Kapitel 27

Ali saß am Bettrand und hörte sich die Erzählung ihres Mannes an. Es gab Augenblicke, in denen sie an ihrer Vernunft zweifelte. Sie wußte, daß es Leute wie ihren Mann gab, die den größten Teil der Zeit unter Druck standen und die dann gelegentlich zusammenbrachen. Sie konnte ein gewisses Maß an Verständnis für solche Leute aufbringen, für Amokläufer, für Anwälte und Aktienmakler in der Panik bevorstehender Vernichtung, selbst Johns alles überwältigenden Drang, die Nichtreformierbaren zu reformieren. A)er das, was er ihr jetzt erzählte, überstieg ihr Begriffsvermögen.

«Warum hast du zugestimmt?«fragte sie ihn.

«Es klingt verrückt, aber man hat mich in eine Falle gelockt. Ich hatte keine Wahl. Ich mußte einfach.«

«Du hast dich freiwillig gemeldet!«sagte Ali.

«Eigentlich nicht. Als ich Fassett zustimmte, mir die Namen zu nennen, unterzeichnete ich eine Erklärung, nach der ich gemäß der nationalen Sicherheitsakte unter Anklage gestellt werden konnte. Sobald ich wußte, wer sie waren, hing ich am Strick. Fassett wußte das. Es war unmöglich, normale Beziehungen zu ihnen aufrechtzuerhalten. Und wenn ich das nicht tat, dann bestand die Gefahr, daß man mich unter Anklage stellte, weil ich irgendeinen Formfehler beging.«

«Wie schrecklich«, sagte Ali leise.

«Ich würde eher sagen, schmutzig.«

Dann berichtete er ihr von den Episoden mit Ginny und Leila draußen am Pool. Wie Dick Tremayne ihm in die Garage gefolgt war. Schließlich, wie Bernie gerade angefangen hatte, ihm etwas zu erzählen, ehe Janets Schreie das ganze Haus geweckt hatten.

«Er hat dir nie gesagt, was es war?«

«Er sagte, er biete mir nur Geld für Investitionen an. Ich warf ihnen beiden vor, Omega anzugehören… Dann rettete er mein Leben.«

«Nein. Augenblick. «Ali beugte sich vor.»Als du hinausgingst, um die Schirme in Sicherheit zu bringen und wir dich alle im Regen beobachteten… Und dann fingen die Schüsse an, und wir gerieten alle in Panik. Ich versuchte hinauszulaufen, und Leila und Bernie hielten mich auf. Also schrie ich und versuchte, mich loszureißen. Leila — nicht Bernie — preßte mich gegen die Wand. Plötzlich sah sie Bernie an und sagte: >Du kannst gehen, Bernie! Es ist schon gut, Bernie! < Ich habe das nicht verstanden, aber sie hat es ihm befohlen.«

«Eine Frau schickt ihren Mann nicht vor das Erschießungspeloton.«

«Darüber habe ich mich auch gewundert. Ich stellte mir die Frage, ob ich den Mut haben würde, dich hinauszuschicken — für Bernie.«

Und dann erzählte Tanner seiner Frau von der Brosche und der Wand ohne Einschüsse.

«Aber sie waren im Keller, Darling. Sie waren nicht draußen. Das waren nicht die, die auf uns geschossen haben. «Ali hielt inne. Die Erinnerung an das Schreckliche war einfach zuviel. Sie brachte es nicht über sich, weiter davon zu reden. Statt dessen erzählte sie ihm von Joes Hysterie im Wohnzimmer und der Tatsache, daß Betty Cardone sie durch das Fenster beobachtet hatte.

«Da wären wir also«, sagte er, als sie geendet hatte.»Und ich bin einfach nicht sicher, was das alles bedeutet.«

«Aber der Mann im Keller hat doch gesagt, alles wäre jetzt vorbei. Das hat er dir gesagt.«

«Die haben mir eine ganze Menge gesagt… Aber welcher ist es denn? Oder sind es alle drei?«

«Wer?«fragte sie.

«Omega. Es müssen Ehepaare sein. Sie müssen als Paare auftreten… Aber die Tremaynes und die Cardones sind in dem Wagen mit Gas betäubt worden. Man hat sie an der Lassiter Street hinausgelassen. Aber hat man das wirklich?«

Tanner schob die Hände in die Taschen und ging auf und ab. Er trat ans Fenster, lehnte sich gegen die Wand und blickte in den Garten hinaus.

