Kapitel 3

Ein kurzes Schweigen trat ein, dann sagte die Prinzessin zu Greening:»Bitte weiter, Gerald. Erzählen Sie Kit, was dieser. dieser elende Mensch will und was er mir gesagt hat.«

Roland de Brescou schaltete sich ein, bevor Greening das Wort ergreifen konnte, und drehte seinen Rollstuhl zu mir hin.»Ich erzähle es ihm. Ich sage es Ihnen. Ich war nicht der Meinung, daß Sie in unsere Angelegenheiten hineingezogen werden sollten, aber meine Frau wünscht es…«Er machte eine schwache Geste mit der dünnen Hand, um seine Zuneigung zu ihr anzudeuten,». und da Sie Danielle heiraten werden, nun ja, vielleicht… Aber ich sage es Ihnen selbst. «Er sprach langsam, jedoch wieder mit kräftigerer Stimme; auch bei ihm ließ der Schock nach, und etwas wie Ärger kam durch.

«Wie Sie wissen«, sagte er,»bin ich seit langem…«Er deutete an seinem Körper hinunter, sprach es nicht aus.»Und wir leben auch schon lange Zeit in London. Weit weg von der Firma, verstehen Sie?«

Ich nickte.

«Louis Nanterre, der ging dort ziemlich oft hin und beriet sich mit den Geschäftsführern. Dann haben wir immer mal wieder telefoniert, und er hielt mich über alles auf dem laufenden… Wenn es vernünftig schien, neue Richtungen einzuschlagen, beschlossen wir das gemeinsam. Beispielsweise haben er und ich eine Fabrik aufgebaut, um Teile aus Kunststoff zu produzieren, statt aus Metall oder Beton. Schwere Entwässerungsrohre etwa, die im Straßenbett nicht reißen oder rotten, verstehen Sie? Wir haben neue, sehr widerstandsfähige Kunststoffe entwickelt.«

Er unterbrach sich, anscheinend mehr aus Atemnot als deshalb, weil es nichts mehr zu sagen gab. Die Prinzessin, Greening und ich warteten, bis er weitersprechen konnte.

«Louis«, sagte er schließlich,»kam zweimal pro Jahr zu uns nach London, mit Buchprüfern und Anwälten — auch Gerald war dann hier —, und wir erörterten das Geschäft, lasen die Berichte und Empfehlungen des Vorstands und schmiedeten Pläne. «Er seufzte schwer.»Dann starb Louis, und ich bat Henri, zu den Sitzungen herüberzukommen, und er hat das abgelehnt.«

«Abgelehnt?«wiederholte ich.

«Kategorisch. So war ich plötzlich nicht mehr auf dem laufenden, und ich schickte Gerald hinüber und schrieb an die Buchprüfer.«

«Henri hat die Prüfer gefeuert«, sagte Gerald Greening kurz und bündig in die Pause,»und andere eigener Wahl engagiert. Er hatte die Hälfte der Geschäftsführer gefeuert, um die Leitung selbst zu übernehmen, und war in Branchen eingestiegen, von denen Monsieur de Brescou nichts ahnte.«

«Es ist unerträglich«, sagte Roland de Brescou.

«Und heute?«fragte ich zögernd.»Was hat er heute in Newbury gesagt?«

«Zu meiner Frau zu gehen!«Er bebte vor Zorn.»Ihr zu drohen. Es ist… eine Schande. «Kein Wort, schien es, war stark genug für seine Gefühle.

«Er sagte Prinzessin Casilia«, erklärte Gerald Greening,»daß er die Unterschrift ihres Mannes auf einem Dokument braucht, das Monsieur de Brescou nicht unterschreiben will, und sie solle dafür sorgen, daß er es unterschreibt.«

«Was für ein Dokument?«fragte ich rundheraus.

