Das Taxi hielt vor dem Hause der Tanners an. Johns Hund, der drahtige Welsh Terrier, rannte in der Einfahrt auf und ab, kläffte jedesmal, wenn er vorrannte und wieder zurück, und wartete darauf, daß jemand ihn wissen ließ, daß die Besucher willkommen waren. Janet eilte über den Rasen. Die Taxitüre öffnete sich; die Ostermans stiegen aus. Sie trugen in Geschenkpapier gehüllte Schachteln. Der Fahrer holte einen großen Koffer heraus.
Tanner betrachtete sie beide aus dem Hause: Bernie in einem Palm-Beach-Jackett von teuerem Schnitt und hellblauen Hosen, Leila in einem weißen Kostüm mit einer Goldkette um die Hüften. Der Rock endete ein gutes Stück über den Knien, ein breitkrempiger, weicher Hut bedeckte ihre linke Gesichtsseite. Sie war das fleischgewordene Symbol kalifornischen Erfolgs. Und doch war an Bernie und Leila irgendeine Spur des Künstlichen; es war erst knapp neun Jahre her, daß sie wirklich zu Geld gekommen waren.
Oder war ihr Erfolg selbst nur eine Fassade, fragte sich Tanner, als er zusah, wie die beiden sich herunter beugten, um seine Tochter zu umarmen. Waren sie statt dessen all die Jahre Bewohner einer Welt gewesen, in der Drehbücher und Aufnahmetermine nur von sekundärer Bedeutung waren — eine Tarnung, wie Fassett vielleicht sagen würde?
Tanner sah auf die Uhr. Es war zwei Minuten nach sechs. Die Ostermans hatten sich verfrüht — nach ihrem ursprünglichen Plan. Vielleicht war das ihr erster Fehler. Oder sie rechneten vielleicht gar nicht damit, daß er da war. Er pflegte das Woodward-Studio früher zu verlassen, wenn die Ostermans kamen, aber nicht immer so früh, daß er schon um halb sechs zu Hause war. In Leilas Brief hatte ganz deutlich gestanden, daß ihr Flug aus Los Angeles in Kennedy eintreffen würde. Eine verspätete Maschine war verständlich, normal. Ein Flug, der zu früh eintraf, war unwahrscheinlich.
Sie würden das erklären müssen. Aber würden sie sich die Mühe machen?
«Jonny! Um Himmels willen! Ich hab' mir doch gedacht, daß ich den Hund gehört habe. Das sind Bernie und Leila. Was stehst du denn so herum?«Ali war aus der Küche gekommen.
«Oh, tut mir leid… Ich wollte nur, daß Janet sie einen Augenblick lang allein begrüßen kann.«
«Geh schon hinaus. Ich will nur noch die Uhr stellen.«
Seine Frau ging wieder in die Küche, während Tanner auf die Haustüre zuging. Er starrte den Messingknopf an und fühlte sich so, wie ein Schauspieler sich vielleicht fühlt, ehe er zum erstenmal in einer schwierigen Rolle auftritt. Unsicher — völlig unsicher —, wie man ihn aufnehmen wird.
Er befeuchtete sich die Lippen und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Dann drehte er den Kopf und zog die Tür schnell nach innen. Mit der anderen Hand schob er den Riegel der Gittertüre in ihrem Aluminiumrahmen zurück und trat hinaus.
Das Osterman-Weekend hatte begonnen.
«Willkommen, ihr Drehbuchschmierer!«rief er und grinste breit. Das war seine übliche Begrüßung; Bernie empfand sie als höchst schmeichelhaft.
«Jonny!«
«Tag, Darling!«
Aus dreißig Metern Entfernung erwiderten sie seinen Gruß und lächelten ihr breites Lächeln. Und doch konnte John Tanner selbst auf dreißig Meter Entfernung ihre Augen sehen, die nicht lächelten. Seine Augen suchten die seinen kurz, aber unverkennbar. Den Bruchteil einer Sekunde lang hörte Bernie sogar zu lächeln auf, im nächsten Augenblick war es vorüber. Es war, als gäbe es eine wortlose Übereinkunft zwischen ihnen, den unausgesprochenen Gedanken nicht nachzugehen.
