Diane und Kelly waren am Aeropuerto Barajas, dem Flughafen von Madrid, ausgestiegen und suchten nach einem Mietwagen. Hier waren alle großen Autovermietungen vertreten, Hertz, Europe Car, Avis und andere, aber sie entschieden sich für Alesa, eine eher unbekannte Firma.
»Wie kommt man am schnellsten nach San Sebastian?«, fragte Diane.
»Das ist ganz einfach, Senora. Fahren Sie auf der N 1 in Richtung Nordwesten, nach Burgos, und von dort aus über Vitoria nach San Sebastian. Die Fahrt dauert etwa vier, fünf Stunden.«
»Gracias.«
Kurz darauf brachen Kelly und Diane auf.
Als der Privatjet der KIG in Madrid gelandet war, begab sich Harry Flint umgehend zu den Mietwagenfirmen und lief von einem Schalter zum anderen.
»Ich wollte mich mit meiner Schwester und ihrer Freundin, einer bildschönen Afroamerikanerin, hier treffen, habe sie aber verpasst. Sie sind heute Morgen mit Delta Airlines aus New York eingetroffen. Haben sie vielleicht bei Ihnen ein Auto gemietet . ?«
»No, Senor.«
»No, Senor.«
»No, Senor.«
Am Alesa-Schalter hatte Flint endlich Glück.
»O ja, Senor. Ich kann mich genau an sie erinnern. Sie .«
»Können Sie sich auch noch erinnern, was für einen Wagen sie gemietet haben?«
»Es war ein Peugeot.«
»Welche Farbe?«
»Rot. Es war unser einziger .«
»Können Sie mir die Autonummer geben?«
»Natürlich. Einen Moment.«
Flint sah, wie der Angestellte ein Buch aufschlug und nachschaute.
Er nannte Flint die Nummer. »Ich hoffe, Sie finden sie.«
»Bestimmt.«
Zehn Minuten später flog Flint nach Barcelona zurück. Dort wollte er sich ein Auto mieten und sie verfolgen, bis sie zu einem Streckenabschnitt kamen, an dem kein Verkehr herrschte, sie dort von der Straße abdrängen und sich davon überzeugen, dass sie tot waren.
Diane und Kelly waren noch etwa eine Stunde von San Sebastian entfernt. Sie hatten die Hochebene der kastilischen Meseta hinter sich gelassen und näherten sich der Sierra de la Demanda. Auf der Autobahn herrschte nur wenig Verkehr, sodass sie gut vorankamen. Schweigend genossen sie die Fahrt durch die herrliche Landschaft, vorbei an Getreidefeldern, Obstplantagen, die die Luft mit dem Duft der Granatäpfel, Aprikosen und Orangen erfüllten, und alten Häusern abseits der Straße, deren Außenmauern mit Weinranken überwuchert waren. Kurz hinter der mittelalterlichen Stadt Burgos ging es in die Berge, und in der Ferne zeichneten sich die ersten Ausläufer der Pyrenäen ab.
»Wir sind bald da«, sagte Diane. Sie blickte nach vorn, runzelte die Stirn und trat dann das Bremspedal durch. Rund hundert Meter vor ihnen stand ein brennendes Auto, um das sich eine Menschenmenge geschart hatte. Die Autobahn wurde von Männern in Uniform abgesperrt.
Diane schaute verwundert. »Was ist da los?«
»Wir sind im Baskenland«, sagte Kelly. »Hier herrscht Krieg. Die Basken kämpfen schon seit über fünfzig Jahren gegen die spanische Regierung.«
Ein Mann in einer grünen Uniform mit roten und goldenen Litzen, einem schwarzen Gürtel, schwarzen Schuhen und einem schwarzen Barett trat vor ihnen auf die Fahrbahn und hob die Hand. Er deutete zum Straßenrand.
»Das ist die ETA«, murmelte Kelly leise vor sich hin. »Wir dürfen nicht anhalten. Weiß Gott, wie lange die uns hier warten lassen.«
Der Uniformierte kam zu ihrem Wagen und beugte sich herab. »Ich bin Capitan Iradi. Steigen Sie bitte aus.«
Diane schaute ihn an und lächelte. »Ich würde Ihnen ja gern helfen, aber wir sind mit unserem eigenen Kampf beschäftigt.« Sie trat das Gaspedal durch, lenkte den Wagen um das brennende Auto herum, wich den schreienden Schaulustigen aus und raste davon.
