Er stand bei einer anderen Eigner-Trainer-Jockey-Gruppe und blickte zu mir herüber, als hätte er auch beobachtet.
So unwillkommen er auch war, ich mußte den Gedanken an ihn zurückstellen, wegen der aufgeregten Fragen des dicken, enthusiastischen Besitzerehepaars, dessen Träume ich in den nächsten zehn Minuten wahrmachen sollte; und die Prinzessin war hoffentlich ohnehin wohlbehütet auf der Tribüne.
Der Traum, denn so hieß das Pferd, hatte auf der Flachen gesiegt und debütierte nun über die Hürden. Er erwies sich in der Tat als schnell, aber vom Springen hatte er noch nichts begriffen: Er streifte die ersten drei Hürden unheilschwanger und setzte seine Hufe mitten in die vierte, und das war das Ende unseres gemeinsamen Weges. Der Traum galoppierte in panischer Flucht davon, ich raffte mich unbeschädigt aus dem Gras auf und wartete ergeben auf ein Auto, das mich abholen käme. Man mußte bei jedem zehnten oder elften Rennen auf einen Sturz gefaßt sein, und meistens gingen sie so glimpflich ab wie dieser, allenfalls mit einem Bluterguß. Die bösen kamen vielleicht zweimal im Jahr, immer unerwartet.
Ich ließ mich vom Arzt abklopfen, wie das nach jedem Sturz geboten war, und während ich mich für das nächste
Rennen umzog, fand ich Zeit, mit dem Jockey aus der Gruppe bei Nanterre zu reden: Jamie Fingall, langjähriger Kollege, einer aus dem großen Verein.
«Franzose mit Hakennase? Ach, na ja, der Alte hat ihn vorgestellt, aber ich hab nicht weiter drauf geachtet. Hat Pferde in Frankreich oder so was.«
«Hm… War er bei deinem Chef oder bei den Besitzern?«
«Bei den Besitzern, aber mir kam es vor, als wollte der Alte den Franzmann dazu kriegen, daß er ihm ein Pferd rüberschickt.«
«Gut, danke.«
«Keine Ursache.«
Jamie Fingalls Chef, Basil Clutter, trainierte in Lambourn, etwa anderthalb Kilometer von meinem Haus entfernt, aber vor dem nächsten Lauf, dem 3-Meilen-Jagdrennen, blieb keine Zeit, ihn zu suchen, und danach mußte ich mich wieder umziehen und mich mit der Prinzessin im Führring treffen, wo Kinley bereits umherstolzierte.
Wie vorher war sie gut bewacht und schien beinahe Spaß daran zu haben, und ich zauderte, ob ich sie mit Neuigkeiten über Nanterre beunruhigen sollte oder nicht. Schließlich sagte ich nur zu Thomas:»Der Frosch ist hier. Bleiben Sie dicht bei ihr«, und er reckte kurz den Daumen und sah entschlossen drein. Thomas mit entschlossener Miene, dachte ich, hätte Attila den Hunnen vertrieben.
Kinley entschädigte für einen sonst miserablen Nachmittag und riß mich aus dem Stimmungstief in schwindelnde Höhen.
Der Kontakt zwischen uns, fast augenblicklich hergestellt bei seinem ersten Hürdenrennen im November, hatte sich in drei darauffolgenden Starts vertieft, so daß er im
Februar jeweils schon vorher zu wissen schien, was ich von ihm wollte, genau wie ich wußte, was er wollte, bevor er es tat. Das Ergebnis war Rennreiten in feinster Ausprägung, eine unerklärliche Synthese auf einer primitiven Ebene und zweifellos geteilte Freude.
