Kapitel 10

Sie redete mit der Ungeschminktheit des Grolls und dem Vergnügen, ein aufmerksames Publikum zu unterhalten.

«Er ist ein Hahn«, sagte sie,»der sehr laut kräht. Er stolziert herum wie ein Gockel. Wir kennen ihn seit seiner Jugend, als die Pferde noch seinem Vater Louis gehörten, der ein sehr netter Mann war, ein Ehrenmann.«

«Dann hat Henri die Pferde geerbt?«sagte ich.

«Aber ja, wie alles andere auch. Louis war beknackt. Er dachte, sein Sohn könne kein Unrecht tun. Irrtum. Henri ist ein habgieriger Tyrann. Villon kann ihn gern behalten.«

«Wieso ist er ein habgieriger Tyrann?«fragte ich.

Sie hob die gezupften Augenbrauen.»Wir hatten eine einjährige Stute mit guten Blutlinien gekauft, die wir selber laufen lassen und später für die Zucht verwenden wollten. Henri sah sie auf dem Hof — er schnüffelte andauernd um die Ställe herum und sagte, er wolle sie kaufen. Als er hörte, daß wir nicht geneigt waren, sie herzugeben, sagte er, dann würde er alle seine Pferde abziehen. Er hatte acht… die wollten wir nicht verlieren. Wir waren wütend. Er zwang uns, ihm die Stute zum Selbstkostenpreis zu überlassen… und dabei hatten wir sie monatelang gehalten. Ein paar Wochen später rief er dann eines Abends an und sagte, am Morgen kämen Transporter, um seine Pferde abzuholen. Und hoppla, weg waren sie.«

«Was ist aus der Stute geworden?«sagte ich.

Ihr Mund bog sich vor Schadenfreude.»Sie kriegte Hufrollenentzündung und mußte getötet werden, das arme Ding. Und wissen Sie, was dieser Saukerl Nanterre getan hat?«

Sie machte eine Kunstpause. Ungefähr vier Stimmen, darunter auch meine, sagten:»Was?«

«Wir hörten es von Villon. Der war empört. Nanterre sagte, den Abdeckern wäre es zuzutrauen, daß sie die Stute zusammenflicken, sie voll Schmerzmittel pumpen und verkaufen würden, um sich auf seine Kosten zu bereichern, deshalb wollte er unbedingt mit dabeisein. Die Stute wurde auf Villons Grundstück unter den Augen von Nanterre getötet.«

Madame Roqueville blickte angewidert und enttäuscht drein.»Er machte einen ganz angenehmen Eindruck, als wir ihn in Longchamp trafen, und auch in Newbury.«

«Selbst der Marquis de Sade wird auf der Rennbahn wunderbar charmant gewesen sein«, sagte Madeleine liebenswürdig.»Da kann jeder als Ehrenmann auftreten.«

Nach einer respektvollen Pause sagte ich:»Wissen Sie irgend etwas von seinen Geschäften?«

«Geschäfte!«Sie rümpfte die Nase.»Er hat das Bauunternehmen de Brescou-Nanterre. Ich weiß nichts über seine Geschäfte, nur über seine Pferde. Geschäftlich würde ich ihm nicht trauen. Wie einer seinen Trainer behandelt, so verfährt er auch im Geschäftsleben. Die Ehrbaren sind ehrlich. Der gierige Tyrann verhält sich entsprechend.«

«Und… wissen Sie, wo ich ihn in England finden könnte?«»An Ihrer Stelle würde ich ihn nicht suchen. «Sie lächelte mich strahlend an.»Er bringt Ihnen nichts als Ärger.«

In der Loge der Prinzessin gab ich die Unterhaltung an Litsi und Danielle weiter.

«Was ist Hufrollenentzündung?«sagte Litsi.

«Eine Erkrankung des Fußwurzelknochens beim Pferd. Wenn es schlimm wird, kann das Pferd nicht mehr gehen.«

«Dieser Nanterre«, sagte Danielle empört,»ist ungeheuerlich.«

Die Prinzessin und Beatrice unterhielten sich ein paar Meter entfernt auf der Balkonseite der Loge mit einem großen, massigen Mann, dessen Augen in dem breiten, freundlichen Gesicht durch ihr helles Grau auffielen.

