gibt es schon Erkenntnisse?«

»Du kennst meine Verfahrensweise, Segdae. Wir haben noch nicht mit allen, die wir befragen müssen, reden können.« Ihre Antwort machte ihn nicht eben glücklich. »Es wäre gut, wenn wir so rasch wie möglich Klarheit in der leidigen Angelegenheit haben könnten.«

»Ja, das wäre gut. Nur sind wir leider keine Hellseher.

Wir werden jedoch unser Bestes tun, den Schuldigen zu finden.« Für kurze Zeit musste der Abt sein Augenmerk darauf richten, sich zu einer Portion Gemüse zu verhelfen. Erst nachdem das geglückt war, konnte er weitersprechen: »Bischof Leodegar liegt mir ständig damit in den Ohren, dass schon in wenigen Tagen König Chlothar erwartet wird.«

»Bischof Leodegar soll an Chlothars Hof aufgewachsen sein, habe ich irgendwoher gehört«, bemerkte Fidelma, war aber nicht ganz bei der Sache, denn ein junger Mann am Ende des Tisches schaute ständig zu ihr hinüber. Doch immer, wenn auch sie zu ihm sah, wandte er seinen Blick ab und war angelegentlich mit seinem Teller beschäftigt. Sie versuchte, sich des Namens zu entsinnen, den Segdae bei seiner Vorstellung genannt hatte. Einer aus dem Norden? Ach ja, Bruder Gillucan!

»Chlothar ist noch jung, er soll schon der dritte König sein, der so heißt«, erläuterte der Abt. »Leodegar muss also von einem seiner Vorgänger aufgezogen worden sein. Dieser Chlothar hier ist erst zwanzig Jahre alt; er war acht, als er seinem Vater Chlodwig auf den Thron folgte.« Überrascht drehte sich Fidelma zu ihm um. »Zehn, sagst du? Das ist doch weit unter der Volljährigkeit!« »Das ist hier so Sitte. Der älteste Sohn folgt dem Vater, und wenn er noch minderjährig ist, wird ein Vormund ernannt, der an seiner statt regiert.«

»Eine merkwürdige und unsichere Art, die Geschicke eines Landes zu lenken«, urteilte sie.

»Chlothar dürfte ziemlich bald hier eintreffen, um die Beschlüsse und Empfehlungen des Konzils in aller Form zu bestätigen. Der päpstliche Gesandte ist bereits eingetroffen. Er sitzt neben Leodegar. Dort, siehst du ihn?«

Fidelma warf einen Blick über die Schulter, aber die vielen Klosterbrüder versperrten ihr die Sicht, so dass sie keinen rechten Eindruck von der Erscheinung des Mannes gewann. »Ja und?«, fragte sie und hielt Eadulf ihren Becher hin, damit er ihr aus dem Krug Wasser einschenkte. »Leodegar lässt keine Gelegenheit aus, mir klarzumachen, dass dem Konzil die Hände gebunden sind, solange das Problem nicht vom Tisch ist«, klagte Segdae. »Wie soll der König die Beschlüsse des Konzils öffentlich absegnen, wenn nicht noch vor seinem Eintreffen der rätselhafte Vorfall geklärt ist?« Fidelma ließ sich nicht erschüttern. »Ich vermute, Leodegar hat längst entschieden, welche Beschlüsse das Konzil zu fassen hat, umso mehr, als über dessen Zusammensetzung in Rom befunden wurde, und Rom hat bekanntlich wenig für unsere Sitten und Praktiken übrig. Wir können nur hoffen, dass für ihn auch nicht schon beschlossene Sache ist, wer den Mord begangen hat.«

»Du siehst die Dinge wie immer vollkommen klar, Fidelma«, gestand ihr der Abt zu. »Wenn der Bischof von Rom ein Konzil anweist, einen Beschluss zu fassen, und bereits darauf hinlenkt, wie der auszusehen hat, dann würde ich meinen, dass es sich um eine vorgefasste Entscheidung handelt. Mir missfällt das zwar, aber ich fürchte, wir sind nur hier, um einer bereits in Rom gefällten Entscheidung unser Ja und Amen zu geben.«

Fidelma wich seinem Blick nicht aus. »Wenn ich so dächte und dank meiner Position Stimmgewalt im Konzil hätte, würde ich diese Stimme nicht nutzen. Ich würde sogar meine Teilnahme verweigern.«

»Du hast recht. Wir sind hier nur geladen, um unsere Gegenstimme zu Protokoll zu geben, wenn der Beschluss verkündet wird«, bestätigte er bedrückt. »Dir ist gewiss aufgefallen, dass wir, die wir der Kirche von Ailbe, Patrick und Colmcille folgen, in der Minderheit sind.«

»Wenn Rom eine solche Richtung einschlägt, warum sollen wir da mitmachen?«, fragte Fidelma. »Die Kirchen im Osten haben es nicht getan.«

Abt Segdae hörte das nicht gern.

