Kapitel 13

Litsi sagte es nochmal.»Man hatte mir Nachricht gegeben, daß Danielle mich des Ausblicks wegen auf dem Balkon erwarte.«

«Ich habe dir nichts dergleichen ausrichten lassen«, sagte Danielle verdutzt.»Ich hab da auf dich gewartet, wo wir uns das Rennen vorher angesehen hatten, wie abgesprochen.«

«Wer hat Ihnen die Nachricht überbracht?«fragte ich Litsi.

«Irgendein Mann.«

«Wie sah er aus?«

«Tja… ein Durchschnittsmensch. Nicht grade jung. Er trug eine Sporting Life bei sich und eine Art Rennkalender, da hatte er den Finger als Lesezeichen drin… und ein Fernglas.«

«Was für eine Stimme?«

«Ganz… normal.«

Ich löste seufzend die Bremse und startete in Richtung Chiswick. Litsi war mitten in eine Falle hineinmarschiert, die ihn entweder erschrecken oder ihn töten sollte. Und niemand anders als Henri Nanterre konnte sie gestellt haben. Ich hatte Nanterre nicht auf dem Rennplatz ausgemacht, und weder Litsi noch Danielle kannten ihn vom Sehen.

Wenn Nanterre für die Falle verantwortlich war, hatte er gewußt, wo Litsi an dem Tag sein würde, und das konnte er nur durch Beatrice erfahren haben. Ich nahm nicht an, daß sie geahnt hatte, zu welchem Zweck ihre kleine Information verwendet werden würde, und mir kam der Gedanke, daß es mir auch gar nicht recht wäre, wenn sie es erfuhr. Es war wichtig, daß Beatrice weiterhin plauderte.

Litsi und Danielle saßen still im Fond und hingen sicher ganz ähnlichen Gedanken nach. Sie protestierten allerdings, als ich sie bat, Beatrice nichts von der fingierten Nachricht zu erzählen.

«Aber das muß sie erfahren«, sagte Danielle heftig.»Dann wird sie einsehen, daß sie das einfach nicht darf. Sie wird damit aufhören, begreift sie erst mal, wozu dieser Mensch imstande ist.«

«Ich möchte nicht, daß sie jetzt gleich damit aufhört«, erwiderte ich.»Nicht vor Dienstag.«

«Wieso denn das? Wieso Dienstag?«

«Wir werden tun, was Kit möchte«, sagte Litsi.»Ich erzähle Beatrice nur, was ich auch den Leuten auf der Rennbahn erzählt habe: daß ich wegen des Ausblicks raufgegangen bin.«

«Sie ist gefährlich«, versetzte Danielle.

«Ich weiß nicht, wie wir Nanterre ohne sie kriegen sollen«, sagte ich.»Also sei ein Schatz.«

Ich war mir nicht sicher, ob es gerade dieses Wort war, das sie zum Schweigen brachte, aber sie erhob keine Einwände mehr, und wir fuhren eine Zeitlang, ohne etwas Wesentliches zu sagen. Litsis Arme und Schultern schmerzten von der Anstrengung des langen Festhaltens an der Mauer, und hin und wieder rückte er unbehaglich, mit leisem Schnaufen, auf seinem Sitz.

Ich dachte wieder über den Mann nach, der die irreführende Nachricht überbracht hatte, und fragte Litsi, ob er ganz sicher sei, daß der Mann den Namen» Danielle «genannt habe.

«Absolut«, antwortete Litsi ohne Zögern.»Das erste, was er mir sagte, war: >Kennen Sie eine Danielle?< Als ich das bejahte, sagte er, sie wolle, daß ich die Treppe hoch zum Balkon gehe und einen Blick auf die Aussicht werfe. Er zeigte mit dem Finger rauf. Also bin ich los.«

«Okay«, sagte ich.»Dann wollen wir mal was Konkretes unternehmen.«

Wie fast jeder in der Rennwelt hatte ich ein Telefon in meinem Wagen, und ich rief den Towncrier an und verlangte die Sportredaktion. Ich wußte zwar nicht genau, ob ihr Turfreporter, Bunty Ireland, um die Zeit im Büro war, aber ich hatte Glück. Er war nicht in Bradbury gewesen. Im allgemeinen fuhr er nur zu den größeren Meetings, die anderen kommentierte er vom Schreibtisch aus.