Litsi sagte, meinem Blick folgend:»Lord Vaughnley… er ist gekommen, um Tante Casilia sein Bedauern darüber auszusprechen, daß Col nicht gewonnen hat. Kennen Sie ihn? Er ist in der Verlagsbranche, glaube ich.«

«Mm«, sagte ich neutral.»Ihm gehört die Towncrier-Zeitung.«

«So?«Litsis wendiger Verstand vollzog den Sprung.»Nicht etwa das Blatt, das… Bobby angegriffen hat?«

«Nein, das war die Flag.«

«Aha. «Litsi schien enttäuscht.»Dann ist er also keiner von den zwei besiegten Zeitungsbaronen?«

«Doch. «Lord Vaughnleys Aufmerksamkeit schwenkte gerade in meine Richtung.»Ich erzähle es Ihnen irgendwann einmal«, sagte ich zu Litsi und sah Lord Vaughnley zögern, wie er es immer tat, bevor er mir die Hand bot. Aber er mußte geahnt haben, daß er mich an diesem Ort treffen würde, da mein Erscheinen dort zum Abschluß jedes Rennens ein Ritual war, das er kannte.

«Kit«, überwand er sich und biß in den sauren Apfel,»ein fulminantes Rennen. und welch ein Pech.«

«So geht es eben«, sagte ich.

«Mehr Glück beim Gold Cup, was?«

«Schön wär’s.«

«Kann ich irgend etwas für Sie tun, mein Lieber?«

Die Frage stellte er immer. Für Litsi war das neu, und ich sah ihn aus dem Augenwinkel staunen. Gewöhnlich antwortete ich mit nein, aber an diesem Tag dachte ich, ich könnte mal mein Glück versuchen. Wer nicht fragt, wird niemals klüger.

«Eigentlich nicht«, sagte ich,»es sei denn… sind Sie schon mal auf den Namen Henri Nanterre gestoßen?«

Alle beobachteten ihn, während er überlegte; die Prinzessin mit rasch zunehmendem Interesse, Litsi und Danielle mit schlichter Neugier, Beatrice anscheinend mit Bestürzung.

Lord Vaughnley blickte in die Runde der abwartenden Gesichter, legte die Stirn in Falten und antwortete schließlich mit einer Gegenfrage.

«Wer ist das denn?«sagte er.

«Der Geschäftspartner meines Mannes«, erwiderte die Prinzessin.»Lieber Lord Vaughnley, kennen Sie ihn?«

Lord Vaughnley war verwirrt, schüttelte aber langsam den großen Kopf.»Nicht, daß ich wüßte…«

«Könnten Sie ehm… nicht einmal nachsehen, ob der Towncrier eine Akte über ihn hat?«fragte ich.

Er gab mir ein resigniertes kleines Lächeln und nickte.»Schreiben Sie mir den Namen auf«, sagte er.»In Druckschrift.«

Ich kramte einen Stift und einen kleinen Notizblock hervor und notierte den Namen zusammen mit dem des Großunternehmers in Blockbuchstaben, wie gewünscht.

«Er ist Franzose«, sagte ich.»Besitzt Pferde. Er könnte auf den Rennsportseiten erscheinen, vielleicht auch im Wirtschaftsteil. Sogar im Klatsch.«

«Geht’s Ihnen um was Bestimmtes?«sagte er, immer noch lächelnd.

«Er ist momentan hier in England. Im Idealfall wüßten wir gern, wo er sich aufhält.«

Der Mund von Beatrice öffnete sich und klappte wieder zu. Sie weiß definitiv, wo er zu erreichen ist, dachte ich. Vielleicht konnten wir uns das zunutze machen, wenn wir einen Plan gefaßt hatten.

Lord Vaughnley verstaute den Zettel in einer Innentasche und sagte, er werde den Namen noch am Abend in den Computer eingeben, falls es für die Prinzessin wichtig sei.

«Und ob es das ist«, beteuerte sie.

