Kapitel 19

Litsi und ich empfingen Gerald Greening im Morgenzimmer, wo er reichlich Salzheringe aß und anschließend Eier mit Speck, alles bereitgestellt von dem vorher benachrichtigten Dawson.

«Mm, mm«, brummte Greening, als wir erklärten, was wir wollten.»Mm… überhaupt kein Problem. Würden Sie mir mal die Butter reichen?«

Er war rundlich und vergnügt, klopfte sich auf den Bauch.»Gibt es auch Toast?«

Aus seiner Aktenmappe holte er einen großen weißen Schreibblock hervor, auf dem er sich Notizen machte.»Ja, ja«, sagte er eifrig beim Schreiben.»Ich verstehe vollkommen, worum es geht. Sie möchten, daß Ihre Absichten in juristisch unanfechtbare Form gebracht werden, stimmt’s?«

Wir sagten ja.

«Und Sie möchten davon noch heute morgen eine mit Siegeln versehene Reinschrift?«

Ja bitte, sagten wir. In doppelter Ausfertigung.

«Kein Problem. «Er gab mir zerstreut seine Kaffeetasse, damit ich sie am Sideboard noch einmal auffüllte.»Ich kann Ihnen das bis um…«er blickte auf seine Uhr,»sagen wir, zwölf heute mittag vorbeibringen Gut so?«

Wir sagten, es ginge.

Er schürzte die Lippen.»Früher schaff ich’s nicht. Ich muß das aufsetzen, es fehlerfrei abtippen, all diese Dinge; dann noch mal durchlesen und von der Stadt hierherfahren.«

Wir hatten Verständnis.

«Marmelade?«

Wir gaben sie ihm.»Sonst noch etwas?«

«Ja«, sagte Litsi und holte von einem Beistelltisch das sandfarbene Formblatt, das in der Mappe des Notars gewesen war,»einen Rat hierzu.«

Gerald Greening sagte überrascht:»Das hat der Franzose doch wohl mitgenommen, als Monsieur de Brescou sich weigerte zu unterschreiben?«

«Es ist eine unausgefüllte Kopie«, erwiderte Litsi.»Wir glauben, daß der Vordruck, auf dem Henri Nanterre die Unterschrift haben wollte, als Seite 1 eines ganzen Stapels von Dokumenten gedacht war. Kit und ich möchten dieses Blankoexemplar als Titelseite für unsere eigene Dokumentensammlung verwenden. «Er gab es Greening.»Wie Sie sehen, ist es ein allgemein gehaltenes Vertragsformular mit Lücken für nähere Angaben und natürlich auf französisch. Es muß verbindlich sein, sonst hätte Henri Nanterre es nicht benutzt. Ich schlage vor, daß wir es auf französisch ausfüllen, damit es zusammen mit den beigefügten Unterlagen einen nach französischem Recht bindenden Vertrag ergibt. Ich wäre Ihnen dankbar«, sagte er in seinem fürstlichsten Ton,»wenn Sie mich in der Wortwahl beraten können.«

«Auf französisch?«fragte Greening besorgt.

«Auf englisch… ich werde es übersetzen.«

Sie arbeiteten gemeinsam daran, bis beide zufriedengestellt waren und Greening mit Toast Nummer vier angefangen hatte. Ich beneidete ihn zwar nicht um seine Körperfülle oder seinen Appetit, aber um seine Hemmungslosigkeit und wünschte mir, als ich meine geschmacksneutralen Vitamine schluckte, sie würden wenigstens nach Frühstück duften.

Er ging nach der fünften Schnitte, versprach, die Notizen, die er mitnahm, sofort zu bearbeiten, und hielt Wort: Um zehn Minuten vor zwölf traf er in seinem, von einem Chauffeur gelenkten Wagen wieder ein. Litsi und ich hatten von der Bibliothek aus schon die Straße beobachtet, und wir öffneten dem beleibten Rechtsanwalt die Haustür und führten ihn in das Büro der elfenzarten Mrs. Jenkins.

Dort hefteten wir an die Titelseite des ersten der beiden eindrucksvollen Dokumente von Greening den französischen Vordruck und an die Zweitschrift eine Ablichtung davon, beide mit dem sauber eingetippten neuen Wortlaut und viel Platz zum Unterschreiben.