«Ich möchte eine Anzeige aufgeben«, sagte ich ihm,»aber sie muß auf der Rennseite erscheinen, und zwar an auffälliger Stelle.«

«Brauchen Sie was zum Reiten?«fragte er sardonisch.»Ein Roß für das Grand National? Hab Sattel, bin nicht ortsgebunden, so in der Art?«

«Jaja«, sagte ich.»Sehr witzig. «Bunty hatte einen elefantenartigen Sinn für Humor, war aber herzensgut.»Schreiben Sie mal den genauen Wortlaut auf und überreden Sie den Rennseitenmacher, daß er es schön groß in auffälliger Schrift bringt.«

«Na, legen sie los.«

«Eine hohe Belohnung erwartet denjenigen, der am Donnerstagnachmittag beim Pferderennen in Bradbury eine Nachricht von Danielle weitergegeben hat. «Ich diktierte es langsam und fügte die Telefonnummer des Hauses am Eaton Square hinzu.

Buntys Verwunderung kam deutlich durch den Äther.»Das gehört in die Kontaktanzeigen.«

«Nein. Auf die Rennseite. Haben Sie’s genau mitbekommen?«

Er las es Wort für Wort noch einmal vor.

«He«, sagte er,»wenn Sie in Bradbury geritten sind, könnten Sie vielleicht ‘ne ganz komische Story bestätigen, die wir da haben. Ein Typ soll von einem Balkon runter auf einen Haufen Mäntel gefallen sein. Verkohlt uns da jemand, oder sollen wir das drucken?«

«Es ist passiert«, sagte ich.

«Haben Sie’s gesehen?«

«Ja.«

«Ist der Typ verletzt worden?«

«Nein, gar nicht. Also, Bunty, lassen Sie sich die Geschichte von jemand anders erzählen, ja? Ich bin in meinem Wagen, und ich will diese Anzeige noch in der Sporting Life und der Racing Post unterbringen, bevor die in Druck gehen. Könnten Sie mir noch deren Nummern geben?«

«Klar, bleiben Sie dran.«

Ich legte kurz den Hörer ab und gab Danielle meinen Stift und mein Notizbuch nach hinten, und als Bunty die Nummern durchgab, wiederholte ich sie laut, damit sie sie aufschreiben konnte.

«He, Kit«, sagte Bunty,»geben Sie mir ein kurzes, verwendbares Statement über Ihre morgigen Chancen auf Abseil.«

«Kann ich nicht, Bunty, wissen Sie doch, Wykeham Harlow hält nichts davon.«»Ja, ja, ja. Das ist ein ungefälliger alter Sack.«

«Denken Sie an die Anzeige«, sagte ich.

Er versprach, sich drum zu kümmern, und ich rief mit dem gleichen Anliegen die beiden Sportzeitungen an.

«Morgen und am Samstag«, sagte ich ihnen.»Fettgedruckt auf der Titelseite.«

«Das wird teuer«, sagten sie.

«Schicken Sie mir die Rechnung.«

Danielle und Litsi schwiegen während dieser Unterredung, und als ich fertig war, meinte Litsi zweifelnd:»Versprechen Sie sich was davon?«

«Man kann nie wissen. Wer’s nicht versucht, kommt zu nichts.«

Danielle sagte:»Dein Wahlspruch fürs Leben.«

«Kein schlechter«, sagte Litsi.

Wir setzten Danielle auf die Minute pünktlich am Studio ab und fuhren zum Eaton Square. Litsi beschloß, überhaupt nichts davon zu sagen, daß er knapp dem Tod entgangen war, und fragte mich in Sachen Muskelzerrung um Rat.

«Sauna und Massage«, empfahl ich.»Sonst ein langes, heißes Vollbad und ein paar Aspirin. Und John Grundy könnte Sie ja morgen früh mal durchkneten.«

Er entschied sich für die Heimkur und verschwand, als wir ins Haus kamen, auf seine Suite, um ungestört seine Wunden zu pflegen. Ich ging hinauf in das noch immer unverletzte Territorium des Bambuszimmers, wo ich jeden Abend Wykeham anklingelte und meine telefonischen Nachrichten abrief.

Wykeham sagte, die Besitzer von Pinkeye seien sauer wegen des verzögerten Rennens und hätten sich bei ihm beschwert, ich sei hinterher kurz angebunden gewesen.

