Kapitel 21

Litsi und ich tranken zur Feier Brandy im Wohnzimmer, nachdem wir Thomas und Sammy überschwenglich für ihre Unterstützung gedankt hatten; und wir riefen Danielle an, um ihr mitzuteilen, daß wir nicht in unserem Blut lagen.

«Gott sei Dank«, sagte sie.»Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.«

«Ich glaube, was wir getan haben, war ganz klar unmoralisch«, bemerkte Litsi, als ich den Hörer auflegte.

«Absolut«, gab ich gelassen zu.»Wir haben genau das getan, was Nanterre vorhatte — durch Drohungen eine Unterschrift zu erzwingen.«

«Wir haben quasi das Gesetz selbst in die Hand genommen.«

«Die Gerechtigkeit«, verbesserte ich.

«Und wie Sie sagten«, er lächelte,»besteht da ein Unterschied.«

«Er ist frei, ungestraft und reich«, sagte ich,»und in mancher Hinsicht ist das nicht gerecht. Aber er hat Roland nicht zugrunde gerichtet und ist auch nicht mehr in der Lage dazu. Es war durchaus ein fairer Handel.«

Ich wartete noch auf Danielle, nachdem Litsi sich gähnend verabschiedet hatte, und ging ihr entgegen, als ich sie hereinkommen hörte. Sie lief mir lächelnd geradewegs in die Arme.

«Ich dachte mir, daß du nicht ohne mich ins Bett gehst«, sagte sie.

«So selten wie möglich für den Rest meines Lebens.«

Wir gingen leise hinauf ins Bambuszimmer und, da Beatrice nebenan war, leise ins Bett zu leiser Liebe. Intensität, dachte ich trunken vor Empfindungen, mußte nicht mit Lautstärke verbunden sein und konnte sich wunderbar auch flüsternd entfalten; und wenn wir in dem, was wir sagten, gehemmter waren als früher, so führte unser stummes, gegenseitiges Wiederentdecken zu einer erweiterten Dimension der Leidenschaft.

Wir schliefen engumschlungen ein und wachten vor dem Morgen auf, von neuem hungrig nach tiefer Befriedigung.

«Du hast mich lieber«, murmelte sie mir ins Ohr.

«Ich hab dich immer liebgehabt.«

«Aber nicht so.«

Wir schliefen träge wieder ein, und noch vor sieben duschte sie in meinem Bad, zog die Kleider von gestern über und ging schicklich in ihr Zimmer hinunter. Tante Casilia, meinte sie ruhig, erwarte von ihrer Nichte, daß sie wenigstens so tue, als habe sie in ihrem eigenen Bett geschlafen.

«Würde es sie stören, daß es nicht so war?«

«Ganz im Gegenteil, glaube ich.«

Litsi und ich tranken bereits Kaffee im Morgenzimmer, als Danielle, angetan in frischem Blau und Grün, wieder erschien. Sie holte Saft und Cornflakes und röstete mir ein paar Scheiben Brot, und Litsi beobachtete uns nachdenklich, bis ihm ein Licht aufging.

«Gratuliere«, meinte er trocken zu mir.

«Die Hochzeit«, faßte Danielle zusammen,»findet statt.«

«Sieht so aus«, sagte er.

Er und ich fuhren ein wenig später hinauf zu Roland de Brescou, um ihm und der Prinzessin die vollständigen Verträge zu geben.

«Ich war sicher«, sagte Roland schwach,»daß Nanterre in die Auflösung der Firma nicht einwilligen würde. Ohne sie kann er doch keine Waffen produzieren… oder?«

«Sollte er es jemals tun«, sagte ich,»wird Ihr Name nicht damit in Verbindung gebracht werden.«

Gascogne, wie wir die neue Aktiengesellschaft getauft hatten, war der althergebrachte Name der französischen Provinz, in der das Chateau de Brescou lag. Roland war erfreut, aber auch betrübt über die Wahl gewesen.

«Wie haben Sie ihn dazu überredet, Kit?«sagte die Prinzessin und sah ungläubig auf Nanterres Unterschriften.

«Ehm… er konnte nicht anders.«

Sie warf mir einen Blick zu.»Dann frage ich lieber nicht.«

«Er ist unversehrt und unbescholten.«

«Und die Polizei?«fragte Roland.