Danach fuhren wir mit dem Lift hinauf zu Roland de Brescous privatem Wohnzimmer, wo er und die Prinzessin und Danielle warteten.

Gerald Greening legte mit etwas theatralischem Schwung der Reihe nach jedem von ihnen, auch Litsi, die Dokumente vor und bat sie, viermal mit ihrem Namen zu unterschreiben: Je einmal auf den französischen Vordruk-ken und einmal am Schluß der Dokumente.

Beide Dokumente waren am linken Rand mit rotem Faden geheftet, wie Testamente, und die Plätze für die Unterschriften waren jeweils mit einem runden, roten Siegel versehen.

Greening ließ jedermann archaische Worte über das Unterschreiben, Besiegeln und Erfüllen des Vertrages nachsprechen, ließ sie auf jedes Siegel einen Finger drücken und beglaubigte die einzelnen Unterschriften formgerecht.

Er forderte mich auf, ebenfalls die Echtheit jeder Unterschrift zu bezeugen, und ich tat es.

«Ich weiß zwar nicht, wieviel von alledem unbedingt nötig ist«, meinte er zufrieden,»aber Mr. Fielding wollte, daß die Dokumente gegen jeden juristischen Winkelzug gesichert sind, und so haben wir zwei Zeugen, Siegel, eidesstattliche Erklärungen, nichts fehlt. Ich hoffe, daß Sie sich alle darüber im klaren sind, was Sie unterschrieben haben, denn sofern Sie sie nicht verbrennen oder sonstwie vernichten, sind diese Dokumente unwiderruflich.«

Alle nickten, Roland de Brescou mit traurigem Gesicht.

«Ausgezeichnet«, sagte Greening aufgeräumt und begann erwartungsvoll in die Runde und auf seine Uhr zu blicken.

«Und nun, Gerald, einen Sherry?«regte die Prinzessin mit heimlicher Belustigung an.

«Prinzessin Casilia, was für eine prächtige Idee«, sagte er mit gespielter Überraschung.»Ein Gläschen wäre reizend.«

Ich entschuldigte mich von der Party mit der Begründung, daß ich um halb drei in Windsor reiten sollte und schon vor einer Viertelstunde hätte losfahren müssen.

Litsi nahm die unterzeichneten Dokumente, steckte sie wieder in den großen Umschlag, in dem Gerald Greening sie mitgebracht hatte, und gab mir das fertige Paket.

«Vergessen Sie nicht anzurufen«, sagte er.

«Nein.«

Er zögerte.»Viel Glück«, sagte er.

Alle dachten, er meine Glück beim Rennen, und das ging auch ganz in Ordnung.

Die Prinzessin hatte keine Pferde gemeldet, da sie in Windsor keine Loge besaß und fast nie dorthin fuhr. Bea-trice verbrachte den Tag im Schönheitssalon, um ihre Selbstachtung wiederherzustellen. Litsi vertrat Sammy, der einmal ausspannen sollte. Ich hatte nicht erwartet, daß mich Danielle allein begleiten würde, aber sie folgte mir von Rolands Salon auf den Flur und sagte:»Kannst du mich um halb sieben zur Arbeit bringen, wenn ich mit dir fahre?«

«Da bleibt sogar noch eine Stunde Luft.«

«Soll ich mitkommen?«

«Ja«, sagte ich.

Sie lief an den Räumen der Prinzessin vorbei zu ihrem Zimmer, um einen Mantel zu holen, und ähnlich wie in früheren Tagen unserer Partnerschaft gingen wir gemeinsam zu den Garagen. Sie sah zu, wie ich den Wagen überprüfte, und wartete wortlos in einiger Entfernung, während ich den Motor anließ und auf die Bremse trat. Unterwegs nach Windsor unterhielten wir uns dann über Gerald Greening, über Beatrice in Palm Beach, über ihr Nachrichtenstudio: unverfängliche Themen, aber ich war froh, sie überhaupt bei mir zu haben.

Sie trug eine weite graugrüne Wetterjacke mit Pelzkragen, die ich ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, dazu schwarze Hosen, einen weißen Rollkragenpullover und ein breites, geblümtes Stirnband aus Chintz, das die Wolke ihrer dunklen Haare zurückhielt. Der allgemeinen Ansicht der anderen Jockeys, daß sie umwerfend schön war, hatte ich noch nie widersprochen.

