Sonntagnachmittag in Saddle Valley, New Jersey. Die zwei Streifenwagen rollten wie gewöhnlich die Straßen hinauf und hinunter, aber sie rollten langsam dahin und bogen scheinbar träge in die schattigen Seitenstraßen. Die Fahrer lächelten den Kindern zu und winkten den Leuten zu, die ihren sonntäglichen Verrichtungen nachgingen. Man konnte Golftaschen und Tennisschläger in kleinen ausländischen Cabriolets und glänzenden Kombis sehen. Die Sonne leuchtete hell vom Himmel, die Bäume und der Rasen glänzten, erfrischt vom Julisturm.
Saddle Valley war wach, bereitete sich auf einen perfekten Sonntagnachmittag vor. Die Wählscheiben von Telefonen wurden gedreht, Pläne gemacht, unzählige Entschuldigungen für den vergangenen Abend angeboten. Sie wurden weggelacht— was zum Teufel, der letzte Abend war schließlich Samstagabend gewesen. In Saddle Valley, New Jersey, pflegte man alles, was sich Samstagabend zutrug, schnell zu vergelten.
Eine dunkelblaue Limousine mit Weißwandreifen, ein ziemlich neues Modell, fuhr in die Einfahrt der Tanners. Im Haus erhob sich John Tanner von der Couch und ging mühsam zum Fenster. Seine Brust und der ganze linke Arm waren bandagiert. Ebenso sein linkes Bein vom Schenkel bis zum Knöchel.
Tanner blickte zum Fenster hinaus auf die zwei Männer, die jetzt auf das Haus zugingen. Einen kannte er — Jenkins —, aber erst auf den zweiten Blick. Jenkins trug diesmal keine Polizeiuniform. Jetzt sah er wie ein typischer Bewohner von Saddle Valley aus — leitender Bankangestellter oder Mitarbeiter einer Werbeagentur. Den zweiten Mann kannte Tanner nicht. Er hatte ihn noch nie gesehen.
«Sie sind hier«, rief er zur Küche hinüber. Ali kam heraus und blieb im Flur stehen. Sie war ganz alltäglich gekleidet, Jeans und ein Hemd, aber ihr Blick war alles andere als alltäglich.
«Ich glaube, wir müssen das hinter uns bringen. Der Babysitter ist mit Janet draußen. Ray ist im Club. Bernie und Leila sind inzwischen wohl schon am Flughafen.«
«Wenn sie es rechtzeitig geschafft haben. Sie mußten Aussagen machen und Papiere unterschreiben. Dick hat die juristische Vertretung für alle übernommen.«
Die Glocke schlug an und Ali ging zur Tür.»Setz dich, Darling. Ganz langsam, eines nach dem anderen, hat der Arzt gesagt.«»Okay.«
Jenkins und sein ihnen unbekannter Partner traten ein. Alice brachte Kaffee, und dann setzten sich alle vier einander gegenüber.
Die Tanners auf der Couch, Jenkins und der Mann, den er als Grover vorstellte, in den Sesseln.
«Sie sind doch derjenige, mit dem ich in New York gesprochen habe, oder?«fragte John.
«Ja, der bin ich. Ich bin in der Agency. Übrigens, Jenkins auch. Er war seit eineinhalb Jahren hier eingeteilt.«
«Sie waren ein sehr überzeugender Polizeibeamter, Mr. Jenkins«, sagte Ali.
«Das war nicht schwierig. Das hier ist ein angenehmer Ort, nette Leute.«
«Ich dachte, es wäre der >Abgrund des Leders<. «Tanners Feindseligkeit war offenkundig. Die Zeit für Erklärungen war gekommen. Er hatte sie verlangt.
«Das natürlich auch«, fügte Jenkins mit leiser Stimme hinzu.