«Johnny, prima, dich wieder mal zu sehen!«Leila rannte über den Rasen.
John Tanner und Leila umarmten sich, und er ertappte sich dabei, wie er mit mehr Zuneigung auf sie reagierte, als er für möglich gehalten hätte. Er wußte, weshalb das so war. Er hatte den ersten Test bestanden, die ersten Sekunden des Osterman-Weekends. Langsam begann er zu begreifen, daß Laurence Fassett vielleicht trotz alledem recht hatte. Vielleicht würde er es schaffen.
Tun Sie, was Sie ganz normal tun würden; verhalten Sie sich so, wie Sie sich normalerweise verhalten. Denken Sie an nichts anderes.
«John, prima siehst du aus, wirklich prima!«
«Wo ist Ali denn, Süßer?«fragte Leila und trat zur Seite, damit Bernie seine langen, dünnen Arme um Tanner legen konnte.
«Drinnen. Das Essen. Kommt herein! Da, ich nehm' den Koffer. Nein, Janet, Honey, du kannst Onkel Bernies Koffer nicht tragen.«
«Ich wüßte nicht, warum sie das nicht könnte«, lachte Bernie.»Es sind doch bloß Handtücher aus dem Plaza drin.«
«Dem Plaza?«fragte Tanner unwillkürlich.»Ich dachte, euer Flugzeug wäre gerade angekommen.«
Osterman sah ihn an.»Mm-mm. Wir sind schon vor zwei Tagen angekommen. Ich erzähl's dir später… «
Auf eine seltsame Art war es wie in alten Zeiten, und Tanner wunderte sich, daß er das einfach akzeptierte. Da war immer noch das Gefühl der Erleichterung beim Wiedersehen, bei dem Wissen, daß Zeit und Entfernung für ihre Freundschaft ohne Bedeutung waren. Da war immer noch das Gefühl, daß sie Gespräche wieder aufgreifen, Anekdoten fortsetzen, Geschichten zu Ende erzählen konnten, die sie vor Monaten angefangen hatten. Und da war immer noch Bernie, der nachdenkliche, sanfte Bernie mit seinen stillen, vernichtenden Bemerkungen über den von Palmen gesäumten Drugstore. Vernichtend, aber irgendwie nie herablassend; Bernie lachte ebenso über sich, wie über seine Berufswelt, denn es war seine Welt.
Tanner erinnerte sich an Fassetts Worte.
… Sie werden feststellen, daß Sie ganz bequem auf zwei Ebenen funktionieren können, das ist immer so.
Wieder hatte Fassett recht. In allen Punkten; in allen Punkten.
Während Tanner Bernie beobachtete, fiel ihm auf, daß Leilas Blick von ihrem Mann weg und zu ihm wanderte. Einmal erwiderte er ihren Blick, und sie senkte die Augen, so wie ein Kind, das man getadelt hat.
In seinem Arbeitszimmer klingelte das Telefon. Alle, mit Ausnahme von Alice, zuckten zusammen. Auf dem Tisch hinter dem Sofa stand ein Nebenapparat, aber John tat so, als sähe er ihn nicht und ging an den Ostermans vorbei auf die Tür seines Arbeitszimmers zu.
«Ich geh' schon hin. Das ist wahrscheinlich das Studio.«
Als er sein Arbeitszimmer betrat, hörte er, wie Leila mit etwas gesenkter Stimme zu Ali sagte:
«Sag mal, Honey, Johnny kommt mir so angespannt vor. Ist etwas? Wenn Bernie so dahinredet, kommt ja keiner zu Wort.«
«Angespannt ist noch eine Untertreibung. Du hättest ihn gestern erleben sollen!«
Wieder klingelte das Telefon; Tanner wußte, daß es nicht normal sein würde, es weiterklingeln zu lassen. Und doch war es ihm ein dringendes Bedürfnis, Ostermans Reaktion zu hören, wenn Ali von dem Schrecklichen erzählte, das sie am Mittwoch erlebt hatte.