Keiner von ihnen hatte es offenbar eilig, darauf zu antworten, und schließlich war es Gerald Greening, der sagte:»Ein Antragsformular der französischen Behörden für die Genehmigung zur Herstellung und Ausfuhr von Waffen.«

«Waffen?«sagte ich überrascht.»Welche Art von Waffen?«

«Tödliche Schußwaffen. Handfeuerwaffen aus Kunststoff.«

«Er eröffnete mir«, sagte die Prinzessin niedergeschlagen,»daß es ganz einfach sei, die starken Kunststoffe für Waffen zu verwenden. Viele moderne Pistolen und Maschinengewehre können aus Plastik gefertigt werden, sagt er. Dann sind sie billiger und leichter, sagt er. Die Produktion wäre einfach und rentabel, wenn er erst einmal die Lizenz hätte. Und er sagte, er bekäme sicher eine Lizenz, die Vorarbeiten seien bereits abgeschlossen. Er habe wenig Mühe gehabt, weil die Firma de Brescou & Nanterre so angesehen und bekannt sei, und er brauche lediglich noch die Zustimmung meines Mannes.«

Sie schwieg mit einer Betroffenheit, die der ihres Mannes entsprach.»Waffen«, sagte er.»Niemals werde ich das unterschreiben. Es ist unehrenhaft, verstehen Sie, heutzutage mit Kriegswaffen zu handeln. Undenkbar. In Europa ist das doch kein Geschäft von gutem Ruf mehr. Gerade Plastikwaffen, die erfunden worden sind, damit man sie unentdeckt durch Flughafenkontrollen schaffen kann. Natürlich ist mir klar, daß unsere Kunststoffe dafür geeignet wären, aber nie und nimmer soll mein Name für den Verkauf von Waffen benutzt werden, die womöglich in die Hände von Terroristen gelangen. Es ist völlig undenkbar.«

Das sah ich allerdings ein.

«Einer unserer älteren Manager rief mich vor einem Monat an und fragte, ob ich wirklich vorhätte, Waffen herzustellen. Ich wußte von nichts. Dann schickte Henri Nanterre einen Anwaltsbrief, in dem er formell um meine Zustimmung bat. Ich schrieb zurück, die gäbe ich niemals, und dachte, damit sei die Angelegenheit erledigt. Es kommt nicht in Frage, daß die Firma ohne mein Einverständnis Waffen produziert. Aber meiner Frau zu drohen!«

«Was waren das für Drohungen?«fragte ich.

«Henri Nanterre«, antwortete die Prinzessin leise,»hat mir gesagt, er sei sicher, ich würde meinen Mann zu der Unterschrift überreden, denn ich wollte doch wohl nicht, daß einer meiner Angehörigen — oder jemand, der für mich arbeitet —, einen Unfall hätte.«

Kein Wunder, daß sie erschüttert gewesen war, dachte ich. Waffen, Gewaltandrohungen, möglicher Ehrverlust; alles weit entfernt von ihrem behüteten, sicheren und achtbaren Alltag. Henri Nanterre mit seinem markanten Gesicht und seiner herrischen Stimme mußte sie mindestens schon eine Stunde bearbeitet haben, bevor ich in ihre Loge kam.

«Was war denn mit Ihren Freunden in Newbury?«fragte ich sie.»Ihren Logengästen.«

«Die hat er weggeschickt«, sagte sie müde.»Er sagte, er müsse mich dringend sprechen, und sie sollten nicht wiederkommen.«

«Und sie sind gegangen.«

«Ja.«

Nun… ich war auch gegangen.

«Ich wußte nicht, wer er war«, sagte die Prinzessin.»Ich habe mich von ihm überrumpeln lassen. Er kam hereingestürmt, warf die andern raus und erstickte alle meine Einwände und Fragen. Mir ist noch…«sie erschauerte.»Mir ist so jemand noch nie begegnet.«

Henri Nanterre hatte selber ziemlich viel von einem Terroristen, fand ich. Terrormache jedenfalls: Brüllen, Drängen, Drohungen.

«Was haben Sie ihm gesagt?«fragte ich, denn wenn irgend jemand einen Terroristen mit Worten bändigen konnte, dann war sie das.

«Ich weiß es nicht. Er hat nicht zugehört. Er hat einfach alles überschrien, was ich sagen wollte, bis ich schließlich still war. Es war zwecklos. Wenn ich versuchte aufzustehen, schubste er mich zurück. Wenn ich redete, fuhr er mir über den Mund. Er sagte immer und immer wieder das gleiche… Als Sie in meine Loge kamen, war ich völlig benommen.«

«Ich hätte bleiben sollen.«

«Nein… nur gut, daß Sie weggegangen sind.«

Sie sah mich ruhig an. Vielleicht hätte ich buchstäblich mit ihm kämpfen müssen, dachte ich, und vielleicht den Kampf verloren, und das hätte bestimmt keinem geholfen. Trotzdem hätte ich bleiben sollen.