Ich fuhr schnell bis Windsor, und wir eilten vom Parkplatz zum Waageraum, wo Dusty herumlungerte und ostentativ auf die Uhr sah.

«Was ist mit Ihrem Fuß?«sagte er argwöhnisch.»Sie hinken immer noch.«

«Nicht, wenn ich reite«, sagte ich.

Dusty warf mir einen düsteren Blick zu und entschwand, und Danielle sagte, sie ginge sich ein Sandwich und Kaffee holen.

«Kommst du allein zurecht?«

«Klar… sonst wäre ich nicht mitgefahren.«

Sie hatte sich in den vergangenen Monaten mit der Frau eines Trainers angefreundet, für den ich oft ritt, und mit den Frauen von einem oder zwei anderen Jockeys, aber ich wußte, daß die Nachmittage einsam waren, wenn sie ohne ihre Tante zum Pferderennen ging.

«Im vierten starte ich nicht, das können wir uns zusammen ansehen«, sagte ich.

«Ja. Geh dich umziehen. Du bist spät dran.«

Ich hatte das Dokumentenpaket mit auf den Platz genommen — das war mir lieber, als es im Wagen zu lassen —, und im Umkleideraum gab ich es meinem Jockeydiener zur Aufbewahrung. Was man ihm anvertraute, war so sicher aufgehoben, daß es die Tresorräume der Bank von England beschämt hätte. Er verstaute alles (etwa Geld oder Papiere) in der geräumigen Brusttasche einer schwarzen Vinylschürze. Die Schürze hatte er sich wohl eigens zu diesem Zweck zugelegt; es gab keine Spinde in den Umkleideräumen, jeder hängte seine Sachen an einen Haken, Aus reiterischer Sicht war es kein anstrengender Tag. Ich gewann mein erstes Rennen (das zweite im Programm) mit zwanzig Längen Vorsprung, was Dusty zuviel fand, und verlor das nächste mit dem gleichen Abstand, was ihm auch wieder nicht paßte. Danach kam das vierte Rennen, das ich mit Danielle von der Tribüne aus erlebte. Davor hatte ich sie zwischen Waageraum und Führring schon ein paarmal gesehen. Ich erzählte ihr, daß Joe, der in Sandown verletzte Jockey, wieder bei Bewußtsein war und auf dem Weg zur Besserung, und sie sagte, sie habe mit Betsy, der

Frau des Lambourner Trainers, Kaffee getrunken. Alles sei prima, meinte sie, einfach prima.

Es war der dritte Tag im März, stürmisch und kalt, und das Cheltenham National Hunt Festival war plötzlich nur noch eine Woche entfernt.

«Betsy findet es schade um den Gold Cup«, sagte Danielle.»Sie sagt, du nimmst nicht daran teil, jetzt wo Col tot ist.«

«Da müßte sich schon irgendein armer Tropf das Schlüsselbein brechen.«

«Kit!«

«So geht das nun mal.«

Sie sah aus, als brauchte man sie daran nicht zu erinnern, und meine Bemerkung tat mir leid. Ich fragte mich, als ich zum fünften Rennen hinausging, ob dieser Tag eine Art Probe war. Wollte sie endgültig herausfinden, ob sie ein Leben mit mir in Zukunft auf sich nehmen könnte? Ich fröstelte ein wenig im Wind und fand die Gefahr, sie zu verlieren, die schlimmste von allen.

Ich wurde Dritter und als ich zum Absattelring zurückkam, wartete Danielle dort, blaß und sichtlich zitternd.

«Was ist?«fragte ich scharf und stieg vom Pferd.»Was hast du?«

«Er ist hier«, sagte sie erschrocken.»Henri Nanterre. Ich bin sicher… er ist es.«

«Hör zu«, sagte ich.»Ich muß mich zurückwiegen — nur grad auf die Waage setzen. Ich komme gleich wieder raus. Du stellst dich direkt vor die Waageraumtür… rühr dich da nicht weg.«

«Nein.«

Sie ging, wohin ich zeigte, und ich sattelte das Pferd ab und machte den mäßig erfreuten Besitzern vage Hoffnungen für später. Ich passierte die Waage, gab Sattel, Peitsche und Helm meinem Jockeydiener und ging raus zu Danielle, die zwar nicht mehr zitterte, aber noch immer aufgeregt aussah.

«Wo hast du ihn gesehen?«fragte ich.