Er schloß einen Kompromiß. Er nahm den Hörer von der Gabel, hielt ihn in der Hand und hörte sich das Gespräch noch ein paar Sekunden lang an.
Etwas fiel ihm auf. Bernie und Leila reagierten zu schnell auf Alis Worte, mit zu viel Erwartung. Sie stellten Fragen, ehe sie die Sätze beendet hatte. Sie wußten etwas.
«Hello? Hello! Hello, Hello!«Die Stimme am anderen Ende der Leitung gehörte Joe Cardone.
«Hello, Joe? Tut mir leid, ich habe den Hörer fallen lassen…«»Ich habe aber nichts gehört.«
«Sehr weiche, sehr teuere Teppiche.«
«Wo? In deinem Arbeitszimmer mit dem Parkettboden?«
«Hey, was ist denn, Joe?«
«Tut mir leid… In der Stadt war's heute scheußlich heiß. Die Börse ist richtig beschissen.«
«So ist's besser. Jetzt klingst du wieder wie der vergnügte Bursche auf den wir warten.«
«Du meinst, alle sind schon da?«
«Nein, bloß Bernie und Leila.«
«Die sind aber früh dran. Ich dachte, die Maschine käme erst um fünf.«
«Sie sind schon vor zwei Tagen angekommen.«
Cardone wollte etwas sagen, hielt dann aber plötzlich inne. Er schien verstört.»Komisch, daß die nicht angerufen haben. Mich haben sie wenigstens nicht angerufen. Dich?«
«Nein, wahrscheinlich hatten sie zu tun.«
«Sicher, aber man würde ja meinen…«Wieder verstummte Cardone mitten im Satz. Tanner fragte sich, ob dieses Zögern für ihn bestimmt war, um ihn davon zu überzeugen, daß Bernie und Joe sich nicht schon begegnet waren, nicht schon miteinander gesprochen hatten.
«Bernie wird es uns ja wahrscheinlich erklären.«
«Ja«, sagte Cardone, ohne richtig zuzuhören.»Nun, ich wollte euch nur Bescheid sagen, daß wir uns verspäten werden. Ich gehe noch schnell duschen; wir kommen dann gleich.«
«Bis dann. «Tanner legte auf und wunderte sich darüber, wie ruhig er war. Es kam ihm in den Sinn, daß er das Gespräch unter Kontrolle gehabt hatte. Unter Kontrolle. Das mußte er. Cardone war ein nervöser Mann und hatte nicht angerufen, um zu sagen, daß er sich verspäten würde. Ganz davon abgesehen, daß es ja noch gar nicht zu spät war.
Cardone hatte angerufen, um zu erfahren, ob die anderen gekommen waren.
Tanner kehrte ins Wohnzimmer zurück und setzte sich.
«Darling! Ali hat uns gerade alles erzählt! Wie furchtbar! Einfach schrecklich!«
«Mein Gott, John! Da habt ihr ja etwas Furchtbares mitgemacht! Die Polizei hat gesagt, es wären Einbrecher gewesen?«
«Das hat die New York Times auch geschrieben. Das macht es ja wohl amtlich.«
«Ich hab' in der Times nichts gesehen«, erklärte Bernie fest.
«Es waren nur ein paar Zeilen ganz hinten. Das Lokalblatt wird sich nächste Woche ausführlicher damit befassen, denke ich.«
«Ich habe noch nie von einem solchen Einbruch gehört «sagte Leila.»Ich würde mich damit nicht zufrieden geben, wirklich nicht.«
Bernie sah sie an.»Ich weiß nicht. Das Ganze ist schon recht raffiniert. Niemand identifiziert und niemand verletzt.«
«Ich verstehe bloß immer noch nicht, daß die uns nicht einfach in der Garage gelassen haben. «Ali wandte sich ihrem Mann zu. Das war eine Frage, die er nicht zu ihrer Zufriedenheit hatte beantworten können.