«Dann sollten wir besser drüber reden.«
«Also gut«, sagt Grover.»Ich will es in ein paar Worte zusammenfassen. >Trennen und töten.< Das war Fassetts Motto. Omegas Motto.«»Dann hat es wirklich einen Fassett gegeben. Er hat so geheißen, meine ich.«
«Freilich hat es den gegeben. Laurence Fassett war zehn Jahre lang einer der besten Agenten des CIA. Ausgezeichnete Beurteilungen, tüchtig. Und dann widerfuhr ihm einiges.«
«Er hat an den Feind verkauft.«
«So einfach ist das nie«, sagte Jenkins.»Wir wollen sagen, daß seine Loyalität wechselte. Sie hat sich drastisch verändert. Er wurde der Feind.«
«Und Sie wußten es nicht?«
Grover zögerte, ehe er antwortete. Er schien nach Worten zu suchen, die am wenigsten Schmerz bereiten würden. Er nickte kaum merkbar.»Wir haben es gewußt. Wir haben es schrittweise herausgebracht, über einige Jahre hinweg. Wenn Leute von Fassetts Kaliber abtrünnig werden, so merkt man das nie über Nacht. Das ist ein langwieriger Prozeß; eine Folge von Aufträgen mit einander widersprechenden Zielen. Über kurz oder lang zeigt sich dann ein Schema. Wenn es dazu kommt, macht man das meiste daraus — und genau das haben wir getan.«
«Mir scheint das furchtbar gefährlich und kompliziert.«
«Ein gewisses Maß an Gefahr vielleicht; kompliziert eigentlich nicht. Fassett ist manipuliert worden, so wie er Sie und Ihre Freunde manipuliert hat. Man hat ihn in die Aktion Omega eingeschaltet, weil er dazu geeignet schien. Er war brillant, und dies war eine explosive Situation. Gewisse Gesetze der Spionage sind fundamentaler Natur. Wir nahmen richtig an, daß der Feind Fassett die Verantwortung dafür übertragen würde, daß Omega intakt bliebe, er durfte nicht zulassen, daß es zerstört wurde. Er war gleichzeitig der General, der Verteidiger und die Angriffsmacht. Die Strategie war wohlüberlegt, das können Sie mir glauben. Beginnen Sie zu begreifen?«
«Ja. «Dieses Wort Tanners war kaum zu vernehmen.
«>Trenne und töte.< Omega existierte. >Abgrund des Leders< war Saddle Valley. Die Überprüfung hier ansässiger Personen brachte die Schweizer Konten der Cardones und der Tremaynes zum Vorschein. Als Osterman auftauchte, stellte sich heraus, daß auch er ein Konto in Zürich hatte. Die Umstände waren für Fassett perfekt. Er hatte drei Ehepaare gefunden, die miteinander in eine illegale — oder zumindest höchst fragwürdige — finanzielle Transaktion mit der Schweiz verwickelt waren.«
«Zürich. Deshalb hat das Wort Zürich sie alle so nervös gemacht. Cardone war ja wie vom Blitz gerührt.«
«Dazu hatte er auch allen Anlaß. Er und Tremayne. Einer der Partner in einer höchst spekulationsfreudigen Maklerfirma mit einer Menge Mafia-Finanzierungen, der andere ein Anwalt, dessen Firma sich mit zweifelhaften Fusionsgeschäften befaßte
— Tremayne, der Spezialist. Sie hätten ruiniert werden können. Osterman hatte am wenigsten zu verlieren, aber eine Anklage gegen ihn hätte bei seinen Verbindungen zu den Medien katastrophale Auswirkungen haben können. Wie Sie ja besser als wir wissen — die Welt der Medien ist höchst empfindlich.«
«Ja«, sagte Tanner ohne jedes Gefühl.
«Wenn es im Laufe des Wochenendes Fassett gelang, das Mißtrauen zwischen den drei Ehepaaren so zu verstärken, daß sie anfingen, einander Vorwürfe an den Kopf zu werfen — würde der nächste Schritt Gewalt sein. Und sobald diese Möglichkeit einmal bestand, beabsichtigte das echte Omega, wenigstens zwei der Ehepaare zu ermorden. Dann konnte Fassett uns ein Ersatz-Omega liefern. Wer würde ihm da widersprechen können? Die Betreffenden würden tot sein. Es war brillant.«
Tanner erhob sich mit schmerzverzerrtem Gesicht von der Couch und hinkte an den offenen Kamin. Er hielt sich verärgert am Sims fest.
«Ich bin froh, daß Sie dasitzen und professionelle Meinungen äußern können. «Er wandte sich den Agenten zu.»Sie hatten nicht das Recht, nicht das Recht! Meine Frau, meine Kinder sind beinahe ermordet worden! Wo waren denn Ihre Männer draußen auf dem Grundstück? Was ist denn aus all den Schutzvorrichtungen der größten Firma der Welt geworden?