»Vorsichtig, Fidelma, man könnte dich der Ketzerei beschuldigen. Rom muss für uns der Mittelpunkt bleiben. War es nicht der große Apostel Petrus, der Rom als den Platz auserwählte, wo die Kirche Christi begründet werden sollte? War es nicht Christus, der ihm verhieß, er wäre der Mann, der Seine Kirche begründen würde?«

»Weshalb soll man sich mit Rom anlegen?«, mischte sich Eadulf in ihr Gespräch ein. »Weshalb nicht einfach das Dictum von dort akzeptieren und sich das Leben weniger schwer machen?«

»Rom bleibt unser Hüter, auch wenn es sich irrt, Eadulf«, wandte sich Abt Segdae ihm mit besorgter Miene zu.

»Wir folgen den ursprünglichen Vorstellungen der Gründungsväter des Glaubens, den Gepflogenheiten und Bräuchen, den festgelegten Feiertagen. Nicht wir haben uns verändert, sondern Rom hat sich verändert. Dort hat man begonnen, andere Wege zu gehen.«

»Aber ist es nicht genau das, was die Kirchen im Osten für sich beanspruchen? Sie sagen doch, dass ihre Kirchen dort den orthodoxen Gepflogenheiten folgen, die Rom ablehnt.«

»Die Spaltung beruht auf politischen Erwägungen, nicht auf theologischen.«

»Wie das?«, wollte Eadulf wissen.

»Die Abspaltung der Kirchen im Osten ging mit dem Auseinanderbrechen des Römischen Reiches einher, als Kaiser Konstantin Byzanz zur Hauptstadt erklärte und es nach sich selbst Konstantinopel nannte. Die Trennung zwischen Rom und Konstantinopel führte dazu, dass auch die Ost- und die Westkirchen auseinanderdrifteten.« Fidelma nickte bestätigend. »Nicht anders geschieht es heute. Die neuen Vorstellungen aus Rom machen es uns im Westen schwer, den Glauben zu verinnerlichen. Rom hat die Lehren des Pelagius verworfen, hat Arius in die Verbannung getrieben, und nun hadert es mit dem Mono-theletismus. Eines Tages werden die Befürworter der Trennung der Geschlechter und des Zölibats die Oberhand gewinnen, und dann dürften ihre Ansichten als die Lehre von Rom verkündet werden. Mir ist bange, wohin Roms ständiges Verändern des Glaubens und seines Brauchtums führen wird. Nicht lange, und wir erkennen überhaupt keine Verbindung mehr zu den ursprünglichen Vorstellungen der Begründer des Glaubens.«

»Ich hätte nie gedacht, dass du dir so tiefgründige Gedanken über die Dinge machst, Fidelma«, bekannte der Abt ehrlich verwundert.

»Man muss seine Gedanken nicht unbedingt für jedermann sichtbar zur Schau tragen, Segdae«, erwiderte sie. »Das heißt deshalb noch lange nicht, dass man sich keine macht. Meiner Meinung nach muss es jedem Einzelnen überlassen bleiben, ob er sich dem Glauben zuwendet oder ihn ablehnt. Niemand hat das Recht, einem anderen vorzuschreiben, was er zu glauben hat oder in welcher Form er das tut. Was mein Wirken für das öffentliche Wohl betrifft, so dient es dem Gesetz, gilt der Wahrheit und Gerechtigkeit.«

Eadulf hüstelte und erreichte damit, dass Fidelma aufschaute.

Die meisten der Klosterbrüder verließen den Saal. »Du wirst es uns nicht verübeln, Segdae, aber wir müssen uns wieder an die Arbeit machen«, sagte sie und stand auf.