«Keine Polizei«, sagte ich.»Das mußten wir versprechen, damit er unterschreibt.«

«Abgemacht ist abgemacht«, nickte Litsi.»Wir müssen ihn laufenlassen.«

Die Prinzessin und ihr Mann wußten, daß ein Wort gilt, und als ich Rolands Zimmer verließ, folgte sie mir hinunter ins Wohnzimmer, während Litsi oben blieb.

«Kein Dank wäre ausreichend… Wie können wir Ihnen danken?«fragte sie ratlos.

«Das brauchen Sie nicht. Und, ehm… Danielle und ich werden im Juni heiraten.«

«Das freut mich aber wirklich«, sagte sie mit sichtlichem Vergnügen und küßte mich warm erst auf die eine, dann auf die andere Wange. Ich dachte daran, wie oft ich sie schon hatte in den Arm nehmen wollen; und eines Tages würde ich es vielleicht noch tun, wenn auch nicht auf einer Rennbahn.

«Um Ihre Pferde tut es mir sehr leid«, sagte ich.

«Ja… Wenn Sie das nächste Mal mit Wykeham sprechen, bitten Sie ihn doch, sich schon mal nach Ersatz umzusehen. Wir können zwar keinen neuen Cotopaxi erwarten, aber nächstes Jahr vielleicht doch einen Teilnehmer für das Grand National… Und vergessen Sie nicht… nächste Woche in Cheltenham haben wir noch Kinley.«

«Das Triumph Hurdle«, sagte ich.

Ich fuhr später an diesem Morgen mit der Bahn zu dem Rennen nach Folkstone, leichten Herzens, aber ohne Danielle, die einen Termin beim Zahnarzt hatte.

Ich ritt vier Rennen und gewann zwei, fühlte mich wohl, in guter Form, strotzend vor Gesundheit und zum erstenmal seit Wochen sorgenfrei. Es war ein tolles Gefühl, solange es anhielt.

Bunty Ireland, der Rennberichterstatter des Towncrier, gab mir einen großen Briefumschlag von Lord Vaughnley —»frisch aus den Computern«, sagte Bunty. Das Kuvert fühlte sich wieder so an, als ob es sehr wenig enthielt, aber ich dankte ihm dafür und nahm es aus der Überlegung, daß ich auf den Inhalt glücklicherweise nicht mehr angewiesen war, ungeöffnet mit zurück nach London.

Das Dinner an diesem Abend war geradezu festlich, auch wenn Danielle nicht mitaß, die in ihrem Ford zur Arbeit gefahren war.

«Ich dachte, sie hatte gestern zum letzten Mal Spätdienst«, sagte Beatrice arglos.

«Der Zeitplan ist wieder geändert worden«, erklärte ich.

«Oh, wie ärgerlich.«

Beatrice hatte beschlossen, am nächsten Tag nach Palm Beach zurückzukehren. Ihre lieben Hündchen würden sie vermissen, meinte sie. Die Prinzessin hatte ihr anscheinend mitgeteilt, daß Nanterres Spiel verloren war, und seither nörgelte sie erstaunlich wenig.

Ich hatte mich an ihren Stil gewöhnt: an ihr helloranges Haar und die Kulleraugen, an ihre Schlagringe und ihre Floridabekleidung. Das Leben würde ziemlich langweilig sein ohne die alte Zicke, und außerdem, wenn sie erst fort war, würde ich auch bald gehen müssen. Wie lange wohl Litsi noch blieb.?

Roland kam zum Essen herunter, gab Champagner aus und hob sein halb gefülltes Glas auf Litsis und mein Wohl. Beatrice blickte ein wenig finster drein, blühte aber auf wie eine Sonnenblume, als Roland sagte, daß er bei all dem zusätzlichen Kapital, das durch den Verkauf des Unternehmens frei würde, daran denken könnte, ihre Treuhandgelder zu erhöhen. Zu nachsichtig, fand ich, aber ohne sie hätten wir uns sehr wahrscheinlich nicht behaupten können.

Roland, die Prinzessin und Beatrice zogen sich recht früh zurück, während Litsi und ich uns noch die Zeit im Wohnzimmer vertrieben. Ziemlich spät erst fiel mir Lord Vaughnleys Umschlag ein, den ich bei meiner Rückkehr auf einem Couchtisch abgelegt hatte.