Gerald Greening räusperte sich, legte das Klemmbrett auf ein Tischchen und begann wieder an der Wand hinter meiner linken Schulter auf den Fersen zu wippen.

«Prinzessin Casilia hat mir erzählt«, sagte er, indem er mit Geldstücken in seiner Hosentasche klimperte,»daß ihr Jockey im letzten November zwei böse Zeitungsbarone, einen bösen Kredithai und verschiedene böse Schläger ausgetrickst hat.«

Ich drehte den Kopf und fing seinen Blick auf, der ungläubig strahlte. Ein Spaßvogel, dachte ich. Nicht das, was ich mir bei einem Anwalt gewünscht hätte.

«Es ergab sich so«, sagte ich neutral.

«Und, dürsten die immer noch nach Ihrem Blut?«Seine Stimme hatte einen frotzelnden Unterton, als könnte niemand die Geschichte der Prinzessin ernst nehmen.

«Nur der Kredithai, soviel ich weiß«, sagte ich.

«Maynard Allardeck?«

«Sie haben von ihm gehört?«

«Ich kenne ihn«, sagte Greening leicht auftrumpfend.»Ein vernünftiger, reizender Mensch, möchte ich meinen. Ganz und gar kein Schurke.«

Ich äußerte mich nicht dazu. Ich vermied es nach Möglichkeit, über Maynard zu reden, nicht zuletzt, weil jedes Wort ihm zu Ohren kommen und als prozeßreife Beleidigung ausgelegt werden konnte.

«Jedenfalls«, sagte Greening, am Rand meines Gesichtsfelds wippend, mit offenkundiger Ironie,»hätte Prinzessin Casilia jetzt gern, daß Sie auf schnellem Roß zu Hilfe eilen und Monsieur de Brescou von dem abscheulichen Nanterre befreien.«

«Nein, nein«, protestierte die Prinzessin. Sie setzte sich aufrechter hin.»Gerald, davon habe ich nichts gesagt.«

Ich stand langsam auf und wandte mich Greening unmittelbar zu, und ich weiß nicht genau, was er sah, aber er hörte auf zu wippen, nahm die Hände aus den Taschen und sagte in abrupt verändertem Ton:»Sie hat das zwar nicht gesagt, aber sie möchte es zweifellos. Und ich gebe zu, daß ich das Ganze bis zu diesem Moment ein bißchen für einen Scherz gehalten habe. «Er sah mich verlegen an.»Hören Sie, mein Lieber, vielleicht habe ich mich geirrt.«

«Kit«, sagte die Prinzessin hinter mir,»bitte nehmen Sie Platz. Darauf wollte ich ganz bestimmt nicht hinaus. Ich habe nur überlegt… Oh, nun setzen Sie sich doch.«

Ich setzte mich hin, beugte mich zu ihr und sah in ihre bekümmerten Augen.»Es ist Ihr Wunsch«, sagte ich billigend.»Sie möchten es. Ich werde tun, was ich kann, um Ihnen zu helfen. Aber ich bin immer noch… ein Jockey.«

«Sie sind ein Fielding«, sagte sie überraschend.»Das hat Gerald gerade eben gesehen. Dieses Etwas… Bobby sagte mir, es sei Ihnen nicht bewußt. «Sie brach in einiger Verwirrung ab. Unter normalen Umständen redete sie nie so mit mir.»Ich wollte Sie bitten«, sagte sie mit sichtlich wiederkehrender Gelassenheit,»daß Sie Ihr Möglichstes tun, damit es keine >Unfälle< gibt. Daß Sie darüber nachdenken, was passieren könnte, uns darauf hinweisen und uns beraten. Wir brauchen jemanden wie Sie, der sich vorstellen kann.«

Sie schwieg. Ich wußte genau, was sie meinte, aber ich sagte:»Haben Sie daran gedacht, die Polizei einzuschalten?«

Sie nickte stumm, und hinter mir sagte Gerald Greening:»Ich rief sie unverzüglich an, nachdem Prinzessin Casilia mir berichtet hatte, was vorgefallen war. Gut, meinten sie, wir haben alles notiert.«

«Keine konkreten Maßnahmen?«tippte ich an.

