Kapitel 16

Ich lag auf dem Gras und schätzte die Lage ab. Ich war bei Bewußtsein und fühlte mich wie ein plattgequetschter Käfer, aber ich hatte mir nicht die Beine gebrochen, was ich immer am meisten fürchtete.

Einer der anderen Jockeys aus dem Gewirr hockte sich neben mich und fragte, ob ich in Ordnung sei, aber ich konnte ihm nicht antworten, weil ich keine Luft bekam.

«Er ist außer Puste«, sagte mein Kollege zu jemand hinter mir, und ich dachte:»Genau wie Litsi in Bradbury, verdammt. «Mein Kollege schnallte mir den Helm los und stieß ihn weg, wofür ich ihm nicht mal danken konnte.

Schließlich kam der Atem wieder. Bis der Krankenwagen sowie ein Arzt in einem Pkw eintrafen, war ich zu dem tröstlichen Schluß gelangt, daß ich mir überhaupt nichts gebrochen hatte und daß es an der Zeit sei, aufzustehen und weiterzukrebsen. Im Stehen fühlte ich mich gebeutelt und an mehreren Stellen ramponiert, aber damit mußte man sich abfinden, und ich konnte wohl froh sein, daß ich bei einem derartigen Sturz so glimpflich davongekommen war.

Einer der anderen Jockeys hatte weniger Glück gehabt, bleich und stumm lag er auf dem Rücken, während neben ihm besorgt die Sanitäter knieten. Auf der Fahrt im Krankenwagen zur Tribüne kam er ein wenig zu sich und stöhnte in Abständen, was die Helfer zwar beunruhigte, aber zumindest war es ein Lebenszeichen.

Als wir die Sanitätswache erreichten und die Hecktür des Krankenwagens geöffnet wurde, stieg ich als erster aus und fand die Frau des anderen Jockeys draußen, schwanger, hübsch und voller Angst.

«Ist Joe in Ordnung?«fragte sie mich und sah ihn auch schon auf der Tragbahre herauskommen, ganz und gar nicht in Ordnung. Ich nahm den schweren Schock in ihrem Gesicht wahr, das rasche Blaßwerden, den trockenen Mund… die Qual.

So ist es Danielle ergangen, dachte ich. Das war es, was sie erlebt hatte; das hatte sie empfunden.

Ich legte den Arm um Joes Frau, hielt sie fest und sagte ihr, Joe würde es schaffen, es ginge ihm bald wieder gut, und beide wußten wir nicht, ob das stimmte.

Joe wurde in die Sanitätswache getragen, die Tür schloß sich hinter ihm, aber wenig später kam der Arzt heraus und erklärte Joes Frau freundlich, sie würden ihn in die Klinik bringen, der Stadtkrankenwagen sei schon angefordert.

«Sie können sich so lange zu ihm setzen, wenn Sie möchten«, sagte er zu ihr, und an mich gewandt:»Sie kommen besser auch mal mit rein, was?«

Ich ging hinein, und er untersuchte mich kurz und meinte:»Was verschweigen Sie mir?«

«Nichts.«

«Ich kenne Sie«, sagte er.»Und egal, wo ich hinfasse, Sie unterdrücken den Schmerz.«

«Also, autsch.«

«Wo, autsch?«

«Hauptsächlich am Fußgelenk.«

Er zog mir den Stiefel aus, und ich sagte ziemlich laut:»Au«, aber wie ich mir gedacht hatte, gebrochen war nichts. Er riet mir zu einer Bandage und etwas Ruhe und setzte hinzu, daß ich am Montag wieder reiten könnte, wenn mich meine Füße trügen und ich verrückt genug wäre.

Er widmete sich wieder Joe, und eine Krankenschwester ging zur Tür, als es klopfte, kam zurück und sagte mir, draußen wolle mich jemand sprechen. Ich zog meine Stiefel wieder an, fuhr mir durchs Haar und fand Litsi und Danielle vor der Tür.

Litsi hatte den Arm um Danielles Schultern gelegt, und Danielle sah aus, als wäre das der letzte Ort auf Erden, wo sie sein wollte.

Ich wußte, wie zerzaust ich aussah, wußte, daß ich humpelte, daß meine Reithose voller Grasflecken war und am linken Oberschenkel einen Riß hatte.

