Alice legte den Schalter unter dem Sims des Wohnzimmerfensters um, so daß man die Musik über die Außenlautsprecher hören konnte. Sie waren jetzt alle draußen vor dem Pool. Selbst ihr Mann und Dick Tremayne hatten den Küchentisch verlassen; sie waren zwanzig Minuten lang dort gesessen, und Ali fand es seltsam, daß sie kaum miteinander geredet hatten.
«Hello, schöne Frau!«Das war Joes Stimme, und Alice spürte, wie sich in ihr etwas spannte. Er tauchte aus dem Flur auf und trug eine Badehose. An Joes Körper war etwas Häßliches; alle ihn umgebenden Gegenstände wirkten durch ihn irgendwie zwergenhaft.»Euch ist das Eis ausgegangen, deshalb habe ich angerufen und welches bestellt.«
«Um diese Stunde?«
«Das ist einfacher, als wenn einer von uns fährt.«
«Wen hast du angerufen?«
«Rudy im Getränkemarkt.«
«Der ist geschlossen.«
Cardone ging auf sie zu, er schwankte dabei etwas.»Ich hab' ihn zu Hause angerufen; er lag noch nicht im Bett. Er ist mir manchmal gefällig. Ich hab' ihm gesagt, er soll ein paar Plastiktüten voll Eis auf die vordere Veranda legen und es mir berechnen.«
«Das war nicht nötig. Ich meine, daß du das bezahlst.«
«Jede Kleinigkeit hilft.«
«Bitte!«Sie ging auf das Sofa zu, allein schon, um außer Reichweite von Cardones ginbeladenem Atem zu kommen. Er folgte ihr.
«Hast du dir das, was ich dir gesagt habe, überlegt?«
«Du bist sehr großzügig, aber wir brauchen keine Hilfe.«
«Hat John das gesagt?«
«Das würde er sagen.«»Dann hast du nicht mit ihm gesprochen?«
«Nein.«
Cardone griff nach ihrer Hand. Sie versuchte instinktiv, sie ihm wegzuziehen, aber er hielt sie fest, ohne eine Spur von Feindseligkeit, da war nur Wärme; aber er ließ sie nicht los.»Mag sein, daß ich ein wenig geladen habe, aber ich möchte, daß du mich ernst nimmst. Ich habe in meinem Leben viel Glück gehabt; es war überhaupt nicht schwierig, wirklich nicht. Offengestanden, ich fühle mich ein wenig schuldig, verstehst du, wie ich das meine? Ich bewundere Johnny. Ich halte eine ganze Menge von ihm, weil er etwas leistet. Ich leiste nicht viel; ich nehme nur. Ich tue niemandem weh, aber ich nehme… Es würde mir sehr gut tun, wenn ihr mich geben ließet. Das wäre einmal etwas anderes.«
Er ließ ihre Hand los, und weil sie das nicht erwartet hatte, fiel ihr Arm herunter und stieß gegen ihre Hüfte. Einen Augenblick lang war ihr das peinlich. Sie war verwirrt.»Warum bist du so fest entschlossen, uns etwas zu geben. Was hat dich darauf gebracht?«
Cardone ließ sich schwer auf die Armlehne der Couch sinken.»Man hört alles Mögliche. Gerüchte, Klatsch vielleicht.«»Über uns? Über uns und Geld?«
«So ähnlich.«
«Nun, es stimmt nicht. Es stimmt einfach nicht.«»Dann laß es mich anders ausdrücken. Vor drei Jahren, als Dick und Ginny und Bernie und Leila mit uns In Gstaad Skilaufen waren, wolltet ihr nicht mitkommen. Das stimmt doch?«
Alice blinzelte und versuchte, Joes Logik zu folgen.
«Ja, ich erinnere mich. Wir wollten lieber mit den Kindern nach Nassau fahren.«
«Aber jetzt interessiert John sich doch sehr für die Schweiz, stimmt das nicht?«Joe schwankte leicht.
