Kapitel 17

Ja«, sagte ich mit trockenem Mund.»Man kann.«»Wieviel also?«

Ich holte tief Luft, faßte es kaum, mein Herz pochte heftig.

«Ziemlich viel«, sagte ich.»Hängt davon ab, wieviel Sie mir sagen können… Ich würde gern zu Ihnen kommen.«

«Das weiß ich nicht so recht«, murrte er.

«Die Belohnung wäre größer«, sagte ich.»Und ich würde sie mitbringen. «Das Atmen fiel leichter. Meine Hände hatten aufgehört zu zittern.

«Ich will keinen Ärger«, sagte er.

«Es gibt auch keinen. Sagen Sie mir, wo wir uns treffen können, und ich komme hin.«

«Wie heißen Sie?«wollte er wissen.

Ich zögerte minimal.»Christmas«, sagte ich.

«Also, Mr. Christmas, ich treffe mich mit Ihnen nicht für weniger als hundert Pfund. «Er war angriffslustig, mißtrauisch und vorsichtig, alles auf einmal.

«In Ordnung«, sagte ich langsam.»Einverstanden.«

«Vorweg auf die Hand«, sagte er.

«Ja, gut.«

«Und wenn ich Ihnen sage, was Sie hören wollen, legen Sie noch mal das gleiche drauf.«

«Wenn Sie mir die Wahrheit sagen, ja.«

«Hm«, brummte er.»Also gut. Sie sind in London, was? Das ist eine Londoner Nummer.«

«Ja.«

«Wir treffen uns in Bradbury«, sagte er.»In der Stadt, nicht auf dem Rennplatz. Kommen Sie um zwölf nach Bradbury, wir treffen uns dann in einer Kneipe… dem King’s Head, auf halbem Weg die Hauptstraße runter.«

«Ich werde dort sein«, sagte ich.»Wie erkenne ich Sie?«

Er überlegte, schwer atmend.»Ich bringe die Sporting Life mit, in der Ihre Anzeige ist.«

«Und ehm… wie heißen Sie?«sagte ich.

Die Antwort auf diese Frage hatte er bereit.»John Smith«, erwiderte er prompt.»Bis dann, Mr. Christmas. Okay?«

«Okay«, sagte ich.

Er hängte ein, und ich legte mich eher unruhig als froh auf die Kissen zurück. Der Fisch, dachte ich, hatte den Haken noch nicht geschluckt. Er hatte am Köder geknabbert, war aber voller Vorbehalte. Ich hoffte bloß, er würde auftauchen, wo und wann er gesagt hatte, und daß er dann auch der richtige war.

Sein Akzent war ländlich gewesen, nicht derb, nur die gängige Mundart von Berkshire, die ich jeden Tag in Lambourn hörte. Er hatte keinen übermäßig intelligenten oder schlauen Eindruck gemacht, und der Betrag, den er verlangte, verriet eine ganze Menge über sein Einkommen und seine Bedürfnisse.

Hohe Belohnung… als ich gegen hundert nicht protestierte, hatte er aufs Doppelte erhöht. Aber zweihundert sah er als viel an.

Er war ein Wetter: Litsi hatte ihn beschrieben als jemand mit einer Sportzeitung, Rennkalender und Fernglas. Jetzt stand fest, daß er kleine Beträge setzte, ein Zocker, für den hundert schon ein stattlicher Gewinn waren. Wahrscheinlich konnte ich froh sein, daß er hundert nicht als Mindesteinsatz betrachtete: Für so jemand wäre eine hohe Belohnung vielleicht auf tausend hinausgelaufen.

Dankbar machte ich mich ans Aufstehen, was am Morgen nach einem Sturz immer eine längere und schmerzhafte Geschichte war. Die Eisbeutel von vor dem Schlafengehen waren längst geschmolzen, aber die Kugel, zu der mein Fußgelenk gestern nachmittag angeschwollen war, hatte sich deutlich zusammengezogen. Ich nahm den Verband ab, untersuchte den blauschwarzen Bluterguß und wickelte ihn sacht wieder ein; und erfreulicherweise paßte mein Schuh noch drüber.