«Da draußen sind eine Menge Bullen. Die langweilen sich alle zu Tode. Ich wette, die haben den Keller nicht gesehen. Ich frage mich…«

Glas zersplitterte. Tanner fuhr herum, Blut spritzte aus seinem Hemd. Ali schrie und rannte zu ihrem Mann, als der zu Boden fiel.

Weitere Schüsse peitschten, aber keiner kam mehr durch das Fenster. Die Schüsse waren draußen.

Der Polizeibeamte im Flur stieß die Türe auf und rannte zu dem gestürzten Tanner. Höchstens drei Sekunden später kam der Polizist mit gezogener Pistole aus dem Keller gerannt. Draußen waren Stimmen zu hören. Leila kam herein, stöhnte und rannte zu Ali und ihrem Mann, der auf dem Boden lag.

«Bernie! Um Himmels willen, Bernie!«

Aber Osterman erschien nicht.

«Wir müssen ihn auf das Bett legen!«schrie der Streifenbeamte aus dem oberen Stockwerk.»Bitte, Madam, lassen Sie los! Ich will ihn auf das Bett legen.«

Man konnte Osterman auf der Treppe schreien hören.»Was zum Teufel ist hier passiert?«Er kam ins Zimmer.»Oh, Jesus! Oh, Jesus Christus!«

Tanner kam wieder zu Bewußtsein und sah sich um. MacAuliff stand neben dem Arzt; Ali saß auf dem Bett. Bernie und Leila standen am Fußende und gaben sich redliche Mühe, ihm aufmunternd zuzulächeln.

«Das kommt alles wieder in Ordnung. Ganz oberflächlich«, sagte der Arzt.»Schmerzhaft, aber nichts Ernstes. Ein paar Knorpel im Schulterbereich, das ist alles.«

«Hat man auf mich geschossen?«

«Ja, das hat man«, nickte MacAuliff.

«Wer hat auf mich geschossen?«

«Das wissen wir nicht. «MacAuliff versuchte, seinen Ärger zu unterdrücken, was ihm aber nicht ganz gelang. Der Captain war offenbar davon überzeugt, daß man ihn ignorierte; daß man ihm wesentliche Informationen vorenthielt.»Aber eines will ich Ihnen sagen: Ich werde jeden einzelnen von Ihnen verhören, und wenn ich die ganze Nacht dazu brauche, um herauszufinden, was hier vorgeht. Sie benehmen sich alle höchst unvernünftig, und ich werde das nicht zulassen!«

«Die Wunde ist versorgt«, sagte der Arzt und schlüpfte wieder in seine Jacke.»Sie können aufstehen und herumlaufen, sobald Ihnen danach zumute ist, aber seien Sie vorsichtig, Mr. Tanner. Das ist nicht viel mehr als ein tiefer Schnitt/ Ganz geringfügiger Blutverlust. «Der Arzt lächelte und ging hinaus. Er hatte keinen Anlaß, dazubleiben.

Kaum war die Türe geschlossen, als MacAuliff abrupt sagte:»Würden Sie bitte alle im Keller warten? Ich möchte alleine mit Mr. Tanner sprechen.«

«Captain, er ist gerade angeschossen worden«, sagte Bernie entschieden.»Sie können ihn jetzt nicht verhören; das lasse ich nicht zu.«»Ich bin Polizeibeamter in dienstlichem Auftrag; ich brauche Ihre Erlaubnis nicht. Sie haben gehört, was der Arzt gesagt hat. Er ist nicht ernsthaft verletzt.«

«Er hat genug durchgemacht!«Ali starrte MacAuliff an.

«Es tut mir leid, Mrs. Tanner. Das ist jetzt notwendig. Wenn Sie jetzt bitte alle…«

«Nein, das werden wir nicht!«Osterman ließ seine Frau stehen und ging auf den Polizeichef zu.»Er ist nicht derjenige, der verhört werden sollte. Das sind Sie. Ihre ganze verdammte Polizeitruppe sollte man sich vornehmen… Ich hätte wirklich gerne gewußt, warum dieser Streifenwagen nicht angehalten hat, Captain! Ich habe Ihre Erklärung gehört und kann sie nicht akzeptieren!«

«Wenn Sie so weitermachen, Mr. Osterman, rufe ich einen Beamten herein und lasse Sie einsperren!«

«Das würde ich nicht versuchen…«

«Lassen Sie es nicht darauf ankommen! Ich hatte schon früher mit Leuten Ihres Schlages zu tun! Ich habe in New York gearbeitet, Scheißjude!«

Osterman wurde plötzlich ganz leise.»Was haben Sie da gesagt?«

«Provozieren Sie mich bloß nicht!«

«Laß nur!«sagte Tanner vom Bett aus.