«Sie seien eingedeckt mit tatsächlich begangenen Verbrechen, sagen sie, aber sie würden das Haus hier auf ihre Überwachungsliste setzen.«

«Und da haben Sie wohl einen ziemlich guten Platz bekommen?«

«So gut ich das heute abend hinbiegen konnte.«

Es gab keine Möglichkeit, überlegte ich, irgend jemanden auf Dauer gegen Mordanschläge zu schützen, aber ich bezweifelte, ob Henri Nanterre entschlossen war, so weit zu gehen, schon weil ihm das nicht unbedingt nützte. Wahrscheinlich dachte er nur, ein gelähmter alter Mann und eine weltfremde Frau seien leicht einzuschüchtern, und unterschätzte damit sowohl den Mut der Prinzessin wie das unbeugsame Ehrgefühl ihres Mannes. Ein Mensch von wenig Skrupeln faßte moralischen Widerstand wohl eher als vorübergehenden, austreibbaren Starrsinn auf, nicht als fest verankertes Hindernis.

Ich bezweifelte, ob er tatsächlich in diesem Augenblick» Unfälle «plante; er würde die Drohungen für ausreichend halten. Wie schnell würde er merken, daß sie es nicht waren?

Ich sagte zur Prinzessin:»Hat Nanterre Ihnen eine Zeit genannt? Hat er gesagt, wann und wo Monsieur den Antrag unterschreiben soll?«

«Ich werde nicht unterschreiben«, murmelte Roland de Brescou.

«Nein, Monsieur, aber das weiß Henri Nanterre noch nicht.«

«Er sagte mir«, antwortete die Prinzessin schwach,»daß ein Notar die Unterschrift meines Mannes beglaubigen müßte. Er werde das in die Wege leiten und uns Bescheid geben.«

«Ein Notar? Ein französischer Anwalt?«

«Ich weiß es nicht. Mit meinen Bekannten sprach er englisch, aber als sie fort waren, fing er auf französisch an, und ich sagte ihm, er solle englisch sprechen. Ich kann ja Französisch, aber wie Sie wissen, ziehe ich das Englische vor, das mir zur zweiten Natur geworden ist.«

Ich nickte. Danielle hatte mir erzählt, daß weder die Prinzessin noch ihr Mann gern in der Landessprache des Ehepartners plauderten; beide sahen Englisch als ihre

Umgangssprache an und lebten auch aus diesem Grund in England.

«Was glauben Sie, was Nanterre tun wird«, fragte ich Greening,»wenn er feststellt, daß jetzt vier Leute den Antrag unterzeichnen müssen, nicht nur Monsieur?«

Er starrte mich mit glänzenden Augen an. Kontaktlinsen, dachte ich zusammenhanglos.»Konsequenzen«, sagte er,»sind Ihr Spezialgebiet, soviel ich weiß.«

«Dann kommt es darauf an«, sagte ich,»wie reich er ist, wie habsüchtig, wie machthungrig, wie entschlossen und wie kriminell.«

«Ach herrje«, meinte die Prinzessin leise,»das alles ist so scheußlich.«

Da stimmte ich ihr zu. Ich wäre jetzt mindestens so gern wie sie auf einer windgepeitschten Rennbahn gewesen, wo die Schurken vier Beine hatten und lediglich beißen konnten.

«Es gibt eine einfache Möglichkeit«, sagte ich zu Monsieur de Brescou,»Ihre Familie zu schützen und Ihren guten Ruf zu wahren.«

«Nur weiter«, sagte er,»wie denn?«

«Ändern Sie den Namen der Firma und verkaufen Sie Ihren Anteil.«

Er blickte erstaunt drein. Die Prinzessin hob die Hand an ihren Mund, und Greenings Reaktion konnte ich nicht sehen, da er hinter mir war.

