Kapitel 14

Wir fuhren alle zum Rennen nach Sandown, Roland natürlich ausgenommen, der in Sammys Obhut

blieb.

Das Tonbandtelefon war im Büro von Mrs. Jenkins, und jeder hatte Anweisung, falls ein Anruf wegen irgendwelcher Nachrichten für Danielle käme, jedes Wort davon aufzuzeichnen und den Anrufer um eine Telefonnummer oder Adresse zu bitten, damit wir uns an ihn wenden könnten.

«Er erkundigt sich vielleicht nach einer Belohnung«, sagte ich der schmächtigen Sekretärin und auch Dawson und Sammy.»Falls er das tut, versichern Sie ihm, daß er eine bekommen wird. «Und sie alle nickten und stellten keine Fragen.

Litsi, Danielle und ich zögerten unseren Aufbruch hinaus, bis Thomas mit der Prinzessin und mit Beatrice losgefahren war, die sich beklagte, sie wolle nicht zweimal in derselben Woche zum Pferderennen. Thomas verfrachtete sie auf den Rücksitz und zwinkerte mir gutmütig zu, und ich dachte bei mir, wie vertrauensvoll doch das ganze Personal der Prinzessin war. Sie taten Dinge, deren Zweck sie nicht durchschauten; die Erklärung, daß es der Prinzessin zuliebe geschehe, genügte ihnen.

Von dem Rolls war nichts mehr zu sehen, als wir zu den Garagen kamen, und ich versetzte Litsi und Danielle in große Unruhe, indem ich mein Auto wieder auf Fallen abklopfte. Ich lieh mir den Spiegel auf Rädern aus, den die Mechaniker zur schnellen Inspektion von Fahrzeugunterböden benutzten, fand aber keine explosiven Fremdkörper und ließ dennoch die beiden anderen erst einsteigen, nachdem ich den Wagen gestartet, einige Meter gefahren und die Bremse durchgetreten hatte.

«Machen Sie das jedesmal, wenn Sie wegfahren?«fragte Litsi nachdenklich, als sie schließlich ihre Plätze einnahmen.

«Im Augenblick ja.«

«Warum parkst du nicht woanders?«fragte Danielle vernünftigerweise.

«Daran hab ich nicht gedacht«, sagte ich.»Aber kontrollieren geht schneller als Parkplätze suchen.«

«Davon abgesehen«, sagte Litsi,»soll Nanterre ja rausbekommen, wo Ihr Wagen steht, falls er es nicht schon weiß.«

«Mm.«

«Ich wünschte, das wäre alles nicht wahr«, sagte Danielle.

Als wir zur Rennbahn kamen, gingen sie wieder zum Mittagessen und ich an die Arbeit. Litsi mochte der Publicity glücklich entronnen sein, aber mein Name hatte in viel zu vielen Zeitungen gestanden, und so viele Fremde drückten meine Hand, daß mir der ganze Nachmittag peinlich war.

Wer sich wie vorauszusehen über den allgemeinen Beifall aufregte, war Maynard Allardeck, der mir unentwegt auf den Fersen blieb. Vermutlich hoffte er, mich bei irgendeinem Regelverstoß zu ertappen.

Er fungierte zwar bei dieser Veranstaltung nicht offiziell als Steward, stand aber trotzdem vor jedem Rennen im

Führring, beobachtete alles, was ich tat, und jedesmal wenn ich zurückkam, durchbohrte er mich vor der Waage mit feindseligen Blicken.

Er sah vornehm aus wie immer, eine Stütze der Gesellschaft, ein Herr, den nichts hätte veranlassen können, seines Nächsten Hab und Gut zu begehren oder zu verhökern. Als ich zu meinem dritten Rennen — auf Abseil, einem Pferd der Prinzessin — hinausging, machte die Prinzessin gleich eine Bemerkung über Maynard, der kaum ein paar Meter entfernt lauerte.

«Mr. Allardeck starrt Sie an«, sagte sie, sobald ich mich bei ihr, Litsi, Danielle und Beatrice im Führring eingefunden hatte.

«Ja, ich weiß.«

«Wer ist Mr. Allardeck?«wollte Beatrice wissen.

«Der Vater des Mannes von Kits Schwester«, erwiderte Danielle knapp, womit ihre Tante auch nicht viel klüger war.

