9

Das Hotel hieß Srbski Kralj, das Kaffeehaus hieß Rußki Zar, und die Stadt hieß Belgrad. Hassa schlenderte durch die Fürst-Michael-Straße, und Asiadeh blieb vor den Geschäften am Terapia-Platz stehen und führte tiefsinnige Gespräche mit den Geschäftsleuten.

Abends wanderten sie durch den stillen Park zwischen dem Hotel und dem Save-Fluß oder aßen auf der glasverdeckten Veranda ungeheure serbische Austern, seltsame Gewürze und Speisen, die Asiadeh bestellte und deren Namen Hassa nicht aussprechen konnte. Nach dem Essen versenkte Asiadeh Augen und Nase in die winzigen dampfenden Kaffeetassen, leerte sie in kleinen Zügen und sah Hassa dankbar und hingebungsvoll an. Dann gingen sie durch die große Halle am schmunzelnden Portier vorbei, Hassa schloß die Zimmertür hinter ihnen zu, und Asiadehs Körper wurde klein und gebrechlich. Sie streckte ihm ihre Hände entgegen, und im schwachen Lichte der verhängten Tischlampe sah Hassa ihre hingebungsvollen Augen und kindlich geöffneten Lippen. Er löschte das Licht aus, und sie war schamvoll und still in ihrer schüchternen, tastenden Neugierde. Nachts wachte sie auf und sprach schlaftrunken lange und zwitschernde türkische Sätze, die Hassa nicht verstand und in deren weichem Klang er geheime Zärtlichkeiten vermutete. Frühmorgens sprang sie über Hassas Körper und verschwand im Badezimmer. Hassa folgte ihr, erkämpfte sich den Zugang zum Baderaum und ergriff die Dusche. Asiadehs Gesicht verzog sich schreckerfüllt, und sie stellte sich stockenden Atems unter den kalten Wasserstrahl. Dann rieb sie sich ab und blickte kopfschüttelnd auf Hassa, der zähnefletschend im Wasser herumplätscherte. »Barbar«, sagte sie hoheitsvoll und beglückt.

Sie ging ins Nebenzimmer, zog sich an und glich am Frühstückstisch mit ihren hellen Haaren und langsamen Bewegungen einer vollendeten Prinzessin.

»Welcher Gedanke!« sagte Hassa. »Kein Mensch macht eine Hochzeitsreise nach Belgrad oder Sarajewo«, es klang keineswegs unzufrieden, und Asiadeh beachtete seine Worte kaum. Sie blickte in die grünen Alleen des Parks, hinter denen im hellen Morgenlicht die breite Donau glänzte, und dachte an Suleiman-Pascha, der einst mit zweihundert Mann diese Stadt gegen die Scharen des schwarzen Georg verteidigte und bis auf den letzten Mann vor den Mauern der Festung fiel. Doch war das schon sehr lange her, lange bevor Asiadeh zur Welt kam, und Hassa würde das Ganze bestimmt nicht verstehen.

»Es ist die Pforte des Orients«, sagte sie und deutete auf einen fesbedeckten Mann mit Brille und Spazierstock, der über die Straße ging. »Ich besuche einfach die Provinzen, die meine Ahnen einst erobert und dann verwirtschaftet haben.«

»Der Orient«, sagte Hassa verächtlich, »unhygienische Wohnungen und rückständige Sitten. Er wird immer mehr zurückgedrängt. In hundert Jahren wird der Orient nur noch ein geographischer Begriff sein.«

»Uhu«, sagte Asiadeh und spielte mit dem Messer. »Ich liebe ihn aber doch«, fügte sie hinzu, und Hassa dachte, daß es dem Orient galt.

