Bitterer Februar, innen wie außen, Stimmung dem Wetter entsprechend, scheußlich und trüb, nahe dem Nullpunkt. Ich ging auf der Rennbahn in Newbury vom Waageraum zum Führring und gab mir Mühe, nicht nach dem Gesicht, das ja doch fehlen würde, Ausschau zu halten — dem vertrauten Gesicht von Danielle de Brescou, mit der ich offiziell verlobt war, samt Diamantring und allem.
Daß ich damals im November diese Frau gewonnen hatte, war unverhofft gekommen, ein plötzliches Erwachen, aufregend… beglückend. Sie zu halten erwies sich jetzt, in den Frösten vor dem Frühling, als teuflisch schwer. Meine innig geliebte, dunkelhaarige Freundin schien sich zu meinem Erschrecken im Moment weniger für einen Hindernisjockey (mich) zu interessieren als für einen älteren, reicheren Weltmann von besserer Herkunft (es war ein Prinz), der noch nicht einmal den Anstand hatte, schlecht auszusehen.
Ich versuchte zwar, mir nichts anmerken zu lassen, mußte aber feststellen, daß die Enttäuschung immer wieder in den Rennen durchbrach, wo ich ohne Rücksicht auf Verluste über Hindernisse jagte, bedenkenlos die Gefahr suchte, um das Gefühl der Zurückweisung auszulöschen. Es war vielleicht nicht vernünftig, mit blockiertem Verstand einer riskanten Arbeit nachzugehen, aber Beruhigungsmittel gab es in vielen Formen.
Prinzessin Casilia wartete ohne Danielles Begleitung wie üblich im Führring und beobachtete, wie ihr Starter Cascade präsentiert wurde. Ich trat zu ihr, ergriff die dargebotene Hand, machte die kleine Verbeugung, die ihrem Rang zukam.
«Kalt heute«, sagte sie zur Begrüßung, die Konsonanten ein wenig hart, die Vokale rein und klar; der Akzent ihres europäischen Heimatlandes klang nur leise an.
«Kalt, ja«, sagte ich.
Danielle war nicht mitgekommen. Natürlich nicht. Dumm von mir, darauf zu hoffen. Sie hatte am Telefon in bester Laune gesagt, daß sie das Wochenende nicht mit mir verbringen könne; sie wolle mit dem Prinzen und einigen seiner Bekannten zu einem sagenhaften» florenti-nischen «Treffen in einem Hotel im Lake District; dort werde unter anderem der Kustos der italienischen Gemäldesammlung des Louvre eine Reihe Vorträge über die italienische Renaissance halten. Es sei eine so tolle, einmalige Gelegenheit; sie sei sicher, ich hätte Verständnis dafür.
Es war bereits das dritte Wochenende, an dem sie sicher war, daß ich Verständnis hätte.
Die Prinzessin sah distinguiert aus wie immer, in den mittleren Jahren, schlank, ausgesprochen feminin, warm eingehüllt in einen üppigen Zobelmantel, der von schmalen Schultern schwang. Normalerweise war ihr hochgestecktes, glattes dunkles Haar unbedeckt, doch heute trug sie einen hohen russischen Pelzhut mit riesiger, aufgebogener Krempe, und flüchtig dachte ich, daß ihn kaum jemand stilvoller hätte tragen können. Ich ritt die rund zwanzig Pferde ihrer Koppel seit mehr als zehn Jahren und kannte die Kleidung, die sie zu Rennbahnbesuchen anzog, ziemlich gut. Der Hut war neu.
Sie bemerkte die Richtung meines Blickes und die in ihm liegende Bewunderung, sagte aber lediglich:»Zu kalt für Cascade, oder?«
«Das hält er aus«, meinte ich.»Er läuft sich beim Aufgalopp warm.«
Sie würde zu Danielles Abwesenheit nichts sagen, wenn ich davon schwieg. Stets zurückhaltend, ihre Gedanken hinter langen Wimpern verbergend, klammerte sich die Prinzessin an feine Umgangsformen wie an einen Schild gegen die schlimmsten Bedrängnisse der Welt, und ich war oft genug in ihrer Gesellschaft, um die von ihr gewählten sozialen Fassaden nicht geringzuschätzen. Sie konnte Unwetter mit Höflichkeit besänftigen, Blitze durch standhaftes Geplauder entschärfen und die kampflustigsten Gegner mit der Erwartung entwaffnen, daß sie sich gut benehmen würden. Ich wußte, es war ihr lieber, wenn ich meinen Kummer für mich behielt; sonst würde ich sie nur in Verlegenheit bringen.