In Hose, Hemd und Pullover fuhr ich mit dem Lift ins Souterrain und klaute noch einen Stoß Eiswürfel aus dem Kühlschrank, die ich in Plastikbeutel tat und in meine Socke stopfte. Dawson erschien im Morgenmantel, um nachzusehen, was in seiner Küche vorging, und zog lediglich die Brauen hoch wie schon am Abend vorher, als ich jeden Eiswürfel im Haus stibitzt hatte.

«War es richtig«, fragte er, zuschauend,»daß ich Ihnen den Anruf durchgestellt habe?«

«Goldrichtig.«

«Er sagte, es hätte mit der Annonce zu tun; er sei in Eile, da er von einer Zelle aus anrufe.«

«Von einer Zelle?«Ich schob das Hosenbein über die befrachtete Socke hinunter und spürte, wie die Kälte tief durch den Verband drang.

«Ja«, sagte Dawson.»Ich konnte es piepen hören. Holen Sie sich keine Frostbeulen damit?«

«Bis jetzt noch nie.«

Das Frühstück, meinte er ein wenig resigniert, werde in einer halben Stunde im Morgenzimmer aufgetragen, und ich dankte ihm und weckte in der Zwischenzeit Litsi auf, der mit verschlafenen Augen sagte, sonntags fange das Leben für ihn normalerweise erst um zehn an.

«Es hat an der Angel geruckt«, erklärte ich und erzählte ihm von John Smith.

«Sind Sie sicher, daß das keine Falle von Nanterre ist?«Litsi wachte gänzlich auf.»Vergessen Sie nicht, Nanterre könnte die Anzeige auch gesehen haben. Vielleicht gehen Sie dann ihm ins Netz anstatt umgekehrt… Daran haben Sie wohl schon gedacht?«

«Ja. Aber ich glaube, John Smith ist echt. Ein Strohmann wäre anders gewesen, entschlossener.«

Er krauste die Stirn.»Ich komme mit«, sagte er.

Ich schüttelte den Kopf.»Ich hätte Sie gern dabei, aber Sammy hat doch heute frei, weil wir alle hier sind, und wenn wir jetzt beide fahren.«

«In Ordnung«, sagte er.»Aber klettern Sie auf keinen Balkon. Wie geht’s Ihrem Fußgelenk? Oder darf ich das nicht fragen?«

«Halbwegs normal«, sagte ich.»Danielle übertreibt.«

«Nicht so sehr. «Er strich mit der Hand durch seine Haare.»Haben Sie genug Geld für John Smith?«

«Ja, bei mir zu Hause. Ich fahre dort vorbei. Irgendwann heute nachmittag komme ich wieder her.«

«Wenn alles gutgeht«, meinte er trocken.

Ich fuhr nach einer besonders gründlichen Inspektion meines Wagens nach Lambourn. Es bestand immerhin die Möglichkeit, daß John Smith doch eine Falle war, obwohl ich es alles in allem nicht glaubte. Nanterre hätte keinen Schauspieler gefunden, der die Feinheiten im Geschäftsgebaren des John Smith vorspiegeln konnte, noch hätte er selbst die Stimme nachahmen können.

John Smith war vielleicht jemand, der eine Belohnung zu ergattern suchte, obwohl er nichts zu bieten hatte; er konnte ein Betrüger sein, dachte ich, aber keine tödliche Gefahr.

Mein Haus mutete kalt und leer an. Ich öffnete die Post, die sich seit Montag dort angesammelt hatte, behielt alles Wichtige und warf den Ramsch zusammen mit mehreren ungelesenen Zeitungen in den Mülleimer. Ich blätterte die Zeitungen von diesem Sonntag durch und konnte in zwei oder drei Versionen, als Kurzmeldung, aber auch als Sonderartikel auf den Sportseiten, nachlesen, daß Col erschossen worden war. Die Berichte kamen alle auf Cascade und Cotopaxi zurück, fragten aber nicht groß nach dem Warum und sagten, Wer sei immer noch ein absolutes Rätsel. Ich hatte Beatrice seit ihrer Ankunft noch keine englische Tageszeitung lesen sehen und hoffte bloß, sie würde heute morgen nicht damit anfangen.

