Kapitel 15

Er legte gleich wieder auf, ohne mir zu sagen, was passiert war, und als ich umgehend zurückrief, meldete sich niemand. Mit der bösesten Vorahnung zog ich mir rasch etwas an, rannte hinunter zum Wagen, den ich nur sehr flüchtig kontrollierte, und fuhr schleunigst durch die beinah leeren Straßen in Richtung Sussex.

Wykeham hatte sich angehört, als stünde er kurz vor der Auflösung, so unheilvoll hatten Schock und Alter in seiner Stimme gezittert. Bis ich bei ihm eintraf, war ein brennender, ohnmächtiger Zorn hinzugekommen, der ihn schüttelte.

Er stand mit Robin Curtiss, dem Tierarzt, auf der Parkfläche, als ich den Wagen anhielt.

«Was ist passiert?«fragte ich im Aussteigen.

Robin machte eine hilflose Handbewegung, und Wykeham sagte wütend:»S-sehen Sie sich’s an.«

Ich folgte ihnen auf den Stallhof neben dem, der Cascade und Cotopaxi beherbergt hatte. Wykeham ging mit schlotternden Knien, aber vor Erregung straffem Rücken zu einer der geschlossenen Türen und legte flach die Hand darauf.

«Da drin«, sagte er.

Die Tür der Box war geschlossen, aber nicht verriegelt. Unverriegelt deshalb, weil das Pferd in ihr nicht ausreißen würde.

Ich zog die Stalltür auf, den oberen wie den unteren Teil, und sah das Tier auf dem Boden liegen.

Rotfuchs, drei Socken, Blesse.

Es war Col.

Sprachlos drehte ich mich zu Wykeham und Robin um. Ich spürte den gleichen Zorn wie Wykeham und eine Menge stiller Verzweiflung. Nanterre war zu rührig, und viel würde es nicht mehr brauchen, bis Roland de Brescou zusammenbrach.

«Es ist wieder dasselbe«, sagte Robin.»Der Bolzen. «Er bückte sich, hob die rotbraune Stirnlocke an, zeigte mir den Fleck auf der weißen Blesse.»Es ist viel Öl in der Wunde… das Gerät ist nach dem letzten Mal geölt worden. «Er ließ die Stirnlocke los und richtete sich auf.»Das Pferd ist völlig kalt. Es ist früh passiert, ich möchte meinen, vor Mitternacht.«

Col. tapferer Renner in Ascot, vorgesehen für Cheltenham, für den Gold Cup.

«Wo war der Streifenposten?«fragte ich, als ich meine Stimme wiederfand.

«Er war hier«, sagte Wykeham.»Bei den Ställen, meine ich, nicht auf dem Hof.«

«Jetzt ist er wohl weg?«

«Nein, ich habe verlangt, daß er auf Sie wartet. Er sitzt in der Küche.«

«Col«, sagte ich,»ist der einzige… ja?«

Robin nickte.»Immerhin etwas, worüber man froh sein kann.«

Nicht viel, dachte ich. Cotopaxi und Col waren zwei von den drei besten Pferden der Prinzessin gewesen, und es konnte kein Zufall sein, daß es sie erwischt hatte.

«Kinley«, sagte ich zu Wykeham.»Nach Kinley haben Sie doch gesehen?«

«Ja, sofort. Er ist noch in der Eckbox auf dem nächsten Hof.«

«Der Versicherung wird das nicht gefallen«, meinte Robin, auf das tote Pferd hinunterschauend.»Bei den ersten beiden hätte es noch einfach Pech sein können, daß es zwei gute waren, aber drei…«er zuckte die Achseln.»Natürlich nicht mein Problem.«

«Woher wußte er, wo er sie findet?«sagte ich, ebensosehr zu mir selbst wie zu Robin und Wykeham.»War das Cols Stammplatz?«

«Ja«, sagte Wykeham.»Jetzt muß ich sie wohl alle verlegen, aber das gibt Unordnung im Stall.«

«Abseil«, sagte ich,»ist der okay?«

«Wer?«

«Der Sieger von gestern.«

Wykeham fand sich wieder durch.»Ach ja, dem geht’s gut.«

Ab seil war so leicht erkennbar wie die anderen, dachte ich. Kein Fuchs, nicht beinah schwarz wie Cascade, sondern grau, mit schwarzer Mähne und schwarzem Schweif.

«Wo ist er?«fragte ich.

«Beim Haus, im letzten Hof.«

Ich war zwar ziemlich oft bei Wykeham, aber immer des Trainings wegen, und dazu fuhren wir auf die Downs, wo ich ganze Pferdestaffeln an den Sprüngen schulte. Ich ritt die Pferde fast nie zum Hof hinein oder hinaus, und obwohl ich den Standplatz von einigen wie etwa Cotopaxi kannte, war ich mir nicht bei allen sicher.