«Jede Kleinigkeit«, sagte ich,»könnte nützlich sein.«

«Nun gut. «Er küßte die Hand der Prinzessin und verabschiedete sich allgemein, und zu mir sagte er im Gehen:»Unternehmen Sie wieder einen Kreuzzug?«

«Ich glaube schon.«

«Dann helfe Gott diesem Nanterre.«

«Wie hat er denn das gemeint?«wollte Beatrice wissen, als Lord Vaughnley fort war, und die Prinzessin sagte ihr beschwichtigend, das sei eine lange Geschichte, die mich nicht davon abhalten dürfe, ihr alles über Cols Rennen zu erzählen. Lord Vaughnley, setzte sie hinzu, sei ein guter Freund, den sie oft beim Pferderennen treffe, und es sei ganz natürlich, daß er ihr in jeder Beziehung helfe.

Beatrice war, um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, seit Nanterres Anruf am Vorabend sehr viel ruhiger.

Sie hatte sich geweigert zu glauben, daß er die Pferde umgebracht hatte (»das müssen Vandalen gewesen sein, wie die Polizei sagt«), bis er es selber zugab, und obwohl sie weiterhin darauf bestand, daß ihr Bruder in die Projekte Nanterres einwilligen sollte, hörten wir kein Lob mehr über ihn persönlich.

Ihre Feindseligkeit mir gegenüber schien sich andererseits vertieft zu haben, und zu meinem Bericht von dem Rennen äußerte sie ihre eigene Meinung.

«Quatsch. Sie haben das Rennen nicht am letzten Hindernis verloren. Sie lagen die ganze Zeit zu weit zurück, das konnte doch jeder sehen. «Sie nahm ein kleines Sandwich von der Platte auf dem Tisch und biß hinein, als zwicke sie mir den Kopf ab.

Niemand focht ihre Behauptung an, und dadurch ermutigt sagte sie boshaft zu Danielle:»Dein Mitgiftjäger ist noch nicht mal ein guter Jockey.«

«Beatrice«, entgegnete die Prinzessin sofort unerschüttert:»Kit hat selber Vermögen, und er wird seinen wohlhabenden Großvater beerben.«

Sie warf mir einen Blick zu, damit ich ja nicht widersprach. Was ich an Vermögen besaß, hatte ich mir verdient, und meinem Großvater gehörten zwar einige Ecken und Enden von Newmarket, aber die waren ungefähr so flüssig wie Ziegelstein.

«Und, Tante Beatrice«, sagte Danielle leicht errötend,»ich bin arm.«

Beatrice aß ihr Sandwich und überließ das Sprechen ihren Kulleraugen. Ihr helloranges Haar, dachte ich unzusammenhängend, hatte fast den gleichen Farbton wie die jutebezogenen Wände.

Das sechste und letzte Rennen war bereits im Gang. Alle außer Beatrice gingen zum Zuschauen auf den Balkon, und ich fragte mich, ob eine versprochene Dollarmillion geistigen Unfrieden wert war.»Nett sein ist nett«, hatte unsere Großmutter, die uns aufzog, oft genug zu Holly und mir gesagt, und» Haß lähmt das Denkvermögen«. Großvater, Ohrenzeuge ihrer Ketzereien, hatte versucht, ihren Einfluß mit Anti-Allardeck-Slogans zunichte zu machen, aber am Ende war sie es, die sich durchsetzte. Holly hatte Bobby geheiratet, und ich war, abgesehen von dem derzeitigen Stand der Dinge mit Danielle und von einigen früheren Rückschlägen, im Grunde glücklich aufgewachsen und es auch geblieben. Beatrice hatte bei all ihrem Schwelgen in Nerz, Krokodil und spanischer Villa in Palm Beach nicht so viel Glück gehabt.

Als es Zeit für den Heimweg war, fuhr Beatrice wieder mit der Prinzessin im Rolls. Ich hatte gehofft, Litsi würde sie begleiten, da ich ja über Chiswick fahren wollte, um Danielle zum Studio zu bringen, doch er nahm sie beim Arm und steuerte plaudernd mit ihr auf den JockeyParkplatz zu, als wäre das gar keine Frage. Litsi beherrschte wie seine Tante die feine Kunst, diskret und höflich seinen Willen durchzusetzen. Er wäre ein großartiger König geworden, dachte ich ironisch, hätte er die Chance bekommen.