Kelly hatte die Augen geschlossen. »Haben wir jemanden gerammt?«
»Alles bestens.«
Als Kelly die Augen wieder aufschlug und in den Seitenspiegel blickte, erstarrte sie. Ein schwarzer Citroën Berlingo fuhr hinter ihnen, und sie konnte den Mann am Lenkrad erkennen.
»Das ist Godzilla!«, stieß Kelly hervor. »Er sitzt in dem Auto hinter uns.«
»Was? Wie konnte er uns so schnell finden?« Diane trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Trotzdem holte der Citroën allmählich auf. Diane warf einen Blick auf den Tacho. Der Zeiger stand bei 175 Stundenkilometer.
»So schnell darf man wahrscheinlich nicht mal auf der Rennstrecke in Indianapolis fahren«, sagte Kelly nervös.
Rund anderthalb Kilometer weiter vorn sah Diane den Kontrollpunkt der spanisch-französischen Grenze.
»Schlagen Sie mich«, sagte sie.
Kelly lachte. »Ich habe doch bloß Spaß gemacht, weil ...«
»Schlagen Sie mich«, herrschte Diane sie mit drängendem Tonfall an.
Der Citroën kam näher.
»Was wollen Sie ...?«:
»Machen Sie schon!«
Halbherzig versetzte Kelly ihr eine Ohrfeige.
»Nein. Schlagen Sie fest zu.«
Mittlerweile befanden sich nur noch zwei andere Autos zwischen ihnen und dem Citroën.
»Schnell«, rief Diane.
Kelly wand sich innerlich, als sie die Faust ballte und Diane auf die Wange schlug.
»Fester.«
Wieder schlug Kelly zu. Diesmal riss der Diamant an ihrem Ehering Dianes Wange auf, die sofort blutete.
Kelly schaute Diane entsetzt an. »Tut mir Leid, Diane. Ich wollte nicht .«
Sie hatten die Grenzstation erreicht. Diane trat auf die Bremse.
Der Grenzposten kam zu ihrem Wagen. »Buenas tardes, Senoras.«
»Guten Tag.« Diane wandte den Kopf nach links, damit der Posten das Blut sehen konnte, das ihr über die Wange lief.
Entgeistert schaute er auf die Wunde. »Senora, was ist passiert?«
Diane biss sich auf die Lippe. »Das war mein Exmann. Er schlägt mich immer. Ich habe schon eine gerichtliche Verfügung gegen ihn erwirkt, aber ich ... ich komme nicht gegen ihn an. Er stellt mir ständig nach. Er ist da hinten. Ich weiß, dass es sinnlos ist, Sie um Hilfe zu bitten. Niemand kann ihn aufhalten.«
Mit grimmiger Miene wandte sich der Posten um und musterte die Wagen, die vor der Kontrollstelle warteten. »In welchem Auto sitzt er?«
»In dem schwarzen Citroën. Zwei Wagen weiter hinten. Ich glaube, er will mich umbringen.«
»Aha, tatsächlich?«, knurrte der Posten. »Fahren Sie weiter, Senoras. Wegen dem brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen.«
Diane schaute ihn an und sagte: »Oh, danke. Vielen Dank.«
Kurz darauf passierten sie die Grenze und fuhren nach Frankreich.
»Diane .«
»Ja?«
Kelly legte ihr die Hand auf die Schulter. »Es tut mir ja so Leid .« Sie deutete auf Dianes Wange.
Diane grinste. »Dadurch sind wir Godzilla losgeworden, nicht wahr?« Sie warf Kelly einen kurzen Blick zu. »Sie weinen ja.«
»Nein. Tu ich nicht.« Kelly schniefte. »Das liegt nur an der verdammten Wimperntusche. Was Sie da gemacht haben . Sie sind nicht nur das hübsche Frauchen, was?«, fragte Kelly, während sie Dianes Wunde mit einem Taschentuch abtupfte.
Diane blickte in den Rückspiegel und verzog das Gesicht.