«Aber Pinkeye hat doch gesiegt«, sagte ich. Ich war das ganze Rennen automatisch geritten, wie man in Gedanken vertieft eine altgewohnte Strecke fährt und sich bei der Ankunft an keinen Meter mehr entsinnt. Als ich den Zielpfosten passiert hatte, konnte ich mich an die Sprünge kaum erinnern.

«Sie kennen die ja«, sagte Wykeham.»Die sind nie zufrieden, auch wenn sie gewinnen.«

«Mm«, sagte ich.»Geht’s den Pferden gut?«

Allen Pferden gehe es ausgezeichnet, sagte Wykeham, und Abseil fahre beinah aus der Haut und könne dem Feld morgen davonlaufen.

«Großartig«, sagte ich.»Also gute Nacht, Wykeham.«

«Gute Nacht, Paul.«

Der Normalzustand, dachte ich grinsend beim Auflegen, kehrte unverkennbar wieder.

Das Abendessen war eine steife Angelegenheit mit gezwungener Konversation, wobei Roland de Brescou geistesabwesend in seinem Rollstuhl am Kopf des Tisches saß.

Beatrice lamentierte einige Zeit darüber, daß Harrods jetzt unmöglich sei (busweise Touristen, Casilia) und Fortnums überlaufen, und daß ihre liebste Pelzhandlung die Pforten geschlossen habe und verschwunden sei. Bea-tricens Einkaufstag hatte auch einen Friseurbesuch mit sich gebracht und infolgedessen eine Auffrischung der Pfirsichfarbe. Ihre Vergnügungen, erkannte ich, dienten keinem anderen Zweck als dem, die Zeit totzuschlagen; sie waren ein Spiegel erdrückender Sinnlosigkeit, unendlich deprimierend. Kein Wunder, daß sie klagt, dachte ich, wenn diese ganze Leere sie verfolgt.

Sie sah mich an, zweifellos, weil sie meinen Blick spürte, und sagte mit unverhohlener, plötzlicher Galle:»Sie sind es, der dem Fortschritt im Weg steht. Ich weiß das, bestreiten Sie’s nicht. Roland hat es heute morgen zugegeben. Er hätte Henris Plänen sicher längst zugestimmt, wenn Sie nicht wären. Er hat zugegeben, daß Sie dagegen sind. Sie haben ihn beeinflußt. Sie sind böse.«

«Beatrice«, mahnte die Prinzessin,»er ist unser Gast.«

«Das ist mir egal«, sagte sie heftig.»Er sollte es nicht sein. Er ist mir die ganze Zeit im Weg.«

«Dir, Beatrice?«fragte Roland.

Sie zögerte.»In meinem Zimmer«, sagte sie schließlich.

«Es stimmt«, sagte ich ohne Angriffslust,»daß ich dagegen bin, daß Monsieur de Brescou etwas wider sein Gewissen unterschreibt.«

«Ich werde Sie schon los«, sagte sie.

«Nein, Beatrice, das geht wirklich zu weit«, rief die Prinzessin aus.»Kit, erlauben Sie, daß ich mich dafür entschuldige.«

«Es macht nichts«, versicherte ich ihr aufrichtig.»Ganz und gar nichts. Ich stehe Mrs. Bunt ja tatsächlich im Weg. Wenn es darum geht, daß Monsieur gegen sein Gewissen handeln soll, werde ich das immer tun.«

Litsi sah mich grübelnd an. Ich hatte eine sehr deutliche, provozierende Erklärung abgegeben, und er schien sich zu fragen, ob ich mir dessen bewußt war. Ich wiederum war froh, daß ich die Gelegenheit dazu erhalten hatte, und würde meine Worte gegebenenfalls wiederholen.

«Sie sind hinter Danielles Geld her«, sagte Beatrice wütend.

«Sie wissen, daß sie keins hat.«

«Bis sie Roland beerbt.«

Die Prinzessin und Roland sahen aus wie vor den Kopf geschlagen. Wahrscheinlich hatte an dieser kultivierten Tafel bisher noch niemand so offen Krieg geführt.