«Auf der Tribüne, während des Rennens. Er schien irgendwie auf mich zuzukommen, von unten rauf, von der Seite, sagte >Entschuldigung< zu den Leuten und sah zwischendurch herüber, wie um zu kontrollieren, wo ich war.«

«Du bist sicher, daß er es gewesen ist?«

«Er sah genau wie auf dem Foto aus. Wie du ihn beschrieben hast. Erst war mir das nicht klar… dann hab ich ihn erkannt. Ich war…«:, sie schluckte,». entsetzt. Er ist so um die Leute rumgeschlängelt, geglitten wie ein Aal.«

«Das war er«, sagte ich grimmig.

«Ich bin vor ihm geflohen«, sagte Danielle.»Das war schon… Panik. Ich kam nicht schnell voran… so viele Leute, die das Rennen sehen wollten und sich von mir gestört fühlten. bis ich von der Tribüne kam, war das Rennen vorbei… und ich bin gerannt… Was soll ich machen? Du startest im nächsten Lauf.«

«Tja, was du tun wirst, ist zwar sterbenslangweilig, aber dafür sicher. «Ich lächelte entschuldigend.»Geh in die Damentoilette und bleib da. Such dir einen Stuhl und warte. Sag der Frau, dir sei schlecht, schwindlig, du seist müde oder sonst was. Bleib bis nach dem Rennen dort, und ich komme dich abholen. Eine halbe Stunde, viel länger nicht. Ich lasse dir Bescheid sagen… und komm nur raus, wenn die Nachricht von mir ist. Wir brauchen ein Kennwort.«

«Weihnachten«, sagte sie.

«Okay. Komm nicht ohne das Kennwort raus, auch nicht wenn dir ausgerichtet wird, daß ich auf dem Weg ins Krankenhaus bin oder so etwas. Ich gebe meinem Jockeydiener das Kennwort und sage ihm, er soll dich abholen, falls ich nicht kann… aber ich kann«, sagte ich, denn die Furcht in ihrem Gesicht hatte sich verstärkt.»Ich werde vorsichtig reiten. Schau, daß Nanterre dich da nicht reingehen sieht, falls aber doch.«

«Komm ich nicht raus«, sagte sie.»Keine Sorge.«

«Danielle«.

«Ja?«

«Ich liebe dich«, sagte ich.

Sie blickte erstaunt, zog den Kopf ein und ging schnell weg, und ich dachte, daß Nanterre, um von meiner Teilnahme in Windsor zu wissen, nur in die Zeitung zu sehen brauchte, und daß ich und jeder einzelne aus der Familie der Prinzessin überall verwundbar waren, nicht nur in dunklen Gassen.

Ich ging hinter Danielle her und behielt sie im Auge, bis ihre Rückansicht an dem einzigen Ort verschwand, wohin Nanterre ihr nicht folgen konnte. Dann eilte ich zurück, um die Farben zu wechseln und auf die Waage zu steigen. Den Franzosen sah ich nirgends, was nicht bedeutete, daß es umkehrt auch so war. Der öffentliche Charakter meiner Arbeit auf Rennplätzen, dachte ich, kam uns vielleicht aber entgegen. Nanterre konnte mich nicht ohne weiteres bei den Rennen angreifen, da überall, wo ich hinging, Leute zuschauten. In Führringen, auf Pferden, auf der Tribüne… wo ein Jockey in Reithosen und Farben auftrat, drehten sich die Köpfe nach ihm. Die Anonymität begann erst an den Rennbahnausgängen.

Ich ritt das letzte Rennen in Windsor mit äußerster Konzentration, zumal es ein Sieglosen-Hindernisrennen war, immer gut für Überraschungen. Mein Pferd wurde nicht von Wykeham, sondern von Betsys Mann, dem Trainer aus Lambourn betreut, und man konnte mit Recht behaupten, daß es eher einen guten Übungslauf bekam als die volle Hatz.

Betsys Mann war dennoch mit dem vierten Rang zufrieden, da das Pferd sauber gesprungen war, und ich sagte, wie man das eben tut:»Nächstesmal siegt er«, um ihn und die Besitzer zu erfreuen.

Ich wog mich als Viertplazierter zurück, zog mich schnell um, ließ mir vom Jockeydiener meine Wertsachen geben und schrieb einen kleinen Zettel für Danielle:

«Weihnachten ist da. Zeit zu gehen.«

Es war Betsy, die schließlich den Zettel in die Damentoilette brachte und wenig später lächelnd mit Danielle herauskam.