«Es ist entnervend«, sagte Litsi.

Ich nickte.»Das soll’s wohl auch sein. Er tut es schon den ganzen Nachmittag.«

«Sie sind anscheinend aber nicht entnervt.«

«Noch nicht. «Ich wandte mich an die Prinzessin.»Ich wollte Sie immer schon fragen, was er Ihnen vorige Woche nach Cascades Sieg gesagt hat.«

Die Prinzessin machte eine kleine, kummervolle Geste im Gedanken an das Schicksal ihres Pferdes, sagte aber:»Er behauptete, Sie hätten das Tier unbarmherzig ausgepeitscht. Das waren seine Worte. Wenn er auch nur einen Striemen an Cascade hätte finden können…«Sie zuckte die Achseln.»Ich sollte ihm bestätigen, daß Sie überaus brutal gewesen seien.«»Danke, daß Sie’s nicht getan haben.«

Sie wußte, wie ernst es mir damit war, und nickte.

«Mit Abseil werde ich sanft umgehen«, sagte ich.

«Aber nicht zu sanft. «Sie lächelte.»Ich gewinne schon gern.«

«Er stiert immer noch«, sagte Danielle.»Wenn Blicke töten könnten, lägst du im Grab.«

Die Prinzessin entschloß sich, das Problem frontal anzugehen, und als ob sie Maynard gerade erst entdeckt hätte, hob sie grüßend die behandschuhten Hände und sagte:»Ah, Mr. Allardeck, ein herrlicher Tag heute, nicht wahr?«, wobei sie ihm drei oder vier Schritte entgegenging, um die Unterhaltung zu erleichtern.

Er nahm seinen Hut ab, verneigte sich vor ihr und sagte, ziemlich heiser für seine Verhältnisse, ja, es sei herrlich. Die Prinzessin sagte, wie schön es sei, nach so viel Regenwetter noch mal die Sonne zu sehen, und Maynard stimmte ihr zu. Es sei natürlich kalt, sagte die Prinzessin, aber damit müsse man um diese Jahreszeit nun einmal rechnen. Ja, meinte Maynard.

Die Prinzessin blickte kurz zu uns allen herüber und sagte zu Maynard:»Mir gefällt es in Sandown, Ihnen auch? Und was besonders erfreulich ist, meine Pferde scheinen hier immer gut zu laufen.«

Diese vordergründig harmlose Bemerkung führte dazu, daß Maynard finsterer denn je in meine Richtung starrte — ein Blick wie ein schwarzes, gefährliches Gift.

«Warum«, flüsterte Litsi mir ins Ohr,»hat ihn das so geärgert?«

«Das kann ich Ihnen hier nicht sagen«, gab ich zurück.

«Dann später.«

«Vielleicht.«

Das Zeichen zum Aufsitzen der Jockeys kam, und mit einem reizenden Lächeln wünschte die Prinzessin Maynard alles Gute für den Nachmittag, wandte sich dann noch einmal an mich und sagte, bevor ich zu dem wartenden Abseil ging:»Kommen Sie heil zurück.«

«Ja, Prinzessin«, antwortete ich.

Ihre Augen glitten kurz in Richtung Danielle, und plötzlich verstand ich ihren heimlichen Gedanken: Komm heil zurück, sonst verlierst du deine Herzdame für immer.

«Tun Sie Ihr Bestes«, sagte die Prinzessin leise, wie um ihre erste Anweisung zu widerrufen, und ich nickte und führte Abseil im Handgalopp an den Start. Dabei überlegte ich, daß ich zwar in erster Linie auf Sicherheit reiten könnte und daß ich das bis zu einem gewissen Grad bestimmt die ganze Woche schon getan hatte; aber wenn ich es immer weiter so halten wollte, konnte ich ebensogut gleich meinen Rücktritt erklären. Vorsicht und Sieg waren unvereinbar. Ein allzu vorsichtiger Jockey verlor seinen Ruf, seine Besitzer, seine Zukunft — und wenigstens in meinem Fall auch seine Selbstachtung. Das Entweder-Oder zwischen Danielle und meinem Beruf, die ganze Nacht ungelöst, hatte mich an diesem Nachmittag schon während zwei anspruchslosen Hürdenrennen verfolgt, und im Gegensatz zu früher, als ich das Ausmaß ihrer Ängste nicht gekannt hatte, war mir intensiv bewußt, daß sie von der Tribüne aus zusah.