«Mir macht es nichts aus, wirklich… Geht nur hinunter, alle.«

Als er mit MacAuliff alleine war, setzte Tanner sich auf. Seine Schulter tat weh, aber er konnte sie unbehindert bewegen.

MacAuliff ging ans Fußende des Bettes und hielt sich mit beiden Händen an der Bettstelle fest. Er sprach ganz ruhig:»Sie werden jetzt reden. Sie sagen mir, was Sie wissen, oder ich stelle Sie unter Anklage wegen Verletzung Ihrer Auskunftspflicht in einem Fall von Mordversuch.«

«Die haben versucht, mich zu töten.«»Das ist genauso Mord. M-o-r-d. Es macht nicht den geringsten Unterschied, ob der Anschlag Ihnen oder diesem Judenschwein galt!«

«Warum sind Sie so feindselig?«fragte Tanner.»Sagen Sie es mir. Eigentlich sollten Sie mir jetzt zu Füßen liegen und betteln. Ich bin ein Steuerzahler, und Sie haben mein Haus nicht beschützt.«

MacAuliff versuchte ein paarmal zu reden, schien aber an seiner eigenen Wut förmlich zu ersticken. Schließlich bekam er sich wieder in den Griff.

«Okay. Ich weiß, daß vielen von Ihnen die Art und Weise nicht paßt, wie ich die Dinge anpacke. Sie und Ihresgleichen wollen mich weghaben und irgendeinen Scheißhippie von der blöden Uni anheuern! Nun, dazu will ich Ihnen etwas sagen — das schaffen Sie nur, wenn ich irgendwo Mist baue. Und ich werde keinen Mist bauen! Dafür sorge ich! Diese Stadt wird sauber bleiben! Also werden Sie mir jetzt sagen, was hier vorgeht. Und wenn ich Hilfe brauche, dann hole ich mir die! Ich kann das erst, sobald ich etwas in der Hand habe!«

Tanner erhob sich von seinem Bett, zuerst etwas unsicher und dann zu seiner eigenen Überraschung ohne Mühe.

«Ich glaube Ihnen. Sie sind zu erregt, um zu lügen. Und Sie haben recht. Eine Menge von uns mögen Sie tatsächlich nicht. Aber das kann eine rein gefühlsmäßige Sache sein, wir wollen also nicht weiter darauf eingehen. Trotzdem werde ich hier keine Fragen beantworten. Statt dessen erteile ich jetzt einen Befehl. Sie werden dieses Haus Tag und Nacht bewachen, bis ich Ihnen sage, daß Sie aufhören können! Haben Sie das begriffen?«

«Ich nehme keine Befehle an!«

«Von mir schon. Wenn Sie das nicht tun, dann sorge ich dafür, daß Sie auf sechzig Millionen Fernsehschirmen als typisches Beispiel altmodischer, ungebildeter, unaufgeklärter Polizeibrutalität, als eine Bedrohung für echte Polizeiarbeit dargestellt werden! Sie sind überholt. Holen Sie sich Ihre Pension und verschwinden Sie.«»Das werden Sie nicht tun…«

«Glauben Sie? Hören Sie sich mal um.«

MacAuliff stand da und starrte Tanner an. Die Adern an seinem Hals traten so hervor, daß Tanner glaubte, sie würden jeden Augenblick bersten.

«Wie ich euch Schweine hasse!«sagte er kalt.»Ich kann Sie nicht ausstehen.«

«Ich Sie auch nicht. Ich habe Sie in Aktion gesehen. Aber das hat jetzt nichts zu besagen. Setzen Sie sich.«

Zehn Minuten später rannte MacAuliff aus dem Haus, hinaus in den schwächer werdenden Julisturm. Er knallte die Haustüre hinter sich zu und gab den Beamten, die draußen auf dem Rasen warteten, einige beiläufige Anweisungen. Die Männer reagierten mit schwachen Ehrenbezeugungen, worauf MacAuliff in seinen Wagen stieg.

