5

In Orly stand eine Limousine bereit, die sie zum Hotel Plaza Athénée brachte.

»Ihre Suite ist für Sie vorbereitet, Mr. und Mrs. Stevens«, sagte der Direktor, als sie im Hotel eintrafen.

»Vielen Dank.«

Sie waren in Suite Nummer 310 untergebracht. Der Hoteldirektor schloss die Tür auf und ließ Diane und Richard eintreten. Diane blieb erschrocken stehen. An den Wänden hing ein halbes Dutzend Bilder von ihr. Sie wandte sich an Richard. »Ich ... Wie ist das ...?«

»Keine Ahnung«, erwiderte Richard treuherzig. »Ich nehme an, die Leute hier haben ebenfalls Geschmack.«

Diane gab ihm einen langen, leidenschaftlichen Kuss.

Paris war das reinste Wunderland. Zuerst gingen sie zu Givenchy und kleideten sich von Kopf bis Fuß neu ein, dann schauten sie bei Louis Vuitton vorbei und kauften sich die nötigen Koffer und Taschen.

Sie spazierten die Champs-Elysees entlang zur Place de la Concorde, bestaunten den berühmten Triumphbogen, sahen sich das Palais Bourbon und die Madeleine an. Sie liefen über die Place Vendome und verbrachten einen ganzen Tag im Louvre. Sie schlenderten durch den Skulpturengarten des Musée Rodin und speisten abends bei Kerzenschein in der Auberge de Trois Bonheurs, im Au Petit Chez Sois und im Chez Eux.

Das Einzige, was Diane merkwürdig vorkam, waren die Telefonanrufe, die Richard zu den unmöglichsten Zeiten erhielt.

»Wer war das?«, fragte Diane einmal um drei Uhr morgens, als Richard wieder ein Telefongespräch beendet hatte.

»Nur eine Routineangelegenheit.«

Mitten in der Nacht?

»Diane! Diane!«

Sie schreckte aus ihrem Tagtraum auf. Carolyn Ter beugte sich über sie. »Ist alles in Ordnung?«

»Ich ... Mir fehlt nichts.«

Carolyn schloss Diane in die Arme. »Du musst dir Zeit lassen. Es ist ja erst ein paar Tage her.« Sie zögerte kurz.

»Übrigens, hast du schon die Vorbereitungen für die Beerdigung getroffen?«

Beerdigung. Das trostloseste Wort, das es gab.

»Ich . habe das noch nicht . über mich gebracht .«

»Ich helfe dir dabei. Ich suche einen Sarg aus und .«

»Nein!«, versetzte sie schärfer als beabsichtigt.

Carolyn blickte sie verdutzt an.

Dianes Stimme bebte, als sie wieder das Wort ergriff.

»Verstehst du das denn nicht? Das ist ... das ist das Letzte, was ich für Richard tun kann. Ich möchte ihm eine Beerdigung ausrichten, die etwas Besonderes ist. Ich möchte, dass alle seine Freunde da sind und sich von ihm verabschieden.«

Tränen rannen ihr über die Wangen.

»Diane .«

»Ich muss Richards Sarg aussuchen, dafür sorgen, dass er ... bequem ruht.«

Dazu konnte Carolyn nichts mehr sagen.

Detective Earl Greenburg hielt sich an diesem Nachmittag in seinem Büro auf, als der Anruf einging.

»Diane Stevens möchte Sie sprechen.«

O nein. Greenburg dachte an die Ohrfeige, die sie ihm bei ihrer letzten Begegnung versetzt hatte. Was kommt jetzt? Vermutlich hat sie wieder irgendwas zu meckern. Er nahm das Gespräch entgegen. »Detective Greenburg.«

»Diane Stevens hier. Ich rufe aus zweierlei Gründen an. Zunächst einmal möchte ich mich entschuldigen. Ich habe mich völlig danebenbenommen, und es tut mir aufrichtig Leid.«

Damit hatte er nicht gerechnet. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Mrs. Stevens. Ich war mir darüber im Klaren, wie Ihnen zumute war.«

Er wartete. Eine Zeit lang herrschte Schweigen.