Abseil, ein graues, achtjähriges Hindernispferd, war ein flinker, behender Springer von annehmbarem Tempo und fragwürdigem Stehvermögen. Gemeinsam hatten wir einige Siege erritten, häufiger aber zweite, dritte oder vierte Plätze, da er in kritischen Momenten nichts zuzulegen hatte. Ein großer Vorteil war sein Mut beim Springen; wenn ich ihn da zurückhielt, konnten wir als letzte einlaufen.

Die Rennbahn von Sandown, ein hügeliger Rechtskurs mit sieben dicht aufeinanderfolgenden Hindernissen auf der Gegengeraden, bot guten Springern die Möglichkeit, sich selbst zu übertreffen. Ich ritt dort besonders gern, und auch für Abseil war es eine gute Bahn, nur die ansteigende Zielgerade konnte ihn überfordern. Um dort zu gewinnen, mußte er sich im letzten langen Bogen an die Spitze setzen und die drei letzten Hindernisse in seinem schnellsten Tempo nehmen. Ließ er dann auf der Steigung nach, konnte man den Vorsprung vielleicht gerade noch bis ins Ziel behaupten.

Abseil war unverkennbar rennlustig, er signalisierte mir Energie und Ungeduld.»Fährt aus der Haut«, hatte Wykeham gesagt, und für ihn war jetzt auch die Zeit, voll aufgedreht zu sein, denn er würde am Cheltenham Festival nicht teilnehmen, da er nicht ganz zur Spitzenklasse zählte.

Der Start für die Hindernisrennen über zwei Meilen, fünf Furlongs war in der Mitte der Gegengeraden, mit dem Wassergraben im Rücken. An diesem Tag nahmen acht Pferde teil, ein Feld von angenehmer Größe, und Abseil war zweiter Favorit. Wir begannen in dichter Formation ohne Eile, da niemand die Pace machen wollte, und so konnte ich ohne weiteres an den ersten drei Hindernissen vorsichtig sein, desgleichen in der langen unteren Kurve, an den drei Hindernissen, die beim nächsten Mal den Abschluß bilden würden, und auch bergauf an der Tribüne vorbei.

Als wir am Ende des Hügels nach rechts bogen, um in die zweite Runde zu gehen, stand ich unmittelbar vor der Entscheidung. Im Renntempo den Sprung bergab über das nächste Hindernis, Grab so mancher Hoffnung, oder aber zügeln, verhalten, vorsichtig springen, womöglich vier Längen einbüßen.

Abseil wollte gehen. Ich kickte ihn. Wir flogen über das Hindernis, passierten zwei Pferde in der Luft, setzten präzis auf dem abschüssigen Hang auf, glitten darüber hin und gingen an zweiter Stelle um die Kurve auf die Gegengerade.

Die sieben Hindernisse waren so angelegt, daß sie, wenn man das erste richtig traf, alle genau paßten, wie Verkehrsampeln. Der Trick bestand darin, die Distanz schon weit vor dem ersten abzuschätzen und je nachdem rechtzeitig zu regulieren, damit das Pferd, wenn es das Hindernis erreichte, den richtigen Absprung fand, ohne seinen Gang zu verkürzen oder zu verlängern. Diese Kunst lernten alle erfolgreichen Jockeys in der Jugend, sie ging ihnen in Fleisch und Blut über. Abseil verstand meinen Wink, kürzte einen Schritt, galoppierte glücklich weiter und stieg perfekt über das erste Hindernis.

Die Entscheidung war nahezu unbewußt gefallen. Ich konnte nicht anders. Was ich war, worauf ich mich verstand, lag hier vor mir, und nicht einmal wegen Danielle konnte ich es verleugnen.

Abseil nahm dem Favoriten am zweiten der sieben Sprünge die Führung ab, und ich schickte ihm Gedankenbotschaften» Lauf zu, halt dich dran, keine Hemmungen, so ist es nun mal, du bekommst deine Chance, ich bin, wie ich bin, und dafür kann ich nichts, so ist das Leben… heb ab und flieg«.