Wer hat denn auf diesen elektronischen — Dingern gelauscht, die angeblich im ganzen Hause installiert waren? Wo waren denn die Leute? Man ließ uns alleine in diesem Keller, ließ zu, daß wir beinahe starben!«
Grover und Jenkins warteten. Sie akzeptierten Tanners Feindseligkeit ruhig und voll Verständnis. Dies war nicht das erste Mal, daß sie solches erlebten. Und dann sagte Grover leise, gleichsam als Kontrapunkt zu Tanners Ärger.
«In Operationen wie diesen rechnen wir damit, daß Fehler — ich will ehrlich sein, üblicherweise ein größerer Fehler — passieren. Das ist unvermeidbar, wenn man die Logistik bedenkt.«
«Was für ein Fehler?«
Jetzt sprach Jenkins.»Die Frage möchte ich gerne beantworten. Der Fehler war der meine. Ich war der leitende Beamte in >Leder< und der einzige, der wußte, das Fassett abtrünnig geworden war. Der einzige. Am Samstagnachmittag sagte McDermott mir, daß Cole außergewöhnliche Informationen ausfindig gemacht hatte und mich sofort sprechen müsse. Ich habe das nicht mit Washington überprüft, es nicht bestätigen lassen. Ich habe es einfach akzeptiert und bin so schnell ich konnte in die Stadt gefahren. Ich dachte, daß Cole oder sonst jemand hier in >Leder< herausgebracht hatte, wer Fassett wirklich war. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätten wir völlig neue Anweisungen aus Washington bekommen müssen.«
«Wir waren vorbereitet«, unterbrach Grover.»Alternativpläne standen bereit.«
«Ich fuhr nach New York, begab mich in die Hotelsuite — und Cole war nicht da. Ich weiß, daß das unglaublich klingt, aber er war essen gegangen. Er war einfach zum Abendessen gegangen. Er hatte den Namen des Restaurants hinterlassen, also fuhr ich hin. Dies alles nahm Zeit in Anspruch. Taxis, Verkehr. Ich konnte nicht telefonieren; alle Gespräche wurden mitgeschnitten. Fassett hätte etwas erfahren können. Schließlich erreichte ich Cole. Er wußte nicht, wovon ich redete. Er hatte keine Nachricht geschickt.«
Jenkins hielt inne, sein Bericht ärgerte ihn und war ihm sichtlich peinlich.
«Das war der Fehler?«fragte Ali.
«Ja. Das verschaffte Fassett die Zeit, die er brauchte. Ich verschaffte ihm die Zeit.«
«Riskierte Fassett denn nicht zuviel? Schließlich ging er damit doch selbst in die Falle? Cole hatte geleugnet, eine Nachricht geschickt zu haben.«
«Das Risiko hat er einkalkuliert. Sich die Zeit dafür ausgerechnet. Da Cole dauernd mit >Leder< in Verbindung war, konnte eine einzige Nachricht, besonders eine aus zweiter Hand, leicht verstümmelt werden. Die Tatsache, daß ich darauf hereinfiel, sagte ihm auch noch etwas. Einfach ausgedrückt, ich mußte getötet werden.«
«Das erklärt aber die Wachen draußen nicht. Daß Sie nach New York fuhren, erklärt nicht, daß die Wachen nicht mehr da waren.«
«Wir sagten doch, daß Fassett brillant war«, fuhr Grover fort.»Wenn wir Ihnen sagen, weshalb die Leute nicht da waren, weshalb im Umkreis von Meilen keine einzige Streife war, werden Sie begreifen, wie brillant. Er hat systematisch sämtliche Männer von Ihrem Grundstück abgezogen, und zwar mit der Begründung, daß Sie Omega wären. Der Mann, den sie mit ihrem eigenen Leben beschützten, war in Wirklichkeit der Feind.«
«Was?«
«Denken Sie darüber nach. Sobald Sie einmal tot waren — wer konnte da noch das Gegenteil beweisen?«
«Aber warum glaubten sie das?«
«Die elektronischen Lauschgeräte. Sie funktionierten in Ihrem ganzen Hause plötzlich nicht mehr. Eines nach dem anderen fielen sie aus. Sie waren der einzige hier, der von ihrer Existenz wußte. Deshalb waren Sie derjenige, der sie ausschaltete.«»Aber das stimmt doch nicht! Ich wußte nicht einmal, wo sie waren! Ich weiß es immer noch nicht!«»Das hätte auch keinen Unterschied gemacht. «Diesmal sprach wieder Jenkins.»Die Kapazität dieser Sender reichte nur sechsunddreißig bis achtundvierzig Stunden. Nicht länger. Ich habe Ihnen gestern nacht einen gezeigt. Man hat ihn mit Säure behandelt. Es war bei allen der Fall. Die Säure hatte sich langsam durch die Stromkreise gefressen und die Geräte zerstört. Aber die Männer draußen wußten nur, daß sie nicht mehr funktionierten. Und dann erklärte Fassett, er hätte einen Fehler gemacht. Sie wären Omega, und er hätte das nicht erkannt. Man berichtete mir, daß er das sehr geschickt angepackt hat. Wenn ein Mann wie Fassett einen größeren Fehler zugibt, hat das etwas höchst Eindrucksvolles an sich. Er hat die Streifen zurückgezogen, und dann rückten er und MacAuliff für den Todesstoß vor. Sie waren dazu imstande, weil ich nicht hier war, um sie aufzuhalten. Er hatte mich vom Schauplatz des Geschehens entfernt.«