Litsi sah ohne Neugier zu, wie ich ihn öffnete und den Inhalt herauszog: ein glänzendes Schwarzweißfoto wie zuvor und ein kleiner Ausschnitt aus einer Zeitungskolumne. Dazu eine kurze Empfehlung vom Towncrier. »Leider sonst nichts mehr über Nanterre.«

Das Foto zeigte Nanterre im Smoking, umgeben von anderen, ähnlich gekleideten Leuten, an Deck einer Jacht. Ich gab es Litsi und las den dazugehörigen Zeitungsausschnitt.

«Gäste aus Kalifornien, Peru und Darwin, Australien, gratulierten Waffenhändler Ahmed Fuad am Freitag abend beim Jubelfest auf seiner Jacht Felissima im Hafen von Monte Carlo zum 50. Geburtstag. Wer von den JetsetFreunden aus Fuads Freizeitwelt des Backgammon, der Nachtclubs und des Rennsports nicht von selbst kam, wurde eingeflogen. An Kaviar und Gänseleber für die verwöhnten Gaumen bestand kein Mangel.«

Litsi reichte das Foto zurück, und ich gab ihm den Ausschnitt.

«Das wollte Nanterre auch«, sagte ich.»Gastgeber auf einer Jacht im Mittelmeer sein, im weißen Smoking teure Bonbons verteilen, die Bewunderung und die Schmeichelei genießen. Das hat er gewollt — diese Multimillionen und diese Macht.«

Ich drehte das Foto um, las den dünnen Infostreifen, der auf der Rückseite klebte: eine Namensliste und das Datum.

«Merkwürdig«, sagte ich verblüfft.

«Was denn?«

«Diese Party fand vergangenen Freitag abend statt.«

«Ja, und? Nanterre wird eben hin- und wieder hergejettet sein, wie die anderen.«

«Am Freitag abend wurde Col erschossen.«

Litsi starrte mich an.

«Nanterre kann das nicht gewesen sein«, sagte ich.»Er war in Monte Carlo.«

«Aber er hat es doch zugegeben. Er hat vor Beatrice damit geprahlt.«

Ich runzelte die Stirn.»Ja, das schon.«

«Er muß jemand anders beauftragt haben.«

Ich schüttelte den Kopf.»Er hat alles selbst gemacht. Die Prinzessin bedroht, Danielle verfolgt, Ihnen die Falle gestellt, die Bombe in meinem Wagen deponiert. Nichts davon hat er einem anderen überlassen. Er kennt sich mit Pferden aus, er wollte sehen, wie seine Stute erschossen wird… er hätte Col erschießen können… er hat es aber nicht.«

«Er hat sich zu allen drei Pferden bekannt«, beharrte Litsi.

«Schon, aber nehmen wir mal an… er hat davon in der Zeitung gelesen… hat gelesen, daß ihr Tod ein Rätsel ist und niemand weiß, wer sie umgebracht hat… Er wollte Roland und der Prinzessin Angst einjagen. Wenn er nun bloß behauptet hat, er hätte sie umgebracht?«

«Aber wenn er’s nicht war«, sagte Litsi verständnislos,»wer dann? Wer würde ihre besten Pferde töten wollen, wenn nicht Nanterre?«

Ich stand langsam auf, wie angeschlagen.

«Was ist los?«fragte Litsi erschrocken.»Sie sind schneeweiß geworden.«

«Er hat das Pferd umgebracht«, sagte ich mit trockenem Mund,»auf dem ich das Grand National hätte gewinnen können. Das Pferd, auf dem ich vielleicht den Gold Cup gewonnen hätte.«

«Kit…«sagte Litsi.

«Es gibt nur einen Menschen«, sagte ich mit Mühe,»der mich genug haßt, um das zu tun. Der es nicht ertragen könnte, mich als Sieger bei diesen Rennen zu sehen… der mir die Auszeichnungen, die ich am höchsten schätze, nehmen würde, weil ich ihn um seine Auszeichnung gebracht habe…«

Ich war atemlos und benommen.

«Setzen Sie sich hin«, sagte Litsi beunruhigt.

«Kinley«, sagte ich.

Mit ruckartigen Schritten ging ich zum Telefon und rief Wykeham an.

«Ich wollte gerade ins Bett gehen«, klagte er.

«Haben Sie die Hundestreifen eingestellt?«fragte ich.