Ich raffte einige Sachen für mich zusammen: saubere Kleidung, das Geld, Schreibpapier, ein Tonbandgerät im Taschenformat, unbespielte Kassetten und eine Handvoll aus einer unordentlichen Schublade herausgesuchte Fotos.

Außerdem packte ich vorsorglich die Videokamera ins Auto, mit der ich Teile des Films gegen Maynard gedreht hatte, und einige unbespielte Bänder und Batterien dafür. Einen festen Plan zu ihrer Verwendung hatte ich nicht. Aus der Küche holte ich dann noch einen kleinen Apparat, den ich in New York erstanden hatte, ein Gerät zum Fernstarten von Autos. Es funktionierte per Funk über einen Empfänger im Auto, der die Zündung einschaltete und den Anlasser in Gang setzte. Ich hatte etwas übrig für technische Spielereien, und diese war bei Frost ausgesprochen nützlich, da man vom Haus aus den Wagen starten und den Motor warmlaufen lassen konnte, bevor man sich ins Schneegestöber stürzte.

Ich sah nach, was mein Anrufbeantworter an Nachrichten hatte, und erledigte das, füllte meine Socke mit frischen Eiswürfeln auf und fuhr schließlich weiter nach Bradbury. Zehn Minuten vor der Zeit kam ich in der kleinen Provinzstadt an.

Das King’s Head, sah ich, war ein eckiges, ziemlich kleines Backsteingebäude, relativ modern und dem Hopfen geweiht. Nichts vom Charme der alten Zeit, weder Wärmpfannen noch Eichenbalken, rote Lampenschirme oder Zinnkrüge; Parkplatz auch nicht. Das Bradbury Arms auf der anderen Straßenseite war mit all dem reichlich ausgestattet.

Ich parkte am Straßenrand und ging zuerst einmal in den Schankraum des King’s Head, wo ich eine Zielscheibe zum Pfeilwerfen sah, mehrere Sitzbänke, niedrige Tische, Sisalmattenbelag und einen ungenügend versorgten Tresen.

Keine Kundschaft.

Ich versuchte es in der elegant möblierten Bar, die Tische mit Glasplatten und leidlich bequeme Lehnstühle aus Holz hatte; in einen davon setzte ich mich, um zu warten.

Ein Mann erschien hinter der Theke und fragte mich, was ich trinken wolle.

«Ein kleines Bier«, sagte ich.

Er zapfte es, und ich zahlte.

Vor mich auf die gläserne Tischplatte legte ich den großen braunen Umschlag, der Lord Vaughnleys Archivfoto von Nanterre enthielt. Der Umschlag war jetzt außerdem vollgestopft mit dem Taschenrecorder, vier weiteren Fotos, zwei Bündeln Banknoten in getrennten kleineren Umschlägen, und einigen Bogen Schreibpapier. Alles, was ich für John Smith brauchte, lag bereit, aber von John Smith war nichts zu sehen.

Ein paar Einheimische, die mit dem Wirt gut bekannt waren, kamen in die Bar, bestellten» das Übliche «und beäugten mich, den Fremden. Keiner von ihnen hatte eine Zeitung dabei. Keiner von ihnen, was mich wunderte, war eine Frau.

Ich konnte das Tock… Tock…Tock von jemand hören, der im Schankraum Pfeile warf, deshalb nahm ich meinen Umschlag und mein Bier und schaute dort noch einmal nach.

Inzwischen waren drei Gäste da; zwei spielten mit den Wurfpfeilen, und einer saß auf der Kante einer Bank und sah auf seine Armbanduhr.

Neben ihm lag die Sporting Life vom Samstag, die fettgedruckte Anzeige zuoberst.

Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung ging ich hinüber und setzte mich zu ihm auf die Bank, so daß die Zeitung zwischen ihm und mir lag.

«Mr. Smith?«sagte ich.

Er schrak nervös zusammen, obwohl er gesehen hatte, wie ich auf ihn zugekommen war.