Tanner holte sich ein Hemd aus einer Schublade und schlüpfte etwas ungeschickt hinein. Dann verließ er das Schlafzimmer und ging die Treppe hinunter.

Ali stand im Flur und sprach dort mit einem Polizeibeamten. Sie eilte ihm entgegen.

«Das ganze Haus wimmelt von Polizei. Ich wollte, es wäre eine Armee. O Gott! Ich gebe mir alle Mühe, ruhig zu sein. Wirklich! Aber ich kann nicht!«Sie umarmte ihn, spürte den Verband unter seinem Hemd.»Was werden wir jetzt tun? Wer kann uns helfen?«

«Alles wird wieder gut. Wir müssen nur noch kurze Zeit warten.«

«Worauf?«

«MacAuliff beschafft mir Informationen.«

«Was für Informationen?«

Tanner schob Ali gegen die Wand. Er sprach ganz leise und vergewisserte sich, daß der Polizist sie nicht beobachtete.»Wer durch die Kellerfenster auf uns geschossen hat, ist verletzt. Einer ist sogar schwer verwundet — am Bein. Beim anderen sind wir nicht ganz sicher, aber Bernie glaubt, er hätte ihn an der Schulter oder der Brust getroffen. MacAuliff wird die Cardones und die Tremaynes aufsuchen. Dann ruft er mich an. Es kann eine Weile dauern, aber er kommt wieder auf mich zu.«

«Hast du ihm gesagt, worauf er achten soll?«»Nein. Ich habe ihn nur gebeten, ihre Darstellung zu überprüfen, wo sie waren. Das ist alles. Ich will nicht, daß MacAuliff Entscheidungen trifft. Das ist Fassetts Sache.«

Aber in Wirklichkeit war es nicht Fassetts Sache, dachte Tanner. Es war seine Sache, nur die seine. Er würde es Ali sagen, wenn er mußte. Im letzten Augenblick. So lächelte er ihr jetzt nur zu, legte ihr den Arm um die Hüfte und wünschte sich, er könnte wieder frei sein, um sie zu lieben.

Um zehn Uhr siebenundvierzig klingelte das Telefon.

«John? Hier spricht Dick. MacAuliff war bei mir. «Tremaynes Atem hallte schwer aus dem Telefon, aber er bemühte sich mit Erfolg, wenigstens seine Stimme einigermaßen ruhig zu halten. Man hatte den Eindruck, daß seine Nerven zum Zerreißen gespannt waren.»Ich habe keine Ahnung, in was du dich da eingelassen hast — versuchter Mord, um Himmels willen! — und ich will es auch gar nicht wissen. Aber das ist jedenfalls mehr, als ich ertragen kann! Es tut mir leid, John, aber ich hole meine Familie da raus. Ich habe Plätze auf der Pan Am morgen früh um zehn bestellt.«

«Wohin geht ihr?«

Tremayne gab keine Antwort. Tanner wiederholte seine Frage.»Ich habe dich gefragt, wohin ihr geht.«

«Tut mir leid, John… Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber ich will dir das nicht sagen.«

«Ich glaube, ich verstehe… Aber tu uns einen Gefallen. Kommt auf dem Weg zum Flughäfen kurz vorbei.«

«Das kann ich nicht versprechen. Wiedersehen. «Tanner hielt die Gabel mit der Hand fest und ließ sie dann langsam los. Er wählte die Nummer der Polizeistation von Saddle Valley.

«Polizei-Hauptquartier. Sergeant Dale.«»Captain MacAuliff, bitte. Hier spricht John Tanner.«»Er ist nicht hier, Mr. Tanner.«»Können Sie ihn erreichen? Es ist dringend.«»Ich kann es über Funk versuchen; wollen Sie warten?«»Nein. Sagen Sie ihm nur, er soll mich so bald wie möglich anrufen. «Tanner gab noch seine Telefonnummer durch und legte dann auf. Wahrscheinlich war MacAuliff zu den Cardones unterwegs. Er hätte eigentlich inzwischen schon dort eintreffen müssen. Er würde bald anrufen. Tanner ging ins Wohnzimmer zurück. Er wollte die Ostermans aus der Fassung bringen.