Ich atmete auf; Danielle schien ebenso erleichtert. Betsy schüttelte den Kopf über unsere Kindereien, und Danielle und ich gingen auf den sich rasch leerenden Parkplatz.

«Hast du Nanterre gesehen?«fragte Danielle.

«Nein. Nirgends.«

«Er war es bestimmt.«

«Ja, ich denke auch.«

Mein Wagen stand fast allein am Ende einer Parkreihe, seine Nachbarn waren abgefahren. Ich blieb ein ganzes Stück vor ihm stehen und holte den Fernstarter aus meiner Tasche.

«Aber«, sagte Danielle überrascht,»das ist doch dein Frostschutzspielzeug.«

«Mm«, sagte ich und drückte auf die Taste.

Es gab keine Explosion. Der Wagen sprang sanft schnurrend an. Wir gingen zum Wagen, und ich nahm trotzdem noch die anderen Kontrollen vor, fand aber nichts Verdächtiges.

«Wenn er nun in die Luft geflogen wäre?«sagte Danielle.

«Besser das Auto als wir.«

«Glaubst du, dazu wäre er fähig!«

«Weiß ich wirklich nicht. Ich habe nichts gegen Vorsichtsmaßnahmen, die sich als unnötig erweisen. Ärgerlich ist, wenn man hinterher sagt, hätten wir doch nur.«

Ich fuhr auf die Autobahn, und an der ersten Kreuzung bog ich ab, wendete und nahm die entgegengesetzte Richtung.

«Noch eine vorbeugende Maßnahme?«sagte Danielle ironisch.

«Willst du vielleicht Säure ins Gesicht gespritzt bekommen?«

«Nicht so gern.«

«Eben… Wir wissen nicht, womit Nanterre unterwegs ist. Und auf der Autobahn kann sich einer stundenlang unauffällig an uns hängen. Ich möchte nicht, daß er uns in den kleinen Straßen von Chiswick überrumpelt.«

Als wir die nächste Ausfahrt erreichten, drehte ich das Verfahren um, und Danielle beobachtete den Verkehr durch die Heckscheibe.

«Keiner ist uns auf den Fersen geblieben«, sagte sie.

«Gut.«

«Also können wir uns beruhigen?«

«Der Mann, der dich heute nacht abholen wird, heißt Swallow«, sagte ich.»Wenn der Wagen zum Studio kommt, sollen die starken Männer am Empfang den Fahrer nach seinem Namen fragen. Sagt er nicht Swallow, fragt bei dem Autoverleih nach.«

Ich zog meine Brieftasche hervor.»Die Firmenkarte ist vorne drin.«

Sie nahm die Karte und gab mir die Brieftasche zurück.

«Was hast du nicht bedacht?«

«Wenn ich das nur wüßte.«

Trotz des Umwegs in die falsche Richtung war es eine kurze Fahrt von Windsor nach Chiswick, und wir trafen gut eine Stunde vor halb sieben in den Straßen, die zum Studio führten, ein.

«Willst du schon reingehen?«fragte ich.

«Nein. Halt irgendwo an, von wo wir auf den Fluß schauen können.«

Ich fand eine Stelle, wo braunes, langsam stromauf gleitendes Wasser zu sehen war, das in der auflaufenden Flut die Schlammzone überschwemmte. Rauh schreiende Möwen flogen gegen den Wind.

«Ich muß, ehm. dir etwas sagen«, sagte Danielle nervös.

«Nein«, erwiderte ich gequält.

«Du weißt doch gar nicht, was.«

«Heute war ein Test«, sagte ich.

Danielle meinte langsam:»Ich vergesse manchmal, daß du Gedanken lesen kannst.«

«Kann ich nicht. Ganz selten. Das weißt du.«

«Gerade hast du es getan.«

«Es gibt bessere Tage als heute«, sagte ich verzagt.

«Und schlimmere.«

Ich nickte.

«Schau nicht so traurig«, sagte sie.»Das kann ich gar nicht sehen.«

«Ich gebe es auf, wenn du mich heiratest«, sagte ich.

«Ist das dein Ernst?«

«Ja.«

Sie schien nicht überglücklich. Anscheinend hatte ich in jeder Hinsicht verloren.