«Nicht, daß ich wüßte. Er hat mir nichts davon erzählt.«»Dann ist es vielleicht Italien, wenn es nicht die Schweiz ist. Vielleicht interessiert er sich für Sizilien; das ist ein sehr interessanter Ort.«
«Ich verstehe dich einfach nicht.«
Cardone erhob sich von der Armlehne der Couch und stützte sich an der Wand ab.»Du und ich, wir beide unterscheiden uns gar nicht so sehr, wie? Ich meine, das was wir haben, hat man uns nicht gerade auf einem silbernen Tablett überreicht, oder? Wir haben uns das alles auf unsere eigene, verdammte Art verdienen müssen…«
«Ich finde, du wirst beleidigend.«
«Tut mir leid, ich will dich nicht beleidigen. Ich will nur ehrlich sein, und Ehrlichkeit fängt damit an, klar zu erkennen, wo man steht. Wo man einmal war.«»Du bist betrunken.«
«Ganz bestimmt bin ich das. Ich bin betrunken und ich bin nervös. Eine lausige Kombination. Rede doch mal mit John. Sag ihm, er soll mich morgen oder übermorgen einmal besuchen. Sag ihm, er soll sich keine Sorgen wegen der Schweiz oder wegen Italien machen, okay? Sah ihm, ganz gleich, was passiert, ich bin sauber, und ich mag Leute, die ihren Beitrag leisten und anderen Leuten nicht weh tun. Sag ihm, daß ich bezahlen werde.«
Cardone trat zwei Schritte auf Ali zu und griff nach ihrer linken Hand. Er hob sie mit sanftem Nachdruck an die Lippen, schloß die Augen und küßte ihre Handfläche. Ali hatte diese Art von Kuß früher schon einmal gesehen; in ihrer Kindheit hatte sie gesehen, wie die fanatischen Anhänger ihres Vaters dasselbe taten. Dann wandte Joe sich ab und torkelte in den Korridor.
Am Fenster fiel Ali ein leichter Lichtreflex, vielleicht auch nur ein Wechsel in der Helligkeit auf. Sie drehte den Kopf. Was sie sah, ließ sie erstarren. Draußen auf dem Rasen, höchstens sechs Fuß vom Fenster entfernt, stand Betty Cardone in einem weißen Badeanzug, in das blau-grüne Licht des Swimmingpools gehüllt.
Betty hatte gesehen, was sich zwischen Alice und ihrem Mann zugetragen hatte. Das verrieten ihre Augen Ali.
Joes Frau starrte durch das Fenster, und ihr Blick war grausam. Die vollen Töne des jungen Sinatra erfüllten die warme Sommernacht, während die vier Ehepaare um den Pool saßen. Einer nach dem anderen — aber jeder einzeln, John Tanner hatte das Gefühl, daß sie das nie zu zweien taten — ließen sie sich ins Wasser fallen und paddelten träge hin und her.
Die Frauen redeten von der Schule und den Kindern, während die Männer am gegenüberliegenden Poolrand etwas weniger leise von der Börse, von Politik und der unergründlichen Wirtschaft redeten.
Tanner saß am Sockel des Sprungbretts, in der Nähe von Joe. Er hatte ihn noch nie so betrunken gesehen, und es lohnte sich, ihn zu betrachten. Wenn irgend jemand von den Leuten, die um den Pool saßen, oder vielleicht alle, zu Omega gehörten, dann war Joe das schwächste Glied. Er würde als erster zerbrechen.
Kleine Streitgespräche entwickelten sich, flackerten auf und erloschen wieder. Einmal, wurde Joes Stimme zu laut, und Betty reagierte schnell, aber leise.
«Du bist betrunken, lieber Mann. Sei vorsichtig.«
«Joe ist schon in Ordnung, Betty«, sagte Bernie und schlug Cardone aufs Knie.»Heute war es in New York scheußlich heiß, erinnerst du dich?«
«Du warst doch auch in New York, Bernie«, antwortete Ginny Tremayne und ließ die Füße ins Wasser hängen.»War es wirklich so scheußlich heiß?«
«Scheußlich, Liebste. «Das war Dick, der quer über den Pool hinweg seiner Frau die nicht für ihn bestimmte Frage beantwortete.
Tanner sah, wie Osterman und Tremayne Blicke tauschten. Das bezog sich auf Cardone, aber er, Tanner, hätte das nicht wahrnehmen sollen. Dann stand Dick auf und fragte, wer sein Glas nachgefüllt haben wolle.
Nur Joe beantwortete die Frage mit ja.
«Ich hol's schon«, sagte Tanner.
«Nein, zum Teufel«, erwiderte Dick.»Paß du lieber auf deine Ballspielerin auf. Ich werde das Mädchen jetzt ohnehin anrufen. Wir haben ihr gesagt, sie soll um eins zurück sein, jetzt ist es fast zwei. Man muß da wirklich aufpassen.«
«Du bist ein gemeiner Vater«, sagte Leila.
«Solange ich nur nicht Großvater bin. «Tremayne ging über das Gras auf die Küchentüre zu.
Ein paar Sekunden herrschte Schweigen, dann begannen die Frauen wieder ihr leichtes Gespräch, und Bernie ließ sich über den Beckenrand ins Wasser gleiten.
Joe Cardone und Tanner sagten nichts.
Einige Minuten später kam Dick mit zwei Gläsern aus der Küchentür.»Hey, Ginny! Peg war richtig sauer, daß ich sie geweckt habe. Was hältst du davon?«
«Ich denke, daß ihr Begleiter sie gelangweilt hat.«
Tremayne ging auf Cardone zu und gab ihm sein Glas.»Bitteschön, Mister Fullback.«*
* [Verteidiger beim Footballspiel. Anm. d. Ü.]