Wir setzten Danielle ab (sie winkte uns beiden und küßte keinen), und ich fuhr uns zurück zum Eaton Square. Natürlich kam das Gespräch auf Beatrice.

«Sie waren schockiert«, meinte Litsi belustigt,»als sie Sie einen Mitgiftjäger nannte. Sie hatten an Danielles finanzielle Aussichten nicht einmal gedacht.«

«Sie hat mich einen schlechten Jockey genannt«, sagte ich.

«Na klar. «Er lachte in sich hinein.»Sie sind ein Puritaner.«»Danielle hat das Geld, das sie verdient«, sagte ich.»Genau wie ich auch.«

«Danielle ist Rolands Nichte«, sagte er, als belehre er einen ABC-Schützen.»Roland und Tante Casilia haben sie gern, und sie haben keine Kinder.«

«Ich mag diese Komplikation nicht.«

Er brummte nur und äußerte sich nicht mehr zu dem Thema, und nach einer Weile sagte ich:»Wissen Sie, weshalb sie keine Kinder haben? Ist das freiwillig oder wegen seiner Krankheit? Oder hat es einfach nicht geklappt?«

«Wegen seiner Krankheit, dachte ich immer, aber ich habe nie gefragt. Er war, glaube ich, um die Vierzig, als sie heirateten, und wenig später bekam er den Virus. Ich kann mich nicht erinnern, ihn je auf den Beinen gesehen zu haben, dabei soll er zu seiner Zeit ein guter Skifahrer gewesen sein.«

«Schlimm für sie«, sagte ich.

Er nickte.»In gewisser Hinsicht hatte er noch Glück. Mancher, der von der Krankheit befallen wird — und Gott sei Dank ist sie selten —, büßt auch den Gebrauch der Arme ein. Natürlich sprechen sie nicht viel darüber.«

«Wie wollen wir seine Ehre retten?«

«Sie konzipieren«, gab Litsi faul zurück,»und ich sekundiere.«

«Einen Hebel konzipieren«, sagte ich geistesabwesend.

«Einen Hebel?«

«Um die Welt zu bewegen.«

Er streckte sich zufrieden.»Haben Sie irgendwelche Ideen?«

«Eine oder zwei. Ziemlich vage.«»Und die wollen Sie nicht preisgeben?«

«Noch nicht. Muß erst ein bißchen nachdenken. «Ich sagte ihm, daß ich am Morgen ein Tonbandtelefon gekauft hatte.»Wenn wir zurückkommen, schließen wir es an und arbeiten ein Verfahren aus.«

«Er wollte heute abend wieder anrufen.«

Unnötig hinzuzufügen, wer» er «war.

«Mm«, sagte ich.»Das Telefon, das ich besorgt habe, ist gleichzeitig ein Konferenztelefon. Es hat einen Lautsprecher, so daß jeder im Raum mitbekommt, was der Anrufer sagt. Den Hörer braucht man dazu nicht. Wenn er also anruft, und Sie gehen gerade dran, sehen Sie dann zu, daß er englisch spricht?«

«Vielleicht sollten Sie sich melden, dann wäre er dazu gezwungen.«

«In Ordnung. Und wir richten ihm aus… daß nichts läuft?«

«Könnten Sie ihn nicht einfach hinhalten?«

«Ja, vielleicht«, sagte ich,»aber um mit ihm fertig zu werden, müssen wir ihn erst finden, und er kann überall sein. Beatrice weiß, wo er steckt, oder wenigstens, wie er zu erreichen ist. Wenn man ihn hervorlocken könnte. «Ich hielt inne.»Was wir im Idealfall brauchen, ist eine angepflockte Ziege.«

«Und wen bitte«, erkundigte sich Litsi ironisch,»schlagen Sie für diese Ex-und-hopp-Aufgabe vor?«

Ich lächelte.»Eine ausgestopfte Ziege mit mechanischem Meckern. Alle echten Ziegen müssen beschützt werden oder aufpassen.«

«Schutz für Tante Casilia, Roland und Danielle.«

«Und die Pferde«, sagte ich.