«Hat die Polizei einen Grund dafür angegeben?«fragte Bernie.
«Sie sagten, das Gas sei nicht sehr wirksam gewesen. Die Diebe wollten nicht, daß Ali oder die Kinder zu sich kommen und sie sehen. Sehr professionell.«
«Sehr beängstigend«, sagte Leila.»Wie haben die Kinder es denn aufgenommen?«
«Ray ist natürlich der Held der ganzen Umgebung«, sagte Ali.»Janet hat noch nicht ganz mitgekriegt, was geschehen ist.«
«Wo ist denn Ray?«Bernie deutete auf das Paket im Flur.»Hoffentlich ist er für Modellflugzeuge nicht schon zu groß. Das ist eines von diesen ferngesteuerten Dingern.«»Er wird begeistert sein«, sagte Ali.»Er ist im Keller, denke ich. John hat ihn ihm ganz überlassen.«
«Nein, er ist draußen. Im Pool. «Tanner erkannte, daß seine Unterbrechung, die Art und Weise, wie er Ali verbesserte, Bernie veranlaßte, ihn anzusehen. Selbst Ali war von der Abruptheit seiner Worte überrascht.
Meinetwegen, dachte Tanner. Sollten sie doch alle wissen, daß der Vater Bescheid wußte, daß er jeden Augenblick wußte, wo die Seinen sich aufhielten.
Der Hund begann vor dem Haus zu bellen; man konnte einen Wagen in der Einfahrt hören. Alice ging ans Fenster.
«Das ist Dick und Ginny. Und Ray ist nicht im Pool«, fügte sie hinzu und lächelte zu John hinüber.»Er ist vorne und begrüßt sie.«
«Wahrscheinlich hat er den Wagen gehört«, sagte Leila ohne ersichtlichen Grund.
Tanner fragte sich, warum sie die Bemerkung machte; es war, als verteidigte sie ihn. Er ging zur Haustüre und öffnete sie.»Komm herein, Junge. Da sind auch Freunde von dir.«
Als er die Ostermans sah, leuchteten die Augen des Jungen. Die Ostermans kamen nie mit leeren Händen.»Hello, Tante Leila, Onkel Bernie!«Raymond Tanner, zwölf Jahre alt, ließ sich von Leila umarmen und schüttelte Bernie auf Männerart und etwas scheu die Hand.
«Wir haben dir eine Kleinigkeit mitgebracht. Dein Freund Merv hat das vorgeschlagen. «Bernie ging in den Flur hinaus und griff nach dem Paket.»Hoffentlich gefällt es dir.«
«Vielen Dank. «Der Junge nahm das Geschenk und ging ins Eßzimmer, um es auszupacken.
Virginia Tremayne kam herein, ein Abbild kühler Sinnlichkeit. Sie trug ein gestreiftes Männerhemd und einen engen Strickrock, der ihre Bewegungen hervorhob. Es gab Frauen in Saddle Valley, die Ginnys Auftreten richt mochten, aber die waren nicht in diesen Räumen zugegen. Ginny war eine gute Freundin.
«Ich hab' Dick gesagt, daß du am Mittwoch angerufen hast«, sagte sie zu Tanner,»aber er sagt, du hättest ihn nie erreicht. Der arme Kleine war mit ein paar schrecklichen Geschäftsleuten aus Cincinnati oder Cleveland oder sonst wo in einen Konferenzsaal eingeschlossen. - Leila, Darling! Bernie, Liebster!«Ginny hauchte Tanner einen Kuß auf die Wange und tänzelte an ihm vorbei.
Richard Tremayne trat ein. Er musterte Tanner und war offenbar mit dem, was er sah, zufrieden.
Tanner andererseits spürte den Blick und riß den Kopf zu schnell herum. Tremayne hatte keine Zeit, den Blick abzuwenden. Wie ein Arzt, der eine Fieberkurve studiert, dachte Tanner.
