8

Asiadeh liegt auf dem Rücken, und Hassa gleicht einem großen und unbeholfenen Kind. Er beugt sich über sie, und sie spürt den Geruch seiner Haut und den Atem der geöffneten Lippen. Ihre Hände sind in die Kissen vergraben, und in den grauen Augen nistet Sehnsucht und Furcht. Hassas Lippen kommen immer näher. Sie werden größer und größer. Sie umfassen Asiadehs Mund, sie bedecken ihr Gesicht, sie wachsen, und Asiadehs ganzer Körper scheint in dem schmalen Spalt der geöffneten Lippen zu verschwinden. Hassas Hand berührt ihren Hals. Sie fühlt seine Finger über ihre Hand gleiten, und ihr Körper streckt sich dieser harten und fremden Haut entgegen. Sie wendet ihr Gesicht ab, und Hassas Hand preßt sich gegen ihren Busen.

»Asiadeh«, sagt Hassa, und sie umklammert seinen Kopf und legt ihre glühende Wange an Hassas Stirn. Hassas Körper ist jetzt ganz nahe. Unter halbgeschlossenen Lidern sieht Asiadeh seinen dunklen Rock und den dreieckigen Ausschnitt des Hemdes. Seine Lippen umfassen ihren Mund, sie hört seinen Atem und glaubt plötzlich in einer anderen, fremden Traumwelt zu sein, in der die Gefühle ausgeprägter, gespannter, schärfer sind als in der Welt des sichtbaren Daseins. Hassa gleicht einem gewaltigen Magier, der eine geheimnisvolle Macht besitzt, der über ihre Sinne herrscht und dem sie nicht entrinnen kann. Sie fühlt seine Hände an ihrer Haut, und ihr ganzer Körper scheint in diesen harten fremden Handflächen eingelullt zu sein. Sie erhebt sich, und ihr Kopf preßt sich gegen seine Brust. »Genug«, sagt sie sehr ernst und seufzt erleichtert und verwirrt.

Hassa erhebt sich. Er blickt verlegen auf Asiadeh, denn er weiß nicht, wieso er plötzlich auf den Diwan kam, so ungebührlich nahe zu den grauen Augen, die ihn lachend und mißbilligend anschauen. Asiadeh scheint es genau zu wissen. Sie legt den Kopf auf ihre Knie und surrt ein fremdes und eintöniges Lied. Sie blickt zu Hassa empor und freut sich, daß sie an den süßen Wassern von Istanbul zur Welt kam, denn sie kennt die Rätsel der Liebe, ihre Formen, ihren Ausdruck und ihre Geheimnisse.

In Hassas Zimmer wird es ganz dunkel. Hassa zündet eine kleine Tischlampe an. In ihrem Schein sieht sie sein Gesicht und hört, wie er von der Hochzeitsreise erzählt, die er nach Italien machen will.

»Ich fahre gar nicht nach Italien«, sagt sie und hebt den Kopf. »Nach der Hochzeit fahren wir nach Sarajewo.«

»Nach Sarajewo? Aber wozu denn?« Hassa ist aufrichtig erstaunt.

»So«, sagt Asiadeh, und es bleibt dabei, denn sie hat graue Augen, und Hassa ist nur ein Mann. Dann reibt Asiadeh ihr Kinn an ihrem Knie und blickt sehnsüchtig in die Dunkelheit. »Meine Amme«, sagt sie und hat plötzlich ganz große Pupillen, »meine Amme erzählte mir: Als der lahme Timur Siwas bezwungen hatte, versammelte er die tapfersten Krieger und die kränksten Aussätzigen und verurteilte sie alle zum Tode, damit die einen nicht durch ihre Schwäche, die andern nicht durch ihre Tapferkeit andere anstecken. Er befahl, sie alle lebendig zu begraben. Der Kopf wurde ihnen zwischen die Schenkel gebunden, sie wurden zu zehn zusammengekugelt und in eine Grube geworfen, in der sie erstickten. Die Amme erzählte es mir, damit ich mich hüte, zu tapfer oder zu wehrlos zu sein. Aber ich fürchte, es hat nichts genützt.«

»Wirst du mir treu sein?« fragt Hassa, weil er nicht weiß, was er fragen soll, und weil er eine Vergangenheit hat.

Asiadeh hebt den Kopf und ist sehr stolz. »Nimm die hundert schönsten Männer der Welt und setze sie mit mir auf eine einsame Insel. Komm in zehn Jahren. Keiner wird mich besessen haben. Mann und Frau sind wie eine Doppelnuß unter einer Schale, das hat noch der weise Saadi gesagt.« Sie setzt sich mit gekreuzten Beinen auf den Diwan und ist sichtlich empört. »Ehebruch kommt nur in Romanen vor, aber nicht unter Menschen. Ich werde dir bestimmt treu bleiben.«

»Liebst du mich so?« Hassa ist ehrlich bestürzt.