Litsi nahm das alles in sich auf, und ich lächelte ihn leise an.

«Der Lack ist ab«, sagte ich.

«Offenbar. «Er blickte nachdenklich drein.»Tante Casilia bat uns nachzusehen… wie’s Ihnen geht.«

Es hatte Danielle sehr viel Mut abverlangt, dachte ich, hierherzukommen, womöglich noch einmal mit dem konfrontiert zu werden, was sie im Januar erlebt hatte. Ich sagte zu Litsi, aber mit den Augen auf Danielle:»Richtet ihr bitte aus, daß es mir gutgeht. Ich reite am Montag.«

«Wie kannst du reiten?«fuhr Danielle auf.

«Rauf auf den Sattel, Füße in die Bügel, Zügel in die Hand.«

«Sei nicht so verdammt blöd. Wie kannst du jetzt noch Witze reißen… und antworte darauf bloß nicht. Ich kenne die beiden Antworten. >Ohne Schwierigkeiten oder >mit Mühe<, je nachdem, was lustiger ist.«

Sie mußte plötzlich lachen, aber das war zum Teil Hysterie, und es war Litsis breite Schulter, an der sie ihr Gesicht vergrub.

«Ich komme nachher in die Loge«, sagte ich zu ihm, und er nickte, aber bevor sie gehen konnten, öffnete sich die Tür der Sanitätswache, und Joes Frau kam heraus.

«Kit«, sagte sie erleichtert, als sie sah, daß ich noch dort war.»Ich muß zur Toilette. mir dreht sich der Magen. die haben gesagt, ich kann mit Joe ins Krankenhaus, aber wenn er abgeholt wird und ich bin grad nicht da, fahren sie vielleicht ohne mich…

Würden Sie hier warten und denen Bescheid sagen? Lassen Sie ihn nicht ohne mich weg.«

«Ich kümmre mich drum«, sagte ich.

Sie sagte leise» danke «und eilte in Richtung Toilette, und Danielle sagte mit weit aufgerissenen Augen:»Das ist ja… wie bei mir. Ist ihr Mann… schlimm verletzt?«

«Das läßt sich wohl noch nicht sagen.«

«Wie hält sie das aus?«

«Ich weiß es nicht«, sagte ich.»Wirklich nicht. Es ist viel einfacher von Joes Seite aus… und von meiner.«

«Ich seh mal, ob sie Hilfe braucht«, sagte Danielle unvermittelt, und sie gab ihre Zuflucht bei Litsi auf und ging hinter Joes Frau her.

«Im Ernst«, sagte Litsi, der ihr nachblickte,»wie können Sie scherzen?«

«Im Ernst? Allen Ernstes weder über Joe noch über seine Frau, aber über mich selbst, warum nicht?«

«Aber… ist die Sache das wert?«

Ich sagte:»Wenn Sie malen könnten, wie Sie wollten, würden Sie dann ein wenig Verdruß in Kauf nehmen?«

Er lächelte, zog die Brauen hoch.»Ja.«

«Ziemlich das gleiche«, sagte ich.»Erfüllung.«

Wir standen in einem abgelegenen Teil des Rennplatzes, weit weg vom Gewühl, während sich im Zentrum, bei den Tribünen, das nächste Rennen anbahnte. Dusty kam mit suchenden, argwöhnischen Blicken auf uns zugestürzt.

«Ich habe mir den Fuß verstaucht«, sagte ich.»Sie müssen Jamie für das fünfte Rennen nehmen, ich weiß, daß er frei ist. Aber Montag geht klar. Ist Helikon in Ordnung?«

Er nickte kurz ein paarmal und zog ab, ohne ein Wort zu verschwenden.

Litsi sagte:»Es ist ein Wunder, daß Sie nicht schlimmer zugerichtet sind. Es sah verheerend aus. Tante Casilia hatte durchs Fernglas geschaut, und sie war sehr besorgt, bis sie Sie aufstehn sah. Dann meinte sie, daß Sie sich über die Risiken im klaren seien und daß man von Zeit zu Zeit auf so etwas eben gefaßt sein müsse.«

«Sie hat recht«, sagte ich.

Er in seinem gutbürgerlichen Zivil betrachtete die Spuren der Erde auf den Farben der Prinzessin, betrachtete meine zerrissene, grünbefleckte Reithose und das Bein, das ich nicht belastete.