»Sie sagten, dass Sie aus zweierlei Gründen anrufen.«

»Ja. Mein Mann ...« Ihre Stimme brach. »Die Leiche meines Mannes wird von der Polizei noch irgendwo zurückgehalten. Wie bekomme ich Richard wieder? Ich bin gerade dabei, die Vorbereitungen für seine . seine Beerdigung beim Bestattungsinstitut Dalton zu treffen.«

Sie klang so verzweifelt, dass er es geradezu körperlich spüren konnte. »Mrs. Stevens, ich fürchte, dafür ist allerhand Behördenkram zu erledigen. Zunächst einmal muss die Gerichtsmedizin einen Autopsiebericht anfertigen, danach müssen die diversen . « Er dachte einen Moment lang nach, dann traf er eine Entscheidung. »Hören Sie, Sie haben genug um die Ohren. Ich regle das für Sie. In zwei Tagen dürfte alles erledigt sein.«

»Oh. Ich . ich danke Ihnen . « Dann versagte ihr die Stimme, und sie legte auf.

Earl Greenburg saß eine ganze Zeit lang da und dachte über Diane Stevens nach, über die Qualen, die sie durchstehen musste. Dann machte er sich an den Behördenkram.

Das Bestattungsinstitut Dalton befand sich an der Ostseite der Madison Avenue. Es war ein eindrucksvolles, einstöckiges Gebäude, dessen Fassade im Stil eines alten Herrenhauses in den Südstaaten gestaltet war. Auch die Innenräume waren dezent und geschmackvoll ausgestattet, mit weichem Licht, hellen Vorhängen und Wandbehängen, die jedes Geräusch dämpften.

»Ich habe einen Termin bei Mr. Jones«, sagte Diane zum Mann am Empfangstisch. »Diane Stevens.«

Der Mann am Empfang gab telefonisch Bescheid, und kurz darauf kam der Geschäftsführer, ein grauhaariger, sympathisch wirkender Mann, nach vorn und begrüßte Diane.

»Ich bin Ron Jones. Wir haben miteinander telefoniert. Ich weiß, wie schwer das derzeit alles für Sie ist, Mrs. Stevens. Deshalb sind wir dazu da, um Ihnen eine Last von der Schulter zu nehmen. Sagen Sie mir einfach, was Sie möchten, dann werden wir uns darum kümmern, dass alles nach Ihren Wünschen ausgeführt wird.«

»Ich ... ich weiß nicht mal, worum ich Sie bitten soll«, sagte Diane unsicher.

Jones nickte. »Ich werde Ihnen unsere Dienstleistungen erklären. Wir stellen einen Sarg zu Verfügung, wir richten die Trauerfeier für Ihre Freunde und Verwandten aus, wir kümmern uns um eine Grabstätte, und wir übernehmen die Bestattung.« Er zögerte einen Moment. »Den Zeitungsberichten nach zu schließen, die über den Tod Ihres Mannes erschienen sind, Mrs. Stevens, nehme ich an, dass der Sarg bei der Trauerfeier verschlossen sein soll, daher ...«

»Nein!«

Jones blickte überrascht auf. »Aber .«

»Ich möchte, dass er offen ist. Ich möchte, dass Richard ... alle seine Freunde sehen kann, bevor .« Ihre Stimme erstarb.

Jones musterte sie voller Mitgefühl. »Ich verstehe. Dann darf ich Ihnen vielleicht einen Vorschlag machen. Wir haben einen Kosmetiker, der ausgezeichnete Arbeit leistet.«

»Wenn«, fügte er taktvoll hinzu, »es vonnöten ist. Wäre Ihnen das recht?«

Richard wäre das ganz und gar nicht recht, aber ... »Ja.«

»Dann wäre da nur noch eines. Wir bräuchten die Kleidung, mit der Sie Ihren Mann bestatten möchten.«

Sie blickte ihn erschrocken an. »Die ...« Diane meinte förmlich zu spüren, wie sich die kalten Hände eines Fremden an Richards nacktem Leib zu schaffen machten, und sie erschauderte.