«Leider«, sagte Roland de Brescou schließlich,»kann ich beides nicht ohne die Zustimmung von Henri Nanterre tun. Das wurde in dem Partnervertrag seinerzeit festgelegt. «Er hielt inne.»Es kann natürlich sein, daß er solchen Änderungen zustimmen würde, wenn er ein Konsortium für den Aufkauf zusammenbekäme, das ihm die Aktienmehrheit einräumt. Dann könnte er, wenn er wollte, Waffen produzieren.«

«Das klingt nach einer echten Lösung«, sagte Gerald Greening wohlüberlegt von hinten.»Sie wären Ihre Sorgen los, Monsieur. Sie hätten Nutzen daraus gezogen. Ja… sicher ein erwägenswerter Vorschlag.«

Roland de Brescou musterte mein Gesicht.»Und Sie«, sagte er,»würden Sie persönlich diesen Weg gehen?«

Tja, dachte ich. Würde ich das, wenn ich alt und gelähmt wäre? Wenn ich wüßte, daß die Folge eine Ladung neuer Waffen in einer Welt sein würde, die bereits von ihnen überschwemmt war? Wenn ich wüßte, daß ich damit meine Grundsätze über Bord warf? Wenn mir an der Sicherheit meiner Familie gelegen war?

«Ich weiß es nicht, Monsieur«, sagte ich.

Er lächelte leise und wandte seinen Kopf der Prinzessin zu.»Und du, meine Liebe? Würdest du es?«

Ihre Antwort, wie immer sie gelautet hätte, wurde verhindert durch das Summen der Sprechanlage, einer neueren Einrichtung im Haus, die allen sehr viel Lauferei ersparte. Die Prinzessin griff nach dem Hörer, drückte eine Taste und sagte:»Ja?«Sie hörte zu.»Einen Moment. «Sie sah Ihren Mann an:»Erwartest du Besuch? Dawson sagt, es sind zwei Männer gekommen, die behaupten, mit dir verabredet zu sein. Er hat sie in die Bibliothek geführt.«

Roland de Brescou schüttelte gerade zweifelnd den Kopf, als ein vernehmliches Quäken aus dem Hörer drang.»Wie bitte?«fragte die Prinzessin und hielt ihn sich wieder ans Ohr.»Was sagten Sie, Dawson?«Sie horchte, schien aber nichts zu hören.»Er ist weg«, sagte sie verwirrt.»Was kann denn da passiert sein?«

«Ich sehe mal nach, wenn Sie möchten«, sagte ich.

«Ja, Kit, bitte tun Sie das.«

Ich stand auf und ging an die Tür, doch ehe ich sie erreichte, wurde sie plötzlich geöffnet und zwei Männer kamen zielstrebig herein. Der eine war unverkennbar Henri Nanterre, der andere, einen Schritt dahinter, ein blasser, spitzgesichtiger junger Mann in einem engen schwarzen Anzug, mit einer Aktenmappe unterm Arm.

Dawson erschien atemlos hinter ihnen, den Mund noch aufgerissen vor Empörung darüber, wie unsanft seine Abwehr durchbrochen worden war.

«Madam«, sagte er hilflos,»sie sind einfach an mir vorbeigerannt.«

Henri Nanterre schlug ihm mitten in seinen Erklärungen die Tür vor der Nase zu und wandte sich in das Zimmer voller Leute. Er schien bestürzt über die Anwesenheit von Gerald Greening, und mir warf er einen zweiten, scharfen Blick zu, als er sich entsann, wo er mich schon mal gesehen hatte. Das gefiel ihm auch nicht besonders. Er hatte wohl nur die Prinzessin und ihren Mann erwartet und darauf spekuliert, daß sie für seinen Zweck mürbe genug wären.

Seine Hakennase wirkte etwas weicher vor den dunklen Wänden und seine Aggressivität nicht so geballt wie in der kleineren Loge, aber massiv war er immer noch: durch seine laute Stimme ebenso wie durch die völlige Mißachtung des guten Benehmens, das er von Hause aus hätte haben sollen.

Er schnippte mit den Fingern seinem Begleiter zu, der ein loses, sandfarbenes Blatt Papier aus der Aktenmappe nahm und es ihm gab, worauf er Roland de Brescou eine lange und offensichtlich unangenehme Rede auf französisch entgegenschleuderte. Sein Angriffsziel lehnte sich im Rollstuhl nach hinten, wie um den Anwürfen zu entge-hen, und sagte in die erste verfügbare Pause hinein:»Sprechen Sie englisch.«

Henri Nanterre fuchtelte mit dem Bogen Papier und ließ einen weiteren französischen Wortschwall vom Stapel, wobei er de Brescous Unterbrechungsversuche erstickte. Die Prinzessin winkte mir hilflos mit der Hand, um anzudeuten, daß ihr es genauso ergangen war.