Kinley nahm Hürden mit einem Elan, der mich, als ich damit Bekanntschaft schloß, fast aus dem Sattel geworfen hätte, und obwohl ich seitdem wußte, was passieren würde, überraschte es mich immer noch. An der ersten Hürde blieb mir wie üblich der Atem stehen, und am Ende schätzte ich, daß wir glatte zwanzig Längen in der Luft herausgeholt hatten. Er siegte mühelos und locker, und ich hoffte, Wykeham, der es im Fernsehen sah, würde es als» anständigen Ritt «einstufen und mir Cascade verzeihen. Maynard Allardeck, dachte ich grimmig, als ich Kinley den Weg zum Sattelplatz hinaufführte, konnte diesmal nicht das geringste zu bekritteln haben; und mir wurde klar, daß er zusammen mit Kinley und Nanterre mich wenigstens davon abgehalten hatte, über Botticelli, Tizian und Raphael zu grübeln.
Die Prinzessin hatte sprühendsten Glanz in ihren blauen Augen, einen Blick, als wären Pistolen nie erfunden worden. Ich glitt aus dem Sattel, und wir lächelten in gemeinsamer Siegesfreude, und ich hielt mich zurück, sonst hätte ich sie umarmt.
«Er ist bereit für Cheltenham«, sie streckte eine behandschuhte Hand aus, um das dunkle Haarkleid zu tätscheln.»Er ist so gut wie Sir Ken.«
Sir Ken war ein Superstar der fünfziger Jahre gewesen, Sieger in zahlreichen hochdotierten Hürdenrennen, dreimal Bester seines Jahrgangs. Ein Pferd wie Sir Ken zu besitzen war für viele, die ihn erlebt hatten, das Allergrößte, und die Prinzessin, für die das zutraf, hatte schon oft von ihm gesprochen.
«Er hat noch viel vor sich«, sagte ich und schnallte die Gurte los.»Er ist noch so jung.«
«O ja«, strahlte sie.»Aber…«Sie stockte plötzlich, mit einem Laut des Erstaunens. Ich sah, wie sie die Augen aufriß, als sie mir entsetzt über die rechte Schulter blickte, und ich schnellte herum, um zu sehen, was dort war.
Henri Nanterre stand da und starrte sie an.
Ich stand zwischen ihnen. Thomas und die Freunde waren hinter ihr, mehr damit beschäftigt, Kinleys sorglosen Hufen auszuweichen als ihren Schützling am sichersten und öffentlichsten aller Orte zu bewachen.
Henri Nanterre lenkte kurz den Blick auf mein Gesicht und glotzte mich dann entgeistert mit offenem Mund an.
Vorhin im Führring hatte ich angenommen, da er mich beobachtete, hätte er gemerkt, wer ich war, aber in dieser Sekunde wurde mir klar, daß er mich einfach als den Jok-key der Prinzessin betrachtet hatte. Er war offenbar verblüfft, in mir den Mann von gestern abend wiederzuerkennen.
«Sie sind doch…«sagte er, ausnahmsweise um laute Sprüche verlegen.»Sie.«
«Ganz recht«, sagte ich.»Was wollen Sie?«
Er erholte sich mit zuschnappendem Mund von seiner Überraschung, sah die Prinzessin aus schmalen Augenschlitzen an und sagte deutlich:»Jockeys können Unfälle haben.«
«Das können auch Leute, die Pistolen tragen«, parierte ich.»War es das, was Sie uns mitteilen wollten?«
Anscheinend war es das wirklich, mehr oder weniger.
«Gehen Sie«, sagte ich, fast so, wie er es mir gestern in der Loge gesagt hatte, und zu meiner größten Verwunderung ging er.
«He«, meinte Thomas aufgeregt,»das war. das war doch… oder nicht?«
«Ja, das war er«, sagte ich und schlang die Gurte um meinen Sattel.»Jetzt wissen Sie, wie er aussieht.«
«Madam!«sagte Thomas zerknirscht.»Wo ist er hergekommen?«
«Ich hab’s nicht gesehen«, antwortete sie ein wenig atemlos.»Auf einmal war er da.«
«Der Kerl bewegt sich wie ein Aal«, meinte einer ihrer Bekannten, und tatsächlich hatte sein Abgang eine gleitende Schnelligkeit gehabt.