«Im Gegenteil«, sagte ich höflich.»Wenn Monsieur durch den Verkauf von Waffen reicher würde, und ich wäre hinter Danielles sagenhafter Erbschaft her, dann würde ich ihn drängen, daß er sofort unterschreibt.«

Sie starrte mich erst einmal sprachlos an. Ich machte ein völlig nichtssagendes Gesicht, eine Gewohnheit, die ich im Umgang mit Maynard Allardeck erlernt hatte, und benahm mich, als führten wir eine normale Unterhaltung.»Ganz allgemein«, sagte ich freundlich,»würde ich jedem unerbittlich entgegentreten, der seinen Willen mit Drohungen und Schikanen durchzusetzen sucht. Henri Nanterre hat sich aufgeführt wie ein Gangster, und solange ich hier bin, werde ich nach Kräften darum bemüht sein, daß er sein Ziel nicht erreicht.«

Litsi wollte etwas sagen, überlegte es sich dann anders und schwieg. Der grübelnde Ausdruck verschwand jedoch von seiner Stirn und machte einer unbestimmten Sorge Platz.

«Gut«, meinte Beatrice.»Gut…«

Ich sagte mild wie zuvor:»Eigentlich ist ja nichts dabei, wenn man die Fronten klärt, nicht wahr? Wie Sie das in bewundernswerter Weise getan haben, Mrs. Bunt?«

Wir aßen gerade Seezunge. Beatrice entdeckte ganz plötzlich, daß da eine Menge Gräten waren, die ihre Aufmerksamkeit erforderten, und Litsi warf elegant ein, daß er für den kommenden Mittwoch zur Eröffnung einer neuen Galerie in der Dover Street eingeladen sei; ob Tante Casi-lia vielleicht mit ihm hingehen möchte.

«Am Mittwoch?«Die Prinzessin sah von Litsi zu mir.»Wo sind denn am Mittwoch die Rennen?«

«In Folkestone«, sagte ich.

Die Prinzessin nahm Litsis Einladung an, da sie normalerweise nicht nach Folkestone ging, und er und sie ping-pongten ein paar Gemeinplätze über den Tisch, um die Bunt-Fielding-Wogen zu glätten. Als wir ins Wohnzimmer umzogen, sorgte Litsi wieder dafür, daß ich neben dem Telefon zu sitzen kam, aber es blieb den ganzen Abend stumm. Keine Nachrichten, Drohungen oder Prahlereien von Nanterre. Man durfte nicht hoffen, dachte ich, daß er seine Zelte abgebrochen hatte. Es wäre zu schön gewesen.

Als Roland, die Prinzessin und Beatrice schließlich zu Bett gingen und Litsi sich erhob, um es ihnen gleichzutun, sagte er:»Sie haben sich also selbst als Ziege auserkoren?«

«Ich habe nicht vor, mich fressen zu lassen«, erwiderte ich lächelnd und stand ebenfalls auf.

«Klettern Sie auf keinen Balkon.«

«Nein«, sagte ich.»Schlafen Sie gut.«

Ich machte die Runde durchs Haus, alles schien klar zu sein. Als es Zeit war, ging ich zum Auto, um Danielle abzuholen.

Die Gasse wirkte immer noch gespenstisch, und ich nahm es diesmal noch genauer mit der Wagenkontrolle, aber wieder war offenbar alles in Ordnung, und ich fuhr ohne Zwischenfall nach Chiswick.

Danielle sah blaß und abgespannt aus.»Ein hektischer Abend«, sagte sie. Als Studio-Koordinatorin hatte sie unter anderem zu entscheiden, wie ausführlich einzelne Nachrichten behandelt werden sollten, und dementsprechend Kamerateams einzusetzen. Ich war verschiedene Male bei ihr im Studio gewesen und hatte sie arbeiten sehen, hatte erlebt, wieviel Schwung und geistige Energie sie aufbot, um dort so erfolgreich zu sein, wie sie es war. Ich hatte ihre Entschlossenheit und ihre schöpferischen Eingebungen erlebt und wußte, daß sie hinterher schnell in müdes Schweigen verfallen konnte.

Das Schweigen zwischen uns war allerdings nicht mehr die angenehme Stille tiefer Übereinstimmung, sondern beinahe Verlegenheit wie zwischen Fremden. Wir waren den November, Dezember und Januar hindurch ein leidenschaftliches Wochenendliebespaar gewesen, und bei ihr war die Freude von einer Woche zur nächsten verflogen.