Den Bruchteil einer Sekunde lang gaben beide Männer wortlos und ohne es zu wollen die Spannung zu, die sie umfaßt hielt. Und dann war es wieder vorüber, ebenso wie es auch bei den Ostermans vorübergegangen war. Keiner der beiden Männer wagte, darauf einzugehen.
«Hey, John! Tut mir leid, daß man mir nichts ausgerichtet hat. Ginny erwähnte, daß es um irgendeine juristische Sache geht.«
«Ich dachte, du hättest vielleicht davon gelesen.«
«Was denn, um Himmels willen?«
«Die New Yorker Blätter haben sich nicht sehr damit befaßt, aber warte nur, bis du am nächsten Montag das Lokalblatt liest. Berühmtheiten werden wir sein.«
«Wovon zum Teufel redest du denn?«
«Wir sind am Mittwoch beraubt worden. Beraubt und entführt und chloroformiert und weiß Gott, was sonst noch alles!«
«Du machst Witze!«
«Den Teufel tut er!«Osterman kam in den Flur.»Wie geht's denn, Dick?«
«Bernie! Geht's dir gut?«Die beiden Männer gaben sich die Hand, aber Tremayne schien dennoch John Tanner nicht aus den Augen zu lassen.
«Hast du gehört, was er gesagt hat? Hast du das gehört? Was da passiert ist? Ich bin schon seit Dienstag in der Stadt. Hatte nicht einmal Zeit, nach Hause zu kommen.«
«Wir erzählen euch das später. Jetzt hole ich etwas zu trinken. «Tanner ging schnell weg. Er konnte Tremayne seine Reaktion nicht übelnehmen. Der Anwalt war von dem, was er gehört hatte, nicht nur erschreckt, sondern er hatte Angst.
So viel Angst, daß er klarstellen mußte, daß er seit Dienstag nicht hiergewesen war.
Tanner machte Drinks für die Tremaynes, ging dann in die Küche und blickte zum Fenster hinaus, auf seinen Pool und das Wäldchen dahinter. Obwohl niemand zu sehen war, wußte er, daß die Männer dort waren. Mit Feldstechern und Radios und wahrscheinlich mit winzigen Mikrofonen, die jedes Gespräch aufnahmen, das im Hause geführt wurde.
«Hey, John, ich hab' das nicht bloß so gesagt!«Das war Tremayne, der jetzt in die Küche kam.»Ehrlich, ich habe nichts gewußt. Wegen Mittwoch, meine ich. Warum hast du mich denn nicht angerufen?«
«Habe ich ja versucht. Ich habe sogar eine Nummer auf Long Island angerufen. Oyster Bay, denke ich.«
«Unsinn! Du weißt doch, was ich meine! Du oder Ali hättet das Ginny sagen sollen. Ich wäre sofort aus der Besprechung gekommen, das weißt du doch!«
«Jetzt ist es vorbei. Hier ist dein Drink.«
Tremayne hob das Glas an die Lippen. Er konnte jeden von ihnen unter jeden beliebigen Tisch trinken.
«Du kannst das nicht einfach so abtun. Warum hast du mich überhaupt angerufen?«
Auf die Frage war Tanner dummerweise nicht vorbereitet.
«Ich… Mir hat die Art und Weise nicht gefallen, wie die Polizei das Ganze behandelt hat.«
«Die Polizei? MacAuliff, das Arschloch?«
«Ich habe gar nicht mit Captain MacAuliff gesprochen.«»Hast du keine Aussage gemacht?«
«Doch — doch, das habe ich schon getan. Jenkins und McDermott haben sie aufgenommen.«
«Wo zum Teufel war denn unser Oberbonze?«
«Ich weiß nicht. Er war nicht da.«
«Okay, Mac war nicht da. Du sagst, Jenkins und McDermott hätten das erledigt. Ali hat mir gesagt, sie hätten euch gefunden… «
«Ja. Ja, darüber hab' ich mich ja so geärgert.«
«Was?«
«Mir hat die Art und Weise nicht gefallen, wie die das gemacht haben. Zumindestens damals nicht. Jetzt habe ich mich etwas beruhigt. Ich hab' mich geärgert, und deshalb hab' ich versucht, dich zu erreichen.«
«Was hast du denn gedacht? Unachtsamkeit der Polizei? Beeinträchtigung eurer Rechte? Was denn?«
«Ich weiß nicht, Dick! Ich hab' einfach durchgedreht, das ist alles. Wenn man in Panik gerät, will man doch einen Anwalt haben.«
«Ich nicht. Ich will einen Drink. «Tremayne sah Tanner in die Augen. Tanner blinzelte — wie ein kleiner Junge, der sich mit einem größeren angelegt hat.
