Tanner legte den Hörer auf und stützte sich auf den Ausgußrand. Dann stieß er sich ab und ging ohne zu denken zur Küchentüre hinaus in den Hinterhof. Der Himmel war finster. Eine Brise ließ das Laub in den Bäumen rascheln und erzeugte kleine Wellen im Pool. Es würde Sturm geben, dachte Tanner, als er zum Himmel aufblickte. Ein Julisturm zog herauf.
Omega zog herauf.
Mit oder ohne Fassett — Omega war echt, soviel war Tanner klar. Er war echt, weil er seine Macht gesehen und gespürt hatte, die Gewalt, die es erzeugte, eine Gewalt, die imstande war, einen Laurence Fassett zu entfernen, die Entscheidungen und das Personal der ersten Abwehrbehörde des Landes zu manipulieren.
Tanner wußte, daß es keinen Sinn hatte, wenn er jetzt versuchte, Jenkins zu erreichen. Was hatte Jenkins in den frühen Morgenstunden im Wohnzimmer gesagt? — >Wenn Sie auf mich deuten, werde ich alles ableugnen…< — Wenn Omega Fassett zum Schweigen bringen konnte, dann würde es eine Kleinigkeit sein, auch Jenkins zum Schweigen zu bringen.
Aber es mußte doch irgendwo einen Ausgangspunkt geben, einen Hebel, den er ansetzen, eine Türe, die er öffnen konnte und die ihn auf einen Weg führte, vorbei an all den Lügen. Ihm war jetzt alles gleichgültig; es mußte zu Ende gehen, seine Familie mußte in Sicherheit bleiben. Es war nicht mehr sein Krieg. Ihn interessierten jetzt nur noch Ali und die Kinder.
Tanner sah die Gestalt von Osterman durch das Küchenfenster.
Das war es! Osterman war sein Hebel, sein Bruch mit Omega! Er ging schnell ins Haus zurück.
Leila saß am Tisch, während Bernie am Herd stand und Kaffeewasser kochte.
«Wir fahren weg«, sagte Bernie.»Unsere Koffer sind gepackt; ich rufe ein Taxi.«
«Warum?«
«Warum?«
«Irgend etwas stimmt hier nicht«, sagte Leila.»Und es geht uns nichts an. Wir sind nicht betroffen und wollen auch nicht hineingezogen werden.«
«Darüber möchte ich mit euch sprechen. Mit euch beiden.«
Bernie und Leila tauschten Blicke.
«Schieß los«, sagte Bernie.
«Nicht hier. Draußen.«
«Warum draußen?«
«Ich möchte nicht, daß Ali etwas hört.«
«Sie schläft.«
«Es muß draußen sein.«
Sie gingen alle drei am Pool vorbei zum hinteren Ende des Rasens. Tanner drehte sich um und sah sie an.
«Ihr braucht nicht mehr zu lügen. Beide nicht. Ich möchte, daß meine Rolle zu Ende ist. Es interessiert mich nicht mehr. «Erhielt einen Augenblick inne.»Ich weiß über Omega Bescheid.«
«Über was?«fragte Leila.
«Omega… Omega!«Tanners Stimme — sein Flüstern — klang schmerzverzerrt.»Ich mag nicht mehr! So wahr mir Gott helfe, es ist mir gleich!«
«Wovon redest du denn?«Bernie sah den anderen an, ging einen Schritt auf ihn zu. Tanner zuckte zurück.»Was ist denn?«»Um Himmels willen, tu das nicht!«
«Was soll ich nicht tun?«
«Das habe ich dir doch gesagt! Es ist mir jetzt gleichgültig! Aber bitte! Bitte! Laßt Ali und die Kinder in Frieden. Tut mit mir, was ihr wollt! Aber laßt sie in Frieden!«
Leila legte Tanner die Hand auf den Arm.»Du bist überreizt, Johnny. Ich weiß nicht, wovon du redest.«
Tanner sah auf Leilas Hand und drängte seine Tränen zurück.»Wie könnt ihr das tun? Bitte! Hört auf zu lügen. Ich glaube nicht, daß ich das ertragen könnte.«
«Wieso lügen?«
«Ihr habt nie von irgendwelchen Konten in der Schweiz gehört? In Zürich?«
Leila zog die Hand zurück, und die Ostermans standen beide reglos da. Schließlich sagte Bernie leise:»Doch, ich habe von Konten in Zürich gehört. Wir haben auch zwei.«
Leila sah ihren Mann an.
«Woher habt ihr das Geld?«
«Wir verdienen viel Geld«, antwortete Bernie vorsichtig.»Das weißt du. Falls es dich beruhigt, kannst du ja unseren Steuerberater anrufen. Du kennst ihn, Ed Marcum. Es gibt keinen besseren — oder keinen saubereren — in ganz Kalifornien.«
Tanner war verwirrt. Ostermans Antwort hatte ihn durcheinandergebracht: Das alles war so einfach, so natürlich.»Die Cardones, die Tremaynes. Haben die auch Konten in Zürich?«
«Wahrscheinlich. Ebenso wie fünfzig Prozent der Leute, die ich an der Westküste kenne.«
«Woher haben sie das Geld?«
«Weshalb fragst du sie denn nicht?«Ostermans Stimme klang immer noch leise, beruhigend.