Draußen fragte Eadulf sie leicht beunruhigt: »Ist es klug, so offen daherzureden?«

»Vielleicht nicht«, gab sie zu. »Aber was ich denke und was mich bewegt, kann ich nicht gänzlich zurückhalten. Es widerspricht meinem Wesen.«

»Nur scheint mir dieser Ort hier der allerletzte, um sich offen über Dogmen der Theologie zu äußern.«

Sie sah ihn an und musste lachen. Eadulf wollte sich dagegen verwahren, doch schon besänftigte sie ihn: »Ich lache nicht über dich, Eadulf. Es ist nur der Gedanke, dass die große Abtei hier mit ihrem Konzil über die Zukunft der Kirchen nicht der rechte Ort für einen Meinungsstreit sein sollte. Wenn nicht hier, wo sonst?«

»Dort, wo Köpfe offen sind für andere Gedanken und Vorstellungen, so dass sich Rede und Gegenrede überhaupt entwickeln können. Wenn Entscheidungen von vornherein feststehen, kann es keinen fruchtbaren Gedankenaustausch geben.« Zärtlich berührte sie seinen Arm. »Manchmal vergesse ich, wie weise du sein kannst, Ea-dulf. Ich werde in Zukunft besser darauf achten, was ich sage und was ich für mich behalte.

Aber jetzt wollen wir Bruder Gebicca aufsuchen.« Fidelma und Eadulf hatten schon mit vielen Ärzten und Apothekern zu tun gehabt. Bruder Gebicca glich ihnen allen. Er war schon älter, der hagere Körper wirkte energisch und behende. Er war mit Stößel und Mörser an seinem Werktisch beschäftigt, als sie den übelriechenden Raum betraten. Erstaunt blickte er auf, Besucher dieser Art hatte er nicht erwartet. »Du bist eine Frau!«, stellte er mürrisch fest.

»Und du ein guter Beobachter, Bruder Gebicca«, erwiderte sie fröhlich. »Eine Eigenschaft, die für die Arbeit in einer Apotheke von Vorteil ist.«

Er machte eine abwehrende Handbewegung.

»Frauen haben zu unserer Abtei keinen Zutritt«, erklärte er.

»Du warst gestern wohl nicht zum Abendgebet in der Kapelle?«, fragte sie.

»Warum sollte ich?«, entgegnete er, immer noch gereizt. »Ich habe jede Menge zu tun und vom Bischof die ausdrückliche Erlaubnis, der Andacht fernzubleiben, damit ich mich ausschließlich auf die Gesunderhaltung meiner Mitbrüder konzentriere. Was führt euch hierher?«

»Wärest du gestern Abend dort gewesen, hättest du vernommen, dass der Bischof unsere Anwesenheit und auch den Zweck unseres Aufenthaltes hier verkündete. Wir untersuchen die Todesumstände von Abt Dabhoc.«

Nur kurz kniff er die Augen zusammen, dann entspannten sich seine Züge.

»Ach ja. Bruder Chilperic hat so etwas erwähnt.« Er stand vom Schemel auf, wusch sich in einer Schüssel die Hände und trocknete sie an einem Leinentuch ab. »Und was erwartet ihr von mir?«

»Dass du uns erzählst, was du über den Tod von Abt Dabhoc weißt.«

Er sah von einem zum anderen und winkte ihnen, ihm zu folgen. Eine Tür führte nach draußen in den hinter der Apotheke gelegenen Kräutergarten. Auf bankähnlichen niedrigen Steinen lud er sie zum Sitzen ein. Der Garten war in Sonnenlicht getaucht und erfüllt von allen möglichen Düften der Kräuter und Blumen. Nach dem Aufenthalt in den kalten Gemäuern der Abtei war es wohltuend, fast einschläfernd, in der warmen Luft zu sitzen. »Wie wir hörten, wurdest du in der Nacht, in der man Abt Dabhoc ermordete, von Bruder Sigeric in Bischof Ordgars Zimmer gerufen«, eröffnete Eadulf die Befragung. »Bruder Sigeric handelte auf Weisung von Bischof Leodegar, der bereits am Ort des Geschehens war«, ergänzte Bruder Gebicca peinlich genau.