«Nanterre!«sagte Gerald Greening gebieterisch und fing sich einen Blick ein, erwirkte aber keine Pause in der Tirade. Ich ging zu dem Sessel zurück, von dem ich aufgestanden war, setzte mich, schlug die Beine übereinander und baumelte mit meinem Fuß. Die Bewegung irritierte Nanterre so weit, daß er abbrach und etwas zu mir sagte, vielleicht: »Et qui etes vous?«, aber sicher war ich mir da nicht. Mein bißchen Französisch hatte ich mir vorwiegend auf den Rennplätzen von Anteuil und Cagnes-sur-Mer angeeignet, und es bestand hauptsächlich aus Wörtern wie courants (Teilnehmer), haies (Hürden) und piste (Geläuf). Ich schaute Nanterre freundlich an und ließ meinen Fuß weiterbaumeln.

Greening nutzte die kurze Unterbrechung, um ziemlich schwülstig zu sagen:»Es steht nicht in der Macht von Monsieur de Brescou, irgendein Papier zu unterzeichnen.«

«Seien Sie nicht albern«, sagte Nanterre jetzt auf englisch, und wie viele französische Geschäftsleute sprach er es offenbar fließend.»Er hat viel zu viel Macht. Er hat den Kontakt zur modernen Welt verloren, und seine hinderliche Haltung muß ein Ende haben. Ich verlange von ihm, daß er eine Entscheidung trifft, die einer alternden und an verstaubten Methoden krankenden Firma zu neuer Blüte und neuem Aufschwung verhelfen wird. Die Zeit des Straßenbaus ist abgelaufen. Wir müssen uns nach neuen Märkten umsehen. Ich habe einen solchen Markt gefunden — den Abnehmer für die Kunststoffe, die wir seit langem verarbeiten, und altmodischer Unsinn darf da nicht im Weg stehen.«

«Monsieur de Brescou hat seine alleinige Entscheidungsgewalt abgetreten«, sagte Greening.»Außer Ihnen müssen jetzt vier Personen jede Änderung der Firmenpolitik mit ihrem Namen unterschreiben.«

«Das ist doch aus der Luft gegriffen«, sagte Nanterre laut.»De Brescou hat die volle Entscheidungsgewalt.«

«Gehabt. Er hat sie übertragen.«

Nanterre sah verblüfft drein, und ich dachte schon, Greenings Sandsäcke könnten der Flut tatsächlich standhalten, da beging er den törichten Fehler, selbstzufrieden in Richtung auf das umgedrehte Klemmbrett zu schauen. Wie konnte er nur so blöd sein, dachte ich und hatte kein Mitleid mit ihm, als Nanterre seiner Blickrichtung folgte, blitzschnell zu dem kleinen Tisch hinüberschoß und sich bediente.

«Legen Sie das hin«, sagte Greening wütend, doch Nanterre überflog die Seiten und gab sie flink seinem blassen Gehilfen.

«Ist das rechtsgültig?«wollte er wissen.

Gerald Greening war im Anmarsch, um sich sein Eigentum wiederzuholen, und der unvorgestellte Franzose ging beim Lesen rückwärts und hielt das Klemmbrett außer Reichweite. »Oui«, sagte er schließlich.»Jawohl. Rechtsgültig.«

«In diesem Fall. «Nanterre nahm ihm das Klemmbrett weg, riß die handbeschriebenen Seiten herunter und zerfetzte sie. »Voila. Das Schriftstück existiert nicht mehr.«

«Natürlich existiert es«, sagte ich.»Auch wenn es zerrissen ist. Es war unterzeichnet, und es kann neu geschrieben werden.«

Nanterre richtete den Blick auf mich.»Wer sind Sie?«wollte er wissen.

«Ein Bekannter.«

«Hören Sie auf, mit dem Fuß zu baumeln.«

Ich ließ ihn weiterbaumeln.»Warum finden Sie sich nicht einfach damit ab, daß Monsieur de Brescou niemals den Einstieg seiner Firma in das Waffengeschäft zulassen wird?«sagte ich.