Das war Teil seines Planes.»Wer hat angerufen?«wollte Bernie wissen.»Dick. Er hat gehört, was passiert ist. Er nimmt seine Familie und geht hier weg.«

Die Ostermans tauschten Blicke.»Wohin?«

«Das hat er nicht gesagt. Sie haben einen Flug morgen früh.«

«Er hat nicht gesagt, wohin sie gehen?«Bernie stand scheinbar beiläufig auf, konnte aber seine Besorgnis nicht verbergen.

«Sagte ich doch. Er wollte es mir nicht sagen.«»Das hast du nicht gesagt. «Osterman sah Tanner an.»Du hast gesagt, >hat er nicht gesagte<. Das ist etwas anderes, als wenn er es nicht sagen wollte.«

«Ja, da hast du wohl recht… Bist du immer noch der Ansicht, daß wir nach Washington fahren sollen?«

«Was?«Osterman sah seine Frau an. Er hatte Tanners Frage nicht gehört.

«Bist du immer noch der Ansicht, daß wir nach Washington fahren sollen?«

«Ja. «Bernie starrte Tanner an.»Jetzt mehr denn je. Du brauchst Schutz. Wirklichen Schutz. Die versuchen, dich umzubringen, John.«

«Das frage ich mich allmählich. Ich frage mich wirklich, ob sie mich umbringen wollen.«

«Was willst du damit sagen?«Leila stand auf und sah Tanner an.

Das Telefon klingelte.

Tanner eilte in sein Arbeitszimmer zurück und nahm den Hörer ab. Es war MacAuliff.

«Hören Sie«, sagte Tanner leise.»Ich möchte, daß Sie genau — genau — beschreiben, wo Tremayne während Ihres Verhörs war.«

«In seinem Arbeitszimmer.«

«Wo in seinem Arbeitszimmer?«

«An seinem Schreibtisch. Warum?«

«Ist er aufgestanden? Ist er herumgegangen? Zum Beispiel, um Ihnen die Hand zu geben?«

«Nein… Nein, ich glaube nicht. Nein, das hat er nicht getan.«»Und was ist mit seiner Frau? Hat sie Sie ins Haus gelassen?«»Nein. Das war das Mädchen. Tremaynes Frau war im Obergeschoß. Ihr war nicht gut. Das haben wir uns bestätigen lassen; wir haben den Arzt angerufen, erinnern Sie sich?«

«Richtig. Jetzt sagen Sie mir etwas über die Cardones. Wo haben Sie sie gefunden?«

«Zuerst habe ich mit seiner Frau gesprochen. Eines der Kindermädchen ließ mich ein. Sie lag auf dem Sofa, ihr Mann war in der Garage.«

«Wo haben Sie mit ihm gesprochen?«

«Das sagte ich doch gerade. In der Garage. Ich bin auch gerade richtig hingekommen. Er ist nach Philadelphia unterwegs. Sein Vater ist krank. Sie haben ihm schon die Sterbesakramente verabreicht.«

«Philadelphia? — Wo war er genau?«

«In der Garage, sagte ich! Seine Koffer waren gepackt. Er war im Wagen. Er sagte mir, ich solle mich beeilen. Er wollte losfahren.«

«Er war im Wagen?«

«Das ist richtig.«

«Ist Ihnen das nicht seltsam vorgekommen?«»Warum sollte es das? Herrgott, sein Vater liegt im Sterben! Er wollte so schnell wie möglich nach Philadelphia. Ich werde das prüfen.«

Tanner legte den Hörer auf.

Keines der beiden Ehepaare war von MacAuliff unter normalen Umständen gesehen worden. Niemand von ihnen stand, niemand ging. Beide hatten gute Gründe, am Sonntag nicht in sein Haus zu kommen.

Tremayne hinter einem Schreibtisch, verängstigt, unbeweglich. Cardone in einem Automobil sitzend, nur daran interessiert, so schnell wie möglich wegzufahren.

Einer oder beide verwundet.

Einer oder vielleicht beide Omega.

Die Zeit war gekommen. Es hatte aufgehört zu regnen; er würde sich jetzt besser bewegen können, obwohl es in den Büschen immer noch naß sein würde.