Nachher gingen sie durch die Straßen, und Hassa war stolz, wenn sich die Augen seiner Frau mit Freude und Lachen füllten. Sie schleppte ihn in die dunkelsten Nebengassen, betrat die niedrigsten Kellerlokale und sprach überall türkisch in der seltsamen Annahme, daß das Volk die Amtssprache aus den Zeiten Suleiman-Paschas noch nicht vergessen habe. Einmal, es war in einer breiten Gasse dicht hinter der Nationalbank, blieb sie plötzlich stehen und blickte fassungslos erstaunt auf ein niedriges viereckiges Gebäude mit runder Kuppel und kleinem Turm.

»Eine Moschee«, sagte sie entzückt, und ihr Mund blieb offen. Sie betrat den Moscheehof. Ein alter Mann saß an einem kleinen Brunnen und wusch sich nachdenklich die Füße. Asiadeh sprach ihn türkisch an, und der Mann antwortete gebrochen, aber mit Verachtung. Asiadeh verstummte und blickte weg.

»Was sagte er?« fragte Hassa.

»Er sagt, daß die Türken Gott vergessen haben und die Frauen ohne Schleier herumlaufen. Komm.«

Sie wandte sich ab und trabte rasch zum Ausgang. Hassa folgte ihr. Sie gingen zum Café Rußki Zar, und Asiadeh hatte eine gerunzelte Stirn und finster nachdenkliche Augen. Sie trank Kaffee, und Hassa bewunderte ihr weiches mädchenhaftes Profil.

»Genug geschaut«, sagte sie streng. »Morgen fahren wir nach Sarajewo.«

Hassa nahm ihre Hände und spielte mit den kleinen rosigen Fingern. Er blickte in die lachenden und gleichsam verhängten Augen, sah die etwas kurze, leicht aufgeworfene Oberlippe, und es war ihm gleich, ob er dieses hier oder in Sarajewo tat. Asiadeh war ein Märchen, das nach den Gesetzen der exakten Logik nicht zu erfassen war. Er gab es auf, sich im Labyrinth ihrer Gedankengänge zurechtzufinden und den Ursprung des plötzlichen Lachens oder des plötzlichen Leides zu erforschen.

»Gut«, sagte er, »fahren wir nach Sarajewo!«

Sie gingen heim, und Asiadeh packte mit der Geschicklichkeit einer Nomadenfrau, die sich zu einer neuen Lagerstätte begibt.

»Paß auf«, sprach sie, »wir fahren jetzt in eine fromme muselmanische Stadt, wo man mich ehren und dich verachten wird, denn ich führe ein gottgefälliges Dasein, du aber bist ein Abtrünniger, der schlimmer ist als ein Ungläubiger. Aber fürchte dich nicht. Ich werde dich schützen, denn du bist mein Mann, und ich bin für dein Wohlergehen verantwortlich.«

»Gut«, sagte Hassa und hatte eine leise Furcht vor den robusten Vettern aus Sarajewo, die Hassanovic hießen und ihn sicherlich verachten würden.

Im Schlafwagen, in dem kleinen rötlichen Raum, stand er lange am Fenster und blickte auf die serbische Ebene, auf die Felder und die kleinen weißgetünchten Stationsgebäude und die hageren Bauern, die aus dem Zug sprangen und hastig Wasser tranken. Asiadeh berührte seine Schulter. Er wandte sich um, und sie umschlang seinen Hals. Er sah ihren nach rückwärts gebeugten Kopf und die seltsam geschnittenen Augen. Sie zog ihre Füße hoch und blieb an seinem Hals hängen, klein, zierlich und unfaßbar. Behutsam ergriff er sie und trug sie zum Bett. Sie ließ sich willig zudecken und schien sofort einzuschlafen.

Hassa kletterte die kleine Stiege hinauf, die zum oberen Schlafwagenplatz führte. Der Wagen zitterte gleichmäßig und elastisch. Hassa blickte zum Fenster. Er sah Bäume, die plötzlich und rätselhaft aus der Finsternis auftauchten und für Augenblicke den schmalen Mond verdeckten. Unten ertönte ein Knabbern. »Hassa«, rief Asiadeh, »soll ich morgen den Schleier anlegen? Wir fahren in eine sehr fromme Stadt.«

Hassa kicherte beim Gedanken, mit einer vermummten Frau verheiratet zu sein. »Nicht nötig«, sagte er sanft. »Sarajewo ist eine zivilisierte Stadt.«

Asiadeh schwieg. Die kleine blaue Birne an der Tür erhellte kaum das Innere des Schlafwagens. Asiadeh blickte auf die ledergepolsterte Wand und krabbelte mit dem Nagel am Ledermuster.