«Wußten Sie über MacAuliff Bescheid?«
«Nein«, antwortete Jenkins.»Er stand nicht einmal unter Verdacht. Die Deckung, die er sich verschafft hatte, war genial. Ein spießiger Kleinstadtpolizist, ehemaliger Angehöriger der New Yorker Polizei und darüber hinaus ein Rechtsradikaler. Offengestanden, der erste Hinweis, den wir bekamen, war Ihre Aussage, daß der Polizeiwagen nicht angehalten hatte, als Sie ihm aus dem Keller ein Zeichen gaben. Keiner der beiden Streifenwagen befand sich zu der Zeit in der Umgebung Ihres Hauses; das hat MacAuliff eindeutig geklärt. Aber er bewahrt in seinem Kofferraum ein rotes Signallicht auf. Eine ganz einfache Vorrichtung, die man auf dem Wagendach befestigen kann. Er umkreiste Ihr Haus, versuchte, Sie herauszulocken. Als er schließlich hierher kam, fielen uns zwei Dinge auf. Zunächst, daß man ihn über das Funkgerät in seinem Wagen erreicht hatte. Nicht zu Hause. Und zum zweiten eine allgemeine Bemerkung der Diensthabenden. Daß MacAuliff sich nämlich die ganze Zeit den Leib hielt und behauptete, seine Magengeschwüre machten ihm zu schaffen. Aber in MacAuliffs Akten war von Magengeschwüren nichts bekannt. Es war möglich, daß er verletzt worden war. Das erwies sich auch als richtig. Sein >Geschwür< war eine Schnittwunde, die er Mr. Osterman zu verdanken hatte.«
Tanner griff nach einer Zigarette. Ali zündete sie ihm an.
«Wer hat den Mann in dem Wäldchen getötet?«
«MacAuliff. Machen Sie sich da keine Vorwürfe. Er hätte ihn getötet, ob Sie nun aufstanden und das Licht einschalteten oder nicht. Er hat auch Ihre Familie am letzten Mittwoch mit Gas betäubt. Er hat dazu Gas verwendet, das der Polizei für die Bekämpfung von Unruhen zur Verfügung steht.«
«Und was ist mit unserem Hund? Im Schlafzimmer meiner Tochter.«
«Fassett«, sagte Grover.»Sie ließen um dreiviertel Zwei Eiswürfel liefern; sie wurden vor dem Haus abgelegt. Fassett sah eine Chance, Panik zu erzeugen, also trug er sie ins Haus. Sie waren alle am Pool. Sobald er einmal im Haus war, konnte er handeln; schließlich ist er Profi. Er war einfach ein Mann, der Eiswürfel lieferte. Selbst wenn Sie ihn gesehen hätten, hätte er Ihnen sagen können, es handle sich um eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme seinerseits. Sie hätten bestimmt keinen Verdacht geschöpft. Und Fassett war ganz offensichtlich der Mann auf der Straße, der die Cardones und die Tremaynes betäubt hat.«
«Alles war darauf abgestimmt, uns alle in einem dauernden Zustand der Panik zu halten. Ohne Unterlaß. Mein Mann sollte dadurch gezwungen werden, einen unserer Freunde für den Schuldigen zu halten. «Ali starrte Tanner an und sagte dann mit leiser Stimme:»Und was haben wir getan? Wie haben wir reagiert?«
«Irgendwann war ich von jedem einzelnen überzeugt, daß er — oder sie — sich verraten hatte. Völlig überzeugt.«
«Sie hielten verzweifelt nach Hinweisen Ausschau. Die Beziehungen in diesem Hause während des Wochenendes waren im höchsten Grade persönlich. Fassett wußte das. «Grover sah zu Jenkins hinüber.»Sie mußten natürlich erkennen, daß alle Angst hatten. Sie hatten auch guten Grund dazu. Unabhängig von ihren eigenen persönlichen, beruflichen Schuldgefühlen teilten sie alle eine ganz besondere Schuld.«
«Zürich?«
«Genau. Das erklärt das, was sie am Ende taten. Cardone fuhr gestern nacht nicht zu seinem Vater in Philadelphia, der im Sterben lag. Er hatte seinen Partner Bennett angerufen und ihn gebeten herauszukommen. Er wollte nicht am Telefon mit ihm sprechen. Er dachte, sein Haus könnte vielleicht beobachtet werden. Und doch wollte er sich nicht weit von seiner Familie entfernen.