Andererseits verstand sie meine gegenwärtige Misere vollkommen. Einmal war Danielle die Nichte ihres Mannes, und Litsi, der Prinz, der jetzt Danielle zu einer Vergnügungsreise ins fünfzehnte Jahrhundert entführte, war ihr eigener Neffe.
Litsi, ihr Neffe, und Danielle, die Nichte ihres Mannes, waren derzeit beide unter ihrem Dach am Eaton Square zu Gast, wo sie sich von morgens bis abends sahen… und von abends bis morgens, wenn mich nicht alles täuschte.
«Wie stehen unsere Chancen?«fragte die Prinzessin neutral.
«Ziemlich gut«, sagte ich.
Sie nickte zustimmend, voll froher Hoffnung auf einen durchaus möglichen Sieg.
Cascade war, obschon es ihm an Grips fehlte, über die 2 Meilen ein äußerst erfolgreicher Steepler und hatte in der Vergangenheit jeden seiner heutigen Konkurrenten abgehängt. Mit etwas Glück würde er es wieder schaffen; aber nichts ist jemals sicher im Rennsport… oder im Leben.
Prinz Litsi, dessen vollständiger Name ungefähr einen Meter lang und meines Erachtens unaussprechlich war, war ein Kosmopolit, gebildet, eindrucksvoll und freundlich. Er sprach perfektes Umgangsenglisch, ohne die zu harten Konsonanten seiner Tante, und das war auch nicht weiter verwunderlich, da er erst nach der Entthronung seiner königlichen Großeltern geboren worden war und einen großen Teil seiner Kindheit in England verbracht hatte.
Er lebte jetzt in Frankreich, aber wir waren uns im Lauf der Jahre einige Male begegnet, wenn er seine Tante besuchte und sie zum Pferderennen begleitete, und irgendwie hatte ich ihn gemocht, ohne ihn näher zu kennen. Als ich erfuhr, daß er wieder einmal zu Besuch käme, hatte ich überhaupt nicht daran gedacht, welchen Eindruck er auf eine intelligente junge Amerikanerin machen könnte, die bei einem Fernseh-Nachrichtensender tätig war und für Leonardo da Vinci schwärmte.
«Kit«, sagte die Prinzessin.
Ich riß meine Gedanken vom Lake District los und konzentrierte mich auf ihr ruhiges Gesicht.
«Nun«, sagte ich,»manche Rennen sind leichter als andere.«
«Tun Sie Ihr Bestes.«
«Ja.«
Unsere Zusammenkünfte vor dem Start hatten sich mit den Jahren zu angenehmen kleinen Zwischenspielen entwickelt, bei denen wenig geredet, aber vieles verstanden wurde. Die meisten Besitzer gingen in Begleitung ihrer Trainer in den Führring, aber Wykeham Harlow, der die Pferde der Prinzessin trainierte, erschien auf keinem Rennplatz mehr. Wykeham wurde alt, er ertrug die ständigen Winterreisen nicht. Wykeham brachte trotz nachlassendem Gedächtnis und wackligen Knien für Pferde noch immer die Begeisterung auf, die ihm von Anfang an einen Platz an der Spitze eingetragen hatte. Nach wie vor strömten Scharen von Siegern aus seinem achtzig Tiere umfassenden Stall, und ich ritt sie liebend gern.
Die Prinzessin ging unbeirrbar bei jedem Wetter zum Pferderennen, freute sich an den Leistungen ihrer Ersatzkinder, plante ihre Zukunft, dachte an ihre Vergangenheit zurück, füllte die eigene Zeit mit nie ermüdender Anteilnahme. Im Lauf vieler Jahre waren sie und ich zu einer förmlichen und dennoch tiefen Beziehung gelangt; wir hatten Höhenflüge und Augenblicke des Kummers zusammen erlebt, verstanden uns mühelos bei den Rennen, gingen am Tor getrennte Wege.
Getrennt jedenfalls bis zum vorigen November, als Danielle aus Amerika gekommen war, um ihre Stellung in London anzutreten, und in meinem Bett landete. Obwohl die Prinzessin mich zweifellos als künftiges Familienmitglied akzeptiert hatte und mich oft in ihr Haus einlud, war ihr Verhalten zu mir — und mein Verhalten zu ihr — praktisch unverändert geblieben, besonders auf Rennplätzen. Das Muster war zu fest gefügt und kam uns wohl auch beiden richtig vor.