«Ja, natürlich. Sie sagten mir doch heute morgen, die seien nicht mehr nötig.«

«Ich glaube, ich habe mich geirrt. Das Risiko darf ich nicht eingehen. Ich komme heute abend noch zu Ihnen, und ab morgen setzen wir verstärkte Hundestreifen ein, jeden Tag, bis Cheltenham und wahrscheinlich sogar noch länger.«

«Das verstehe ich nicht«, sagte er.

«Haben Sie Ihre Schlaftablette genommen?«fragte ich.

«Nein, noch nicht.«

«Warten Sie damit, bis ich komme, ja? Und wo ist Kin-ley heute nacht?«

«Wieder in seiner alten Box natürlich. Sie sagten, die Gefahr wäre vorbei.«

«Wir verlegen ihn wieder in die Eckbox, wenn ich da bin.«

«Nein, Kit, nicht mitten in der Nacht.«

«Er muß doch in Sicherheit sein«, sagte ich; und darüber gab es nichts zu diskutieren. Wir legten auf, und Litsi sagte langsam:»Meinen Sie Maynard Allardeck?«

«Ja. Er hat vor zwei Wochen erfahren, daß er niemals in den Adelsstand erhoben werden wird, weil ich den Film, den ich über ihn gedreht habe, an die Ehrenverleihungsbehörde geschickt habe. Er war schon als Kind auf diesen

Titel aus; damals sagte er meinem Großvater, eines Tages müßten die Fieldings sich vor ihm verbeugen, denn dann wäre er ein Lord. Er versteht mehr von Pferden als Nanterre… er ist im Rennstall seines Vaters aufgewachsen und war jahrelang dessen Assistenztrainer. Er hat Cascade und Cotopaxi in Newbury gesehen, und es waren auffällige Pferde… und Col in Ascot… unverkennbar.«

Ich ging zur Tür.

«Morgen früh rufe ich Sie an«, sagte ich.

«Ich komme mit Ihnen«, erwiderte er.

Ich schüttelte den Kopf.»Sie wären die ganze Nacht auf.«

«Gehen wir«, sagte er.»Sie haben die Ehre meiner Familie gerettet… lassen Sie mich ein wenig von dieser Schuld begleichen.«

Tatsächlich war ich dankbar für seine Gesellschaft. Wir gingen wieder um den Platz zu der dunklen Gasse, wo Litsi meinte, wenn ich den Wagenstarter in der Tasche hätte, könnten wir ebensogut auf Nummer Sicher gehen: Aber Nanterre und seine Bomben waren nicht zurückgekehrt, und der Mercedes sprang entgegenkommend aus fünfzig Metern Entfernung an.

Auf der Fahrt nach Sussex rief ich Danielle an, um ihr mitzuteilen, wohin wir wollten und weshalb. Es fiel ihr nicht schwer, Maynard Allardeck etwas Böses zuzutrauen; er war ihr in Ascot und Sandown völlig verrückt vorgekommen, so wie er mich fortwährend angestarrt hatte.

«Brodelnd vor Haß«, sagte sie.»Man konnte das spüren, wie Druckwellen.«

«Zum Frühstück sind wir wieder da«, sagte ich lächelnd.»Schlaf gut. «Und ich konnte ihr Lachen hören, als sie auflegte.

Im Fahren erzählte ich Litsi von den Feuerwerkskörpern, mit denen der Hundeführer von Cols Stall weggelockt worden war, und sagte:»Wissen Sie, als Nanterre in der Gasse behauptete, er hätte mir keine Bombe ins Auto gelegt, fragte ich ihn, ob es denn ein Feuerwerkskörper wäre. Er hat mich ganz verdutzt angesehen… zuerst habe ich darüber nicht weiter nachgedacht, aber jetzt wird mir klar, daß er einfach nicht wußte, wovon ich rede. Er wußte nichts von den Feuerwerkskörpern bei Wykeham, weil davon nichts in den Zeitungen gestanden hatte.«

Litsi gab ein verstehendes, zustimmendes» M-hm «von sich, und bald darauf kamen wir einträchtig in Wykehams Dorf an.

«Was wollen Sie hier machen?«sagte Litsi.