«Okay. Und Schutz für die Pferde. Und Sie und ich…«

Ich nickte.»Aufpassen.«

Keiner von uns sprach an, daß Nanterre ausdrücklich uns beide als seine nächsten Angriffsziele genannt hatte: wozu auch? Ich glaubte nicht, daß er tatsächlich versuchen würde, einen von uns zu töten, aber schlimmer als ein Nadelstich mußte der Schaden schon sein, wenn es ihn weiterbringen sollte.

«Wie ist er?«sagte Litsi.»Sie haben ihn kennengelernt. Ich habe ihn noch nie gesehen. Kenne deinen Feind… die erste Regel für den Kampf.«

«Nun, ich denke, er hat sich in das Ganze hineingestürzt, ohne es vorher zu planen«, sagte ich.»Letzten Freitag meinte er wohl noch, er brauche die Prinzessin nur stark genug einzuschüchtern und Roland würde zusammenbrechen. Beinah wäre es ja auch so gekommen.«

«Wie ich das sehe, kam es anders, weil Sie dabei waren.«

«Das weiß ich nicht. Jedenfalls, als er am Freitagabend die Pistole zog, die nicht geladen war. das scheint mir typisch für ihn zu sein. Er handelt impulsiv, ohne etwas zu Ende zu denken. Er ist gewohnt, seinen Willen leicht durchzusetzen, weil er den Tyrann herauskehrt. Er ist gewohnt, daß man ihm gehorcht. Seit dem Tod seines Vaters — und der hatte ihn nach Väter Art verwöhnt — hat er die Baufirma weitgehend so geführt, wie es ihm paßt. Inzwischen dürfte er das Stadium erreicht haben, wo er glaubt, daß sich ihm buchstäblich niemand widersetzen kann, schon gar nicht ein alter, kranker Mann, der längst den Kontakt mit der Welt verloren hat. Als Roland ihn per Brief abblitzen ließ, kam er wohl hierher mit dem Gedanken: >Das werde ich bald ändern.< Mir kommt er in mancher Hinsicht kindisch vor, was ihn aber nicht harmloser macht, wahrscheinlich nur destruktiver.«

Ich wartete, aber Litsi äußerte sich nicht.

«Der Überfall auf Danielle«, sagte ich.»Auch dabei dachte er, es ginge alles nach seinem Kopf. Ich wette, es ist ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen, daß sie schneller laufen könnte als er. Er tauchte da im Straßenanzug, mit polierten Lederschuhen auf. Das war eine Art von Arroganz — die Annahme, daß er von Natur aus schneller, stärker, überlegen sei. Wäre er sich da nicht ganz sicher gewesen, hätte er einen Jogginganzug angezogen, etwas Derartiges, und geeignete Schuhe.«

«Und die Pferde?«

Ich dachte ungern an die Pferde.»Sie waren wehrlos«, sagte ich.»Und er wußte, wie man sie tötet. Ich weiß zwar nicht, wie er an einen Bolzenschußapparat kommt, aber er hat mit Waffen zu tun. Er trägt eine. Sie ziehen ihn an, sonst würde er sie nicht herstellen wollen. Die Leute tun doch meistens das, wozu ihre Natur sie drängt, oder nicht? Vielleicht hat er ein echtes Verlangen, etwas sterben zu sehen… hinter seiner Begründung damals, daß er sichergehen wollte, nicht von den Abdeckern betrogen zu werden, könnte sich ein viel finsterer Wunsch verborgen haben. Man denkt sich dauernd vernünftige Gründe aus für das, was man tut oder tun will.«

«Sie auch?«fragte er neugierig.

«Aber sicher. Ich sage, ich reite des Geldes wegen.«

«Und das stimmt nicht?«

«Ich würde es umsonst machen, aber bezahlt werden ist besser.«

Er verstand diese Einstellung und nickte.»Was erwarten Sie denn nun als nächstes von Nanterre?«fragte er.

«Einen neuerlichen halbgaren Angriff auf einen von uns. Es wird nichts genau Geplantes sein, aber wir könnten trotzdem bös in die Klemme geraten.«»Reizend«, meinte er.