«Jetzt ist es vorbei. Gehen wir wieder hinein.«
«Vielleicht sollten wir später noch einmal darüber reden. Vielleicht ist da doch etwas, und ich habe das nur noch nicht richtig verstanden.«
Tanner zuckte die Achseln und wußte, daß Dick in Wirklichkeit gar nicht später darüber reden wollte. Der Anwalt hatte Angst, und seine Furcht beeinträchtigte seinen professionellen Instinkt, der ihn eigentlich dazu veranlassen müßte, hier nachzubohren. Als er wegging, hatte Tanner das Gefühl, daß Tremayne ihm über einen Aspekt der Ereignisse vom Mittwochnachmittag die Wahrheit sagte: Er war selbst nicht dort gewesen.
Aber wußte er, wer dort gewesen war?
Um sechs waren die Cardones immer noch nicht eingetroffen. Niemand fragte, weshalb; die Stunde verstrich schnell, und wenn jemand sich Gedanken machte, so verbarg er das gut. Um zehn Minuten nach sechs wurde Tanners Blick von einem Wagen angezogen, der langsam an seinem Haus vorbeifuhr. Es war das Taxi von Saddle Valley, die Sonne spiegelte sich in dem schwarzen Lack des Wagens. Im Hinterfenster sah er einen Augenblick lang Joe Cardones Gesicht. Joe vergewisserte sich, daß sämtliche Gäste eingetroffen waren. Oder noch dort waren, vielleicht.
Fünfundvierzig Minuten später rollte der Cadillac der Cardones in die Einfahrt. Als sie das Haus betraten, war offensichtlich, daß Joe bereits einige Drinks zu sich genommen hatte. Offensichtlich, weil Joe kein Trinker war, Alkohol nicht mochte, und seine Stimme eine Spur lauter war, als sie das normalerweise gewesen wäre.
«Bernie! Leila! Willkommen im Herzen des Establishments der Ostküste!«
Betty Cardone, behäbig, adrett, gepflegt puritanisch, stimmte in die Begeisterung ihres Mannes ein, wie es sich gehörte, und alle vier umarmten sich.
«Betty, du siehst bezaubernd aus«, sagte Leila.»Joe, mein Gott, Joe! Wie kann ein Mann so gesund aussehen? — Bernie hat sich eine Turnhalle gebaut und seht euch an, was ich habe!«
«Mach bloß meinen Bernie nicht schlecht!«sagte Joe, den Arm um Ostermans Schulter gelegt.
«Sag es ihr nur, Joe. «Bernie ging auf Cardones Frau zu und erkundigte sich nach den Kindern.
Tanner setzte sich in Richtung Küche in Bewegung und begegnete Ali im Flur. Sie trug ein Tablett mit Hors d'ceuvres.»Alles fertig. Wir können jederzeit essen, also setze ich mich noch eine Weile. Holst du mir etwas zu trinken, Liebster?«»Sicher. Joe und Betty sind da.«
Ali lachte. Hab' ich mir doch fast gedacht. - Was ist denn los, Darling? Du siehst so komisch aus.«
«Nein, nichts. Ich hab' nur gedacht, ich sollte vielleicht im Studio anrufen.«
Ali sah ihren Mann an.»Bitte, alle sind jetzt da. Unsere besten Freunde. Wir wollen uns amüsieren. Vergiß doch den Mittwoch, bitte, Johnny.«
Tanner beugte sich über das Tablett mit Hors d'ceuvres und küßte sie.»Du dramatisierst das«, sagte er und erinnerte sich an Fassetts Rat.»Ich muß wirklich im Studio anrufen.«
In der Küche trat Tanner erneut ans Fenster. Es war kurz nach sieben, und die Sonne war hinter den hohen Bäumen bereits untergegangen. Schatten lagen über dem hinteren Teil seines Gartens und dem Pool. Und jenseits der Schatten wachten Fassetts Männer.