Ich zuckte mit den Schultern.»Die Ställe abgehen. «Ich erklärte ihm, wie die vielen kleinen Höfe angelegt waren.»Patrouillen sind da gar nicht einfach.«

«Glauben Sie ernsthaft, daß Allardeck den Versuch wagt, noch ein Pferd von Tante Casilia zu töten?«

«Ja. Besonders Kinley, ihr brillantes Hürdenpferd. Ich glaube zwar nicht ernsthaft, daß er es eher heute als morgen nacht oder später versucht, aber ich möchte kein Risiko eingehen. «Ich zögerte.»Wie soll ich mich bloß bei Prinzessin Casilia entschuldigen. das wiedergutmachen?«

«Was meinen Sie denn?«

«Cascade, Cotopaxi und Col sind wegen der Fielding-Allardeck-Fehde gestorben. Meinetwegen.«

«So wird sie das nicht sehen.«

«Es ist die Wahrheit. «Ich bog auf Wykehams Einfahrt.»Kinley lasse ich nicht sterben.«

Ich hielt auf der Parkfläche an, und wir traten hinaus in die Mitternachtsstille, unter einen klaren Himmel mit glitzernden, diamantenen Sternen. Die Höhen und Tiefen des Universums: genug, um irdisches Mühen und Plagen gering erscheinen zu lassen.

Ich atmete den Frieden dieses Augenblicks ein. und hörte weiter weg in der Stille das dumpfe, unverkennbare Krachen eines Bolzenschusses.

Großer Gott, dachte ich. Wir sind zu spät gekommen.

Ich rannte. Ich wußte, wohin. Zum letzten Hof, der Wykehams Haus am nächsten lag. Rannte von Furien gehetzt, verzweifelt, in mir ein Gewirr aus Zorn und Angst und schrecklichen Selbstvorwürfen.

Ich hätte schneller fahren können. eher fahren können… Ich hätte Lord Vaughnleys Umschlag früher öffnen können… Kinley war tot, und ich hatte ihn umgebracht.

Ich lief in den Hof hinein, aber trotz meines Tempos liefen die Ereignisse auf der anderen Seite schneller ab. Gerade als ich ihn erblickte, auf ihn zurannte, kam Wykeham, der auf dem Weg vor den Boxentüren gelegen hatte, mühsam auf die Füße.

Zwei Türen standen offen, die Boxen waren dunkel, nur erhellt vom Hoflicht draußen. In der einen Box konnte ich ein Pferd auf der Seite liegen sehen, seine Beine zuckten noch im Todeskampf. In die andere Box ging Wykeham.

Während ich noch einen Meter entfernt war, sah ich ihn etwas aufheben, das auf der gemauerten Fensterbank gelegen hatte. Ich sah ihn tiefer in die Box treten, seine Schritte waren lautlos auf dem Torf.

Ich rannte.

Ich sah einen zweiten, größeren Mann in der Box, der ein Pferd beim Halfter packte. Ich sah, wie Wykeham das aufgehobene Ding dem anderen Mann an den Kopf hielt. Ich sah den winzigen Feuerstoß, hörte den furchtbaren Knall.

Als ich die Tür erreichte, lag ein Toter auf dem Torf, ein Pferd warf angstschnaubend den Kopf, es roch nach Pulver, und Wykeham schaute herab, das Bolzenschußgerät in seinen Händen.

Das lebende Pferd war Kinley… und ich verspürte keine Erleichterung.

«Wykeham!«sagte ich.

Er drehte den Kopf, sah mich ausdruckslos an.

«Er hat meine Pferde erschossen«, sagte er.

«Ja.«

«Ich habe ihn umgebracht. Ich hab gesagt, das würde ich tun… und ich hab’s getan.«

Ich sah auf den Toten nieder, auf den feinen Anzug und die handgenähten Schuhe.

Er lag halb auf dem Gesicht, und er hatte einen Nylonstrumpf als Maske über seinen Kopf gezogen; hinter dem rechten Ohr war ein Loch.

Litsi kam auf den Hof gelaufen und rief atemlos, was denn passiert sei. Ich trat ihm in der Boxentür entgegen, um ihm die Sicht zu versperren.

«Litsi«, sagte ich,»rufen Sie die Polizei. Nehmen Sie das Telefon in meinem Auto. Mit der Nulltaste erreicht man die Vermittlung… verlangen Sie die Polizei. Sagen Sie, daß hier bei einem Unfall ein Mann getötet worden ist.«

«Ein Mann!« rief er aus.»Kein Pferd?«

«Beides… aber sagen Sie ihnen, ein Mann.«

«Ja«, erwiderte er unglücklich.»Gut.«

Er machte kehrt, und ich wandte mich Wykeham zu, der jetzt mit weit aufgerissenen Augen dastand und anfing zu zittern.