«Treffen Sie sich nicht mit Unbekannten in kleinen dunklen Gassen.«

«Tu ich nie.«

Ich fragte ihn etwas zögernd, was er in Paris, wo er zu Hause war, denn tue.

«Leider furchtbar wenig«, sagte er.»Ich bin Mitbesitzer einer Kunstgalerie. Ich verbringe einen großen Teil meines Lebens mit dem Betrachten von Gemälden. Der LouvreExperte, dessen Vorträge Danielle und ich uns angehört haben, ist ein sehr alter Bekannter. Ich war sicher, es würde ihr gefallen…«Er hielt inne.»Es hat ihr gefallen.«

«Ja.«

Ich merkte, daß er auf dem Beifahrersitz rückte, um mich besser sehen zu können.

«Es war eine Gruppe«, sagte er.»Wir waren nicht allein.«

«Ja, ich weiß.«

Er verfolgte es nicht weiter. Statt dessen sagte er unerwartet:»Ich war verheiratet, aber meine Frau und ich leben getrennt. Formal besteht die Ehe noch. Wenn einer von uns sich wieder verheiraten wollte, ließen wir uns scheiden. Aber sie hat Liebhaber und ich Geliebte…«er zuckte die Achseln.»In Frankreich ist das ganz normal.«

Ich sagte nach einer Pause:»Vielen Dank«, und er nickte, und wir redeten nicht mehr davon.

«Ich wäre gern Künstler geworden«, sagte er ein wenig später.»Jahrelang habe ich studiert… ich erkenne das Genie in großen Gemälden, aber selber… Ich kann zwar Farbe auf die Leinwand bringen, doch die große Begabung habe ich nicht. Und Sie, mein Freund Kit, dürfen sich verdammt glücklich schätzen, daß Sie mit dem Können gesegnet sind, das Ihren Wünschen entspricht.«

Ich schwieg; war zum Schweigen gebracht. Ich hatte das Können von Geburt an gehabt, und es ließ sich nicht sagen, woher es kam; und ich hatte noch nicht weiter darüber nachgedacht, was wäre, wenn ich es nicht hätte. Ich sah das Leben plötzlich von Litsis Standpunkt aus und wußte, daß ich mich wirklich verdammt glücklich schätzen konnte, daß hier die Quelle meiner grundlegenden Zufriedenheit war und daß ich in Demut dankbar dafür sein sollte.

Als wir zum Eaton Square kamen, schlug ich vor, ihn schon mal an der Haustür abzusetzen, bevor ich den Wagen unterstellte, aber davon wollte er nichts hören. Dunkle Gassen, erinnerte er mich, und aufpassen.

«Die Garagen haben ein bißchen Licht«, sagte ich.

«Trotzdem, wir stellen den Wagen zusammen unter und gehen zusammen zurück und halten uns an Ihren Rat.«

«Okay«, sagte ich und dachte bei mir, daß ich um halb zwei, wenn ich Danielle abholen fuhr, doch allein in die bewußte dunkle Gasse gehen würde und dann lieber aufpassen sollte.

Litsi und ich wurden, als wir ins Haus kamen, von Dawson empfangen, der sagte, die Prinzessin und Beatrice seien auf ihre Zimmer verschwunden, um sich umzuziehen und auszuruhen.

«Wo ist Sammy?«fragte ich.

Sammy, entgegnete Dawson mit leiser Mißbilligung, wandere umher und sei nie länger als eine Minute am selben Ort. Ich ging nach oben, um das neue Telefon zu holen, und sah Sammy die Treppe vom Dachgeschoß herunterkommen.

«Wußten Sie, daß da oben noch ‘ne Küche ist?«sagte er.

«Ja, hab ich gesehen.«

«Und ein, zwei Oberlichter sind da auch. Unter denen hab ich ein paar hübsch getarnte Todesfallen angebracht. Wenn Sie da oben einen Haufen alter Messinggewehre scheppern hören, rufen Sie schleunigst die Bullen.«

Ich versicherte ihm, das würde ich tun, und nahm ihn mit nach unten, um ihm wie auch Dawson und Litsi zu zeigen, wie das Tonbandtelefon funktionierte.

Die normale Telefonordnung in diesem Haus war einfach und kompliziert zugleich. Es gab nur eine Leitung, aber ein Dutzend verstreute Apparate.