«Viel Glück«, sagte sie leichthin, als die Zeit zum Aufsitzen kam, und Cascade und ich gingen zum Start hinunter, wobei ihn der Kanter aufgelockert haben dürfte, doch wie üblich sandte er mir keine telepathischen Botschaften über seine Verfassung. Mit einigen Pferden konnte man fast so gut Gedanken austauschen wie im Gespräch, aber der dunkle, dünne, schnelle Cascade war gewohnheitsmäßig und ungefällig stumm.
Das Rennen erwies sich sehr viel härter als erwartet, da einer der anderen Starter neue Kräfte in sich entdeckt zu haben schien, seit ich ihn zuletzt geschlagen hatte. Er galoppierte Schritt für Schritt mit Cascade die Gegengerade hinab und hängte sich im Einlaufbogen wie eine Klette an ihn. Als wir die letzten vier Hindernisse vor dem Finish angingen, war er immer noch dicht neben Cascade, aggressiv dorthin gedrängt von seinem Jockey, obwohl ihnen die Bahn in ihrer ganzen Breite zur Verfügung stand. Es war eine Zermürbungstaktik, wie dieser Jockey sie häufig gegen Pferde anwandte, die er für schreckhaft hielt, aber ich war nicht in der Stimmung, mich von ihm oder sonst jemand überholen zu lassen, und wie zu oft in letzter Zeit bemerkte ich Wut in mir, Rücksichtslosigkeit und eine unterdrückte Verzweiflung, die sich entlud.
Ich kickte Cascade knallhart über die letzten Sprünge und trieb ihn unbarmherzig die Einlaufgerade entlang, und wenn ihm das verhaßt war, dann sagte er es mir wenigstens nicht. Er reckte seinen Hals und seinen braunen Kopf nach dem Ziel und hielt unter schonungslosem Druck bis zum Ende durch.
Wir siegten um Zentimeter, und Cascade ging restlos erschöpft nach einigen ungleichmäßigen Tritten in den Schritt über. Ich schämte mich ein bißchen und zog wenig Freude aus dem Sieg, und auf dem langen Weg zum Absattelplatz verspürte ich nicht die Erleichterung nachlassender Spannung, sondern die zunehmende Furcht, mein Reittier könnte einen Herzschlag erleiden und tot umfallen.
Es stellte sich mit zitternden Beinen als Sieger auf, bedacht mit ganz sicher verdientem Beifall, und die Prinzessin kam mit etwas ängstlicher Miene, um es zu begrüßen. Das Ergebnis der Zielfotografie war schon verkündet, Cascades Sieg bestätigt, und es schien, daß die Prinzessin nicht etwa in Sorge darüber war, ob sie gewonnen hatte, sondern wie.
«Sind Sie nicht hart mit ihm umgesprungen?«fragte sie zweifelnd, als ich absaß.»Vielleicht zu hart, Kit?«
Ich klopfte Cascades dampfenden Hals, fühlte den Schweiß unter meinen Fingern. Manch anderes Pferd wäre unter so starker Belastung zusammengebrochen.
«Er ist tapfer«, sagte ich.»Er gibt alles, was er hat.«
Sie sah zu, wie ich die Gurte löste und den Sattel auf meinen Arm gleiten ließ. Ihr Pferd stand reglos vor Müdigkeit da, während Dusty, der Reisefuttermeister, den tropfnassen braunen Körper in eine Schweißdecke hüllte, um ihn warmzuhalten.
«Sie brauchen nichts zu beweisen, Kit«, sagte die Prinzessin vernehmlich.»Weder mir noch sonst jemandem.«
Ich hörte auf, die Gurte um den Sattel zu legen, und schaute sie überrascht an. Sie sagte fast nie etwas so Persönliches und auch nicht derart direkt. Ich muß so betroffen ausgesehen haben, wie ich mich fühlte.
Langsam steckte ich die Gurte fest.
«Ich sollte mich zurückwiegen«, meinte ich zögernd.
Sie nickte.
«Vielen Dank«, sagte ich.
