Montag — 10.15
Tanner stieg aus dem Lift und ging über den mit dicken Teppichen belegten Korridor zu seinem Büro. Er hatte im Vorführraum fünfundzwanzig Minuten damit verbracht, sich das Woodward-Band anzusehen. Es bestätigte, was die Zeitungen berichtet hatten: Charles Woodward hatte Undersecretary Ashton als politische Null bloßgestellt.
«Ganz schöner Mist, was?«sagte seine Sekretärin.
«Wahnsinn, wie mein Sohn das ausdrücken würde. Ich glaube nicht, daß wir in nächster Zeit mit einer Einladung zum Dinner ins Weiße Haus rechnen dürfen. Irgendwelche Anrufe?«
«Aus der ganzen Stadt. Hauptsächlich Gratulationen; ich hab' Ihnen die Namen aufgeschrieben.«
«Das tut gut. Vielleicht brauch' ich das. Sonst noch etwas?«»Die F.C.C. hat zweimal angerufen. Ein gewisser Fassett.«»Wer?«
«Mr. Laurence Fassett.«
«Wir hatten doch immer mit Cranston zu tun?«
«Das dachte ich auch, aber er hat gesagt, es sei dringend.«
«Vielleicht will uns das State Department noch vor Sonnenuntergang verhaften lassen.«
«Das bezweifle ich. Die würden wenigstens ein oder zwei Tage warten; sieht dann weniger politisch aus.«
«Sie rufen ihn am besten gleich an. Für die F.C.C. ist alles dringend. «Tanner ging in sein Büro, setzte sich an den
Schreibtisch und las die Notizzettel, die sie ihm hingelegt hatte. Er lächelte; selbst die Konkurrenz war beeindruckt gewesen.
Sein Telefon summte.»Mr. Fassett auf eins, Sir.«
«Danke. «Tanner drückte den entsprechenden Knopf.»Mr. Fassett? Tut mir leid, ich war nicht da, als Sie anriefen.«
«Ich muß um Entschuldigung bitten«, sagte die höfliche Stimme am anderen Ende der Leitung.»Es ist nur so, daß mein Terminkalender heute ziemlich voll ist und Sie sehr wichtig für mich sind.«
«Was gibt es für Probleme?«
«Routine, aber dringend, so könnte man sagen. Die Papiere, die Sie im Mai für die Nachrichtenabteilung von Standard eingereicht haben, waren unvollständig.«
«Was?«John erinnerte sich an etwas, das Cranston von der F.C.C. vor ein paar Wochen zu ihm gesagt hatte. Er erinnerte sich auch, daß Cranston gemeint hatte, es wäre unwichtig.»Was fehlt denn?«
«Zunächst einmal zwei Unterschriften. Auf den Seiten siebzehn und achtzehn. Und die Aufteilung der geplanten kommunalen Einschaltungen für die sechs Monate ab Januar.«
Jetzt erinnerte sich John Tanner. Das Ganze war Cranstons Fehler gewesen. Die Seiten siebzehn und achtzehn hatten in der Mappe gefehlt, die man ihm aus Washington geschickt hatte — die juristische Abteilung hatte das gegenüber Tanners Büro erwähnt —, und die Einschaltungen sollten noch einen Monat offen bleiben, weil die entsprechenden Entscheidungen im Sender noch nicht getroffen waren. Auch damit hatte Cranston sich einverstanden erklärt.
«Wenn Sie das nachprüfen, werden Sie feststellen, daß Ihr Mister Cranston die Seiten, auf die Sie sich beziehen, weggelassen hat. Und die Kommunaleinschaltungen wurden aufgeschoben. Er war damit einverstanden.«
Auf der anderen Seite blieb es einen Augenblick lang still. Als Fassett dann wieder sprach, klang seine Stimme eine Spur weniger höflich als vorher.
«Bei aller Freundschaft für Cranston, er war nicht befugt, diese Entscheidung zu treffen. Jetzt haben Sie die Informationen doch ohne Zweifel.«
Das war eine Feststellung.