«Ich, ehm…«sagte sie leise.»Wenn du es nicht aufgibst, heirate ich dich.«

Ich dachte, ich hätte mich verhört.

«Was hast du gesagt?«wollte ich wissen.

«Ich sagte…«Sie unterbrach sich.»Willst du mich heiraten oder nicht?«

«Das ist eine saublöde Frage.«

Ich beugte mich zu ihr und sie sich zu mir, und wir küßten uns, als wären wir endlich daheim.

Ich schlug vor, wir sollten uns nach hinten setzen, und das taten wir, aber nicht zu gymnastischen Liebesspielen, sondern teils wegen der Helligkeit und der vielen Passanten, teils weil so wenig Platz war. Wir hielten einander in den Armen, was ich nach den vergangenen Wochen unglaublich fand und langweiligerweise auch x-mal sagte.

«Ich hatte das gar nicht vor«, meinte sie.»Als ich vom Lake District zurückkam, suchte ich nach einer Möglichkeit, dir zu sagen, es sei alles vorbei… ein Irrtum.«

«Was hat dich umgestimmt?«

«Ich weiß nicht… eine Menge Sachen. Daß ich so viel mit dir zusammen war… dich gestern vermißt hab… Seltsame Sachen… zu sehen, daß Litsi dich achtet… daß Betsy sagt, ich hätte Glück… und Joes Frau… sie hat sich übergeben, weißt du. Alles hoch. Alles raus. Sie schwitzte und fror… und sie ist schwanger… ich fragte sie, wie sie es fertigbringt, mit der Angst zu leben… sie sagte, wenn es hieße, Angst und Joe oder keine Angst, kein Joe, sei die Entscheidung einfach.«

Ich hielt sie fest. Ich konnte ihren Herzschlag spüren.

«Heute bin ich herumgewandert, hab mich umgeschaut«, sagte sie.»Mir überlegt, ob Rennbahnen und Winter und ständige Unruhe für mich ein Leben sind… wenn ich sehe, wie du auf die Pferde steigst, ohne zu wissen — ohne dich darum zu kümmern — ob es deine letzte halbe Stunde überhaupt sein wird… und du tust das fünf- oder sechshundert Mal im Jahr. Ich habe mir die anderen Jockeys auf dem Weg zum Führring angesehen, und sie sind alle wie du, vollkommen ruhig, als ob sie ins Büro gehen.«

«Viel besser als ein Büro.«

«Ja, für dich. «Sie küßte mich.»Du kannst dich bei Tante Casilia bedanken, die mich so beschämt hat, daß ich wieder zum Rennen gegangen bin… aber am meisten bei Joes Frau. Ich habe mir heute genau überlegt, wie das Leben ohne dich wäre. keine Angst, kein Kit. um es mit ihr zu sagen… da nehme ich wohl die Angst in Kauf.«

«Und übergibst dich.«

«Alles hoch, alles raus. Sie meinte, irgendwann erleben das alle eure Frauen mal. Und umgekehrt auch einige Männer, nehme ich an, die mit Reiterinnen verheiratet sind.«

Es war merkwürdig, fand ich, wie das Leben sich von einer Sekunde auf die nächste vollkommen ändern konnte. Der Unglücksnebel des vergangenen Monats war verschwunden wie zerrissene Spinnweben. Ich fühlte mich wunschlos, wunderbar glücklich, sogar mehr noch als am Anfang. Vielleicht mußte man wirklich etwas verloren und wiedererlangt haben, um diese Art Freude zu kennen.

«Du überlegst es dir doch nicht mehr anders?«sagte ich.

«Nein«, antwortete sie und zeigte mir unter den ungünstigsten Raumverhältnissen noch eine ganze Weile, daß es ihr Ernst damit war.

Ich begleitete sie schließlich in ihr Studio und fuhr danach, von Euphorie getragen, in Richtung Eaton Square, kehrte aber rechtzeitig auf die Erde zurück, um sorgfältig und methodisch an dem gewohnten Platz in der Garagengasse zu parken.

Ich stellte den Motor ab und sah geistesabwesend auf meine Hände, dachte eine Zeitlang an das, was möglicherweise bevorstand. Dann rief ich mit einem inneren Schauder im Haus an und erreichte sofort Litsi, als hätte er schon gewartet.

«Ich bin in der Gasse«, sagte ich.

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