Sie nickte nochmals und tätschelte mir den Arm, eine kleine vertraute Geste, die immer Verstehen und Entlassung beinhaltete. Ich wandte mich ab, um in den Waageraum zu gehen, und sah einen der Stewards entschlossen auf Cascade zusteuern, den er aufmerksam betrachtete. Stewards schauten meistens so, wenn sie gehetzte Pferde auf Anzeichen von Mißhandlung untersuchten, aber hinter dem Eifer dieses Stewards lag weit mehr als simple Tierliebe.
Bestürzt hielt ich im Gehen inne, und die Prinzessin wandte den Kopf, um meinem Blick zu folgen, worauf sie mich sofort wieder ansah. In ihren blauen Augen blitzte Verständnis auf.
«Gehen Sie nur«, sagte sie.»Wiegen Sie sich zurück.«
Ich ging dankbar weiter und überließ es ihr, dem Mann gegenüberzutreten, der vielleicht mehr als alles andere auf der Welt wünschte, daß ich meine Rennreiterlizenz verlor.
Oder, besser noch, mein Leben.
Maynard Allardeck, einer der Stewards bei diesem Meeting in Newbury (was mir vorübergehend entfallen war), hatte sowohl schlechte als auch gute Gründe, mich, Kit Fielding, zu hassen.
Die schlechten Gründe waren ererbt und irrational und deshalb besonders schwerwiegend. Sie entstammten einer Familienfehde, die mehr als drei Jahrhunderte überdauert und eine Tradition gegenseitiger Gewalttaten und Niedertracht geschaffen hatte. In der Vergangenheit hatten Fiel-dings Allardecks umgebracht und Allardecks Fieldings. Ich selbst hatte von Geburt an, zusammen mit meiner Zwillingsschwester Holly, von unserem Großvater beigebracht bekommen, daß alle Allardecks unehrlich, feige, bös und hinterhältig seien, und das hätten wir wahrscheinlich unser Leben lang geglaubt, wenn sich Holly nicht wie einst Julia in Romeo — in einen Allardeck verliebt und ihn geheiratet hätte.
Bobby Allardeck, ihr Mann, war nachweisbar weder unehrlich noch feige, böse oder hinterhältig, sondern ein gutmütiger Mensch, der in Newmarket Pferde trainierte. Bobby und ich hatten aufgrund seiner Heirat schließlich in unserer Generation, in unseren Herzen die alte Fehde begraben, aber Bobbys Vater, Maynard Allardeck, war noch der Vergangenheit verhaftet.
Maynard hatte Bobby den Verrat, den er in seinen Augen begangen hatte, nie verziehen und keineswegs eine Versöhnung angestrebt, sondern sich nur noch mehr auf die eingefleischte Überzeugung versteift, daß alle Fiel-dings, insbesondere Holly und ich, falsch, diebisch, intrigant und grausam seien. Meine friedfertige Schwester war nachweisbar nichts von alledem, aber Maynard sah jeden Fielding durch eine Zerrbrille.
Holly hatte mir erzählt, wie Bobby seinem Vater mitgeteilt hatte (während sie alle bei Bobby und Holly in der Küche standen), daß Holly schwanger sei und daß sein Enkelkind wohl oder übel Allardeck- und Fieldingblut in sich vereinen würde. Im ersten Moment hatte sie geglaubt, Maynard wolle sie erdrosseln. Statt dessen war er mit buchstäblich nach ihrem Hals gestreckten Händen plötzlich herumgewirbelt und hatte sich in den Spülstein übergeben. Sie war sehr erschüttert gewesen, als sie mir das erzählte, und Bobby hatte geschworen, seinen Vater nie wieder ins Haus zu lassen.
Maynard Allardeck war Mitglied des Jockey-Clubs, der obersten Rennsportbehörde, wo er mit seinem überragenden öffentlichen Charme jede Machtposition erkletterte, an die er herankam. Maynard Allardeck, der bereits bei mehreren großen Rennen als Steward fungierte, war auf das Triumvirat aus, er wollte einer der drei Stewards des Jockey-Clubs werden, die alle drei Jahre den SeniorSteward stellten.
Für einen Jockey aus der Familie der Fieldings hätte die Aussicht auf einen Allardeck, der eine Position fast unumschränkter Macht über ihn bekleidete, verheerend sein müssen — und hier kamen die guten und verständlichen Gründe für Maynards Haß ins Spiel. Denn ich hatte ihn so fest in der Hand, daß er meine Laufbahn, mein Leben oder meinen Ruf nicht zerstören konnte, ohne selbst auf der Strecke zu bleiben. Er und ich und noch ein paar andere wußten davon; es genügte, um dafür zu sorgen, daß er mich in allen Rennsportfragen fair behandeln mußte.