«Ja, allerdings. Ich schicke sie sofort per Eilboten ab.«
«Ich fürchte, das geht nicht. Wir werden Sie bitten müssen, heute nachmittag hierher zu kommen.«
«Jetzt hören Sie mal. Das ist doch etwas knapp, finden Sie nicht?«
«Ich mache die Vorschriften nicht. Ich führe sie nur aus. Standard Mutual arbeitet seit zwei Monaten nicht den Vorschriften der F.C.C. entsprechend. Das dürfen wir nicht zulassen. Unabhängig davon, wer dafür die Verantwortung trägt, ist das jedenfalls ein Faktum. Wir sollten das noch heute in Ordnung bringen.«
«Also gut. Aber ich warne Sie: Falls das vom State Department ausgeht, schicke ich Ihnen unsere Anwälte auf den Hals, und dann können Sie etwas erleben.«
«Ihre Andeutung mißfällt mir — außerdem weiß ich nicht, wovon Sie reden.«
«Das glaube ich schon. Die Woodward-Show gestern nachmittag.«
Fassett lachte.»Oh, davon hab' ich gehört. Die Post hat darüber geschrieben. Und ich glaube, ich kann Sie beruhigen. Ich habe am letzten Freitag zweimal versucht. Sie zu erreichen.«
«So?«
«Ja.«
«Augenblick mal. «Tanner drückte einen Knopf auf seinem Telefon.»Norma? Hat dieser Fassett versucht, mich am Freitag zu erreichen?«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, während Tanners Sekretärin die Liste der Anrufer überprüfte.»Könnte sein. Da waren zwei Anrufe aus Washington, Vermittlung Platz sechsundreißig in D.C. Sie sollten zurückrufen, falls Sie bis vier ins Büro kämen. Sie waren bis halb sechs Uhr im Studio.«
«Haben Sie nicht gefragt, wer mich sprechen will?«
«Natürlich habe ich das. Aber man hat mir nur gesagt, das hätte bis Montag Zeit.«
«Danke. «Tanner drückte wieder den Knopf und fragte Fassett:»Haben Sie die Nummer des Vermittlungsplatzes
hinterlassen?«
«Platz sechsunddreißig, Washington. Bis sechzehn Uhr.«
«Ihren Namen haben Sie nicht hinterlassen oder Ihre Dienststelle…«
«Es war Freitag. Ich wollte pünktlich weg. Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn ich einen dringenden Anruf hinterlassen hätte, den Sie ohnehin nicht hätten erwidern können?«»Schon gut, schon gut. Und das hat nicht Zeit für einen Brief?«
«Tut mir leid, Mister Tanner. Wirklich, es tut mir sehr leid, aber ich habe meine Anweisungen. Standard Mutual ist keine kleine Lokalstation. Die Akten hätten vor Wochen komplett sein müssen… Außerdem«, jetzt lachte Fassett wieder,»treten Sie dauernd Leuten auf die Zehen, und ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, wenn irgendein Bonze im State Department herausfindet, daß Ihre ganze Nachrichtenabteilung nicht vorschriftsmäßig… Und das ist wirklich keine Drohung. Geht doch gar nicht. Wir haben ja beide Fehler gemacht.«
John Tanner lächelte ins Telefon. Fassett hatte recht. Es hatte wirklich keinen Sinn, irgendwelche bürokratischen Repressalien zu riskieren. Er seufzte.»Ich nehme die Ein-Uhr-Maschine. Dann bin ich gegen drei bei Ihnen. Wo ist Ihr Büro?«
«Ich werde bei Cranston sein. Wir halten die Papiere dann bereit, und vergessen Sie den Schaltplan nicht. Das sind natürlich nur unverbindliche Planungen, wir wollen Sie nicht darauf festnageln.«
«Geht klar. Bis dann. «Tanner drückte einen anderen Knopf und wählte seine Nummer zu Hause.
«Tag, Darling.«
«Ich muß heute nachmittag schnell nach Washington.«»Probleme?«
«Nein. >Routine, aber dringend<, hat der Mann gesagt. Eine F.C.C.-Angelegenheit. Ich werd' gegen sieben in Newark sein. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, daß ich mich verspäten werde.«
«Okay, Darling. Soll ich dich abholen?«
«Nein, ich nehm' mir ein Taxi.«
«Macht dir das nichts aus?«
«Im Gegenteil. Es wird mir eine Freude sein, daß Standard die zwanzig Eier zahlen muß.«
«Die bist du wert. Übrigens, ich hab' die Berichte über die Woodward-Show gelesen. Dein großer Triumph.«
«Das hab' ich mir auch auf meine Jacke geschrieben: Tanners Triumph.«
«Ich wollte, das würdest du«, sagte Alice leise.
Selbst im Spaß konnte sie nicht damit aufhören. Sie hatte keine echten finanziellen Probleme, aber Alice Tanner war die ganze Zeit der Meinung, ihr Mann wäre unterbezahlt. Das war die einzige ernsthafte Auseinandersetzung, die sie hatten. Er konnte ihr einfach nicht klarmachen, daß mehr Geld von einer Firma wie Standard Mutual einfach viel mehr Verpflichtung gegenüber diesem gesichtslosen Giganten bedeutete.
«Bis heute abend, Ali.«
«Wiedersehen. Ich liebe dich.«
Wie in stummer Anerkennung der Klage seiner Frau bestellte Tanner eines der Redaktionsfahrzeuge, um in einer Stunde zum La-Guardia-Flughafen zu fahren. Niemand hatte Einwände. Tanner war an diesem Morgen in der Tat ein Triumphator.
Im Laufe der nächsten fünfundvierzig Minuten traf Tanner ein paar administrative Entscheidungen. Als letzter Punkt auf seiner Tagesordnung stand ein Anruf in der juristischen Abteilung von Standard Mutual.
«Mr. Harrison, bitte. Hello, Andy? John Tanner. Ich hab's eilig, Andy; ich muß ein Flugzeug erwischen. Ich möchte nur etwas wissen. Steht zwischen uns und der F.C.C. irgend etwas an, wovon ich nichts weiß? Irgendwelche Probleme? Ich weiß wegen der Kommunaleinschaltungen Bescheid, aber Cranston hat gesagt, wir könnten uns damit Zeit lassen… Sicher, ich warte.«
Tanner spielte mit der Telefonschnur, und seine Gedanken kreisten immer noch um Fassett.»Ja, Andy, ich bin hier… Die Seiten siebzehn und achtzehn. Die Unterschriften… Ja, verstehe. Okay. Danke. Nein, hier gibt's keine Probleme. Nochmals vielen Dank.«
Tanner legte den Hörer auf und erhob sich langsam. Harrison hatte seinen vagen Verdacht noch genährt. Das Ganze schien einfach zu konstruiert. Der Antrag war, mit Ausnahme der letzten zwei Seiten der vierten und fünften Kopie des Dokuments, vollständig gewesen. Es handelte sich nur um Duplikate, die für niemanden wichtig waren und die man leicht kopieren konnte. Und doch hatten diese Seiten gefehlt. Harrison hatte gerade gesagt:
«Ich erinnere mich, John. Ich hatte Ihnen damals eine Notiz geschickt. Für mich sah das damals so aus, als hätte man sie absichtlich weggelassen. Nicht, daß ich wüßte, warum…«
Das wußte Tanner auch nicht.