«Nun, meine Lieben«, sagte die Prinzessin etwas unsicher lachend zu ihren Freunden,»gehen wir rauf und feiern diesen herrlichen Sieg. Und Sie, Kit, kommen bitte auch bald.«
«Ja, Prinzessin.«
Ich ließ mich zurückwiegen, und da es mein letzter Ritt für heute gewesen war, zog ich Straßenkleidung an. Danach machte ich einen Umweg über die Sattelboxen, weil Jamie zu mir gesagt hatte, dort würde Basil Clutter sein, um seinen Starter für den letzten Wettbewerb zu satteln.
Trainer haben an solchen Orten niemals Muße zum Reden, aber er brachte widerstrebend eine oder zwei Antworten heraus, während er Bleidecke, Nummerndecke und Sattel auf den Rücken seines unruhigen Schützlings legte.
«Franzose? Nanterre, ja. Hat Pferde in Frankreich, ausgebildet von Villon. Irgendein Industrieller. Wo er wohnt? Wie soll ich das wissen? Fragen Sie die Roquevilles, mit denen ist er gekommen. Die Roquevilles? Also, löchern Sie mich jetzt nicht. Rufen Sie mich heute abend an, ja?«
«Gut«, seufzte ich und ging, während er das Maul seines Pferdes mit einem Schwamm reinigte, um es dem Publikum sauber und gepflegt zu präsentieren. Basil Clutter war fleißig, rührig, immer auf Trab, und er sparte Geld, indem er Dustys Arbeit die eines Reisefuttermeisters — selbst übernahm.
Ich ging in die Loge der Prinzessin hinauf, trank Tee mit Zitrone und ließ den Glanz von Kinleys Sprungkünsten für sie und ihre Freunde noch einmal aufleben. Als es Zeit zum Aufbruch war, sagte sie:»Sie fahren doch mit mir zurück, ja?«, als wäre das etwas ganz Selbstverständliches, und ich sagte:»Aber sicher«, als fände ich das auch.
Ich holte aus meinem gestern deponierten Wagen den Handkoffer, den ich gewohnheitsmäßig für alle Fälle dabeihatte, und wir fuhren zügig zurück zum Eaton Square, wo ich vom Bambuszimmer aus mit Wykeham telefonierte. Er sei erfreut wegen Kinley, aber sauer wegen Hillsborough, sagte er. Laut Dusty hätte ich nichts gezeigt und sei prompt zu den Stewards bestellt worden. Wie ich denn dazu käme, mir an zwei Tagen hintereinander Ärger einzuhandeln?
Ich könnte Dusty erwürgen, dachte ich und erzählte Wykeham, was ich auch den Stewards erzählt hatte.»Sie haben die Erklärung akzeptiert«, sagte ich.»Maynard Allardeck war dabei, und der ist doch immer hinter mir her, egal, was ich mache.«
«Ja, mag sein. «Er wurde sehr viel fröhlicher und lachte sogar leise.»Bei den Buchmachern kann man Wetten darauf abschließen, wann — nicht ob — er ein Startverbot für Sie erreicht.«
«Sehr lustig«, sagte ich, nicht amüsiert.»Ich bin noch am Eaton Square, falls Sie mich brauchen.«
«So?«meinte er.»Alles klar dann. Gute Nacht, Kit.«
«Gute Nacht, Wykeham.«
Als nächstes rief ich Basil Clutter an, der mir die Nummer der Roquevilles gab, und die Roquevilles erreichte ich bei ihrer Rückkehr von Newbury.
Nein, sagte Bernard Roqueville, er wisse nicht, wo Henri Nanterre sich aufhalte. Ja, er kenne ihn, aber nicht näher. Er habe ihn in Paris beim Pferderennen von Longchamp kennengelernt, und Nanterre habe die Bekanntschaft erneuert, indem er ihn und seine Frau in Newbury zu einem Drink eingeladen habe. Warum mich das interessiere, fragte er.