Wenn er jedoch nachweisen konnte, daß ich Cascade wirklich mißhandelt hatte, würde er mich mit dem größten Vergnügen zu einer Geldbuße und einer Sperre verdonnern. In der Hitze des Rennens, in der Aufwallung meiner eigenen unbezähmbaren Gefühle hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet, daß er unter den Zuschauern war.
Ich ging in den Waageraum, setzte mich auf die Waage und trat dann wieder an die Tür, um zu sehen, was draußen vorging. Aus dem Türschatten beobachtete ich Maynard im Gespräch mit der Prinzessin. Sie zeigte ihr freundlichstes und liebenswürdigstes Gesicht. Beide gingen im Kreis um den bebenden Cascade herum, der in der eiskalten Luft am ganzen Körper dampfte, da Maynard Dusty angewiesen hatte, die netzartige Schweißdecke abzunehmen.
Maynard sah wie immer tadellos elegant und vertrauenswürdig aus, ein äußeres Bild, das ihm sowohl im Geschäftsleben zustatten kam, wo er ein Riesenvermögen auf Kosten anderer erworben hatte, als auch in Gesellschaftskreisen, wo er viel für wohltätige Zwecke spendete und sich zu seinen guten Werken gratulierte. Nur die vergleichsweise wenigen Leute, die das schäbige, brutale Innere durchschaut hatten, blieben zynisch unbeeindruckt.
Er hatte aus Respekt vor der Prinzessin den Hut abgenommen und hielt ihn an seine Brust gedrückt; sein angegrautes blondes Haar war akkurat geschnitten und gebürstet. Er krümmte sich fast, so sehr wünschte er der Prinzessin zu gefallen, während er gleichzeitig ihren Jockey anschwärzte, und ich war mir nicht sicher, ob er ihr nicht das Zugeständnis abringen konnte, daß vielleicht in diesem einen Fall Kit Fielding ihr Pferd wohl doch zu hart angefaßt hatte.
Nun ja… sie würden keine Striemen bei Cascade entdecken, denn mit der Peitsche hatte ich ihn kaum berührt. Der andere Starter war zu nah gewesen; als ich den Arm hob, hatte ich festgestellt, daß ich eher ihn als Cascade treffen würde, wenn ich die Peitsche herunterbrachte. Maynard hatte sicher meinen erhobenen Arm gesehen, aber Beine, Füße, Handgelenke und Wut hatten die Sache erledigt. Vielleicht gab es Peitschennarben in Cascades Seele, falls er eine hatte, doch davon wäre dann auf seinem Haarkleid nichts zu sehen.
Maynard überlegte des längeren mit geschürzten Lippen, Kopfgeschüttel und schweifenden Augen, aber schließlich verbeugte er sich steif vor der reizend lächelnden Prinzessin, setzte sorgfältig seinen Hut wieder auf und stolzierte enttäuscht davon.
Erleichtert sah ich, wie die Prinzessin sich einer Gruppe von Freunden anschloß, während Dusty mit sichtlicher Mißbilligung die Schweißdecke wieder auflegte und den Pfleger, der Cascade am Zügel hielt, aufforderte, das Pferd in den Stall zu bringen. Cascade folgte ihm müde, mit hängendem Kopf, völlig verausgabt. Entschuldige, dachte ich, tut mir leid, alter Knabe. Beklag dich bei Litsi.
Die Prinzessin, dachte ich dankbar, als ich ihre Farben ablegte, um für das nächste Rennen in andere zu schlüpfen, hatte Maynards Einflüsterungen widerstanden und ihre Bedenken für sich behalten. Sie wußte, wie es zwischen mir und Maynard stand, weil Bobby ihr das im November mal gesagt hatte, und obwohl sie nie darauf zu sprechen gekommen war, hatte sie es offensichtlich nicht vergessen. Anscheinend mußte ich schon mehr tun, als ihr Pferd halb umzubringen, bevor sie mich meinem Feind auslieferte.
Ich ritt das nächste Rennen in dem vollen Bewußtsein, daß er auf der Tribüne saß: zwei atemlose Meilen über die Hürden, als Vierter durchs Ziel. Danach zog ich wieder die Farben der Prinzessin an und kehrte für die Hauptveranstaltung des Tages in den Führring zurück, ein 3-Meilen-Jagdrennen, das als Probelauf für das Grand National betrachtet wurde.