»Nein, nicht mehr.«
Als Harry Flint zu der Kontrollstation kam, erwartete ihn der Grenzposten bereits. »Steigen Sie bitte aus.«
»Dafür habe ich keine Zeit«, sagte Flint. »Ich hab’s eilig. Ich muss .«
»Steigen Sie aus.«
Flint schaute ihn an. »Warum? Was ist los?«
»Bei uns ist eine Meldung eingegangen, dass ein Wagen mit diesem Kennzeichen Drogen geschmuggelt hat. Wir müssen Ihr Fahrzeug auseinander nehmen.«
Flint funkelte ihn an. »Sind Sie verrückt? Ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich’s eilig habe. Man schmuggelt doch keine Drogen in ...« Er verstummte und lächelte. »Schon kapiert.« Er griff in seine Tasche und reichte dem Posten einen Hundertdollarschein. »Bitte sehr. Nehmen Sie’s, und vergessen Sie die Sache.«
»José!«, rief der Posten.
Ein Capitän in Uniform kam aus dem Wachhäuschen. Der Posten reichte ihm den Hundertdollarschein. »Das ist ein Bestechungsversuch.«
»Steigen Sie aus dem Wagen«, sagte der Capitan zu Flint.
»Sie sind wegen versuchter Bestechung festgenommen. Fahren Sie auf den Parkplatz .«
»Nein. Sie dürfen mich jetzt nicht festnehmen. Ich bin mitten in .«
»Und wegen Widerstands.« Er wandte sich an den Posten.
»Rufen Sie Verstärkung.«
Flint holte tief Luft und warf einen Blick nach vorn. Der Peugeot war bereits außer Sicht.
Er wandte sich an den Capitan. »Ich muss telefonieren.«
Zu ihrer Linken erstreckte sich das Meer, und rechts ragten die Ausläufer der Pyrenäen auf, als Diane und Kelly durch die südwestfranzösische Küstenebene fuhren. Bayonne lag unmittelbar vor ihnen.
»Sie sagten, Sie haben einen Freund in Paris?«, erinnerte sich Diane.
»Ja. Sam Meadows. Er hat mit Mark gearbeitet. Ich habe das Gefühl, dass er uns weiterhelfen kann.« Kelly griff in ihre Handtasche, holte ihr neues Handy heraus und wählte eine Nummer in Paris.
»KIG«, meldete sich die Vermittlung.
»Könnte ich bitte Sam Meadows sprechen?«
Kurz darauf hörte Kelly seine Stimme.
»Hallo.«
»Sam, Kelly hier. Ich bin auf dem Weg nach Paris.«
»Mein Gott! Ich bin außer mir vor Sorge um dich. Ist alles in Ordnung?«
Kelly zögerte. »Ich glaube schon.«
»Das ist der reinste Albtraum«, sagte Sam Meadows. »Ich kann’s immer noch nicht fassen.«
Ich auch nicht, dachte Kelly. »Sam, ich muss dir etwas sagen. Ich glaube, Mark wurde ermordet.«
»Das glaub ich auch.« Bei seiner Antwort lief es ihr eiskalt über den Rücken.
Kelly brachte kaum ein Wort heraus. »Ich muss erfahren, was passiert ist. Kannst du mir helfen?«
»Ich glaube, darüber sollten wir nicht am Telefon sprechen, Kelly.« Er war um einen beiläufigen Tonfall bemüht.
»Ich ... ich verstehe.«
»Warum reden wir nicht morgen Abend miteinander? Wir können bei mir zu Abend essen.«
»Gut.«
»Um sieben?«
»Ich komme vorbei«, sagte Kelly.
Sie stellte das Telefon ab. »Morgen Abend werde ich mehr wissen.«
»Ich fliege unterdessen nach Berlin und rede mit den Leuten, die mit Franz Verbrügge zusammengearbeitet haben.«
Kelly war mit einem Mal schweigsam.
Diane warf ihr einen Blick zu. »Was ist los?«
»Nichts. Es ist nur - wir sind so ein tolles Team. Ich darf gar nicht daran denken, dass wir uns trennen. Wieso fahren wir nicht zusammen nach Paris und ...?«:
Diane lächelte. »Wir trennen uns doch nicht, Kelly. Wenn Sie mit Sam Meadows gesprochen haben, rufen Sie mich an. Wir können uns in Berlin treffen. Bis dahin sollte ich einiges erfahren haben. Wir haben unsere Handys. Wir können jederzeit in Verbindung bleiben. Ich bin schon ganz gespannt darauf, was Sie morgen Abend erfahren.«
Dann waren sie endlich in Paris.
Diane warf einen Blick in den Rückspiegel. »Weit und breit kein schwarzer Citroën. Wir haben sie endgültig abgehängt. Wohin soll ich Sie bringen?«
Kelly schaute aus dem Fenster. Sie näherten sich der Place de la Concorde.