Er überflog den trockenen und dann den Wassergraben. Er zog über die letzten drei Hindernisse auf der Gegengeraden. Er führte mit gut dreißig Metern um den ganzen letzten Bogen.

Noch drei Hindernisse.

Er hatte die Ohren gespitzt, war guter Dinge. Die Vorsicht hatte längst den Kampf verloren, bei ihm wie bei mir. Er ging in vollem Renntempo über Nummer eins, Nummer zwei und Nummer drei, wobei ich fast auf seinem Hals lag, um mit ihm schrittzuhalten, das Gewicht nach vorn, den Kopf nahe seinem Kopf.

Er ermüdete an der Steigung sehr schnell, wie ich befürchtet hatte. Ich mußte ihn durchbringen, aber ich spürte, wie er ans Wanken und Taumeln kam und mir sagte, er sei weit genug gelaufen.

«Komm, halt dich, wir haben’s fast geschafft, lauf nur weiter, einfach weiter, du alter Krampen, wir verlieren doch jetzt nicht mehr, wir sind so nah dran, also lauf…«

Ich konnte die Menge brüllen hören, was normalerweise nicht der Fall war. Hinter mir hörte ich ein anderes Pferd mit dumpfen Hufschlägen herankommen. Ich konnte es am Rand meines Gesichtsfeldes sehen, der Arm des Jok-keys sauste hoch durch die Luft, da er spürte, daß Abseil nachließ… und diesmal kam das Ziel gerade rechtzeitig für mich, nicht drei Schritte zu spät.

Abseil war stolz auf sich, was ihm auch zustand. Ich tätschelte ausgiebig seinen Nacken und sagte ihm, er sei in Ordnung, er habe gute Arbeit geleistet, ein wirklich großartiger Bursche, und er trottete mit immer noch gespitzten Ohren und federnden Fesseln zum Absattelplatz.

Die Prinzessin war aufgeregt und froh wie immer nach einem knapp gewonnenen Rennen.

Ich saß ab, lächelte sie an und begann die Gurte aufzuschnallen.

«Und das«, sagte sie ohne Kritik,»nennen Sie sanft sein?«

«Ich würde es als unwiderstehlichen Drang bezeichnen«, erwiderte ich.

Abseil verbeugte sich praktisch vor der Menge, wußte, daß der Applaus ihm gegolten hatte. Ich tätschelte nochmals dankend seinen Hals. Er warf den grauen Kopf hoch, drehte ihn, um mich aus beiden Augen anzusehen, blies durch die Nüstern und nickte.

«Sie reden mit Ihnen«, sagte die Prinzessin.

«Manche ja.«

Ich schlang die Gurte um meinen Sattel, drehte mich um, da ich zum Zurückwiegen wollte, und Maynard Allardeck stand mir direkt im Weg, ähnlich wie Henry Nanterre in Newbury. Maynards Haßgefühle kamen eindeutig herüber.

Ich blieb stehen. Ich redete ungern mit ihm, weil er alles, was ich sagte, übelnahm. Einer von uns mußte nachgeben, und das würde ich sein, denn bei jeder Konfrontation zwischen einem Steward und einem Jockey zog der Jockey den kürzeren.

«Ach, Mr. Allardeck«, die Prinzessin trat an meine Seite,»wollten Sie mir gratulieren? War das nicht ein wunderschöner Sieg?«

Maynard nahm seinen Hut ab und sagte beherzt, er freue sich sehr, daß sie Glück gehabt habe, zumal ihr Jockey viel zu früh in Front gegangen sei und das Rennen beim Einlauf fast verschenkt habe.

«Oh, aber Mr. Allardeck«, hörte ich sie säuseln, als ich höflich um Maynard herumging und die Tür des Waageraums ansteuerte,»hätte er nicht so einen Vorsprung herausgeholt, dann hätte er sich nicht bis zum Schluß halten können.«

Sie war eine großartige Frau, dachte ich froh, als ich auf der Waage saß; anders als viele Besitzer verstand sie wirklich den Ablauf eines Rennens.