Ungewöhnlicherweise wartete die Prinzessin nicht schon im Ring, und ich sah eine Weile allein zu, wie ihr stämmiger Cotopaxi von seinem Pfleger herumgeführt wurde. Wie viele ihrer Pferde war er nach einem Berg benannt, und zu ihm paßte das ausgezeichnet, denn er war groß, hager und eckig, ein Dunkelfuchs mit grauen Flecken auf der Kruppe, die wie schmutziger Schnee aussahen. Als Achtjähriger entwickelte er sich zufriedenstellend zu voller, kompromißloser Stärke, und diesmal glaubte ich wirklich daran, daß ich in einem Monat endlich den ganz großen Sieg erreiten könnte.
Ich hatte schon fast jedes im Kalender aufgeführte Rennen gewonnen, bis auf das Grand National. Da war ich Zweiter, Dritter und Vierter geworden, aber noch nie Erster. Cotopaxi war in der Lage, das zu ändern, wenn wir Glück hatten.
Dusty kam herüber und unterbrach den angenehmen Tagtraum.
«Wo ist die Prinzessin?«sagte er.
«Ich weiß nicht.«
«Sie würde sich den alten Paxi doch nie entgehen lassen. «Klein, ziemlich alt, wettergegerbt und aus Gewohnheit mißtrauisch, sah er mich vorwurfsvoll an, als wüßte ich etwas, das ich nicht sagen wollte.
Dusty war von Berufs wegen auf mich angewiesen und ich auf ihn, aber wir hatten nie Geschmack aneinander gefunden. Er erinnerte mich gern daran, daß auch ein Cham-pi on-Jockey wie ich ohne die harte Arbeit der Pfleger, womit er natürlich sich meinte, nicht so oft siegen würde. Sein Verhalten mir gegenüber grenzte manchmal haarscharf an Unverschämtheit, und ich fand mich damit ab, weil er tatsächlich sein Handwerk verstand und mit den Pflegern im Grunde recht hatte; außerdem blieb mir kaum eine andere Wahl. Seit Wykeham nicht mehr zu den Rennen kam, hing das Wohlergehen der Pferde unterwegs ganz von Dusty ab, und das Wohlergehen der Pferde lag in meinem ureigenen Interesse.
«Cascade«, sagte Dusty finster,»kann kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen.«
«Er ist nicht lahm«, wandte ich ein.
«Es wird Wochen dauern, bis er das verwunden hat.«
Ich antwortete nicht. Ich sah mich nach der Prinzessin um, die noch immer nicht aufgetaucht war. Ich hätte zu gern erfahren, was Maynard ihr gesagt hatte, aber es sah aus, als müßte ich mich gedulden. Und es war merkwürdig, daß sie nicht zum Ring gekommen war. Fast alle Pferdebesitzer waren vor einem Rennen gern im Führring, und gerade für die Prinzessin war das ein fester Programmteil. Überdies war sie auf Cotopaxi besonders stolz und vernarrt in ihn und hatte den ganzen Winter von seinen Chancen beim Grand National gesprochen.
Die Minuten vertickten, das Zeichen zum Aufsitzen kam, und Dusty warf mich wie üblich gekonnt in den Sattel. Ich hoffte, während ich auf die Bahn ritt, daß nichts Ernstes geschehen war, und hatte beim Aufgalopp Zeit, zur Privatloge der Prinzessin hoch oben auf der Tribüne hinauf zuschauen, wo ich sie auf jeden Fall gemeinsam mit ihren Freunden zu sehen erwartete.
Der Balkon war jedoch leer, und das machte mir nun wirklich Sorgen. Wenn sie unverhofft die Rennbahn verlassen mußte, hätte sie mich bestimmt benachrichtigt, und ich war im Führring auch nicht gerade schwer zu finden gewesen. Nachrichten konnten allerdings verlorengehen, und eine Mitteilung wie:»Sagt Kit Fielding, daß Prinzessin Casilia nach Hause fährt«, wäre nicht als äußerst dringend eingestuft worden.
Ich ritt weiter zum Start in der Überzeugung, daß ich schon noch Genaueres erfahren würde, und hoffte nur, daß keine Hiobsbotschaft über ihren gebrechlichen, alten, an den Rollstuhl gefesselten Mann eingetroffen war, zu dem sie jeden Abend heimfuhr.