«Wie können Sie sich darauf immer wieder einlassen?«sagte er. Meine Lippen zuckten, und er setzte hinzu:»Ohne Schwierigkeiten oder mit Mühe, je nachdem, was lustiger ist.«

Ich lachte:»Zunächst mal rechne ich ja nie damit. Es ist immer eine unangenehme Überraschung.«

«Und jetzt, wo es passiert ist? Wie gehen Sie damit um?«

«Ich denke an etwas anderes«, sagte ich.»Nehme eine Menge Aspirin und konzentriere mich darauf, möglichst bald wieder dabeizusein. Ich lasse nicht gern andere Jok-keys auf meine Pferde los, so wie jetzt. Wenn ich sie geschult habe und sie kenne, gehören sie mir.«

«Und Sie gewinnen gern.«

«Ja, ich gewinne gern.«

Der Stadtkrankenwagen erschien nur wenige Augenblik-ke bevor Danielle und Joes Frau wiederkamen, und Litsi, Danielle und ich blieben bei Joes Frau stehen, während Joe in die Ambulanz geladen wurde. Er war immer noch halb bewußtlos, stöhnte und sah grau aus. Die Krankenträger halfen Joes Frau nach ihm in den Wagen, und wir sahen noch einmal ihr Gesicht, jung und verschreckt, als sie sich nach uns umschaute, dann wurde die Tür geschlossen, und sie fuhren langsam davon.

Litsi und Danielle blickten mich an, ich sah sie an; zu sagen gab es wirklich nichts.

Litsi legte den Arm wieder um Danielles Schultern, und sie drehten sich um und gingen fort, und ich humpelte los, duschte und wechselte die Kleider nach einem Sturz von vielen, an einem normalen Arbeitstag.

Als ich den Waageraum verließ, um zur Loge der Prinzessin zu gehen, trat Maynard Allardeck mir in den Weg. Er war wie immer vorzüglich gekleidet, der Inbegriff des englischen Gentleman, vom Hut der Firma Lock bis zu den handgenähten Schuhen. Er trug eine gestreifte Seidenkrawatte und Schweinslederhandschuhe, und seine Augen hatte ich noch nie so irr gesehen.

Resignierend hielt ich an.

Vor dem Waageraum, wo wir standen, war eine überdachte Veranda mit drei breiten Stufen auf den Bereich hinunter, der zum Absatteln der vier Erstplazierten jedes

Rennens benutzt wurde. Über einen Teerweg, der das Gras durchschnitt, konnte man den übrigen Teil des Sattelplatzes erreichen.

Die Pferde aus dem fünften Rennen waren abgesattelt und weggeführt worden; einzelne Leute waren noch in der Nähe, aber keine Menschenmenge.

Maynard stand zwischen mir und der Treppe, und um ihm auszuweichen, hätte ich mich vorsichtig seitlich an ihm vorbeidrängen müssen.

«Fielding«, sagte er heftig, und es war nicht so, daß er mich einfach mit Namen anredete; er benutzte das Wort als Verwünschung, so wie die Allardecks es rachsüchtige Generationen hindurch benutzt hatten. Er verwünschte meine Vorfahren und mein Dasein, der Geist der Fehde war wie Galle in seinem Mund, die irrationale Seite seines Hasses auf mich hatte klar die Oberhand.

Er überragte mich um etwa zehn Zentimeter und wog fünfzig Pfund mehr, aber er war zwanzig Jahre älter und nicht in Form. Ohne die Komplikation eines verstauchten Fußgelenks hätte ich ihm leicht ausweichen können, aber wie die Dinge lagen, machte er, als ich einen Schritt zur Seite machte, ebenfalls einen.

«Mr. Allardeck«, sagte ich neutral,»Prinzessin Casilia erwartet mich.«

Er gab nicht zu erkennen, daß er verstanden hatte, aber als ich noch einen Schritt zur Seite machte, rührte er sich nicht. Er rührte sich auch nicht, als ich an ihm vorbeiging, doch zwei Schritte weiter, am Kopf der Treppe, bekam ich einen gewaltigen Stoß zwischen die Schultern.