»Diane, warum setzen Sie mich nicht einfach ab und fahren schon mal weiter? Ab hier kann ich mir ein Taxi nehmen.«
»Sind Sie sicher?«
»Absolut.«
»Seien Sie vorsichtig.«
»Sie auch.«
Zwei Minuten später saß Kelly in einem Taxi und war unterwegs zu ihrem Apartment. Sie konnte es kaum abwarten, wieder nach Hause zu kommen. In ein paar Stunden würde sie sich mit Sam Meadows zum Abendessen in dessen Wohnung treffen.
Kelly war zutiefst erleichtert, als das Taxi vor ihrem Apartmenthaus hielt. Endlich war sie wieder zu Hause. Der Portier öffnete ihr die Tür.
Kelly blickte auf und sagte: »Ich bin wieder da, Martin .«
Dann stockte sie. Der Portier war ihr völlig unbekannt.
»Guten Tag, Madame.«
»Guten Tag. Wo ist Martin?«
»Martin arbeitet nicht mehr hier. Er hat gekündigt.«
Kelly war betroffen. »Oh, das tut mir Leid.«
»Bitte, Madame, gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Ich bin Jérôme Malo.«
Kelly nickte.
Sie ging ins Foyer. Ein großer, schlanker Mann, den sie nicht kannte, stand neben Nicole Paradis an der Rezeption.
Der Fremde lächelte. »Guten Abend, Madame Harris. Wir haben Sie erwartet. Ich bin Alphonse Girouard, der Concierge des Hauses.«
Kelly blickte sich verdutzt um. »Wo ist Philippe Cendre?«
»Ah. Philippe und seine Familie sind nach Spanien gezogen.« Er zuckte die Achseln. »Eine neue berufliche Herausforderung, glaube ich.«
Kelly wurde mit einem Mal unruhig. »Und ihre Tochter?«
»Sie ist mit ihnen weggezogen.«
Habe ich Ihnen schon erzählt, dass meine Tochter an der Sorbonne angenommen wurde? Für uns ist ein Traum in Erfüllung gegangen.
Kelly versuchte so ruhig wie möglich zu klingen. »Wann sind sie weggezogen?«
»Vor ein paar Tagen. Aber machen Sie sich bitte keine Gedanken, Madame. Wir werden uns auch künftig gut um Sie kümmern. Ihr Apartment ist für Sie vorbereitet.«
Nicole Paradis, die an der Rezeption saß, blickte auf. »Willkommen daheim.« Aber ihr Blick besagte etwas anderes.
»Wo ist Angel?«
»Oh, der kleine Hund? Philippe hat ihn mitgenommen.«
Kelly konnte nur mühsam die Panik unterdrücken. Sie bekam kaum noch Luft.
»Wollen wir uns hinaufbegeben, Madame? Wir haben in Ihrem Apartment eine kleine Überraschung für Sie vorbereitet.«
Ganz bestimmt. Kellys Gedanken überschlugen sich. »Ja, einen Moment noch«, sagte sie. »Ich muss nur noch kurz etwas holen.«
Ehe Girouard etwas sagen konnte, war Kelly draußen und rannte die Straße entlang.
Jérôme Malo und Alphonse Girouard standen auf dem Bürgersteig und hielten Ausschau nach ihr. Sie hatten sich überrumpeln lassen, und jetzt war es zu spät. Sie konnten sie nicht mehr aufhalten. Ohnmächtig mussten sie mit ansehen, wie sie in ein Taxi stieg.
Mein Gott! Was haben sie mit Philippe und seiner Familie gemacht? Und mit Angel?, fragte sich Kelly.
»Wohin, Madame?«
»Fahren Sie einfach los!« Heute Abend werde ich erfahren, was hinter dieser ganzen Sache steckt, dachte Kelly. Bis dahin muss ich noch vier Stunden totschlagen.
In seinem Apartment beendete Sam Meadows gerade ein Telefongespräch. »Ja. Mir ist klar, wie wichtig es ist. Ich werde mich darum kümmern ... Ich erwarte sie in ein paar Minuten zum Abendessen ... ja ... Ich habe bereits dafür gesorgt, dass jemand die Leiche beseitigt ... Vielen Dank. Das ist sehr großzügig, Mr. Kingsley.«
Sam Meadows legte den Hörer auf und warf einen Blick auf seine Uhr. Sein Gast müsste jede Minute eintreffen.