Cotopaxi bombardierte mich im Gegensatz zu Cascade regelrecht mit Informationen, hauptsächlich dahingehend, daß er sich gut fühlte, daß ihm die Kälte nichts ausmachte und daß er froh war, zum erstenmal seit Weihnachten wieder auf einer Rennbahn zu sein. Der Januar war verschneit gewesen, die erste Februarhälfte weit unter Null, und rennbegeisterte Pferde wie Cotopaxi langweilten sich leicht, wenn sie lange im Stall stehen mußten.
Wykeham rechnete im Gegensatz zu den meisten Tageszeitungen nicht damit, daß Cotopaxi in Newbury gewinnen würde.
«Er ist noch nicht in Hochform«, hatte er am Abend vorher am Telefon gesagt.»Er wird erst beim Grand National voll dasein. Geben Sie auf ihn acht, Kit, ja?«
Ich hatte gesagt, das würde ich tun, und nach Cascade war es mir doppelt ernst damit. Achtgeben auf Cotopaxi, auf der Hut sein vor Maynard Allardeck, Prinz Litsi unterm Turf begraben. Cotopaxi und ich gingen vorsichtig, konzentriert um das Geläuf, stellten uns auf jedes Hindernis genau ein, übersprangen sie alle glatt, freuten uns an der Präzision und verloren keine Zeit. Ich fuchtelte genügend mit der Peitsche, um den Eindruck eines voll ausgerittenen Finishs zu erwecken, und wir plazierten uns ehrenvoll als Dritte, so knapp hinter dem Sieger, daß es spannend blieb. Ein gutes Training für Cotopaxi, eine Bestätigung für Wykeham und die Verheißung kommenden Erfolgs für die Prinzessin.
Sie war während des Rennens nicht auf dem Balkon gewesen, und sie erschien auch nicht auf dem Absattelplatz. Dusty brummte unverständliches Zeug über ihre Abwesenheit, und ich erkundigte mich im Waageraum vergebens, ob sie etwas habe ausrichten lassen. Ich zog mich für das fünfte Rennen um, und danach, in Straßenkleidung, beschloß ich, für alle Fälle in ihre Loge hinaufzugehen, wie ich es nach jedem Renntag machte, um nachzufragen, ob die Kellnerin, die dort bediente, vielleicht wußte, was passiert war.
Die Prinzessin unterhielt auf mehreren Rennplätzen eine Loge und hatte sie alle in den gleichen Creme-, Kaffee-und Pfirsichfarben herrichten lassen. In jeder gab es einen Eßtisch und Stühle für den Lunch und dahinter eine Glastür zum Aussichtsbalkon. Sie hatte regelmäßig die eine oder andere Gruppe von Freunden zu Gast, aber an diesem Tag waren sogar die Freunde verschwunden.
Ich klopfte kurz an ihre Logentür, drückte ohne auf Antwort zu warten die Klinke herunter und trat ein.
Der Tisch war wie üblich aus Platzgründen nach dem Lunch an die Wand gerückt worden und jetzt in vertrauter Weise gedeckt mit allem, was zum Tee gehört: Appetithappen, Biskuits, Tassen und Untertassen, alkoholische Getränke, Kisten mit Zigarren. Heute nachmittag hatte niemand etwas davon angerührt, und es war auch keine Kellnerin da, die mir lächelnd einen Tee mit Zitrone anbot.
Ich hatte erwartet, die Loge überhaupt leer vorzufinden, aber sie war es nicht.
Die Prinzessin saß drinnen.
Neben ihr stand schweigend ein mir unbekannter Mann. Keiner von ihren üblichen Freunden. Ein Mann, der nicht viel älter war als ich, schlank, dunkelhaarig, mit ausgeprägter Nase und Kinn.
«Prinzessin…«sagte ich und machte einen Schritt in den Raum.
Sie wandte den Kopf. Sie trug immer noch den Zobelmantel und den russischen Hut, obwohl sie die Überkleidung normalerweise in ihrer Loge ablegte. Ihre Augen sahen mich ausdruckslos an, verschleiert, weit offen, blau und leer.
Schock, dachte ich.
«Prinzessin«, sagte ich nochmals, beunruhigt.
Der Mann antwortete. Seine Stimme entsprach seiner Nase und seinem Kinn, markant, energisch, voller Kraft.
«Gehen Sie«, sagte er.