Er war so um die Fünfzig, trug eine rehbraune Jacke mit Reißverschluß und hatte das Flair gewohnheitsmäßiger Unterlegenheit. Sein noch schwarzes Haar war in sorgfältigen Strichen über eine angehende Glatze gekämmt, und seine Nasenspitze zeigte grad nach unten, als hätte sie vor langer Zeit jemand dahin geschlagen.

«Mein Name ist Christmas«, sagte ich.

Er sah mich genau an.»Sie kenne ich doch, oder?«

«Mag sein«, sagte ich.»Ich habe Ihnen Ihr Geld mitgebracht. Möchten Sie was trinken?«

«Ich hol’s mir«, sagte er. Schon war er aufgestanden, um zur Theke zu gehen, und aus dieser Entfernung musterte er mich skeptisch. Ich ließ eine Hand in den großen Umschlag gleiten, schaltete den Kassettenrecorder ein und zog das erste Päckchen Geld heraus, das ich neben mein Glas auf den Tisch legte.

«Warum hinken Sie?«fragte er, als er behutsam sein Glas absetzte.

«Hab mir den Fuß verstaucht.«

«Sie sind der Jockey«, sagte er.»Kit Fielding.«

Ich konnte die Bestürzung spüren, die ihn bei der Identifizierung überkam, und schob ihm das Geld hin, um ihn zu verankern, eine Flucht zu verhindern.

«Einhundert«, sagte ich,»vorweg.«

«Es war nicht meine Schuld«, sagte er hastig, fast aggressiv, als müßte er sich wehren.

«Nein, das weiß ich. Nehmen Sie das Geld.«

Er streckte eine großknochige Hand aus, ergriff die Beute, zählte nach und steckte sie in seine Innentasche.

«Erzählen Sie mir, was passiert ist«, sagte ich.

Doch so weit war er nicht. Das Unbehagen, Ursache und Wirkung, mußte erst noch bewältigt werden.

«Hören Sie, ich will nicht, daß das rumkommt«, sagte er nervös.»Ich war da im Zwiespalt. ich hab am Freitag die Annonce gesehen… aber, also verstehen Sie, von Rechts wegen hätte ich nicht beim Pferderennen sein dürfen. Ich sage Ihnen, daß ich da war, aber das darf nicht rumkommen.«

«Mm«, sagte ich unverbindlich.

«Weil, sehen Sie, ich könnte nämlich etwas steuerfreie Kohle vertragen, wer denn auch nicht? Also dachte ich, wenn es Ihnen zweihundert wert ist, dann rede ich vielleicht mit Ihnen.«

«Der Rest ist hier drin«, ich zeigte auf den braunen Umschlag.»Nun erzählen Sie mal… was passiert ist.«

«Hören Sie, ich hätte arbeiten gehen müssen. Ich hab gesagt, ich hätte die Grippe. Ich würde ja nicht fliegen, wenn die Bosse dahinterkämen, das gäb bloß ‘ne Standpauke, aber ich will nicht, daß die Frau es weiß, verstehen Sie, was ich meine? Sie dachte, ich wäre auf der Arbeit. Ich kam zur gewohnten Zeit heim. Sie würde mir die Ohren volljammern, wenn sie was ahnte. Beim Wetten hört für die der Spaß auf, verstehen Sie, was ich meine?«

«Und Sie«, sagte ich,»zocken gern mal ein bißchen?«

«Da ist doch nichts dabei, oder?«wollte er wissen.

«Nein«, sagte ich.

«Die Frau weiß nicht, daß ich hier bin«, sagte er.»Das ist nicht mein Lokal. Ich sagte ihr, ich müßte wegen eines Ersatzteils für meinen Motor nach Bradbury. Ich mache Ölwechsel und brauche einen neuen Filter. Von unserer Verabredung darf ich nichts sagen. Ich mußte Sie heute morgen anrufen, als ich mit dem Hund draußen war. Also, damit wir uns verstehen, ich will nicht, daß sich das rumspricht.«

Ich dachte zwar ohne Schuldgefühl an meinen hellhörigen kleinen Recorder, konnte mir aber vorstellen, daß Mr. Smiths Redefluß im Bruchteil einer Sekunde versiegen würde, wenn er ihn bemerkte. Er schien jedoch nicht der Typ zu sein, der mit so etwas überhaupt rechnete.