Aus dem Gleichgewicht geworfen, stolperte ich die drei Stufen hinunter und flog der Länge nach auf den Teerweg. Ich rollte mich weg, halb in der Erwartung, Maynard würde auf mich springen, aber er stand gaffend auf der oberen

Stufe, wandte sich im nächsten Moment ab, ging drei Schritte und schloß sich einer kleinen Gruppe ähnlich distinguierter Herren an.

Ein Trainer, für den ich manchmal ritt und der zufällig gerade in der Nähe war, schob eine Hand unter meinen Ellenbogen und half mir auf die Füße.

«Er hat Sie gestoßen«, sagte er ungläubig.»Ich hab’s gesehen. Gibt’s denn so was? Der Mann ist von hinten auf Sie zu und hat Sie geschubst.«

Ich stand auf einem Bein und bürstete etwas Schmutz ab, den der Weg hinterlassen hatte.»Danke«, sagte ich.

«Aber er hat Sie geschubst! Wollen Sie sich nicht beschweren?«

«Bei wem?«

«Aber Kit. «Langsam schätzte er die Lage ab.»Das ist Maynard Allardeck.«

«Eben.«

«Aber er kann doch nicht einfach auf Sie losgehen. Und Sie haben sich am Bein verletzt.«

«Das war er nicht«, sagte ich.»Das ist von einem Sturz im dritten Rennen.«

«Da kam’s knüppeldick. «Er sah mich unschlüssig an.»Wenn Sie sich beschweren wollen, werde ich bezeugen, was ich gesehen habe.«

Ich dankte ihm nochmals und sagte ihm, die Mühe würde ich mir sparen, was er immer noch unbegreiflich fand. Ich warf einen flüchtigen Blick auf Maynard, der mir inzwischen den Rücken zukehrte, als wüßte er nichts von meiner Anwesenheit, und machte mich beunruhigt wieder auf den Weg zur Loge der Prinzessin.

Der Stoß an sich war eher eine Lappalie gewesen, aber da Maynard im Grunde Lust hatte, mich umzubringen, mußte man es als Ersatzhandlung dafür betrachten, als Entlastungsexplosion, einen Dampfstrahl, der den totalen Ausbruch des Vulkans verhindern sollte.

Der Film, dachte ich unbehaglich, würde diesen Vulkan in Schach halten; und mit den Dampfstrahlen konnte ich mich wohl abfinden, wenn ich sie als Sicherheitsventile für seinen Überdruck ansah. Ich wollte nicht, daß er unkontrollierbar losbrach. Lieber fiel ich noch mehr Treppen hinunter; aber ich würde auch besser aufpassen, wo ich entlangging.

Als ich ihre Loge erreichte, war die Prinzessin auf dem Balkon, in ihren Pelz gehüllt und allein.

Ich ging zu ihr hinaus und sah, daß sie blind, in offensichtlich unangenehmen Gedanken über die Rennbahn hinschaute.

«Prinzessin«, sagte ich.

Sie drehte den Kopf, richtete die Augen auf mein Gesicht.

«Geben Sie nicht auf«, sagte ich.

«Nein. «Sie straffte ihren Hals und ihren Rücken, wie um jeden Gedanken daran von sich zu weisen.»Geht’s Helikon gut?«fragte sie.

«Dusty sagt, ja.«

«Schön. «Sie seufzte.»Haben Sie eine Ahnung, wer nächste Woche startet? Ich hab alles vergessen.«

Viel wußte ich auch nicht mehr.»Icefall läuft am Donnerstag in Lingfield.«

«Wieso ist Helikon gestürzt?«fragte sie, und ich erklärte ihr, daß es nicht an ihrem Pferd lag, es sei zu Fall gebracht worden.

«Bis dahin ist er gut gelaufen«, sagte ich.»Er wird jetzt erwachsen und ist leichter zu bändigen. Ich schule ihn nächste Woche mal morgens und baue ihn wieder auf.«

Sie zeigte ein Fünkchen Freude an einem sonst unerfreulichen Tag. Sie erkundigte sich nicht direkt nach meinem Gesundheitszustand, denn das tat sie nie: Die Auswirkung von Stürzen ordnete sie meiner Privatsphäre zu, in die sie nicht eindrang. Das war eine Haltung, die auf ihre eigene Verschwiegenheit zurückging, und sie störte mich keineswegs, ich schätzte sie. Was ich nicht ausstehen konnte, war Getue.