»Mrs. Stevens?«

Diane schluckte. »Ich habe nicht daran gedacht ...« Ihr Hals war wie zugeschnürt. »Tut mir Leid.« Sie konnte nicht weitermachen.

Jones blickte ihr nach, als sie hinaustaumelte und ein Taxi anhielt.

Zurück in ihrer Wohnung, ging Diane an Richards begehbaren Kleiderschrank. An zwei Stangen hingen seine sämtlichen Anzüge, Sakkos und Hosen. Und jedes einzelne Stück war mit Erinnerungen verbunden. Hier war der hellbraune Anzug, den Richard an dem Abend in der Galerie getragen hatte, als sie sich kennen lernten. Ich mag Ihre Kurven. Sie haben die Eleganz eines Rossetti oder Manet. Konnte sie diesen Anzug weggeben? Nein.

Sie strich mit den Fingerspitzen über das nächste Kleidungsstück. Es war das hellgraue Sportsakko, das Richard beim Picknick getragen hatte, als sie vom Regen überrascht worden waren.

Zu dir oder zu mir?

Das ist nicht nur ein kurzes Abenteuer.

Ich weiß.

Das musste sie behalten.

Danach kam der Nadelstreifenanzug. Du magst doch die französische Küche. Ich kenne ein großartiges französisches Restaurant.

Der marineblaue Blazer, die Wildlederjacke . Diane schlang die Ärmel einer blauen Anzugjacke um sich und schmiegte sich an sie. Ich will nicht ein Stück davon weggeben. Jedes einzelne war eine kostbare Erinnerung. »Ich kann es nicht.« Schluchzend ergriff sie aufs Geratewohl einen Anzug und stürmte hinaus.

Am darauf folgenden Nachmittag fand Diane eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter. »Mrs. Stevens, Detective Greenburg hier. Ich wollte Ihnen Bescheid sagen, dass von unserer Seite aus alles geklärt ist. Ich habe schon mit dem Bestattungsinstitut Dalton gesprochen. Sie können jetzt alles Erforderliche in die Wege leiten . « Einen Moment lang herrschte Stille. »Ich wünsche Ihnen alles Gute ... Auf Wiederhören.«

Diane rief Ron Jones im Bestattungsinstitut an. »Soweit ich weiß, ist der Leichnam meines Mannes mittlerweile bei Ihnen eingetroffen.«

»Ja, Mrs. Stevens. Der Kosmetiker ist bereits am Werk, und wir haben auch die Kleidungsstücke erhalten, die Sie uns geschickt haben. Vielen Dank.«

»Ich dachte . Wäre es Ihnen recht, wenn die Bestattung am kommenden Freitag stattfindet?«

»Freitag ist bestens. Bis dahin haben wir alle erforderlichen Vorbereitungen getroffen. Ich schlage morgens um elf Uhr vor.«

In drei Tagen werden Richard und ich für immer voneinander getrennt werden. Oder so lange, bis ich vielleicht wieder mit ihm vereint bin.

Am Donnerstagmorgen, als Diane mit den letzten Vorbereitungen für die Trauerfeier beschäftigt war und gerade die Liste der Gäste und Sargträger durchging, klingelte das Telefon.

»Mrs. Stevens?«

»Ja.«

»Ron Jones hier. Ich wollte Ihnen nur Bescheid geben, dass ich Ihre Papiere erhalten habe und dass wir Ihrem Wunsch gemäß umdisponiert haben.«

»Papiere ...?«, erwiderte Diane überrascht.

»Ja. Der Kurier hat sie gestern vorbeigebracht, mit Ihrem Brief.«

»Ich habe keinen .«

»Offen gestanden, war ich ein bisschen überrascht. Aber es war selbstverständlich Ihre Entscheidung. Wir haben Ihren Mann vor einer Stunde eingeäschert.«

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