Dienstag — 9.30 Uhr, Kalifornische Zeit
Osterman schlenderte ziellos auf dem Studiogelände herum und versuchte Ablenkung von dem Anruf in der frühen Morgenstunde zu finden. Aber er kam nicht davon los. Weder er noch Leila hatten wieder einschlafen können. Sie hatten versucht, die einzelnen Möglichkeiten zu überprüfen und einzuschränken. Und als sie damit nicht weiter kamen, hatten sie sich der viel wichtigeren Frage zugewandt, weshalb dieser Anruf gekommen war.
Warum war gerade er angerufen worden? Was stand dahinter? Arbeitete Tanner wieder an einem seiner Exposes?
Wenn ja, dann hatte das nichts mit ihm zu tun. Nichts mit Bernie Osterman.
Tanner sprach nie über Einzelheiten seiner Arbeit. Nur ganz allgemein. Er hatte sehr ausgeprägte Vorstellungen von dem, was er für Ungerechtigkeit hielt, und da die beiden Männer häufig unterschiedlicher Meinung waren über das, was in einer freien Wirtschaftsform als fair oder unfair gelten mußte, vermieden sie es, auf Einzelheiten einzugehen.
Bernie sah in Tanner einen Kreuzfahrer, der nie zu Fuß gegangen war. Er hatte es nie miterlebt, wie ein Vater nach Hause kam und mitteilte, er habe am nächsten Tag keine Stellung mehr. Oder eine Mutter, die eine halbe Nacht aufblieb und das abgetragene Kleidungsstück eines Kindes, das am nächsten Morgen wieder zur Schule mußte, zusammenflickte. Tanner konnte sich seine Indigniertheit leisten und hatte gute Arbeit geleistet. Aber es gab Dinge, die er nie begreifen würde. Das war auch der Grund, weshalb Bernie nie mit ihm über Zürich gesprochen hatte.
«Hey, Bernie, Augenblick mal!«Ed Pomfret, ein rundlicher, unsicherer Produzent in mittleren Jahren holte ihn auf dem Bürgersteig ein.
«Hello, Eddi. Wie geht's denn?«
«Prima! Ich hab' versucht, Sie in Ihrem Büro zu erreichen. Das Mädchen hat gesagt, Sie wären ausgegangen.«
«Nichts zu tun.«»Ich hab's schon gehört, Sie ja wahrscheinlich auch. Ich freue mich darauf, mit Ihnen zu arbeiten.«
«Wie? — Nein, ich hab' nichts gehört. Woran arbeiten wir denn?«»Was soll das denn? Machen Sie Witze?«Pomfret wirkte fast beleidigt. Gerade als wüßte er, daß Osterman ihn für zweitklassig hielt.
«Keine Witze. Ich mache hier noch diese Woche dicht. Wovon reden Sie denn? Wer hat Sie angesprochen?«
«Dieser neue Mann aus der Planungsabteilung hat mich heute morgen angerufen. Ich hänge doch in der Interceptor-Serie drin. Er sagte, Sie würden vier Episoden schreiben. Mir sagt die Idee zu.«
«Welche Idee?«
«Das Expose für die Story. Drei Männer, die an einem großen, geheimen Geschäft in der Schweiz arbeiten. Hat mich sofort gepackt.«
Osterman blieb stehen und blickte auf Pomfret hinunter.
«Wer hat Ihnen das aufgebunden?«
«Mir was aufgebunden?«
«Es gibt keine vier Episoden. Keine Exposes. Kein Geschäft. Und jetzt sagen Sie mir, was Sie mir sagen wollen.«
«Sie müssen Witze machen. Bilden Sie sich ein, ich würde jemanden wie Sie oder Leila auf den Arm nehmen wollen? Ich war wirklich sehr geschmeichelt. Die Planung hat mir am Telefon gesagt, ich soll Sie anrufen und mir die Exposes beschaffen!«
«Wer hat Sie angerufen?«
«Wie heißt er denn — dieser neue Mann, den die Planung aus New York geholt hat.«
«Wer?«
«Hat mir seinen Namen gesagt — Tanner. Ja, das ist's. Tanner. Jim Tanner, John Tanner…«»John Tanner arbeitet nicht hier! So, und jetzt möchte ich wissen, wer Sie auf mich angesetzt hat?«Er packte Pomfret am Arm.»Heraus damit, Sie Mistkerl!«»Nehmen Sie die Hände weg! Sie sind verrückt!«
Osterman erkannte sofort, daß er einen Fehler gemacht hatte: Pomfret war nicht mehr als ein Botenjunge. Er ließ den Arm des Produzenten los.»Tut mir leid, Eddie. Entschuldigen Sie… Ich hab' zuviel um die Ohren. Bitte, verzeihen Sie mir, ich bin wirklich unmöglich.«
«Schon gut, schon gut. Etwas gereizt sind Sie, das ist alles. Sehr gereizt, Mann.«
«Sie sagen, dieser Mann — dieser Tanner — hätte Sie heute morgen angerufen?«
«Vor etwa zwei Stunden. Ehrlich gesagt, ich habe ihn gar nicht gekannt.«
«Hören Sie, das soll ein dummer Witz sein. Verstehen Sie? Ich mache die Serie nicht, glauben Sie mir das… Vergessen Sie's einfach, okay?«
«Ein Witz?«
«Glauben Sie mir, okay? — Ich will Ihnen was sagen; die reden mit Leila und mir iber ein neues Projekt. Ich werde darauf bestehen, daß Sie die finanzielle Seite übernehmen, einverstanden? «
«Hey, das ist nett, vielen Dank!«
«Schon gut. Wir wollen bloß diesen kleinen Witz für uns behalten, ja?«
Osterman wartete gar nicht erst auf Pomfrets Dankbarkeit. Er eilte zur Straße hinunter auf seinen Wagen zu. Er mußte nach Hause, zu Leila.
Ein hünenhafter Mann in Chauffeursuniform saß auf dem Vordersitz seines Wagens! Als Bernie heran kam, stand er auf und hielt ihm die hintere Tür auf.
«Mr. Osterman?«
«Wer sind Sie? Was machen Sie in…«
«Ich habe eine Nachricht für Sie.«
«Aber ich will sie nicht hören! Ich will wissen, weshalb Sie in meinem Wagen sitzen!«»Seien Sie sehr vorsichtig mit Ihrem Freund John Tanner. Seien Sie vorsichtig und überlegen Sie sich gut, was Sie ihm sagen.«
«Wovon in aller Welt reden Sie?«
Der Chauffeur zuckte die Achseln.»Ich überbringe nur eine Nachricht, Mr. Osterman. Möchten Sie jetzt, daß ich Sie nach Hause fahre?«
«Natürlich nicht! Ich kenne Sie nicht! Ich verstehe nicht…«
Die Hintertür schloß sich leise.»Wie Sie wünschen, Sir. Ich wollte Ihnen nur behilflich sein. «Er tippte mit der Hand an den Schirm seiner Uniformmütze und wandte sich ab.
Bernie stand reglos da und starrte ihm nach.