Wir gingen auf eine Tasse Tee hinein zu Danielle, Litsi und Beatrice, und bald darauf erschien Lord Vaughnley zu einem seiner regelmäßigen Besuche in der Loge der Prinzessin.

Seine unterschwellige Nervosität verschwand, als er mich dort entdeckte, und nach ein paar Minuten gelang es ihm, mich von der Meute abzuschneiden und in eine Ecke zu schleusen.

Ich dankte ihm für das Päckchen von gestern.

«Wie bitte? Ach so, mein Lieber, keine Ursache. Aber das hatte ich Ihnen jetzt nicht sagen wollen, überhaupt nicht. Leider ist da etwas durchgesickert… sehr peinliche Geschichte.«

«Was ist durchgesickert?«fragte ich verwirrt.

«Etwas von Ihrem Film über Maynard Allardeck.«

Ich spürte einen kalten Schauer im Rücken. Der Film mußte unbedingt geheim bleiben.

«Ich fürchte«, sagte Lord Vaughnley,»Allardeck weiß, daß Sie den Ehrentitelverleihern in der Downing Street eine Kopie davon geschickt haben. Er weiß, daß man ihn nie wieder für den Adelsstand in Betracht ziehen wird, weil Sie das getan haben. «Er lächelte etwas nervös, konnte aber dem journalistischen Resümee nicht widerstehen:»Niemals Sir Maynard, niemals Lord Allardeck, wegen Kit Fielding.«»Wie in drei Teufels Namen hat er das erfahren?«fragte ich.

«Ich weiß es nicht«, sagte Lord Vaughnley verlegen.»Nicht von mir, mein Lieber, das versichere ich Ihnen. Ich habe es keiner Seele erzählt. Aber manchmal dringt eben was durch. Jemand vom Staatsdienst… nicht wahr?«

Ich sah ihn bestürzt an.»Seit wann weiß er es?«

«Ich glaube, seit irgendwann letzte Woche. «Er schüttelte unglücklich den Kopf.»Ich habe es heute morgen in einer Ausschußsitzung des Hilfswerks gehört, wo Allardeck und ich im Vorstand sind. Er ist der Präsident. Das Beamtenhilfswerk, Sie erinnern sich.«

Ich erinnerte mich. Vor allem durch gute Werke für die kranken und notleidenden Angehörigen von Staatsbeamten hatte Maynard den Adelsstand zu erlangen versucht.

«Von dem Hilfswerk hat doch niemand den Film gesehen, oder?«fragte ich drängend.

«Nein, nein, mein Lieber. Die haben nur gehört, daß es ihn gibt. Offenbar hat einer von ihnen Allardeck gefragt, ob er etwas davon wüßte.«

O Gott, dachte ich. Durchsickern war gar kein Ausdruck.

«Ich fand, Sie sollten es wissen«, sagte Lord Vaughnley.»Und vergessen Sie nicht, daß ich ein ebenso starkes Interesse an dem Film habe wie Sie. Wenn er überall gezeigt wird, sind wir unser Druckmittel los.«

«Und Maynard seinen Heiligenschein.«

«Er macht vielleicht ohne ihn weiter.«

«Es existieren nur die Kopien«, sagte ich,»die ich Ihnen und den Ehrentitelverleihern gab, und die drei, die ich auf der Bank habe. Wenn die Titelverleiher ihn nicht zeigen… Ich kann nicht glauben, daß sie das tun«, stieß ich hervor.»Die waren doch alle so diskret.«»Ich wollte Sie nur warnen.«

«Ich bin froh, daß Sie’s getan haben.«

Es erklärte so vieles von Maynards Verhalten in letzter Zeit. Bei der Wut, die er im Bauch haben mußte, zeugte es von erstaunlicher Zurückhaltung, daß er mich nur die Treppe hinuntergestoßen hatte.

Aber andererseits… ich war ja noch im Besitz des Films, und bisher war er keinem breiteren Publikum vorgeführt worden, und Maynard würde die Vorführung wirklich nicht wollen, soviel ihn der Film auch bereits gekostet hatte.

Lord Vaughnley entschuldigte sich bei der Prinzessin, ihren Jockey mit Beschlag belegt zu haben, und fragte mich, ob ich interessiert sei, noch mehr Informationen über Nanterre zu bekommen.