Asiadeh beugt den Kopf, und ihre Augen lächeln:

»Von der Liebe spricht man nicht, von der Liebe sprechen die Hände, die Augen, der Schleier, der in der Hochzeitsnacht herabgleitet. Ein Kuß ist keine Grabinschrift, aber das hat schon der große Hafis gesagt.«

Hassa brummt. »Das eine sagte Saadi, das andere Hafis. Was sagt Asiadeh?«

Asiadeh steht auf und hopst im Zimmer herum. »Nichts sagt Asiadeh. Asiadeh spricht nicht von der Liebe. Sie zeigt sie.« Sie geht in die Zimmerecke, hebt die Hände und stellt sich auf den Kopf. Ihre Füße stehen kerzengerade in der Luft, und sie wandert auf den Händen durch das ganze Zimmer. Dann stellt sie sich wieder auf die Beine und ist ganz außer Atem. »So lieb ich dich«, sagt sie und ist sehr zufrieden.

»Das mußt du in Wien auf dem Ring machen, wenn dich meine Freunde fragen, ob du mich lieb hast.«

Asiadehs Augenwimpern zucken.

»Meinst du, daß deine Freunde mich fragen werden, ob ich dich liebhabe?«

»Sicher.«

»Ich werde jedem die Nase abbeißen, der mich danach fragt. Es geht die andern nichts an.«

Sie steht vor Hassa, ihre Hand berührt seinen Arm, und sie spricht halb flehend, halb scherzhaft: »Ach, Hassa, laß mich einen Schleier tragen. Es wird besser sein.«

Hassa lacht, und Asiadeh rüttelt ihn an den Schultern.

»Lach nicht so einfältig«, ruft sie erbost. »Du bekommst eine sehr gute Frau.«

Sie läuft in das Vorzimmer und zieht ihren Mantel an. Hassa begleitet sie zum Kaffeehause, wo Achmed-Pascha auf sie wartet, und sie umklammert fest ihre Handtasche. In der Handtasche liegt der Brief des nicht existierenden und landesverwiesenen Prinzen, der nicht unterschreiben will.

Sie betritt das Kaffeehaus und setzt sich an den kleinen Marmortisch. Achmed-Paschas Hände sind über der Marmorplatte gefaltet. Seine kleinen schwarzen Augen blicken zu Asiadeh hinüber. Er spricht, und Asiadeh denkt an den landesverwiesenen Prinzen, an Hassa und an die Kaiserstadt Wien, an deren Toren die Macht der Osmanen brach.

»Ja«, sagt sie. »Ich liebe ihn.« Sie blickt gerade vor sich hin und preßt die Lippen zusammen.

»Niemand weiß, was im Buche steht«, sagt der Pascha, »wenn er morgen ein Bein verliert oder seinen Verstand oder sein Geld oder seine Liebesglut, was tust du dann?«

»Ich werde ihn noch immer lieben und eine gute Frau sein.«

»Es kommt vor, daß Männer launisch sind oder vergrämt. Die Frauen haben es nicht leicht, wenn Gott ihre Männer prüft.«

Asiadeh überlegt kurz. Dann meint sie entschlossen:

»Wenn er widerwärtig wird, so sperre ich ihn für eine Weile ein und spiele mit seinen Kindern. Er wird viele Kinder haben, und es wird nie langweilig sein.«

Der Pascha sieht seine Tochter anerkennend an. »Sie ist eine kluge Frau«, denkt er, »sie weiß, worauf es ankommt.«

»Männer sind leichtfertig«, sagt er. »Und dem heutigen Menschen fehlt oft der sittliche Halt. Unausdenkbarer Greuel kommt heute in den Ehen vor. Es gibt Männer, die ihren Samen an andere Frauen vergeuden als an die, die ihnen Gott gegeben hat.«

»Ich weiß«, nickt Asiadeh und schiebt die Unterlippe vor, »das nennt man Ehebruch. Aber das kommt doch unter Menschen nicht vor. Das machen Tiere, und Hassa ist doch ein Mann mit Bildung.« Sie zuckt unbeholfen mit den Schultern und blickt fassungslos auf den Marmortisch. Achmed-Pascha räuspert sich. Er hat eine gute Tochter, aber es gibt so viel Tiere unter den Menschen, und eine junge Frau ist wehrlos und unerfahren.

Asiadeh scheint seine Gedanken zu erraten.