«Du weißt es!«
«Jetzt bist du albern«, sagte Leila.»Dick und Joe sind sehr erfolgreiche Leute. Joe wahrscheinlich in höherem Maße als irgendeiner von uns.«
«Aber warum Zürich? Was ist in Zürich?«
«Ein gewisses Maß an Freiheit«, antwortete Bernie leise.
«Das ist es, was du gestern nacht verkaufen wolltest! >Was wünschst du dir am meisten?< hast du gesagt. Das waren deine Worte!«
«Man kann in Zürich sehr viel Geld machen, das will ich nicht leugnen.«
«Mit Omega! So macht ihr es doch, nicht wahr? Nicht wahr?«»Ich weiß nicht, was das bedeuten soll«, sagte Bernie, jetzt ebenfalls vorsichtig.
«Dick und Joe! Die arbeiten mit Omega! Und ihr auch! Der >Abgrund des Leders
Leila griff nach der Hand ihres Mannes.»Die Nachrichten.«
«Leila, bitte… Hör zu, Johnny. Ich schwöre dir, daß ich nicht weiß, wovon du redest. Gestern abend habe ich angeboten, dir zu helfen und habe das auch ernst gemeint. Es gibt günstige Investitionen; ich habe dir Geld für Investitionen angeboten. Das ist alles.«
«Nicht für Informationen? Nicht für Omega?«
Leila packte die Hand ihres Mannes. Bernie reagierte, indem er sie ansah, ihr wortlos befahl, sich zu beruhigen. Dann wandte er sich wieder Tanner zu.»Ich könnte mir keine Information vorstellen, die du besitzt und die ich haben möchte. Ich kenne kein Omega. Ich weiß nicht, was das ist.«
«Joe weiß es! Dick weiß es! Sie sind beide zu Ali und mir gekommen! Sie haben uns bedroht.«
«Dann habe ich mit ihnen nichts zu tun. Wir haben nichts mit ihnen zu tun.«
«O Gott, Bernie. Irgend etwas ist passiert…«Leila konnte nicht mehr an sich halten. Bernie nahm sie in die Arme.
«Was auch immer es ist, es hat nichts mit uns zu tun. Vielleicht solltest du uns erzählen, was das alles bedeutet. Vielleicht können wir helfen.«
Tanner sah sie an, wie sie einander in den Armen hielten. Er wollte ihnen glauben. Er wollte Freunde; er brauchte verzweifelt Verbündete. Und Fassett hatte es ja gesagt, nicht alle waren Omega.»Ihr wißt es wirklich nicht, nicht wahr? Ihr wißt nicht, was Omega ist. Oder was >Abgrund des Leders< bedeutet.«»Nein«, sagte Leila einfach.
Tanner glaubte ihnen. Er mußte ihnen glauben, denn nur das bedeutete, daß er nicht länger alleine war. Also sagte er es ihnen.
Alles.
Als er geendet hatte, standen die beiden da und starrten ihn an, ohne etwas zu sagen. Es hatte leicht zu tröpfeln begonnen, aber keiner von ihnen spürte den Regen. Schließlich sprach Bernie.
«Und du dachtest, ich würde von… Du dachtest, wir hätten damit etwas zu tun?«Bernie kniff ungläubig die Augen zusammen.»Mein Gott! Das ist verrückt!«
«Nein, das ist es nicht. Es stimmt alles. Ich habe es gesehen.«»Du sagst, Ali wüßte nichts?«fragte Leila.
«Man hat mir aufgetragen, ihr nichts zu sagen, das haben die von mir verlangt!«
«Wer? Jemand, den du nicht einmal am Telefon erreichen kannst? Ein Mann, den Washington nicht bestätigen kann? Jemand, der dir solche Lügen über uns aufgetischt hat?«
«Ein Mann ist getötet worden! Meine Familie hätte letzten Mittwoch getötet werden können! Die Cardones und die Tremaynes sind gestern nacht mit Gas betäubt worden!«
Osterman sah seine Frau an, dann wanderte sein Blick zu Tanner zurück.
«Falls sie wirklich mit Gas betäubt worden sind«, sagte er leise.
«Du mußt es Alice sagen«, drängte Leila.»Du kannst ihr das nicht länger vorenthalten.«
«Ich weiß. Das werde ich auch tun.«
«Und dann müssen wir hier weg«, sagte Osterman.
«Wohin?«
«Nach Washington. Es gibt da ein oder zwei Senatoren, ein paar Kongreßabgeordnete. Freunde von uns.«
«Bernie hat recht. Wir haben Freunde in Washington.«
Das Tröpfeln ging in kräftigen Regen über.»Gehen wir hinein«, sagte Leila und berührte Tanner leicht an der Schulter.
«Wartet! Drinnen können wir nicht reden. Wir können im Haus nichts sagen.«
Bernie und Leila reagierten, als ob man sie geohrfeigt hätte.»Überall?«fragte Bernie.
«Ich weiß nicht — ich weiß überhaupt nichts mehr.«
«Dann sprechen wir im Haus nicht, und wenn wir es tun, drehen wir das Radio auf volle Lautstärke und flüstern.«
Tanner sah seine Freunde an. Gott sei Dank! Gott sei Dank! Dies war der Anfang seiner Reise zurück in das Land der Vernunft.