Maynard machte mir trotzdem Sorgen, denn es sah ganz so aus, als versuche er eine Rempelei mit mir zu provozieren, und ich mußte so gut wie für alle Zukunft höllisch aufpassen, daß ich jede körperliche Berührung vermied. Der Film, den ich über ihn gedreht hatte, würde zwar seine Glaubwürdigkeit zerstören, wenn es darauf ankam, aber er war ein letztes Mittel zur Verteidigung. Man durfte ihn nicht leichtfertig verwenden, da er auch Bobby und Holly vor Maynards Besessenheit schützte, nicht nur mich selbst. Wenn ich davon Gebrauch machte, wäre Maynards Leben zwar ruiniert, aber seine ganze Wut würde entfesselt. Er hätte nichts mehr zu verlieren, und wir alle wären wirklich in Gefahr.

Inzwischen gab es wie immer noch Rennen zu bestreiten. Ich ritt noch zweimal ohne Vorsicht — und da die Götter gnädig waren, auch ohne Bauchlandung — vom Start zum Ziel. Maynard funkelte bös weiter, und ich blieb betont höflich und rettete mich irgendwie unversehrt in die Teestunde.

Ich zog Straßenkleidung an, ging zur Loge der Prinzessin hinauf und stellte fest, daß außer Litsi und Danielle Lord Vaughnley bei ihr war. Von Beatrice keine Spur.

«Mein Lieber«, sagte Lord Vaughnley, sein dickes, freundliches Gesicht voller Güte,»ich bin gekommen, um Prinzessin Casilia zu gratulieren. Bravo, bravo, mein Lieber, ein taktisch kluges Rennen.«

«Danke«, sagte ich mild.

«Und gestern auch. Das war famos, einfach prima.«

«Ich hatte gestern keine Starter«, sagte die Prinzessin lächelnd.

«Nein, nein, kein Sieg. Dem Kerl das Leben zu retten, meine ich doch, bei dem Rennen in Bradbury.«

«Welchem Kerl?«fragte die Prinzessin.

«So ein Kamel, das irgendwohin ging, wo es nichts zu suchen hatte, und von einem Balkon gefallen ist. Hat Kit Ihnen das nicht erzählt? Nein«, überlegte er,»das hätte mich auch gewundert. Wie auch immer, es ist den ganzen Nachmittag schon das Gesprächsthema, und es stand in fast allen Zeitungen.«

«Ich habe heute morgen keine Zeitung gelesen«, sagte die Prinzessin.

Lord Vaughnley gab ihr entgegenkommend einen ausführlichen Bericht aus zweiter Hand über die Vorgänge, der im wesentlichen zutraf. Litsi und Danielle schauten angelegentlich aus dem Fenster, und ich wünschte, ich hätte die Sahnetörtchen essen können, und schließlich gingen Lord Vaughnley die Superlative aus.

«Übrigens«, sagte er zu mir und ergriff einen großen braunen Umschlag, der auf dem Teetisch lag,»das ist für Sie. Alles, was wir finden konnten. Hoffentlich hilft’ s Ihnen weiter. «Er hielt mir das Kuvert hin.

«Vielen Dank«, sagte ich und nahm es an mich.

«Fein«, strahlte Lord Vaughnley.»Ihnen, Prinzessin, herzlichen Dank für den Tee. Und nochmals meinen Glückwunsch. «Er ging, umhüllt von Wolken des Wohlwollens und ließ die Prinzessin staunend zurück.

«Ihr wart doch in Bradbury«, sagte die Prinzessin zu Danielle und Litsi.»Habt ihr das alles mitbekommen?«

«Nein«, antwortete Danielle.»Wir haben es heute morgen in der Sporting Life gelesen.«

«Warum habt ihr’s mir nicht gesagt?«

«Kit wollte kein Aufhebens.«

Die Prinzessin sah mich an. Ich sagte achselzuckend:»Stimmt, das wollte ich nicht. Und ich wäre Ihnen sehr verbunden, Prinzessin, wenn Sie Mrs. Bunt nichts davon erzählen würden.«

Sie kam nicht dazu, mich nach dem Grund zu fragen, da Beatrice wie aufs Stichwort wiederauftauchte und die Loge mit einem selbstgefälligen Lächeln betrat, das sich sichtlich verstärkte, als sie sah, daß ich dort war. Ohne mich aus den Augen zu lassen, verzehrte sie mit Genuß ein Sahnetörtchen, als weidete sie sich geradezu an meinem Hunger. Das war leichter zu ertragen, dachte ich ironisch, als die meisten anderen Widrigkeiten an diesem Tag.