»Ich war fünfzehn Jahre alt, als wir Istanbul verließen«, sagt sie und errötet. »Ich sollte doch einen Prinzen heiraten und wurde darauf vorbereitet. Diener ohne Geschlecht haben mir beigebracht, was ein Geschlecht an das andere bindet. Ich kann mich mit den Frauen der Ungläubigen messen.«

Sie blickt stolz vor sich hin, und ihr Gesicht wird blaß. Der Pascha wird verlegen. Bei Gott — er hat seine Tochter unterschätzt. Hassa wird sie nicht betrügen.

Dann runzelt er die Stirn, und sein Gesicht bekommt einen autoritären Ausdruck.

»Wir sind ein Kriegsvolk«, sagt er, »wir waren vierhundertvierundvierzig Mann, als Ertogrul uns nach Anatolien führte. Aber wir waren tapfer und waghalsig, deshalb gab uns Gott die Herrschaft über die halbe Welt. Unsere Frauen müssen schön, tapfer und klug sein und dürfen nie weinen. Vergiß es nicht. Die Frau hat nur eine Pflicht — dem Mann zu dienen und Kinder zu erziehen. Der Mann aber hat auch andere Pflichten — er muß kämpfen und das Haus verteidigen — heute ebenso wie einst. Deshalb kann er nie ganz der Frau gehören. Es ist wichtig, das zu wissen, um glücklich zu sein. Aber eine kluge Frau dient und wird bedient, und wer zum Herrschen geboren ist, herrscht auch hinter dem Schleier.«

Der Pascha schweigt eine Weile, er scheint in Gedanken und Erinnerungen versunken zu sein. Dann sagt er mit harter Stimme:

»Der beste Schatz des Menschen ist eine tugendhafte Frau, das hat noch unser Prophet gesagt. Du wirst mir keine Schande machen. Wenn aber ein Schatten auf dich fällt, so komm zu mir — dann töte ich dich selbst. Ich will nicht, daß das ein Ungläubiger tut. Kannst du dich an deine Mutter erinnern?«

»Ja, Vater. Die Mutter stand am Springbrunnen und trug ein weites rotes Gewand, sie hatte eine helle Haut und einen Ring am Zeigefinger. Ich war damals drei Jahre alt. Mehr weiß ich nicht.«

Der Pascha nickt. »Deine Mutter war eine gute Frau. Ich habe drei Frauen verstoßen, bis ich sie gefunden habe. Ich gab für sie acht große Diamanten und den Ertrag von vier Dörfern. Denn gute Frauen sind viel seltener als gute Diamanten. Sie starb in Ehren, noch bevor die Sünde ins Land kam. Sei wie sie, sonst wird dich dein Mann verstoßen.«

Asiadeh beugt den Kopf. Sie denkt an Hassas schräge Augen und unbeholfene Gestalt im Zwielicht der abendlichen Dämmerung.

»Mein Mann wird mich nicht verstoßen«, sagt sie überzeugt, »es sei denn, daß ich es selbst will.«

Sie lacht, und der Pascha versteht nicht, was sie meint, denn auch er ist nur ein Mann und hat acht große Diamanten für seine Frau gegeben, die ihm dann Gott genommen hat. Er blickt auf Asiadeh und denkt, daß sie in einer Woche weg sein wird, anders als seine Frau, aber auch weg. Er blinzelt mit seinen kleinen schwarzen Augen und fühlt sich alt und verfallen. Einst gab es ein Haus mit Marmorhof und Fontäne. Einst gab es Regimenter in bunter Tracht und Fahnen mit großem Halbmond. Es gab stille Frauen, Paläste und würdige Männer, mit denen man zu Rate saß. Es gab die Herrschaft über drei Erdteile und über Millionen Menschen. Alles war weg, und was übrigblieb, verfiel oder ging weg, wie die blonde Asiadeh, die einen Barbaren heiratet, wie seine Söhne, die hinauszogen, um das Haus Osman zu verteidigen und nicht mehr heimkehrten wie er selbst, mit dem Körper, mit gebücktem Gang und der Erinnerung an die strahlende Sonne Istanbuls und die rotbekleideten Negerbataillone am Freitag, am Platze Ak-Maidan, vor den großen Moscheen.

»In einer Woche wirst du eine Frau sein«, sagt er leise und erhebt sich. Asiadeh sieht ihn an, sieht sein verstörtes runzliges Gesicht und fühlt sich plötzlich wie eine Fahnenflüchtige vom Felde der Verbannung.

»Sei eine gute Frau«, sagt der Pascha müde, und sie nickt und antwortet tapfer: »Zu Befehl, Exzellenz.«

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