»Um wen hast du dich als Ersten gekümmert, als du in Ordgars Zimmer kamst?«

»Zuallererst galt es zu bestätigen, dass ich für den Abt aus Hibernia nichts mehr tun konnte. Das festzustellen war nicht schwer. Sein Schädel war am Hinterkopf durch heftige Gewalteinwirkung zerschmettert. Dann wendete ich mich dem bewusstlosen Abt Cadfan aus Britannien zu. Auch er hatte einen Schlag auf den Kopf erlitten, aber ich sah sogleich, dass er noch am Leben war. Es handelte sich um eine offene Wunde, und die Schwellung nahm ständig zu. Dann trat ich zu Bischof Ordgar ans Bett.«

»Und in welchem Zustand fandest du ihn vor?«, drängte Fidelma.

»Er lag in einem Dämmerzustand da, murmelte die ganze Zeit zusammenhangloses Zeug und roch stark nach Alkohol.« »War er betrunken?«

»Zuerst glaubte ich es, kam dann aber zu dem Schluss, dass man ihm etwas in den Wein gemischt haben musste.«

»Was hat dich zu der Annahme geführt?«

»Seine Augen, die Zunge, die Lippen. Ich betreibe die Heilkunst seit vielen Jahren und weiß zwischen Trunkenheit und der Wirkung gewisser Kräuter zu unterscheiden, die einen ähnlichen Zustand bewirken.«

»Und was hast du daraufhin gemacht?«

»Ich habe Bischof Leodegar gesagt, dass er so bald nichts aus den beiden herauskriegen würde. Meiner Schätzung nach würde es mindestens einen Tag dauern, ehe sie wieder zurechnungsfähig sein würden und Auskunft geben könnten, was geschehen war. Auf meinen Vorschlag hin ließ Bischof Leodegar Abt Cadfan in sein Zimmer zurückbringen, wo ich ihn wusch und die Wunde versorgte. Ich ließ jemand dort, der bei ihm wachen sollte. Der Heilungsprozess geht gut voran, ich bin zufrieden. Der Mann hat eine kräftige Natur.«

»Und Bischof Ordgar?«

»Ordgar wurde auf demselben Gang in einem anderen Raum untergebracht. Mit dem ganzen Blut und der Tatsache, dass dort jemand eines unnatürlichen Todes gestorben war, konnten wir ihn nicht in seinem Gemach lassen.

Wir haben seinen Kämmerer, Bruder Benevolentia, geweckt und den Bischof hinübergetragen. Ich wies den jungen Mann an, die restliche Nacht bei ihm zu bleiben und ihm in regelmäßigen Abständen möglichst viel Wasser einzuflößen, um das Gift aus dem Körper zu spülen.« »Wie verfuhr man mit der Leiche von Abt Dabhoc?« »Die wurde ins Leichenhaus geschafft, wo ich sie später für die Bestattung herrichtete. Außer dem Hieb, der ihm den Schädel zertrümmert hatte, fanden sich keine anderen Verletzungen. Augenscheinlich war der Schlag von hinten und mit enormer Wucht erfolgt.«

»Und Bischof Ordgars Zimmer?«, wollte Fidelma wissen. Der Arzt schaute sie fragend an.

»Es heißt, du hättest es saubergemacht«, erklärte sie. »Du sollst auch den Becher, in dem der angeblich gepanschte Wein war, abgewaschen haben. Stimmt das?«

»Hätte ich einen mit Betäubungsmitteln versetzten Becher Wein stehen lassen sollen, damit sich jedermann bedienen und sich vergiften kann?«, entgegnete er scharf. »Das wäre viel zu gefährlich gewesen.«

Eadulf beugte sich vor. »In dem Becher war noch Wein?« »Er war halbvoll.«

»Dann hatte ihn Bischof Ordgar nicht gänzlich ausgetrunken?«

»Hätte er es getan, wäre er vermutlich nicht mehr am Leben.« »Bist du dir da sicher?«, fragte Fidelma aufgeschreckt. »Ich würde nichts sagen, das der Wahrheit entbehrt«, verwahrte er sich gekränkt. »Selbstverständlich bin ich mir sicher.«

»Du hast nichts von dem Wein zurückbehalten oder ihn untersucht?«

»Ich habe darauf geachtet, dass Becher und Amphore vernichtet wurden. Die Amphore war ohnehin leer.« »Es gibt also keinen Beweis, welche Beschaffenheit der Wein hatte oder wie der Zusatz in den Wein gelangte? Ich meine, ob der Wein erst im Becher mit etwas versetzt wurde oder schon vorher in der Amphore.«

Der Arzt machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand.