«Ein verdammter Halfback** war ich. Richtig fertiggemacht hab' ich deinen verdammten Levi Jackson in Yale!«
** [Läufer, Anm. d. Ü.]
«Sicher. Aber ich habe mit Levi gesprochen. Er hat gesagt, daß die dich jederzeit fertigmachen konnten. Sie brauchten bloß >Tomatensauce< zu rufen, und schon bist du ins Aus gerannt!«»Das ist vielleicht komisch! Abgemurkst hab' ich diesen schwarzen Schweinehund!«
«Erhält auch sehr viel von dir«, sagte Bernie und lächelte über den Poolrand.
«Und ich halte viel von dir, Bernie! Und Dick auch!«Cardone erhob sich schwerfällig.»Von euch allen halte ich viel.«
«Hey, Joe…«Tanner stieg vom Sprungbrett.
«Wirklich, Joe, du solltest dich hinsetzen«, riet Betty.»Sonst kippst du um.«
«Da Vinci!«
Es war nur ein Name, aber Cardone brüllte ihn förmlich hinaus. Und dann noch einmal.
«Da Vinci… «Er zog es in die Länge, daß es ganz italienisch klang.
«Was soll das denn bedeuten?«fragte Tremayne.
«Das möchte ich auch wissen!«brüllte Cardone durch die angespannte Stille, die den Pool umgab.
«Er ist verrückt«, sagte Leila.
«Er ist total betrunken, wenn ich das sagen darf«, fügte Ginny hinzu.
«Da wir — zumindest ich — dir nicht sagen können, was ein da Vinci ist, möchtest du uns das vielleicht erklären«, meinte Bernie leichthin.
«Hört auf! Aufhören sollt ihr!«Cardone ballte die Fäuste und öffnete sie dann wieder.
Osterman stieg aus dem Wasser und ging auf Joe zu. Die Hände hingen ihm locker herunter.»Beruhige dich doch, Joe. Bitte… Ganz ruhig.«
«Zürichchchch!«Der Schrei kam von Joe Cardone und war meilenweit zu hören, dachte Tanner. Jetzt passiert es! Er hatte es gesagt!
«Was meinst du, Joe?«Tremayne trat zögernd einen Schritt auf Cardone zu.
«Zürich! Das meine ich!«
«Das ist eine Stadt in der Schweiz! Was zum Teufel soll das?«Osterman stand Cardone gegenüber und sah ihn an; er würde jetzt nicht locker lassen.»Sag uns, was du meinst!«
«Nein!«Tremayne packte Osterman an der Schulter.
«Rede nicht mit mir«, schrie Cardone.»Du bist doch derjenige, der…«
«Hört auf! Ihr alle!«Betty stand auf der Betonfläche am Ende des Pools. Tanner hätte es nie für möglich gehalten, daß von Cardones Frau soviel Kraft ausgehen könnte.
Aber sie war da. Die drei Männer lösten sich voneinander wie geprügelte Hunde. Die Frauen sahen Betty an, und dann gingen Leila und Ginny weg, während Ali reglos und ohne zu verstehen dastand.
Jetzt schlüpfte Betty wieder in die Rolle der weichen VorstadtHausfrau, die sie zu sein schien.»Ihr benehmt euch alle kindisch, und ich weiß, daß es für Joe jetzt Zeit ist, nach Hause zu gehen.«
«Ich… Ich denke, wir sollten alle noch einen kleinen Schlummertrunk nehmen, Betty«, sagte Tanner.»Was meinst du?«
«Aber mach den für Joe ganz leicht«, antwortete Betty und lächelte.
«Die anderen auch«, meinte Bernie.
«Ich hole sie. «Tanner ging auf die Türe zu.»Kommen alle rein?«
«Augenblick, Johnny!«Das war Cardone, ein breites Grinsen im Gesicht.»Ich bin hier der unartige Junge, also laß mich helfen. Außerdem muß ich mal für kleine Jungs.«
Tanner ging vor Cardone in die Küche. Er war verwirrt. Als Joe das Wort» Zürich «geschrien hatte, hatte er erwartet, daß alles vorbei sein würde. Zürich war der Schlüssel, der den
Zusammenbruch hätte auslösen müssen. Aber es passierte nicht.
Statt dessen passierte das Gegenteil.
Alles war wieder unter Kontrolle, und das ging von der unwahrscheinlichsten Stelle aus, die man sich vorstellen
konnte, von Betty Cardone.
Plötzlich war hinter ihm ein Krachen zu hören. Tremayne stand unter der Tür und blickte auf den gestürzten Cardone hinunter.
«Well. Ein Muskelberg aus Princeton ist soeben umgekippt! Schaffen wir ihn in meinen Wagen. Ich bin heute abend der Chauffeur.«
Umgekippt? Tanner glaubte das nicht. Cardone war schon betrunken. Aber dem Zusammenbruch war er keineswegs nahe.