Ich fuhr zurück zum Eaton Square in dem Gedanken, wie sehr ich sie liebte, wie sehr ich mich danach sehnte, daß sie wieder so wäre wie früher, und als ich in der Gasse mit den Garagen anhielt, sagte ich impulsiv:»Danielle, bitte. bitte sag mir, was los ist.«

Es war unbeholfen und direkt aus Verzweiflung hervorgebracht, auch entgegen dem Rat der Prinzessin; und sowie ich es gesagt hatte, wünschte ich mir, ich hätte es nicht getan, denn das letzte, was ich von ihr hören wollte, war, daß sie Litsi liebte. Ich befürchtete, ich könnte sie nachgerade dazu treiben, daß sie es mir sagte, und erschrocken setzte ich hinzu:»Laß es. Es spielt keine Rolle. Antworte nicht.«

Sie drehte den Kopf und sah mich an, dann schaute sie weg.

«Es war wunderschön am Anfang, nicht?«sagte sie.»Es ging so schnell. Es war… Zauberei.«

Ich konnte gar nicht hinhören. Ich machte die Wagentür auf und wollte aussteigen.

«Warte«, sagte sie.»Ich muß — jetzt, wo ich angefangen habe.«

«Nein«, bat ich.»Tu’s nicht.«

«Vor ungefähr einem Monat«, sagte sie, und all die verdrängten Gedanken sprudelten wirr hervor,»als du in Kempton so schrecklich gestürzt bist und ich dich bewußtlos auf der Trage liegen sah, als sie dich aus dem Krankenwagen geladen haben… ich bekam Durchfall, solche

Angst hatte ich, du würdest sterben… und mir wurde schlagartig klar, wieviel Gefahr dein Leben birgt… und wieviel Schmerzen… und ich sah mich hier in einem fremden Land… an dich gebunden für alle Zeit… nicht nur für eine herrliche, unverhoffte Romanze, sondern für immer gefangen in einem Leben fern von zu Hause, jeden Tag voller Angst… und ich wußte ja nicht, daß es hier so kalt und naß ist, ich bin in Kalifornien aufgewachsen… und dann kam Litsi… und er weiß so vieles… und es schien so einfach, mit ihm zusammenzusein, harmlose Sachen zu unternehmen wie Ausstellungsbesuche, ohne daß einem das Herz bis zum Hals klopft. Ich habe dir deinen Kummer am Telefon angemerkt und ihn diese Woche in deinem Gesicht gesehen, aber irgendwie konnte ich es dir nicht sagen…«Sie zögerte ganz kurz.»Tante Casilia hab ich’s erzählt. Ich hab sie gefragt, was ich tun soll.«

Ich lockerte den Druck in meiner Kehle.»Was hat sie gesagt?«

«Sie sagte, niemand könne für mich entscheiden. Ich fragte sie, ob sie glaubt, daß ich mich an den Gedanken gewöhnen kann, für immer in einem fremden Land zu leben, so wie sie, und daß ich lerne, mich mit der Möglichkeit abzufinden, daß du tödlich verunglückst oder dich grauenhaft verletzt… und sag nicht, das käme nicht vor, erst letzte Woche ist wieder ein Jockey umgekommen… und ich hab sie gefragt, ob sie mich für dumm hält.«

Sie schluckte.»Sie sagte, du würdest dich durch nichts ändern, du wärst, wie du wärst, und ich müßte dich klar sehen. Sie sagte, die Frage sei nicht, ob ich mir vorstellen könnte, hier mit dir zu leben, sondern ob ich mir vorstellen könnte, irgendwo ohne dich zu leben.«

Wieder hielt sie inne.»Ich sagte ihr, welche Ruhe ich empfinde, wenn ich mit Litsi zusammen bin… sie meinte, Litsi sei ein netter Mensch… mit der Zeit würde ich einsehen… erkennen… was ich mir am meisten wünsche… Sie sagte, die Zeit kläre Gefühle und Gedanken auf ihre Weise… sie sagte, du würdest geduldig sein, und sie hat recht, das bist du ja, das bist du. Aber ich kann so nicht immer weitermachen, ich weiß, daß das unfair ist. Ich war gestern und heute mit beim Rennen, um zu sehen, ob es wieder geht. aber es geht nicht. Ich schaue kaum zu.

Ich blende aus meinem Verstand aus, was du da tust… daß du da bist. Ich hatte Tante Casilia versprochen, hinzugehen. es zu versuchen. aber mit Litsi unterhalte ich mich einfach…«Sie verstummte, müde und unglücklich.