»Hör zu, Hassa«, rief sie. »Kannst du mir sagen, wie das kommt, daß ich dich so liebhabe?«

Hassa war gerührt. »Ich weiß es nicht«, sagte er bescheiden, »es wird mit meinen Eigenschaften zusammenhängen.«

Asiadeh erhob sich im Bett. »Ich liebte dich, als ich deine Eigenschaften noch gar nicht kannte«, rief sie verletzt. »Schläfst du, Hassa?«

»Nein«, sagte Hassa und streckte die Hand nach unten aus. Asiadeh ergriff seinen Finger und hielt ihn, als wäre er ein Talisman. Sie näherte ihren Mund seiner Handfläche und sprach wie in ein Telephon. Hassa verstand ihre Worte nicht, aber ihre Lippen berührten seine Handfläche und waren weich und warm.

»Asiadeh«, rief Hassa. »Es ist schön, verheiratet zu sein!«

»Ja«, antwortete Asiadeh nachdenklich, »aber ich bin ja noch eine Anfängerin. Was wird in Wien sein?«

»In Wien wird es schön sein. Wir wohnen am Opernring. Ich habe eine herrliche Wohnung, und von der Oper kommen Sänger und Sängerinnen und lassen sich behandeln.«

»Sängerinnen?« brummte Asiadeh. »Kann ich dir bei der Ordination behilflich sein?«

»Um Gottes willen! Du bist viel zu jung, und das Ganze wird dich anwidern. Nein, du wirst repräsentieren.«

»Was ist das?«

Hassa wußte es selbst nicht genau.

»Naja«, sagte er, »Auto fahren, Gäste empfangen und so… es wird sehr schön sein.«

Asiadeh schwieg. Das Fenster war ganz schwarz geworden. Der Wagen schwankte in den Biegungen des Geleises. Sie schloß die Augen und dachte an Wien und an die Kinder, die Hassas Augen haben werden.

»Bei uns«, sagte sie, »wird ein Mensch entweder Offizier oder Beamter. Wie kommt es, daß du einen so ausgefallenen Beruf ergriffen hast?«

»Heutzutage ist es viel ausgefallener, Beamter zu sein. Arzt ist ein guter Beruf. Ich helfe den Menschen!«

Hassa sagte es sehr pathetisch und dachte wie stets in solchen Fällen daran, daß das durchschnittliche Menschenalter im Laufe der letzten Zeit von 50 auf 55 Jahre gestiegen sei. Hassa fühlte sich an diesem Erfolg mitbeteiligt.

Asiadeh wußte nichts von dem durchschnittlichen Lebensalter des Menschen. Hassa war unverständlich und dennoch vertraut wie eine Maschine, die man besitzt, aber von der man nicht weiß, wie sie gebaut ist. Er lag über ihr, und sie hörte sein leises Atmen. »Schlaf nicht«, rief sie. »Deine Frau ist ganz allein. Sind wir schon in Bosnien?«

»Sicherlich«, antwortete Hassa schlaftrunken.