»Die Tatsache, dass das Zeug im Becher war, war für mich Grund genug, sicherzustellen, dass niemand daraus trinkt und krank wird oder gar stirbt.«

»Ein jeder von uns hat seine Aufgaben zu erfüllen, Bruder Gebicca«, erwiderte Fidelma ruhig. »Deine Aufgabe ist es, Leben zu erhalten, meine hingegen, festzustellen, warum es jemand eingebüßt hat.«

Eadulf hatte nachdenklich dagesessen und meldete sich jetzt wieder zu Wort. »Ich möchte dir eine Frage stellen, Bruder Gebicca, auch wenn sie nur hypothetisch ist. Bestünde die Möglichkeit, dass Bischof Ordgar Abt Dabhoc tötete, dann Abt Cadfan niederschlug und schließlich selbst aus freien Stücken den vergifteten Wein trank? Nur ein, zwei Schluck, um die Wirkung und den Zustand zu erreichen, in dem du ihn vorgefunden hast, keineswegs die Menge, um selbst seinem Leben ein Ende zu setzen?« Bruder Gebicca überlegte. »Möglich ist alles. Bischof Ordgar müsste aber ein Mann mit feinem Spürsinn und Urteilsvermögen sein, um genau zu wissen, wie viel von dem giftigen Gebräu er schlucken darf, ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen.«

»Doch vorstellbar wäre es?«

Etwas hilflos breitete der Arzt die Arme aus. »Vorstellbar ja. Aber als Arzt halte ich es für höchst unwahrscheinlich, da müsste er schon in der Wirkungsweise von Giften gut Bescheid wissen.«

»Als du Abt Cadfan und Bischof Ordgar behandeltest, hast du sie da gefragt, was eigentlich geschehen war?«, erkundigte sich Fidelmas als Nächstes.

»Es war genau umgekehrt. Beide wollten von mir wissen, was geschehen war, als sie wieder bei klarem Verstand waren. Sie behaupteten, sich an nichts erinnern zu können.«

»Sie konnten sich an nichts erinnern?«

»Bischof Ordgar erklärte, er wüsste nur noch, dass er Wein getrunken hätte, wie er es immer vorm Schlafengehen tut. Und Abt Cadfan sagte, man hätte ihm beim Betreten des Zimmers von Bischof Ordgar, wohin zu kommen man ihn mitten in der Nacht aufgefordert hätte, von hinten einen Schlag versetzt - das wäre das Letzte, woran er sich erinnern könne. Meiner Meinung nach geht der Verdacht mehr in Richtung Ordgar, wäre da nicht die Behauptung von Cadfan, er hätte eine Nachricht von Ordgar erhalten, in der er gebeten wurde, ihn aufzusuchen. Eine Notiz dieser Art wurde nirgends gefunden.« »Ich würde dir gern noch eine andere Frage stellen«, ergriff Eadulf erneut das Wort. »Hältst du es als Mediziner für möglich, dass Cad-fan sich die Wunde selbst beigebracht hat?« »Auf gar keinen Fall.«

»Dann bleibt es nach dem, was du sagst, tatsächlich dabei, dass beide Männer gleichermaßen verdächtig sind.« Der Arzt zuckte mit den Achseln. Fidelma, die langsam aufstand, äußerte unerwartet einen völlig anderen Gedanken: »Vor ihrer Ankunft hier in der Abtei kanntest du wohl keinen der drei Geistlichen?«

»Die meisten der hohen Bischöfe und Äbte, die zum Konzil angereist sind, waren noch nie in unserer Stadt. Ich habe meine Heilkünste nur in Divio und hier in Autun betrieben.

Mein Eindruck ist, dass die meisten Teilnehmer am Konzil sich auch untereinander nicht kennen.«

»Vielen Dank für die Zeit, die du dir für uns genommen hast, Bruder Gebicca«, verabschiedete sich Fidelma. »Ich fürchte, unser Gespräch hat dir nicht viel gebracht«, meinte er, stand ebenfalls auf und geleitete sie durch den Apothekenraum zurück zur Tür. »Wenn ich eine Meinung äußern darf, würde ich sagen, es läuft darauf hinaus, wem von beiden man mehr Glauben schenkt. Es können schließlich nicht beide die Wahrheit sagen. Ein Mann ist tot, und außer ihm waren nur zwei andere im Raum. Wenn ich zu entscheiden hätte, würde ich eine Münze hochwerfen.«

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