«Es war kein Unfall«, sagte er mit einem gewissen Stolz in der Kopfhaltung, in der Stimme.»Ich habe ihn umgebracht.«

«Wykeham«, beschwor ich ihn.»Hören Sie. Hören Sie zu?«

«Ja.«

«Wo möchten Sie ihre letzten Jahre verbringen, im Gefängnis oder oben auf den Downs bei Ihren Pferden?«

Er starrte nur.

«Hören Sie mich?«

«Ja.«

«Es wird eine gerichtliche Untersuchung geben«, sagte ich.»Und das hier war ein Unfall. Haben Sie gehört?«

Er nickte.

«Sie sind vor dem Schlafengehen noch einmal raus, um nachzusehen, ob auf dem Hof alles beim Rechten ist.«

«Ja. Ja.«

«Man hat Ihnen in den letzten zehn Tagen drei Pferde umgebracht. Die Polizei hat nicht feststellen können, wer es war… Sie wußten, daß ich kommen wollte, um heute nacht die Höfe zu bewachen, aber Sie waren natürlich unruhig.«

«Ja.«

«Sie kamen auf den Hof hier, und Sie sahen und hörten, wie jemand eines von Ihren Pferden erschoß.«

«Ja. Ja.«

«Ist es Abseil?«Ich wünschte mir, er würde nein sagen, aber er sagte:»Ja.«

Abseil… der in halsbrecherischem Tempo über die letzten drei Sprünge in Sandown gegangen war, bis zum letzten Meter um den Sieg gekämpft hatte.

Ich sagte:»Sie sind hingelaufen, um zu verhindern, daß der Eindringling noch mehr Schaden anrichtet… Sie haben versucht, ihm das Bolzenschußgerät zu entreißen.«

«Ja.«

«Er war jünger, stärker und größer als Sie… Er schlug Sie mit dem Bolzenschußapparat nieder… Sie fielen vorübergehend betäubt auf den Stallweg.«

«Woher wissen Sie das?«fragte Wykeham verblüfft.

«Die Spuren vom Ende des Laufs sind auf Ihrer Backe deutlich zu sehen. Das hat geblutet. Nicht hinfassen«, sagte ich, als er die Hand danach hob.»Er schlug Sie nieder und ging in die zweite Box, um noch ein Pferd zu töten.«

«Ja, Kinley.«

«Hören Sie… Er hatte das Bolzenschußgerät in der Hand.«

Wykeham begann den Kopf zu schütteln, hörte dann aber auf.

Ich sagte:»Der Mann war im Begriff, Ihr Pferd zu erschießen. Sie schnappten nach der Waffe, um ihn daran zu hindern. Sie wollten sie ihm abnehmen… er versuchte, sie Ihrem Griff zu entwinden. Es gelang ihm mit einem Ruck auch beinah, aber Sie hatten noch die Hände dran, und als er in dem Gerangel die Waffe an sich riß, traf das dicke Rohrstück ihn am Kopf, und durch den Ruck löste sich unter Ihren Händen auch irgendwie der Schuß.«

Er starrte mich an.

«Sie wollten ihn nicht umbringen; haben Sie gehört, Wykeham. Sie wollten verhindern, daß er Ihr Pferd erschießt.«

«K-Kit. «sagte er, nun wieder stotternd.

«Was erzählen Sie der Polizei?«»Ich… w-wollte ihn am Sch-Schießen hindern…«Er schluckte.»Er r-riß die Waffe… an seinen Kopf… sie g-ging los.«

Er hielt die Waffe noch immer an ihrem klobigen, hölzernen Schaft.

«Werfen Sie sie auf den Torf«, sagte ich.

Er tat es, und wir betrachteten sie beide: ein schweres, häßliches, unförmiges Werkzeug des Todes.

Auf der Fensterbank lagen mehrere kleine, leuchtend goldene Kapseln voller Schießpulver. Man spannte den Hahn, legte die Zündkapsel ein, drückte ab… das Pulver explodierte und trieb den Bolzen heraus.

Litsi kam zurück, sagte, die Polizei sei unterwegs, und er war es dann, der das Licht anknipste, so daß die ganze Szene sichtbar wurde.