Ankommende Telefongespräche läuteten nur in dreien davon: dem im Wohnzimmer, einem im Büro, wo tagsüber Mrs. Jenkins arbeitete, und einem im Souterrain. Wer immer in der Nähe eines dieser Apparate war, wenn ein Anruf kam, meldete sich und verständigte, falls es für jemand anders war, den Betreffenden über die Sprechanlage, so wie Dawson mich verständigt hatte, als Wykeham am Sonntag anrief. Durch diese Regelung sollte vermieden werden, daß sich bei jedem Klingeln sechs oder mehr Leute meldeten.

Von allen Gästezimmern und von den Räumen der Prinzessin und ihres Mannes aus konnte man direkt nach draußen telefonieren. Das Haus sei selten so voll wie im Augenblick, sagte Dawson, und das Telefon sei kaum jemals besetzt. Normalerweise klappe das System einwandfrei.

Ich erklärte, daß man, um das neue Telefon in Betrieb zu nehmen, lediglich den Stammapparat auszustöpseln und den neuen anzuschließen brauche.

«Wenn Sie auf diesen Knopf drücken«, ich deutete hin,»wird das ganze Gespräch aufgezeichnet. Drückt man auf den hier, kann jeder im Zimmer hören, was gesprochen wird.«

Ich schloß das simple Zauberkästchen an die Wohnzimmersteckdose an.»Solange wir alle im Haus sind, bleibt es am besten hier. Tagsüber, wenn, wie heute, alles ausgeflogen ist, kann man es in Mrs. Jenkins’ Büro verlegen und spät abends, falls Dawson nichts dagegen hat, ins Souterrain. Es spielt keine Rolle, wie viele Gespräche unnötig aufgezeichnet werden, die können wir löschen, aber jeder Anruf… könnten wir uns das zur Gewohnheit machen?«

Alle nickten.

«So ein unverschämter Mensch«, bemerkte Dawson.»Diese laute Stimme würde ich sofort wiedererkennen.«

«Es ist ein Jammer«, meinte Litsi, als Dawson und Sammy gegangen waren,»daß wir nicht irgendwie den Apparat von Beatrice anzapfen und aufzeichnen können, was sie sagt.«

«Wenn sie oben ist, so wie jetzt, können wir einfach den Hörer abnehmen und horchen.«

Wir nahmen den Hörer ab, doch niemand im Haus telefonierte. Wir konnten stundenlang warten und horchen, aber in der Zwischenzeit konnten dann keine Gespräche von auswärts ankommen. Bedauernd legte Litsi wieder auf und sagte, vielleicht hätten wir Glück, er werde es eben alle paar Minuten versuchen; doch bis Beatrice zum Abendessen erschien, hatten die Stichproben zu keinem Ergebnis geführt.

Ich hatte unterdessen mit Wykeham gesprochen und die Nachrichten auf meinem Anrufbeantworter abgefragt; beides ging ziemlich schnell, und falls jemand unabsichtlich in die Anrufe hineingeplatzt war, hatte ich es nicht in der Leitung klicken gehört.

Beatrice kam, nach ihrer Bloody Mary dürstend, in einem schmeichelhaften weißen Kleid voller Sonnenblumen nach unten, und Litsi bemühte sich auf das freundlichste um sie, ohne sich in irgendeiner Weise von ihrem Mißmut beeindrucken zu lassen.

«Ich weiß, daß ihr mich nicht hierhaben wollt«, sagte sie unverblümt,»aber bis Roland auf der punktierten Linie unterschreibt, werde ich bleiben.«

Die Prinzessin kam zum Dinner herunter, aber Roland nicht, und als wir hinterher wieder ins Wohnzimmer gingen, dirigierte Litsi uns unauffällig so, daß ich schließlich neben das Telefon zu sitzen kam. Er lächelte über seine Kaffeetasse hinweg, und alle warteten.

Als es schließlich klingelte, schrak Beatrice zusammen.

Ich nahm den Hörer ab, drückte auf den Aufnahme- und den Konferenzknopf, und eine französische Stimme sprach laut in unsere Erwartungen hinein.

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