«Ja, bitte«, sagte ich, worauf er nickte und meinte, der Name laufe noch durch irgendwelche Computer.

«Sorgen?«fragte Litsi an meinem Ellbogen, als Lord Vaughnley gegangen war.

«Allardeck-Sorgen, nicht Nanterre. «Ich lächelte schief.»Die Fieldings hatten jahrhundertelang Allardeck-Sorgen. Die mit Nanterre sind viel dringender.«

Wir schauten uns das letzte Rennen an — ohne Konzentration, was mich betraf — und kehrten schließlich zu den Autos zurück. Litsi und Danielle wurden dem Rolls untreu und sagten, sie würden mit mir fahren.

Auf dem Weg von der Loge zum Parkplatz blieb ich ein paarmal stehen, um meinen Fuß zu entlasten. Keiner äußerte sich dazu, aber als wir zu meinem Wagen kamen, sagte Danielle entschieden:»Ich fahre. Du kannst mir den Weg sagen.«

«Für die Automatik braucht man keinen linken Fuß«, hob ich hervor.

«Ich fahre«, sagte sie grimmig.»Ich habe dein Auto schon mal gefahren. «Sie hatte, bei einer ähnlichen Gelegenheit.

Ich setzte mich auf den Beifahrersitz und bat sie, an einer Drogerie weiter unten in der Straße zu halten.

«Was brauchst du?«sagte sie schroff und hielt am Bordstein.»Ich hole es dir.«

«Verbandszeug und Mineralwasser.«

«Aspirin?«

«Sind welche im Handschuhfach.«

Sie ging flott in den Laden und kam mit einer Papiertüte wieder, die sie mir auf den Schoß warf.

«Ich erzähl dir mal, was anliegt«, sagte sie mit unterdrückter Heftigkeit zu Litsi, als sie den Wagen wieder startete und Richtung London fuhr.»Er wird seinen Knöchel bandagieren und mit Eisbeuteln behängen, damit die Schwellung zurückgeht. Morgen wird er hufförmige schwarze Blutergüsse haben, und alles wird ihm weh tun. Keiner soll merken, daß er mit dem Fuß nicht auftreten kann, ohne daß ihm der Schmerz durch die Knochen fährt. Wenn du ihn fragst, wie es ihm geht, wird er sagen, >durch Mark und Beine. Er mag kein Mitgefühl. Verletzungen sind ihm peinlich, und er gibt sich alle Mühe, nicht auf sie zu achten.«

Litsi sagte, als sie innehielt:»Du mußt ihn sehr gut kennen.«

Das brachte Danielle zum Schweigen. Sie fuhr mit dem gleichen gedrosselten Zorn weiter, und es dauerte einige Zeit, bis sie sich entspannte.

Ich nahm ein paar Aspirin mit Mineralwasser und dachte über ihre Worte nach. Und Litsi hatte recht, überlegte ich: Sie kannte mich wirklich. Leider hörte sie sich an, als wünschte sie mich nicht zu kennen.

«Kit, Sie haben mir noch nicht erzählt«, sagte Litsi nach einer Weile,»warum sich Maynard Allardeck so geärgert hat, als die Prinzessin sagte, ihre Pferde liefen in Sandown immer gut. Wie kann einen so was ärgern?«

«Die Bescheidenheit verbietet mir, Ihnen das zu sagen«, lächelte ich.

«Na, versuchen Sie’s mal.«

«Sie hat mir damit ein Kompliment gemacht, das Maynard nicht hören wollte.«

«Sie meinen, es liegt an Ihrem Können, daß die Pferde gut laufen?«

«Erfahrung«, antwortete ich.»So in der Art.«

«Er ist besessen«, sagte Litsi.

Er war gefährlich, dachte ich; und es gab so etwas wie Mordaufträge, ausgeführt von unbekannter Hand, ein Gedanke, der mir nicht sonderlich gefiel. Um mich von schaurigen Vorstellungen abzubringen, fragte ich Danielle, ob sie Beatrice schon gesagt hätte, daß am Montag ihre letzte Spätschicht sei.

Danielle antwortete nach einem ziemlich langen Zögern, nein, noch nicht.