Sie trafen sich in einer Imbißstube an der Staatsstraße 5. Cardone erzählte Bennett von seinen Manipulationen in Zürich und bot an, von seinem Posten zurückzutreten. Er hatte die Idee, sich als Kronzeuge zu stellen, falls man ihm Immunität zusagte.«
«Tremayne sagte, er würde heute morgen abreisen.«
«Swissair. Direktflug nach Zürich. Er ist ein guter Anwalt und versteht sich auf diese Art von Verhandlungen. Er wollte retten, was zu retten war.«
«Dann ließen sie beide — unabhängig voneinander — Bernie im Stich.«
«Mr. und Mrs. Osterman hatten ihre eigenen Pläne. Ein Syndikat in Paris war bereit, ihre Investitionen zu übernehmen. Sie hätten nur ein Telegramm an ihre Anwälte in Paris zu schicken brauchen.«
Tanner stand auf und hinkte zu dem Fenster, das ihm den Blick auf den hinteren Teil seines Grundstücks bot. Er war nicht sicher, ob er noch mehr hören wollte. Die Krankheit grassierte überall. Sie ließ, wie es schien, niemanden unberührt. Fassett hatte das gesagt.
Das ist eine Spirale, Mr. Tanner. Niemand lebt mehr isoliert, gleichsam in einer Tiefkühltruhe.
Er drehte sich langsam zu den Regierungsbeamten um.»Es sind immer noch Fragen offen.«»Wir werden nie alle Antworten liefern können«, sagte Jenkins.»Ganz gleich, was wir Ihnen jetzt sagen, werden diese Fragen noch lange da sein. Sie werden Ungereimtheiten finden, scheinbare Widersprüche, und daraus werden wieder Zweifel werden. Alles war für Sie zu subjektiv, zu persönlich. Sie haben fünf Tage lang in einem Zustand der Erschöpfung gearbeitet, mit wenig oder gar keinem Schlaf. Auch darauf baute Fassett.«»Das meine ich nicht. Ich meine konkrete Dinge. Leila trug eine Brosche, die man in der Finsternis sehen konnte. In der Wand hinter ihr waren keine Einschüsse. Ihr Mann war nicht hier, als ich gestern nacht im Ort war. Jemand hat mir dort die Reifen zerschnitten und versucht, mich zu überfahren. Das Treffen am Lassiter-Bahnhof war meine Idee. Wie konnte Fassett davon gewußt haben, wenn nicht einer von ihnen es ihm gesagt hatte? Wie können Sie so sicher sein? Sie wußten nicht über MacAuliff Bescheid. Woher wissen Sie denn, daß sie nicht…«John Tanner hielt inne, als ihm klar wurde, was zu sagen er im Begriffe war. Er sah Jenkins an, der ihn seinerseits anstarrte.
Jenkins hatte die Wahrheit gesprochen. Die Zweifel waren wieder da.