Ich bückte mich und betrachtete Maynards Kopf näher. Auf dem Nylonstrumpf war Öl an der Stelle, wo der Bolzen eingedrungen war, und ich entsann mich, daß Robin Curtiss gesagt hatte, das Gerät sei geölt worden, bevor Col. Robin würde sich erinnern. es würde kein Zweifel bestehen, daß Maynard alle vier Pferde getötet hatte.

«Wissen Sie, wer das ist?«fragte ich Wykeham und richtete mich auf.

Er ahnte es, konnte es aber nicht ganz glauben.

«Allardeck?«sagte er ohne Überzeugung.

«Allardeck.«

Wykeham bückte sich, um die Strumpfmaske wegzuziehen.

«Lassen Sie das«, sagte ich scharf.»Nicht anrühren. Jeder kann sehen, daß er unerkannt sein wollte, als er herkam. um die Pferde zu töten. Wer bloß einen Abendspaziergang macht, läuft nicht in einer Strumpfmaske und mit einem Bolzenschußapparat herum.«

«Hat er Kinley getötet?«fragte Litsi besorgt.

«Nein, das hier ist Kinley. Er hat Abseil getötet.«

Litsi sah betroffen aus.»Arme Tante Casilia… Sie sprach von Ihrem glänzenden Sieg auf Abseil. Aber warum ihn, der das Grand National doch unmöglich hätte gewinnen können?«Er sah auf Maynard herunter und begriff.»Allardeck konnte nicht ertragen, daß Sie sich auszeichnen, womit auch immer.«

Die Fehde war tot, dachte ich. Endgültig vorbei. Der langdauernde Wahn war mit Maynard gestorben, und er war tot gewesen, bevor er auf dem Torf aufschlug, wie Cascade und Cotopaxi, Abseil und Col.

Ein passendes Ende, dachte ich.

Litsi erklärte, er habe der Polizei gesagt, er wolle sie auf dem Parkplatz erwarten, um ihnen den Weg zu zeigen, und ging bald darauf hinaus.

Wykeham schaute eine ganze Weile auf Kinley, der jetzt ruhig, nicht mehr verstört dastand, und warf dann einen langen Blick auf Maynard.

«Ich bin froh, daß ich ihn umgebracht habe«, sagte er grimmig.

«Ja, ich weiß.«

«Sehen Sie zu, daß Sie das Triumph Hurdle gewinnen.«

Ich dachte an die Trainingsstunden, die Wykeham und ich mit diesem Pferd auf den Downs verbracht hatten, um Distanzen mit ihm einzuüben, das herrliche Naturtalent zu erfolgreicher Leistung zu führen.

Ich würde mein Bestes tun, versprach ich.

Er lächelte:»Danke, Kit«, sagte er.»Danke für alles.«

Die Polizei kam mit Litsi: zwei sehr dienstliche Beamte, die sich Notizen machten und davon sprachen, Polizeiärzte und Fotografen anzufordern.

Sie gingen mit Wykeham durch, was geschehen war.

«Ich kam heraus. entdeckte den Eindringling. er schoß mein Pferd tot. «Wykehams Stimme bebte.»Ich kämpfte mit ihm. er schlug mich nieder. er wollte auch dieses Pferd erschießen… ich rappelte mich auf.«

Er zögerte.

«Ja, Sir?«sagte der Polizist, nicht ohne Mitgefühl.

Sie sahen vor sich auf dem Torfstreu in der Box, neben einem toten Eindringling, dessen tödliche Waffe drohend im Licht glänzte, einen dünnen alten Mann stehen mit zerzaustem weißem Haar, mit dunklen Altersflecken auf der bejahrten Stirn, mit verkrustetem Blut vom Schlag des Bolzenschußapparats auf seiner Wange.

Sie sahen, wie es auch der Untersuchungsrichter, die Anwälte und die Presse sehen würden, das zitternde, verfallene Äußere, nicht den Titanen, der noch im Inneren wohnte.

Wykeham blickte Kinley an; blickte in die Zukunft, auf das Pferd, das mit wehendem Schweif über die Downs fliegen konnte, engelhaft leicht, seiner Bestimmung entgegen.

Er sah die Polizeibeamten an, und seine Augen schienen entrückt.

«Es war ein Unfall«, sagte er.

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