Die Prinzessin sagte Beatrice, es sei Zeit aufzubrechen, das letzte Rennen sei ja längst vorbei, und bugsierte sie hinunter zum Rolls. Litsi hatte keine Möglichkeit, mit ihnen zu fahren, selbst wenn er gewollt hätte, da sich Danielle den ganzen Weg zum Parkplatz fest an seinen Arm klammerte. Sie mochte nach ihren nächtlichen Erklärungen nicht mit mir allein sein, und ich begriff — und hatte es wohl schon den ganzen Tag geahnt —, daß sie ohne seinen Beistand überhaupt nicht hätte mitkommen können. Auch am nächsten Tag waren wieder Rennen in Sandown, und ich überlegte, ob es nicht weniger anstrengend für alle Beteiligten wäre, wenn sie zu Hause bliebe.

Als wir zum Auto kamen, setzte sich Litsi auf Danielles Drängen nach vorn, sie selbst nach hinten, und bevor ich den Motor anließ, öffnete ich das braune Kuvert, das Lord Vaughnley mitgebracht hatte.

Es enthielt einen kleinen Zeitungsausschnitt, einen größeren aus einer Illustrierten, ein Schwarzweißfoto im Format 18x24 cm und eine Empfehlung von Lord Vaughnley mit der Bitte, die Sachen dem Towncrier zurückzugeben, der im Augenblick nur Fotokopien habe.

«Was ist es denn?«sagte Litsi.

Ich gab ihm das Schwarzweißfoto, ein Schnappschuß von einer Rennpreisverleihung, mit einer Gruppe von Leuten, die eine Trophäe überreichten und entgegennahmen. Danielle sah Litsi über die Schulter und sagte:»Was sind das für Leute?«»Der Pokalempfänger ist Henri Nanterre.«

Sie taten beide einen erstaunten Ausruf und schauten genauer hin.

«Der Mann neben ihm ist der französische Trainer Villon, und die Rennbahn ist vermutlich Longchamp. Seht mal auf der Rückseite nach, vielleicht ist da was angegeben.«

Litsi drehte das Foto herum.»Da steht nur: >Nach dem Prix de la Cite, Villon, Nanterre, Duval<.«

«Duval ist der Jockey«, sagte ich.

«So sieht Nanterre also aus«, meinte Litsi nachdenklich.»Leicht zu merken. «Er gab Danielle das Foto nach hinten.»Was haben Sie sonst noch Schönes?«

«Das hier stammt aus einer englischen Illustrierten, es dürfte eine Derbyvorschau vom letzten Jahr sein. Villon hatte anscheinend ein Pferd in diesem Rennen, und in dem Artikel heißt es >unmittelbar nach seinem Triumph von Longchamp<. Nanterre wird als einer von Villons Besitzern erwähnt.«

Der Zeitungsausschnitt, ebenfalls aus einem englischen Blatt, war auch nicht ergiebiger. Prudhomme, im Besitz des französischen Industriellen H. Nanterre, trainiert von Villon, war zu einem Rennen nach Newmarket gekommen und bei der Ankunft an einem Herzschlag gestorben: Ende der Geschichte.

«Wer hat das Foto aufgenommen?«fragte ich und drehte mich zu Danielle um.»Steht da was?«

«Copyright Towncrier«, las sie von der Rückseite ab.

Ich zuckte die Achseln.»Die müssen zu irgendeinem großen Meeting rübergefahren sein. Dem Are, nehme ich an.«

Ich ließ mir das Foto zurückgeben und tat alles wieder in den Umschlag.

«Er hat ein sehr markantes Gesicht«, meinte Danielle.

«Und eine sehr markante Stimme.«

«Und wir sind keinen Schritt weiter«, sagte Litsi.

Ich ließ den Wagen an und fuhr uns nach London, wo wir feststellten, daß nichts Besonderes vorgefallen war; Grund genug für Sammy, sich allmählich zu langweilen.