«Ich liebe dich sehr«, sagte ich langsam.»Möchtest du, daß ich meinen Beruf aufgebe?«

«Tante Casilia sagte, wenn ich das verlangte und du tätest es und wir würden heiraten, gäbe es eine Katastrophe, wir wären innerhalb von fünf Jahren geschieden. Sie wurde sehr heftig. Sie sagte, das dürfe ich nicht verlangen, es wäre absolut unfair, ich würde dich zerstören, bloß weil ich nicht deinen Mut habe.«

Sie schluckte krampfhaft, ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Ich sah die dunkle Gasse entlang und dachte an Gefahr und Angst, diese alten, gebändigten Freunde. Man konnte nicht jedem beibringen, mit ihnen zu leben: es mußte von innen kommen. Wie alles andere wurde es durch Übung leichter, aber es konnte auch über Nacht verschwinden. Mut kam und Mut ging; dem Durchhaltevermögen waren Grenzen gesetzt.

«Komm«, sagte ich,»es wird kalt. «Ich zögerte.»Danke, daß du es mir gesagt hast.«

«Was… wirst du tun?«»Ins Haus gehen und bis morgen früh schlafen.«

«Nein…«Sie schluchzte lachend.»Ich meine, wegen dem, was ich dir erzählt habe.«

«Ich werde warten«, sagte ich,»wie Prinzessin Casilia es mir geraten hat.«

«Dir geraten!«rief Danielle aus.»Hast du mit ihr über uns gesprochen?«

«Nein, das nicht. Sie sagte es aus heiterem Himmel in Ascot im Führring.«

«Oh«, meinte Danielle leise.»Ich hatte sie am Dienstag, als du in Devon warst, gefragt.«

Wir stiegen aus, und ich schloß das Auto ab. Was Danielle gesagt hatte, war schlimm genug, aber nicht so schlimm wie ein unwiderrufliches Bekenntnis zu Litsi. Bis sie den Verlobungsring abnahm, den sie noch trug, würde ich an einer gewissen Hoffnung festhalten.

Wir gingen Seite an Seite zum Haus und sagten uns auf ihrer Etage wieder kurz gute Nacht. Ich ging nach oben und legte mich aufs Bett und litt Schmerzen, gegen die es kein Aspirin gab.

Als ich herunterkam, um zu frühstücken, waren Litsi und Danielle schon da. Er saß am Tisch und las die Sporting Life, sie stand über seine Schulter gebeugt und las mit.

«Ist es drin?«sagte ich.

«Was denn?«fragte Litsi, ohne aufzuschauen.

«Die Anzeige«, sagte ich,»für den Nachrichtenüberbringer.«

«Ja«, antwortete Litsi.»Und ein Foto von Ihnen ist in der Zeitung.«

Ich holte mir gelassen etwas Orangensaft. Mein Konterfei war ziemlich oft in den Zeitungen; der Beruf brachte das mit sich.

«Hier steht«, sagte Litsi,»daß Champion-Jockey Kit Fielding einem Mann das Leben gerettet hat, indem er die Zuschauer überredete, ihre Mäntel auszuziehen. «Er ließ die Zeitung sinken und starrte mich an.»Sie haben mit keinem Wort erwähnt, daß es Ihre Idee war.«

Auch Danielle machte große Augen.»Warum hast du uns das nicht gesagt?«

«Ein Anfall von Bescheidenheit«, meinte ich und trank den Saft.

Litsi lachte.»Dann danke ich Ihnen auch nicht.«

«Nein.«

Danielle sagte zu mir:»Möchtest du Toast?«

«Ja… bitte«, sagte ich.

Sie ging zur Anrichte hinüber, schnitt eine Scheibe Vollkornbrot ab und schob sie in den Toaster. Ich beobachtete sie dabei und merkte, daß Litsi mich beobachtete. Ich schaute ihn an, erriet aber nicht, was er dachte, und hätte gern gewußt, wieviel in meinem eigenen Gesicht zu lesen war.

«Wie geht’s den Muskeln?«fragte ich.

«Verkatert.«

Ich nickte. Der Toast sprang aus dem Toaster, und Danielle legte die Scheibe auf einen Teller, brachte ihn herüber und setzte ihn vor mich hin.

«Danke«, sagte ich.

«Gern geschehen. «Es war unbefangen gesagt, aber keine Rückkehr zum November. Ich aß den Toast, solange er heiß war, und war dankbar für die freundliche Geste.