«Wenn Ihnen so daran liegt, warum erklären Sie sich dann nicht bereit, die bestehende Gesellschaft aufzulösen, und machen sich mit Ihrem Kapital selbständig?«

Er sah mich aus schmalen Augenschlitzen an, alle im Raum warteten auf eine Antwort. Sie kam widerwillig, entsprach aber offensichtlich der Wahrheit. Und war eine schlechte Nachricht für Roland de Brescou.

«Man hat mir erklärt«, sagte Nanterre mit kaltem Zorn,»daß ich die Genehmigung nur bekomme, wenn de Brescou sie mitbeantragt. Man sagte mir, sein Name sei als Rückhalt unerläßlich.«

Mir kam der Gedanke, daß vielleicht jemand auf der französischen Seite von einem Nanterre, der Waffen produzierte, nichts hielt und etwas ausgeklügelt hatte, um ihn daran zu hindern, ohne eine direkte und vielleicht politisch heikle Ablehnung auszusprechen. Wer auf einer Bedingung bestand, die nicht erfüllt werden würde, legte die Verantwortung für das Scheitern der Pläne Nanterres fein säuberlich de Brescou zu Füßen.

«Deshalb«, fuhr Nanterre drohend fort,»wird de Bres-cou unterschreiben. Ob er will oder nicht. «Er sah auf die Papierfetzen, die er noch in der Hand hielt, und streckte sie seinem Helfer hin.»Suchen Sie eine Toilette«, sagte er.»Lassen Sie die Schnipsel verschwinden. Dann kommen Sie wieder.«

Der blasse junge Mann nickte und ging hinaus. Gerald Greening hatte dies und jenes einzuwenden, aber das scherte Nanterre nicht. Er sah aus, als kämen ihm gerade ein paar unerfreuliche Gedanken, und er unterbrach Greening lautstark:»Wo sind die Leute, deren Namen auf der Vereinbarung gestanden haben?«

Greening bewies zum erstenmal seit langem etwas recht-sanwältischen Verstand und sagte, er hätte keine Ahnung.

«Wo sind sie?«wandte Nanterre sich an Roland de Brescou. Als Antwort ein gallisches Achselzucken.

Er schrie die Frage an die Prinzessin, die schweigend den Kopf schüttelte, und dann mir, mit dem gleichen Ergebnis.»Wo sind sie?«

Sie lauschten wohl den süßen Tönen Chopins, nahm ich an und fragte mich, ob sie überhaupt vom Bestehen der Vereinbarung wußten.

«Wie heißen sie?«sagte Nanterre.

Niemand antwortete. Er ging zur Tür und rief laut den Flur hinunter:»Valery! Kommen Sie sofort hierher. Valery! Kommen Sie.«

Der Mann namens Valery eilte mit leeren Händen herbei.»Die Vereinbarung ist futsch«, sagte er beruhigend.»Hinweggespült.«

«Sie haben doch die Namen gelesen, ja?«wollte Nanterre wissen.»Erinnern Sie sich an die Namen?«

Valery schluckte.»Ich hatte, ehm…«stammelte er.»Ich habe mir die Namen nicht genau angesehen. Ehm… das erste war Prinzessin Casilia.«

«Und die anderen?«

Valery schüttelte den Kopf, die Augen weit aufgerissen. Zu spät begriffen er und Nanterre, daß sie Informationen verspielt hatten, die sie hätten gebrauchen können. Auf Leute, deren Identität nicht festzustellen war, konnte man keinen Druck ausüben. Bestechung und Lockmittel fanden kein Ziel.

Nanterre setzte seine Enttäuschung in verstärkte Aggressivität um, streckte Roland de Brescou erneut das Antragsformular hin und verlangte, daß er es unterschrieb.

Monsieur de Brescou nahm sich nicht einmal die Mühe, den Kopf zu schütteln. Nanterre hatte verloren, dachte ich, und würde bald abziehen; aber ich irrte mich.

Er gab Valery das Formular, schob die rechte Hand in sein Jackett und zog aus einem versteckten Halfter eine schwarze, zünftige Pistole. Mit einer gleitenden Bewegung erreichte er die Prinzessin und drückte ihr die Mündung an die Schläfe, wobei er hinter sie trat und mit der linken Hand ihren Kopf unter dem Kinn festhielt.

«Jetzt!«sagte er grimmig zu de Brescou,»unterschreiben Sie den Antrag.«

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