Ich sagte ihm, daß ich hoffte, Nanterre ausfindig zu machen, solange er in England sei. Bernard Roqueville bedauerte, daß er mir nicht helfen konnte, und damit hatte es sich.
Fehlanzeige, dachte ich resigniert, als ich auflegte. Vielleicht hatte die Polizei ja mehr Erfolg, aber ich befürchtete, daß sie, um jemand zurechtzuweisen, der eine ausländische Prinzessin mit einer ungeladenen Pistole bedroht hatte, nicht gerade eine Großfahndung auslösen würde.
Ich ging hinunter ins Wohnzimmer und besprach Hillbo-roughs Talfahrt bei einem Glas mit der Prinzessin. Später am Abend aßen sie, Roland de Brescou und ich dann im Speisezimmer, bedient von Dawson, und ich dachte nur ungefähr zwanzig Mal an das florentinische Bankett im Norden.
Erst nach zehn, als wir uns gute Nacht wünschten, kam sie auf Nanterre zu sprechen.
«Er hat doch gesagt, daß Jockeys verunglücken können, nicht wahr?«
«Das hat er. Und sie tun’s ja ziemlich oft.«
«So hat er es nicht gemeint.«
«Schon möglich.«
«Ich könnte mir nie verzeihen, wenn Ihnen unsertwegen etwas zustieße.«
«Eben darauf spekuliert er. Aber ich vertraue mal auf mein Glück. Thomas auch. «Und im stillen dachte ich, wenn ihr Mann angesichts der Pistole am Kopf seiner Frau nicht gleich umgekippt war, dann war es unwahrscheinlich, daß er nachgab, wenn auf uns eine ganze Artillerie zielte.
Sie dachte mit Schaudern zurück:»Meinen Lieben… oder meinen Angestellten… würde etwas zustoßen.«
«Das ist nur Geschwätz. Er wird nichts tun«, redete ich ihr zu, und sie sagte leise, das hoffe sie auch, und ging zu Bett.
Ich wanderte wieder durch das große Haus, kontrollierte die Sicherheitsvorkehrungen und fragte mich erneut, was ich wohl übersehen hatte.
Am Morgen fand ich es heraus.
Ich war schon wach, als um sieben die Sprechanlage summte, und als ich antwortete, bat Dawson mich mit schläfriger Stimme ans Telefon, da ein Anruf für mich gekommen sei. Ich nahm den Hörer ab und stellte fest, daß Wykeham am Apparat war.
Rennställe wachen sonntags so früh auf wie an anderen Tagen, und ich war an Wykehams Sonnenaufgangsgedanken gewöhnt, da er immer gegen fünf aufstand. An diesem Morgen redete er jedoch so unzusammenhängend und erregt, wie ich ihn noch nie gehört hatte, und zuerst überlegte ich wirr, welche Verfehlungen ich mir wohl im Schlaf hatte zuschulden kommen lassen.
«H-haben Sie mich g-gehört?«stammelte er.»Zwei von ihnen! Z-zwei Pferde von der P-Prinzessin sind tot.«
«Zwei?«Ich setzte mich kerzengerade im Bett auf, und es überlief mich kalt.»Aber wieso? Ich meine. welche zwei?«
«Sie liegen tot in ihren Boxen. Steif. Sie sind seit Stunden tot.«
«Welche zwei?«wiederholte ich angstvoll.
Am anderen Ende wurde es still. Er hatte auch in den besten Zeiten Mühe, sich an ihre Namen zu erinnern, und ich konnte mir vorstellen, daß ihm in diesem Moment eine ganze Liste längst vergangener Helden auf der Zunge brannte.
«Die beiden«, sagte er schließlich,»die am Freitag gestartet sind. «Ich war wie betäubt.