Asiadeh sprang auf und war plötzlich sehr aufgeregt. Sie ergriff die Leiter, und Hassa sah ihre Finger, die angestrengt den Rand seines Bettgestells umklammerten. Dann zeigte sich ihr Kopf mit zerzausten Haaren und zuletzt den blauen Pyjama, der in der Dunkelheit schwarz aussah. Hassa stützte sie, zog sie zu sich herauf, und ihre nackten Füße verkrochen sich unter seiner Decke. Sie preßte sich an ihn und sagte begeistert und feierlich: »Hier hat Großvater regiert.« Dann legte sie den Kopf auf sein Kissen und erklärte gebieterisch: »Ich bleibe bei dir. Unten ist es finster.«

Sie schlief sofort ein, und Hassa umklammerte ihren Körper, damit sie bei der Biegung des Geleises nicht herabstürze. So lag er eine Stunde oder zwei, er wußte es nicht mehr genau. Plötzlich wachte Asiadeh auf und sagte verschlafen und vorwurfsvoll: »Geh hinunter, Hassa. Welche Art, nachts in fremde Betten zu steigen!«

Beschämt stieg Hassa hinab, legte sich in das leere untere Bett, das noch Asiadehs Körperduft in seinen Falten barg, und schlief ein.

Als er morgens aufwachte, stand Asiadeh am offenen Fenster, weit in die kühle morgendliche Luft hinausgelehnt.

»Komm her«, rief sie. »Komm her!«

Er trat ans Fenster. Die Sonne ging auf. Zackige Felsen waren von rötlichem Schein übergossen. Der Zug fuhr über einen Bergrücken. Die Felsen fielen steil in die Tiefe hinab. Unten im Tal glichen weiße viereckige Häuser den zerstreuten Würfeln eines Spielkastens. Auf kleinen Anhöhen erhoben sich die gewölbten Kuppeln der Moscheen. Gebetstürme ragten zum Himmel empor und schienen in den Strahlen der Morgensonne aus rötlichem Alabaster gebaut. Bunte Gestalten standen auf den kleinen Balkons der Gebettürme und führten die Hände trichterartig zum Mund. Asiadeh glaubte die Stimme des Gebetsausrufers zu vernehmen, die das Getöse der Bahn zu übertönen schien. »Steh auf zum Gebet«, erklang es vom Turm. »Das Gebet ist besser als der Schlaf.« Vermummte Frauen mit herabfallenden Pantoffeln blieben am Wegrande stehen und sahen dem Zuge nach. Barfüßige Kinder legten sich in das Gras und beteten ernst und gleichsam verspielt.

Asiadehs Hand legte sich um Hassas Schulter. »Schau!« rief sie. »Schau!« Sie zeigte auf die Moscheen, auf die wallenden Gewänder der Priester, auf die rötlich aufgehende Sonne, und ihre Stimme war wie von einem Siegestaumel ergriffen. »Verstehst du nun?« fragte sie und winkte dem Tale zu.

»Was?« sagte Hassa, denn er sah zerlumpte Kinder, kleine ärmliche Häuser und magere Ziegen am Berghang.

»Wie schön das ist«, sagte Asiadeh. »Es gibt nichts Schöneres auf der Welt. Das alles hat das Volk des Propheten erbaut.«

Sie wandte sich ab und biß sich in die Lippen. Aber Hassa hatte nichts von den Tränen gemerkt. Er knipste mit seinem Photoapparat das märchenhafte Tal und wußte nicht, ob die Belichtung richtig war.

»Hassa.« Asiadehs Stimme war ganz tief. Ihre Wangen berührten sein Gesicht und rieben sich an der unrasierten Oberlippe. »Hassa«, wiederholte sie. »Fünf Jahre habe ich mich nach einer Landschaft gesehnt, die der Heimat ähnlich ist.«

Hassa steckte den Photoapparat ein. »Ja«, sagte er. »Es ist schön, die Welt aus den Fenstern des Schlafwagens zu betrachten. Sie ist dann so anders als in Wirklichkeit. Aber du bist eine Romantikerin, und es ist gut so. Denn du bist herausgesprungen aus Tausendundeiner Nacht.«

Asiadeh packte den Handkoffer. Der Zug verlangsamte die Fahrt. »Ich bin nur ein Mädchen aus Istanbul. Nichts mehr«, sagte sie sanft und warf einen leichten Schleier über ihr Gesicht.

Der Zug hielt am Bahnhof von Sarajewo.

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