«Es spricht sich bestimmt nicht herum, Mr. Smith«, sagte ich.

Wieder zuckte er bei dem Namen leicht zusammen.

«Also, ich heiße nicht Smith, das können Sie sich vielleicht denken. Aber na ja, wenn Sie meinen Namen nicht kennen, ist das für mich viel sicherer, verstehen Sie?«

«Ja«, sagte ich.

Er trank das Bier weitgehend aus und wischte sich den Mund mit einem Taschentuch; weiß mit braunen Streifen und Karos am Rand. Die beiden Pfeilwerfer beendeten ihr Spiel und gingen hinüber in die Bar, so daß wir in unserer spartanischen Umgebung allein waren.

«Ich hatte mir die Pferde auf dem Sattelplatz angesehen«, sagte er,»und wollte gerade zu den Buchmachern, als dieser Typ auf mich zukam und mir einen Fünfer anbot, wenn ich jemandem eine Nachricht überbringe.«

«Einen Fünfer«, sagte ich.

«Jaja… na klar, da hab ich dem gesagt: >Mit zehn sind Sie dabei.««Er zog die Nase hoch.»Hat ihn nicht grad gefreut. Er hat mich richtig schief angesehen, dann schließlich aber doch geblecht. Zehn Pfund. Damit konnte ich bei dem Rennen gratis wetten. Verstehen Sie, was ich meine?«

«Ja«, sagte ich.

«Also sagt mir dieser Typ, ich brauchte nur zu einem Mann rüberzugehen, den er mir zeigen würde, und ihm zu sagen, Danielle wolle, daß er auf den Balkon kommt, um die Aussicht zu bewundern.«

«Waren das genau seine Worte?«

«Er hat’s mich zweimal wiederholen lassen. Dann gab er mir zwei Fünfer und zeigte auf einen dicken Mann in einem dunklen Mantel, der sehr vornehm aussah, und als ich mich umdrehte, war er weg. Jedenfalls hatte er mich dafür bezahlt, daß ich die Nachricht weitergebe, also hab ich das getan. Ich hab mir nichts dabei gedacht, verstehen Sie? Ich meine, es schien ja nichts dabei zu sein. Ich wußte, daß auf dem Balkon kein Zutritt war, aber wenn der da hochwollte, Gott, na ja — verstehen Sie, was ich meine?«

«Das kann ich verstehen«, sagte ich.

«Ich gab die Nachricht weiter, und der vornehme Knabe bedankte sich, und ich ging raus zu den Buchmachern und setzte zwei Fünfer auf Applejack.«

Mr. Smith war ein Verlierer, dachte ich. Ich hatte Applejack mit Pinkeye auf den zweiten Platz verwiesen.

«Sie trinken ja gar nichts«, bemerkte er, den Blick auf meinem noch vollen Glas.

Bier macht dick…»Sie können es haben«, sagte ich,»wenn Sie wollen.«

Er nahm das Glas ohne Umschweife und tat sich am Inhalt gütlich.

«Also«, meinte er.»Besser, Sie sagen es mir… war es der Mann, dem ich die Nachricht gebracht habe, der vom Balkon gefallen ist?«Seine Augen waren besorgt, flehten beinahe, die Antwort möge anders ausfallen, als er befürchtete.

«Leider ja«, sagte ich.

«Das dachte ich mir. Ich hab ihn nicht fallen gesehen, ich war vorn bei den Buchmachern, verstehen Sie? Aber später hab ich hier und da was aufgeschnappt von Mänteln und so weiter… Bin allerdings nicht schlau daraus geworden, bis am nächsten Tag die ganze Sache in der Zeitung stand. «Er schüttelte den Kopf.»Ich konnte aber doch nichts sagen, oder, weil ich ja heimlich bei dem Pferderennen war.«

«Schwierig«, gab ich zu.

«Es war nicht meine Schuld, daß er von dem Balkon gefallen ist«, sagte er bedrückt.»Also dachte ich, wozu soll ich irgend jemandem was von der Nachricht sagen. Halte ich lieber den Mund. Vielleicht hat ihn diese Danielle runtergestoßen, dachte ich. Vielleicht war er ihr Mann, und ihr Geliebter hat ihn durch mich da hochgeschickt, damit sie ihn runterwerfen kann. Verstehen Sie, was ich meine?«

Ich unterdrückte ein Grinsen und verstand, was er meinte.