«Sind Sie noch da?«fragte er.
«Ja. Heißt das. Cascade. und Cotopaxi?«
Die konnte er doch nicht meinen, dachte ich. Das durfte nicht wahr sein. Nicht Cotopaxi… nicht vor dem Grand National.
«Cascade«, sagte er.»Cotopaxi.«
O nein…»Woran?«fragte ich.
«Ich hab den Tierarzt angerufen«, sagte er.»Ihn aus dem Bett geholt. Ich weiß nicht, woran. Das ist seine Aufgabe. Aber zwei! Einer könnte ja sterben, das gibt’s schon mal, aber nicht zwei… Sagen Sie es der Prinzessin, Kit.«
«Das ist Ihre Aufgabe«, protestierte ich.
«Nein, nein, Sie sind doch dort… Bringen Sie’s ihr schonend bei. Ist besser als am Telefon. Die sind wie Kinder für sie.«
Ihre Lieben… Jesus Christus.
«Was ist mit Kinley?«fragte ich hastig.
«Bitte?«
«Kinley… der Hürdensieger von gestern.«
«Ach so, ja. Dem geht es gut. Wir haben nach allen anderen geschaut, als wir die zwei gefunden hatten. Ihre Boxen lagen nebeneinander, wie Sie wissen. Sagen Sie es der
Prinzessin bald, Kit, ja? Wir müssen doch die Pferde wegschaffen. Sie muß uns sagen, was mit den Kadavern werden soll. Allerdings, wenn sie vergiftet sind…«
«Glauben Sie denn, daß es Gift war?«fragte ich.
«Ich weiß es nicht. Jetzt sagen Sie ihr Bescheid, Kit. «Er knallte den Hörer auf, und ich hängte ein mit dem Gefühl, ich könnte platzen vor unnützem Zorn.
Ihre Pferde umzubringen! Wäre Henri Nanterre in dem Augenblick dort gewesen, ich hätte ihm seine Plastikpistole in den großmäuligen Hals gerammt. Cascade und Cotopaxi… Zwei, die ich kannte, seit Jahren gekannt hatte. Ich trauerte um sie wie um Freunde.
Dawson erklärte sich damit einverstanden, daß seine Frau die Prinzessin wecken und ihr sagen sollte, ich hätte schlechte Nachrichten über eines ihrer Pferde und würde im Wohnzimmer auf sie warten. Ich zog mich an und ging hinunter, und wenig später kam sie, ohne Make-up und mit sorgenvollen Augen.
«Was ist?«fragte sie.»Welches Pferd?«
Als ich ihr eröffnete, daß es zwei waren und welche zwei, sah ich, wie ihr Entsetzen in einen entsetzlichen Verdacht mündete.
«O nein, das kann er doch nicht getan haben«, rief sie aus.»Sie glauben doch nicht, daß er.«
«Wenn es sein Werk ist«, sagte ich,»dann wird er sich noch wünschen, er hätte es nicht getan.«
Sie beschloß, sofort zu Wykehams Rennstall zu fahren, und ließ sich nicht davon abbringen, als ich versuchte, es ihr auszureden.
«Natürlich muß ich hin. Der arme Wykeham braucht doch jetzt Trost. Ich fände es verkehrt, wenn ich nicht fahren würde.«
Wykeham brauchte den Trost zwar weniger als sie, aber um halb neun waren wir unterwegs; die Prinzessin mit Lippenstift und Thomas friedfertig wie immer, obwohl sein freier Tag hinüber war. Mein Angebot, den Rolls an seiner Stelle zu fahren, hatte er abgelehnt wie einen unsittlichen Antrag.