Das war es, worauf es ankam.
Wie Ali gesagt hatte, sie waren jetzt alle da. Die besten Freunde.
Das Currybuffett mit einem Dutzend kleiner Nebengerichte war wie üblich ein Triumph für Ali. Die Frauen stellten die üblichen Fragen, und Ali sonnte sich in ihren kulinarischen Fähigkeiten — wie gewöhnlich. Die Männer führten die üblichen Streitgespräche über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Baseballteams, und zwischendurch verbreitete sich Bernie über die spaßigen — und ungewöhnlichen — Arbeitsmethoden von Hollywood.
Während die Frauen das Geschirr abtrugen, benutzte Tremayne die Gelegenheit, Tanner über den Einbruch auszufragen.»Was zum Teufel war denn letzten Mittwoch los? Mal ganz offen. Ich glaube die Einbruchsgeschichte nicht.«
«Warum nicht?«fragte Tanner.
«Weil sie keinen Sinn ergibt.«
«Niemand benutzt Gas«, fügte Cardone hinzu.»Einen Totschläger, eine Augenbinde, einen Schuß in den Kopf vielleicht, aber nicht Gas.«»Ihr denkt da vielleicht fortschrittlicher. Mir ist es offengestanden lieber, daß die ein harmloses Gas eingesetzt haben und keinen Totschläger.«
«Johnny. «Osterman senkte seine Stimme und blickte zum Speisezimmer hinüber. Betty kam gerade aus der Küchentür und holte noch ein paar Teller. Sie lächelte. Er erwiderte ihr Lächeln.»Arbeitest du vielleicht an etwas, womit du dir Feinde machst?«
«Ich denke, das tu ich irgendwie immer.«
«Ich meine, so etwas wie diese San-Diego-Geschichte.«
Joe Cardone musterte Osterman aufmerksam und, fragte sich, ob jetzt wohl Einzelheiten kommen würden. San Diego war eine Mafia-Angelegenheit gewesen.
«Nicht, daß ich wüßte. Ich habe natürlich Leute auf viele Bereiche angesetzt, aber nichts von der Sorte. Ich glaube wenigstens nicht. Die meisten meiner besten Leute haben da ganz freie Hand. Versuchst du, das, was Mittwoch war, mit meiner Arbeit in Verbindung zu bringen?«
«Bist du nicht auch auf die Idee gekommen?«fragte Tremayne.
«Nein, zum Teufel! Ich bin Journalist. Bist du etwa beunruhigt, wenn du an einem schwierigen Fall arbeitest?«
«Manchmal schon.«
«Ich hab' von deiner Show am letzten Sonntag gelesen. «Cardone nahm neben Tremayne auf der Couch Platz.»Ralph Aston hat hochgestellte Freunde.«
«Das ist verrückt.«
«Muß nicht sein. «Cardone hatte mit dem Satz einige Schwierigkeiten.»Ich kenne ihn persönlich. Ein schwieriger Mann.«
«Aber verrückt ist er doch nicht«, warf Osterman ein.»Nein, so etwas ist es bestimmt nicht.«
«Warum sollte es überhaupt etwas sein? Ich meine, etwas anderes als ein Einbruch?«Tanner zündete sich eine Zigarette an und versuchte, die Gesichter der drei Männer zu beobachten.
«Weil es, verdammt noch mal, keine übliche Art für einen Einbruch ist!«rief Cardone aus.
«Oh?«Tremayne sah zu Cardone hinüber, der neben ihm auf dem Sofa saß.»Bist du ein Experte für Einbruch?«
«Genausowenig wie du, Herr Rechtsanwalt«, sagte Joe.