«Ich wollte es nicht mit der Polizei zu tun bekommen, verstehen Sie? Ich meine, er ist ja dank Ihrer Hilfe nicht in den Tod gestürzt, also war ja nichts passiert, oder?«

«Nein«, sagte ich.»Und er ist auch nicht gestoßen worden. Er verlor das Gleichgewicht auf ein paar losen Brettern, die die Maurer zurückgelassen hatten. Das weiß ich von ihm. Er hat mir erklärt, wie er gefallen ist.«

«Oh. «Mr. Anonymus Smith schien sowohl erleichtert wie auch enttäuscht, daß er nicht in ein versuchtes Verbrechen aus Leidenschaft verwickelt gewesen war.»Ich verstehe.«

«Aber«, sagte ich,»er war neugierig wegen der Nachricht. Er wollte gern wissen, wer Sie gebeten hat, ihm das auszurichten, daher beschlossen wir, die Annonce in die Zeitung zu setzen.«

«Sie kennen ihn also?«sagte er verblüfft.

«Inzwischen ja«, erwiderte ich.

«Aha. «Er nickte.

«Der Mann, der Ihnen die Nachricht gegeben hat«, sagte ich obenhin,»wissen Sie noch, wie der aussah?«

Ich bemühte mich, gleichmäßig zu atmen. Mr. Smith spürte trotzdem, daß es sich um eine entscheidende Frage handelte, und blickte in Gedanken an die zweite Rate vielsagend auf das Kuvert.

«Die zweiten Hundert gehören Ihnen«, sagte ich,»wenn Sie ihn beschreiben können.«»Es war kein Engländer«, wagte er den Sprung.»Ein auffallender Typ, harte Stimme, große Nase.«

«Erinnern Sie sich noch genau an ihn?«fragte ich, jetzt viel entspannter.»Würden Sie ihn wiedererkennen?«

«Ich hab seit Donnerstag an ihn gedacht«, sagte er einfach.»Ich glaube schon.«

Ohne viel Aufhebens davon zu machen, zog ich die fünf Fotos aus dem Umschlag: glänzende Schwarzweißaufnahmen, alle im Format 18x24 cm, von Leuten, die Rennpreise entgegennahmen. In vier von den Gruppen war Fielding der siegreiche Jockey, aber zweimal stand ich mit dem Rücken zur Kamera. Eine bessere Bildauswahl hatte ich auf die schnelle nicht treffen können.

«Würden Sie mal diese Fotos ansehen«, sagte ich,»und schauen, ob er dabei ist?«

Er holte eine Brille hervor und setzte sie auf seine platte Nase; ein unfähiger Mann, nicht unglücklich.

Er nahm die Fotos und betrachtete sie sorgfältig der Reihe nach. Ich hatte Nanterres Bild an vierter Stelle unter den fünf eingeordnet, und er warf einen Blick darauf und ging weiter. Er sah das fünfte an und legte sie alle wieder auf den Tisch, und ich hoffte, er würde nicht merken, wie enttäuscht ich war.

«Also«, sagte er bedächtig,»ja, er ist dabei.«

Ich beobachtete ihn atemlos und wartete. Wenn er Nanterre wirklich wieder erkannte, würde ich auf jedes Spiel, das ihm vorschwebte, eingehen.

«Hören Sie«, sagte er, als hätte er Angst vor seiner eigenen Courage.

«Sie sind Kit Fielding, ja? Ihnen fehlt’s nicht am nötigen Kleingeld. Und der Mann, der da abgestürzt ist, sah ziemlich gut betucht aus. Verstehen Sie, was ich meine? Machen Sie zweifünfzig draus, und ich sage Ihnen, welcher es ist.«

Ich holte tief Luft und tat, als ob ich mir das widerwillig überlegte.

«Na schön«, sagte ich schließlich.»Zweifünfzig.«

Er blätterte die Fotos durch und deutete unfehlbar auf Nanterre.