Er zog sich in der Küche um, zog die Kleider an, die er aus dem Schlafzimmer heruntergetragen hatte: schwarze Hosen, einen schwarzen Pullover mit langen Ärmeln und Mokassins. Er steckte sich Geld ein und vergewisserte sich, daß wenigstens sechs Dimes dabei waren. Schließlich schob er sich eine Taschenlampe, die nicht viel größer als ein Füllhalter war, in den V-Ausschnitt seines Pullovers.

Dann ging er zur Flurtüre und rief Ali in die Küche. Er hatte vor diesem Augenblick viel größere Angst als vor allem anderen, das vor ihm lag. Und doch gab es keinen anderen Weg. Er wußte, daß er es ihr sagen mußte.

«Was machst du? Warum…«

Tanner hielt den Finger an die Lippen und zog sie an sich. Sie gingen ans andere Ende der Küche, wo die Tür in die Garage führte, dem Punkt, der am weitesten vom Flur entfernt war. Dort flüsterte er ihr leise zu:

«Erinnerst du dich daran, daß ich dich gebeten habe, mir zu vertrauen?«

Ali nickte langsam.

«Ich gehe jetzt eine Weile hinaus; nur auf kurze Zeit. Ich treffe ein paar Leute, die uns helfen können. MacAuliff hat die Verbindung hergestellt.«

«Warum können die nicht herkommen? Ich will nicht, daß du hinausgehst. Du darfst nicht hinausgehen!«

«Es gibt keine andere Möglichkeit. Das ist alles so vorbereitet«, log er und wußte, daß sie die Lüge ahnte.»Ich rufe dich in kurzer Zeit an. Dann wirst du wissen, daß alles gut ist. Aber bis dahin möchte ich, daß du den Ostermans sagst, daß ich spazierengegangen bin. Sag ihnen, ich sei so aufgeregt gewesen, oder sag ihnen, was du willst. Es ist wichtig, daß sie meinen, daß du glaubst, daß ich spazierengegangen bin. Daß ich jeden Augenblick wieder zurückkomme. Vielleicht spreche ich sogar mit den Leuten draußen im Garten.«

«Mit wem wirst du dich denn treffen? Das mußt du mir sagen.«»Mit Fassetts Leuten.«

Sie hielt seinen Blick fest. Die Lüge war jetzt zwischen ihnen vereinbart, und sie blickte ihm suchend in die Augen.»Mußt du das tun?«fragte sie leise.

«Ja. «Er umarmte sie kurz, wollte gehen, ging mit schnellen Schritten zur Küchentüre.

Draußen schlenderte er auf seinem Grundstück herum, sorgte dafür, daß die Polizeibeamten vor und hinter seinem Hause seine Anwesenheit zur Kenntnis nahmen, bis er glaubte, daß sie aufhörten, ihn zu beobachten. Dann, als er das Gefühl hatte, daß niemand mehr auf ihn achtete, verschwand er in dem Wäldchen.

Er schlug einen weiten Bogen nach Westen, wich mit Hilfe des dünnen Lichtkegels seiner Taschenlampe Hindernissen aus. Die Nässe, der weiche Boden, behinderten ihn, aber schließlich sah er die Hofbeleuchtung seiner Nachbarn, der Scanlans, dreihundert Fuß von seiner Grundstücksgrenze entfernt. Er war triefendnaß, als er sich der hinteren Veranda der Scanlans näherte und schließlich klingelte.

Fünfzehn Minuten später — auch das hatte länger gedauert, als Tanner erwartet hatte — stieg er in das Mercedes-Coupe Scanlans und ließ den Motor an. Scanlans Smith & Wessen steckte in seinem Gürtel und drei zusätzliche Magazine in seiner Tasche.

Tanner bog links in den Orchard Drive ein und fuhr in Richtung auf das Ortszentrum. Es war schon nach Mitternacht; später, als er sich zurechtgelegt hatte.

Einen Augenblick lang beschäftigte er sich damit, gleichsam Inventur aufzunehmen, sich selbst und das, war er tat, zu bewerten. Er hatte sich nie für einen außergewöhnlich tapferen Mann gehalten. Jede Anwandlung von Mut, die er je an den Tag gelegt hatte, war immer dem Augenblick entsprungen. Und er kam sich auch jetzt nicht mutig vor. Er war verzweifelt. Das war seltsam. Seine Angst — der profunde, tiefempfundene Schrecken, mit dem er tagelang gelebt hatte — schuf sich jetzt ihr eigenes Gleichgewicht, gebar ihre eigene Furcht. Furcht davor, manipuliert zu werden. Er konnte das nicht länger hinnehmen.