Grover lehnte sich in seinem Sessel vor.»Alles wird zur rechten Zeit beantwortet werden. Jene Fragen sind nicht schwierig. Fassett und MacAuliff arbeiteten als Team. Fassett hatte veranlaßt, daß die Abhörleitungen auf seinen neuen Standort geschaltet wurden, sobald er das Hotel verließ. Er hätte leicht MacAuliff anrufen und veranlassen können, daß er Sie tötete, um dann selbst zum Bahnhof zu fahren, als MacAuliff ihm sagte, daß sein Vorhaben mißlungen war. Es ist kein Problem, sich andere Fahrzeuge zu verschaffen, und keine besondere Kunst, Reifen zu zerschneiden. - Mrs. Ostermans Brosche? Ein Zufall. Die Wand ohne Einschüsse? So wie diese Wand steht, ist direkter Beschuß fast unmöglich.«
«>Fast<, >hätte<, >können<… O Gott!«Tanner ging zum Sofa zurück und setzte sich schwerfällig. Er griff nach Alis Hand.»Augenblick. «Er fuhr zögernd fort:»Gestern nachmittag — ist in der Küche — etwas geschehen…«»Das wissen wir«, unterbrach ihn Jenkins mit leiser Stimme.»Ihre Frau hat es uns gesagt.«
Ali sah John an und nickte. Ihre Augen blickten traurig.
«Ihre Freunde, die Ostermans, sind bemerkenswerte Leute«, fuhr Jenkins fort.»Mrs. Osterman sah, daß ihr Mann Ihnen helfen wollte, helfen mußte. Er konnte nicht einfach dableiben und zusehen, wie Sie getötet wurden. Sie stehen einander sehr nahe. Sie erteilte ihm die Erlaubnis, sein Leben für Sie aufs Spiel zu setzen.«
John Tanner schloß die Augen.
«Ich würde nicht darüber nachdenken«, sagte Jenkins.
Tanner sah Jenkins an und begriff.
Grover erhob sich aus seinem Sessel. Das war ein Signal für Jenkins, der es ihm gleich tat.
«Wir werden jetzt gehen. Wir wollen Sie nicht ermüden. Später wird noch genug Zeit sein. Das sind wir Ihnen schuldig… Oh, eines noch. Das gehört Ihnen. «Grover griff in die Tasche und holte einen Umschlag heraus.
«Was ist das?«
«Die Erklärung, die Sie für Fassett unterschrieben haben. Ihre Übereinkunft mit Omega. Sie werden mein Wort dafür akzeptieren müssen, daß die Bandaufzeichnung in den Archiven begraben ist. Auf tausend Jahre verschwunden. Um beider Länder willen.«
«Ich verstehe… Eines noch. «Tanner hielt inne, er hatte Angst vor seiner eigenen Frage.
«Ja, bitte?«
«Welcher von ihnen hat Sie gerufen? Wer hat Ihnen das von dem Lassiter-Bahnhof gesagt?«
«Sie haben es gemeinsam getan. Sie trafen sich alle hier und beschlossen, die Polizei anzurufen.«
«Einfach so?«
«Das ist ja die Ironie des Ganzen, Mr. Tanner«, sagte Jenkins.»Wenn sie das, was sie hätten tun sollen, früher getan hätten, wäre nichts von all dem geschehen. Aber sie haben sich erst letzte Nacht zusammengetan und einander die Wahrheit gesagt.«
Saddle Valley war von Flüstern erfüllt. In dem schwach beleuchteten Pub sammelten sich Männer in kleinen Grüppchen und redeten leise miteinander. Im Club saßen Ehepaare um den Pool und unterhielten sich mit leiser Stimme über die schrecklichen Dinge, die ihr ruhiges, sympathisches Zuhause berührt hatten.
Seltsame Gerüchte waren im Umlauf — die Cardones hatten einen langen Urlaub angetreten, und niemand wußte wo; in der Firma gab es Schwierigkeiten, sagten manche. Richard Tremayne trank mehr als gewöhnlich, und schon das, was er gewöhnlich trank, war zuviel. Und auch andere Geschichten über die Tremaynes waren im Umlauf. Das Mädchen war nicht mehr bei ihnen. Das Haus bei weitem nicht mehr das, was es einmal gewesen war. Virginias Garten sah bereits ungepflegt aus.
Aber bald hörten die Geschichten auf. Saddle Valley war durchaus widerstandsfähig. Die Leute vergaßen nach einer Weile, sich nach den Cardones und den Tremaynes zu erkundigen. Eigentlich hatten sie ohnehin nie hineingepaßt. Ihre Freunde waren eigentlich nicht von der Art, wie man sie im Club gerne hatte. Es war einfach nicht die Zeit, sich viele Gedanken zu machen. Es gab so viel zu tun. Saddle Valley war im Sommer ein herrlicher Platz. Warum sollte es das auch nicht sein?
Isoliert, sicher, unverletzbar.
Und John Tanner wußte, daß es nie wieder ein Osterman-Weekend geben würde. Teile und töte. Omega hatte trotz allem gesiegt.