«Sie brauchen nur hier zu sein«, sagte ich.»Damit verdienen Sie Ihre Brötchen.«

«Kein Mensch weiß, daß ich hier bin, Mann.«

«Und ob«, meinte ich trocken.»Alles, was in diesem Haus geschieht, kommt dem Mann zu Ohren, vor dem Sie seinen Besitzer schützen, also schlafen Sie nicht ein.«

«Natürlich nicht«, sagte er gekränkt.

«Gut. «Ich zeigte ihm das Towncrier-Foto.»Der Mann da«, sagte ich, mit dem Finger deutend.»Wenn Sie den jemals sehen, dann seien Sie auf der Hut. Er trägt eine Pistole, die geladen sein kann oder auch nicht, und er steckt voller Tricks.«

Er betrachtete das Foto lange und nachdenklich.»Ich werde ihn erkennen«, sagte er.

Ich brachte Lord Vaughnleys Gaben hoch ins Bambuszimmer, telefonierte mit Wykeham, rief meine Nachrichten ab, kümmerte mich darum — der übliche Trott. Als ich hinunter ins Wohnzimmer ging, um vor dem Abendessen etwas zu trinken, führten Litsi, Danielle und die Prinzessin gerade ein Gespräch über französische Impressionisten, die um 1880 in Paris ausstellten.

Cezanne… Pissarro… Renoir… Degas…, wenigstens hatte ich schon von ihnen gehört. Ich ging zum Getränketablett hinüber und suchte den Scotch heraus.

«Berthe Morisot gehörte mit zu den besten«, sagte Litsi allgemein in das Zimmer.»Findet ihr nicht?«»Was hat er gemalt?«fragte ich, während ich die Flasche öffnete.

«Es war eine Sie«, sagte Litsi.

Ich brummte leise und goß mir einen Tropfen Whisky ein.»Sie also. Was hat sie gemalt?«

«Junge Frauen, Babies, Lichtstudien.«

Ich setzte mich in einen Sessel, trank den Scotch, sah Litsi an. Zumindest war er nicht herablassend zu mir, dachte ich.»Man bekommt ihre Sachen nicht ohne weiteres zu sehen«, sagte er.»Viele sind in Privatsammlungen, manche in Paris, einige in der National Gallery of Art in Washington.«

Ihm mußte klar sein, daß ich ihnen kaum nachjagen würde.

«Herrliche Gemälde«, sagte die Prinzessin.»Voller Leuchtkraft.«

«Und es gab Mary Cassat«, sagte Danielle.»Die war auch hochtalentiert. «Sie wandte sich an mich.»Eine Amerikanerin, studierte aber bei Degas in Paris.«

Ich würde mit ihr Galerien besuchen, dachte ich, wenn ihr das Freude machte.»Eines Tages«, sagte ich beiläufig,»kannst du mich ja mal bilden.«

Sie wandte den Kopf ab, fast als wollte sie weinen, was ich überhaupt nicht beabsichtigt hatte; und vielleicht war es ganz gut, daß Beatrice wegen ihrer Bloody Mary hereinkam.

Beatrice war soeben der letzte Rest Humor vergangen, weil Sammy offenbar gesagt hatte:»‘tschuldigung, Fräulein, bin Schneckentempo nicht gewohnt«, als er wieder auf der Treppe mit ihr zusammengeprallt war.

Sie sah das Lachen in meinem Gesicht, was ihr ernstlich mißfiel, und Litsi verschanzte sein Grinsen hinter seinem

Glas. Die Prinzessin versicherte ihrer Schwägerin mit zuk-kenden Mundwinkeln, sie werde Sammy bitten, besser aufzupassen, und Beatrice sagte, das alles sei meine Schuld, ich hätte ihn ja ins Haus gebracht. Die Eskapade würzte und belebte unseren Abend, der angenehmer verlief als die meisten anderen; aber noch immer rief niemand wegen der Anzeigen an, und wieder kam kein Mucks von Nanterre.

Früh am nächsten Morgen, noch vor sieben Uhr, weckte Dawson mich erneut über die Sprechanlage und sagte, ich hätte einen Anruf von Wykeham Harlow.

Ich griff zum Hörer, der Schlaf war vergessen.

«Wykeham?«sagte ich.

«K-K-Kit. «Er stotterte entsetzlich.»K-k-kommen Sie her. K-kommen Sie sofort.«

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