Saddle Valley lag still da, die Hauptstraße im weichen Licht imitierter Gaslampen, die Geschäftsfassaden im Einklang mit dem Image stillen Wohlstands, der Saddle Valley anhaftete. Keine Neonröhren, keine Scheinwerfer, alles gedämpft und wohlanständig.

Tanner fuhr am Village Pub und am Taxistand vorbei, wendete auf der Straße und parkte. Die öffentliche Telefonzelle stand unmittelbar neben dem Mercedes. Er wollte den Wagen weit genug entfernt stehen haben, um die ganze Gegend überblicken zu können. Er überquerte die Straße und tätigte seinen ersten Anruf.

«Ich bin's, Tanner, Tremayne. Sei still und hör mir zu… Omega ist erledigt. Es wird aufgelöst. Ich mache Schluß. Zürich macht Schluß. Das war eure letzte Prüfung, und ihr habt sie nicht bestanden. Die Dummheit, die jeder einzelne an den Tag gelegt hat, ist unglaublich! Ich erteile die Befehle zum Schlußmachen noch heute nacht. Sei um halb drei beim alten Bahnhof an der

Lassiter Road. Und versuche nicht, mich zu Hause anzurufen. Ich rufe aus einer Zelle an. Ich nehme mir ein Taxi dorthin. Mein Haus wird beobachtet, das habe ich euch allen zu verdanken! Sei um halb drei an der Lassiter Road und bringe Virginia mit. Omega ist zusammengebrochen! Wenn du mit dem Leben davonkommen und aussteigen willst, dann sei dort — halb drei!«Tanner drückte die Gabel nieder. Als nächstes kamen die Cardones.

«Betty? Hier Tanner. Hör gut zu. Schnapp dir Joe und sag ihm, daß Omega erledigt ist. Mir ist es gleichgültig, wie du das machst, aber schaff ihn wieder her. Das ist ein Befehl aus Zürich. Sag ihm das! — Omega ist zusammengebrochen. Ihr seid alle verdammte Narren gewesen. Es war sehr dumm, meine Wagen lahmzulegen. Ich werde heute um halb drei am alten Lassiter-Bahnhof die Befehle zum Abbruch erteilen. Komm mit Joe hin! Zürich erwartet euch. Und versuche ja nicht, mich zurückzurufen. Ich rufe aus dem Ort an. Mein Haus wird bewacht. Ich nehme ein Taxi. Nicht vergessen. Lassiter-Bahnhof — sag es Joe.«

Wieder drückte Tanner die Gabel herunter. Sein dritter Anruf galt dem eigenen Haus.

«Ali? Alles klar, Darling. Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen. Und jetzt sage nichts. Gib mir sofort Bernie ans Telefon… Ali, nicht jetzt! Ich will Bernie ans Telefon! — Bernie, ich bin's, John. Es tut mir leid, daß ich weggegangen bin, aber das mußte ich. Ich weiß jetzt, wer Omega ist, aber ich brauche deine Hilfe. Ich rufe aus dem Ort an. Ich brauche später einen Wagen… Nicht jetzt; später. Ich möchte nicht, daß man den meinen im Ort sieht. Ich nehme ein Taxi. Komm um halb drei an den Lassiter-Bahnhof. Wenn du aus der Ausfahrt kommst, biegst du nach rechts und fährst auf dem Orchard Drive in östlicher Richtung — er beschreibt einen leichten Bogen nach Norden —, du fährst etwa eine Meile weit. Dann siehst du einen großen Teich, er ist von einem weißen Zaun umgeben. Auf der anderen Seite ist die Lassiter Road. Fahr zwei Meilen die Lassiter hinunter, dann siehst du den Bahnhof. - Es ist vorbei, Bernie. Ich habe Omega um halb drei am Bahnhof. Um

Himmels willen, laß es jetzt nicht auffliegen! Du mußt mir vertrauen! Rufe niemanden an und tue nichts! Du mußt nur dort sein!«Tanner legte den Hörer auf, riß die Tür auf und rannte zu dem Mercedes-Coupe.

Загрузка...