«Der«, sagte er.

«Sie haben Ihre zweifünfzig«, sagte ich. Ich gab ihm den zweiten kleinen Umschlag.»Da sind hundert drin. «Ich angelte nach meiner Brieftasche und zählte noch fünfzig hinzu.»Danke«, sagte ich.

Er nickte und steckte wie zuvor das Geld sorgfältig ein.

«Mr. Smith«, sagte ich obenhin.»Was würden Sie für weitere hundert tun?«

Er starrte mich durch seine Brille an.»Wie meinen Sie das?«Hoffnungsvoll, alles in allem.

Ich sagte:»Wenn ich einen Satz auf ein Blatt Papier schreibe, setzen Sie dann Ihre Unterschrift darunter? Der Name John Smith genügt vollkommen.«

«Was denn für einen Satz?«Er sah wieder besorgt drein.

«Ich schreibe ihn auf«, sagte ich.»Dann überlegen Sie sich, ob Sie unterschreiben.«

«Für einen Hunderter?«

«Richtig.«

Ich zog einen Bogen unliniertes Schreibpapier aus dem Umschlag, zückte meinen Kuli und schrieb:

«Beim Pferderennen in Bradbury (ich setzte das Datum ein) habe ich einem Mann eine Nachricht des Inhalts überbracht, daß er zu Danielle auf den Balkon kommen sollte. Den Mann, der mich das auszurichten bat, habe ich eindeutig auf dem mir gezeigten Foto identifiziert.«

Das gab ich Mr. Smith. Er wußte nicht genau, was für Folgen es haben könnte, wenn er unterschrieb, aber er dachte an einhundert Pfund.

«John Smith drunter?«sagte er.

«Ja. Mit Schwung, wie eine echte Unterschrift.«

Ich gab ihm meinen Kuli. Fast ohne weiteres Zögern tat er, was ich verlangt hatte.

«Großartig«, sagte ich, nahm das Blatt Papier und steckte es mit den Fotos zurück in den Umschlag. Ich griff wieder nach meiner Brieftasche, gab ihm weitere hundert Pfund und sah ihn nachgerade hungrig auf das Geld schauen, das ich dann noch übrig hatte.

«Da sind noch mal hundertfünfzig drin«, ich zeigte es ihm.»Das wären dann runde fünfhundert für Sie.«

Das Spiel gefiel ihm immer besser.»Was würden Sie dafür verlangen?«

«Damit ich Sie nicht bis nach Hause verfolgen muß«, sagte ich freundlich,»möchte ich, daß Sie mir auf einem gesonderten Blatt Ihren richtigen Namen und Ihre Adresse aufschreiben.«

Ich zog ein Blatt aus dem Umschlag.»Sie haben noch meinen Kuli«, erinnerte ich ihn.»Seien Sie brav und schreiben Sie.«

Er blickte drein, als hätte ich ihn vor den Kopf geschlagen.»Ich bin mit dem Bus gekommen«, sagte er leise.

«Ich kann auch Bussen nachfahren«, erwiderte ich.

Er sah krank aus.

«Ich erzähle Ihrer Frau nicht, daß Sie auf der Rennbahn waren«, sagte ich.»Wenn Sie Ihren Namen aufschreiben, damit ich Ihnen nicht zu folgen brauche.«

«Für Einhundertfünfzig?«sagte er schwach.

«Ja.«

Er schrieb einen Namen mit Anschrift in Blockbuchstaben:

A. V. HODGES

44 CARLETON AVENUE

WIDDERLAWN/BRADBURY

«Wofür steht das A. V.?«fragte ich.

«Arnold Vincent«, sagte er ohne Falsch.

«Okay«, sagte ich.»Hier ist das restliche Geld. «Ich zählte es ihm hin.»Verspielen Sie nicht alles auf einmal.«

Er sah erschrocken drein und lachte dann verschämt.»Ich kann nicht oft zum Rennen, verstehen Sie, was ich meine? Meine Frau weiß, wieviel Geld ich habe.«

«Jetzt aber nicht«, sagte ich vergnügt.»Vielen Dank, Mr. Smith.«

Загрузка...