«Ich wünschte, du würdest es tun«, sagte ich bestürzt.»Du wolltest es doch.«

«Ich kann ihr das nicht sagen… Was ist, wenn Nanterre auftaucht und dich erschießt?«

«Wird er schon nicht«, sagte ich.»Aber wenn wir ihn nicht schnappen…«Ich unterbrach mich.»Die Prinzessin sagte mir heute, daß Roland, wenn er den Waffenvertrag unterschreibt, um uns alle zu retten, buchstäblich vor Scham stirbt. Er würde dann nicht mehr weiterleben wollen. Sie befürchtet stark, daß er nachgeben könnte… sie liebt ihn… sie möchte, daß er am Leben bleibt. Also müssen wir Nanterre stoppen, und zwar bald.«

Danielle antwortete über zwei oder drei Meilen nicht, und schließlich war es Litsi, der das Schweigen brach.

«Ich werde es Beatrice sagen«, meinte er ruhig.

«Nein«, protestierte Danielle.

«Letzte Nacht«, sagte ich,»hat Nanterre noch ein Pferd der Prinzessin getötet. Die Prinzessin will nicht, daß Roland davon erfährt. oder Beatrice, die es ihm erzählen würde.«

Beide taten einen bekümmerten Ausruf.

«Kein Wunder, daß sie so traurig gewesen ist«, sagte Litsi.»Es war nicht nur der Sturz von Helikon.«

«Welches Pferd?«fragte Danielle.

«Col«, sagte ich.»Der, den ich in Ascot geritten habe.«

«Der knapp besiegt worden ist?«fragte Litsi.

«Ja«, sagte Danielle.»Ihr Pferd für den Gold Cup. «Sie schluckte.»Wenn Litsi Beatrice sagt, Montag sei mein letzter Tag, werde ich nicht widersprechen.«

Wir verbrachten wieder einen etwas beklemmenden Abend im Haus. Roland kam zum Essen herunter, und die Unterhaltung verlief ein wenig stockend, weil jeder im Kopf behalten mußte, was nicht bekannt war und nicht gesagt werden durfte.

Litsi gelang es, Beatrice unmißverständlich, aber ganz nebenbei mitzuteilen, daß ich Danielle am Montag zum letzten Mal nachts abholen würde, da Danielle danach nicht mehr abends arbeiten ginge, eine Neuigkeit, die Prinzessin Casilia sehr in Erstaunen setzte.

Beatrice nahm die Nachricht zufriedenstellend auf; ihr Blick schweifte in meine Richtung, und man konnte fast die Rädchen klicken hören, als sie dem Ort die Zeit hinzufügte.

Ich fragte mich, ob sie einen klaren Begriff von der Sache hatte, die sie, wie ich hoffte, in die Wege leiten würde. Sie schien keine Bedenken oder Skrupel gegen einen Hinterhalt zu haben, durch den sie mich loswerden könnte, aber freilich wußte sie nichts von dem Anschlag auf Litsi oder Cols Tod. Davon konnten wir ihr nichts sagen, denn sie würde entweder sofort auf den Zusammenbruch ihres Bruders hinwirken, indem sie ihn einweihte, oder aber erneut Gewissensbisse bekommen und den Hinterhalt gar nicht erst einfädeln. Mit Beatrice dachte ich, setzten wir wirklich alles auf eine Karte.

Nanterre rief wieder nicht an; und den ganzen Tag hatte sich niemand nach einer Bradbury-Belohnung erkundigt.

Die Anzeigen waren zwei Tage lang an auffälliger Stelle in den Rennzeitungen erschienen und gut sichtbar im Towncrier, aber entweder hatte der Bote sie verpaßt oder es nicht der Mühe wert gehalten, darauf zu antworten.

Na ja, dachte ich enttäuscht, als ich mich ein wenig ächzend ins Bett legte, erst fand ich die Idee ganz gut, was Eva nach dem Apfel bestimmt auch zu Adam gesagt hatte.

Dawson meldete sich am Sonntagmorgen vor sieben Uhr über die Sprechanlage. Telefongespräch, sagte er.

Nicht schon wieder, dachte ich: Herrgott, nicht schon wieder.

Ich griff mit den fürchterlichsten Ahnungen zum Hörer und gab mir große Mühe, nicht zu zittern.

«Hören Sie«, sagte eine Stimme,»dies ist eine Nachricht an Danielle. Ich will keine Schwierigkeiten, aber kann man sich auf die Belohnung verlassen?«

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