«Haben Sie heute nachmittag wieder zu tun?«fragte Litsi.

«Fünf Ritte«, sagte ich.»Kommen Sie mit?«

«Tante Casilia sagte, wir fahren alle hin.«

«Ah ja. «Ich überlegte ein wenig, erinnerte mich an die morgendliche Unterhaltung auf dem Flur.»Es wäre vielleicht gut«, sagte ich zu Danielle,»wenn du vor Beatrice beiläufig erwähnen könntest — aber sie muß es mitbekommen! — , daß du nächste Woche nur am Montag arbeitest.«

Sie sah erstaunt drein.»Das stimmt doch gar nicht. Ich arbeite normal.«

«Ich möchte, daß Beatrice glaubt, Montag sei die letzte Nacht, wo du so spät nach Hause kommst.«

«Warum?«fragte Danielle.»Das soll nicht heißen, daß ich’s nicht mache, aber warum?«

Litsi schaute mich unverwandt an.»Was noch?«sagte er.

Ich antwortete im Plauderton:»Es kann nichts schaden, eine Angel mit ein paar Ködern auszulegen. Wenn der Fisch die Gelegenheit nicht wahrnimmt, ist nichts verloren.«

«Und wenn er es tut?«

«Wird er gefangen.«

«Was für eine Angel, was für Köder?«fragte Danielle.

«Eine Zeit und einen Ort«, sagte ich,»zur Beseitigung eines unbequemen, starren Objekts.«

Sie sagte zu Litsi:»Weißt du, was er meint?«

«Ich fürchte ja«, sagte er.»Er hat Beatrice gestern abend erklärt, solange er es verhindern könne, werde Roland niemals einen Vertrag für Waffen unterschreiben. Kit ist außerdem der einzige von uns, den Nanterre trotz zweimaliger Ankündigung noch nicht in irgendeiner Weise direkt angegriffen hat. Kit will ihn auf eine Zeit und einen Ort festlegen, die wir vielleicht zu unserem Vorteil nutzen können. Die Zeit dürfte der frühe Dienstagmorgen sein, wenn er das Haus hier verläßt, um dich von der Arbeit abzuholen.«

«Und der Ort?«sagte Danielle mit weit aufgerissenen Augen.

Litsi warf mir einen Blick zu.»Wir kennen alle den idealen Ort«, sagte er.

Nach einer winzigen Pause setzte er hinzu:»Die Gasse.«

Ich nickte.»Wenn Thomas heute die Prinzessin und Beatrice zum Rennen fährt, wird er sagen, er hat etwas Wichtiges vergessen, das er unterwegs aus der Garage holen muß. Er wird den Rolls die ganze Gasse entlang bis zum Wendekreis fahren, damit Beatrice sich alles genau ansehen kann, und auf dem Rückweg wird er kurz an der Garage halten, aber hinter meinem Mercedes. Er wird sagen, wie verlassen und dunkel die Gasse bei Nacht ist… er wird darauf hinweisen, daß der Mercedes mir gehört, und er wird erwähnen, daß ich dich damit nachts immer abhole. Wenn Beatrice ihre Arbeit tut, besteht immerhin die Möglichkeit, daß Nanterre kommt. Und sollte er nicht kommen, ist wie gesagt nichts verloren.«

«Wirst du dort sein?«sagte Danielle.»In der Gasse?«Sie wartete keine Antwort ab.»Blöde Frage«, meinte sie.

«Ich miete einen Wagen mit Fahrer, der dich in Chiswick abholt«, sagte ich.

«Kann denn Thomas nicht.«

«Thomas«, sagte ich,»möchte sich die Show auf keinen Fall entgehen lassen. Er und Sammy werden mit dabei sein. Ich laufe nicht allein in diese Gasse.«»Als ob ich dann arbeiten könnte«, sagte Danielle.»Ich glaube, dann fahre ich nicht.«

«Das mußt du aber«, sagte Litsi.»Alles muß normal aussehen.«

«Und wenn er kommt?«fragte sie.»Wenn ihr ihn erwischt, was ist dann?«

«Ich werde ihm ein Angebot machen, dem er nicht widerstehen kann«, sagte ich, und obwohl sie beide wissen wollten, was für eines, mochte ich ihnen das vorerst noch nicht sagen.

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