Wykehams Niederlassung, eine Autostunde südlich von London, lag außerhalb eines kleinen Ortes an einem Hang der Sussex Downs. Weitläufig und verschachtelt, war sie im Lauf eines Jahrhunderts planlos vergrößert worden, und für Pferdebesitzer war sie reizvoll wegen ihres Labyrinths von unerwarteten kleinen Stallhöfen, mit jeweils acht bis zehn Boxen und mit Stechpalmen in rotbemalten Tonnen. Für das Stallpersonal bedeutete das malerische Wirrsal viel Lauferei, viel vergeudete Zeit.
Die Pferde der Prinzessin waren auf fünf von den Höfen verteilt, keinen nahmen sie ganz ein. Wie viele andere Trainer verstreute Wykeham lieber die Pferde eines Besitzers, anstatt sie alle zusammenzuziehen, und zufällig waren Cascade und Cotopaxi die einzigen aus dem Besitz der Prinzessin gewesen, die in dem Hof direkt an der Einfahrt gestanden hatten.
Man mußte auf einem zentralen Platz parken und durch überwölbte Torwege auf die Höfe gehen, und als er unseren Wagen hörte, kam Wykeham uns aus dem ersten Hof entgegen.
Er sah mit jeder Woche älter aus, dachte ich unbehaglich, als er spitzbübisch die Hand der Prinzessin küßte. Er flirtete immer halb mit ihr, mit zwinkernden Augen und den Überresten eines ehemals vitalen Charmes, aber an diesem Morgen wirkte er einfach verstört. Sein weißes Haar flatterte, als er den Hut abnahm, seine dünnen, alten Hände zitterten.
«Mein lieber Wykeham«, sagte die Prinzessin beunruhigt.»Sie sehen so verfroren aus.«
«Kommen Sie ins Haus. Das ist am besten. «Er schlug den Weg ein.
Die Prinzessin zögerte.»Sind meine armen Pferde noch hier?«
Er nickte unglücklich.»Der Doktor ist bei ihnen.«
«Dann sehe ich sie mir, glaube ich, mal an«, sagte sie einfach und ging mit festen Schritten auf den Hof. Wykeham und ich versuchten nicht, sie zurückzuhalten, sondern folgten ihr.
Die Türen von zwei Boxen standen offen, ihr Inneres von blassem Lampenschein beleuchtet, obwohl es draußen taghell war. Alle anderen Boxen waren fest geschlossen, und Wykeham sagte:»Wir haben die anderen Pferde hiergelassen. Anscheinend sind sie nicht beunruhigt, weil kein Blut geflossen ist… das würde sie nämlich aufregen.«
Die Prinzessin, die nur halb zuhörte, ging etwas langsamer dort hinüber, wo ihre Pferde auf dem dunkelbraunen Torf am Boden der Stallboxen lagen, ihre Leiber stumme Buckel, die ganze blitzende Geschwindigkeit dahin.
Sie waren in ihren Schlafdecken gestorben, doch entweder der Tierarzt oder Wykeham oder die Pfleger hatten sie ihnen abgenommen und zusammengerollt an die Wand gelehnt. Wir sahen schweigend auf das dunkel schimmernde Haarkleid von Cascade und auf das schneegesprenkelte Braun von Cotopaxi.
Robin Curtiss, der lange, jungenhaft schlaksige Tierarzt, war der Prinzessin bereits an dem einen oder anderen Morgen begegnet und mir schon öfter. Bekleidet mit einem grünen Overall, nickte er uns beiden zu und entschuldigte sich dafür, daß er uns nicht die Hand gab; er müsse sich erst waschen.
Die Prinzessin erwiderte seinen Gruß und fragte gleich darauf gefaßt:»Bitte… wie sind sie gestorben?«
Robin Curtiss warf einen Blick auf Wykeham und mich, aber wir mochten ihn beide nicht von der Antwort abhalten, und so schaute er wieder die Prinzessin an und sagte es ihr geradeheraus.
«Ma’am, sie sind erschossen worden. Sie haben nichts davon gemerkt. Sie wurden mit einem Bolzenschußapparat getötet.«