Ich streckte eine Hand nach Cols Vorderbein aus und fühlte, wie steif es war, wie kalt. Das Vorderbein, das uns in Ascot vor dem Fiasko bewahrt, das sein ganzes Gewicht getragen hatte.

«Ich muß der Prinzessin Bescheid sagen«, meinte Wykeham unglücklich.»Oder würden Sie mir das abnehmen, Kit?«

«Ja, ich sage es ihr. In Sandown.«

Er nickte zerstreut.»Wen haben wir gemeldet?«sagte er.

«Helikon für die Prinzessin und drei andere.«

«Dusty hat ja die Liste.«

«Klar«, sagte ich.

Wykeham warf noch einen langen Blick auf die erloschene Herrlichkeit am Boden.

«Umbringen könnte ich den Scheißkerl, der das getan hat«, sagte er.»Mit seinem eigenen verfluchten Bolzenschußapparat.«

Robin seufzte und sagte, er würde dafür sorgen, daß man den Kadaver abhole, wenn es Wykeham recht sei.

Wykeham nickte stumm, und wir verließen den Hof und machten uns auf den Weg zu seinem Haus, wo Robin ins Büro ging, um zu telefonieren. Der wider Willen zurückgehaltene Hundeführer war noch in der Küche, und sein Hund, ein schwarzer Dobermann, lag ihm gähnend zu Füßen.

«Erzählen Sie Kit Fielding, was Sie mir erzählt haben«, sagte Wykeham.

Der Hundeführer, in einem marineblauen Kampfanzug, war mittleren Alters und wurde zu dick. Sein Tonfall war trotzig abwehrend, seine Intelligenz mäßig, und ich wünschte, ich hätte statt seiner den flinken Sammy hier gehabt. Ich setzte mich ihm gegenüber an den Tisch und fragte, wieso ihm der Besucher, der Col erschossen hatte, entgangen war.

«Ich konnte doch nichts dafür, oder?«sagte er.»Da sind doch die Bomben hochgegangen.«

«Was für Bomben?«Ich warf einen Blick auf Wykeham, der offensichtlich schon davon gehört hatte.»Was für Bomben, um Gottes willen?«

Der Hundeführer hatte einen Schnurrbart, den er des öfteren von der Nase her mit Daumen und Zeigefinger strich.

«Naja, woher sollte ich wissen, daß es keine richtigen Bomben waren«, sagte er.»Gekracht haben sie laut genug.«

«Eins nach dem andern«, sagte ich.»Fangen Sie mal bei Ihrem Dienstantritt an. Und, ehm… waren Sie schon an anderen Nächten hier?«

«Ja«, sagte er.»Von Montag bis Freitag, fünf Nächte.«

«Gut«, sagte ich.»Schildern Sie die letzte Nacht.«

«Ich trete so gegen sieben an, wenn der Futtermeister mit dem Füttern fertig ist. Ich nehme die Küche hier als Basis und mache alle halbe Stunde einen Rundgang. Standardverfahren.«

«Wie lange dauern die Rundgänge?«

«Fünfzehn Minuten, vielleicht auch länger. Es ist jetzt bitter kalt nachts.«

«Und Sie gehen in sämtliche Höfe?«

«Laß nie einen aus«, sagte er fromm.

«Und wohin noch?«

«Kurz auf den Heuboden, in den Geräteschuppen, die Futterkammer, hinten herum, wo der Traktor und die Egge stehen, wo der Misthaufen ist, überall.«

«Also weiter«, sagte ich,»wie viele Rundgänge hatten sie gemacht, als die Bomben hochgingen?«

Er zählte es an seinen Fingern ab.»Neun, glaube ich. Der Futtermeister war vorbeigekommen, um sich rasch noch ein letztes Mal umzuschauen wie jeden Tag, und alles war ruhig. Ich bin also zurück, um mich hier ein bißchen aufzuwärmen, und geh so um halb elf wieder raus. Ich fange mit der Runde an, da kommt von der Rückseite ein Knall, ein Mordsgetöse. Also bin ich mit Ranger dorthin gelaufen…«er sah auf seinen Hund hinunter.»Na, war doch klar, oder nicht? Ist doch einleuchtend.«

«Ja«, sagte ich.»Wo genau auf der Rückseite?«

«Ich konnte erst nichts sehen, weil dahinten kaum Licht ist, und es roch stark verbrannt, das stieg einem direkt in die Nase, und keine drei Meter entfernt ging dann noch eine hoch. Mir ist fast das Trommelfell geplatzt.«

«Wo waren die Bomben?«sagte ich noch einmal.

«Die erste war hinter dem Misthaufen. Was von ihr übrig war, hab ich nachher mit meiner Taschenlampe gefunden.«

«Aber Sie benutzen Ihre Taschenlampe nicht immer?«

«Braucht man auf den Höfen nicht. Fast alle haben Licht.«

«Mm. Okay. Wo war die zweite?«

«Unter der Egge.«

Wykeham benutzte wie viele andere Trainer gelegentlich die Egge, um seine Koppeln zu rechen, sie in Schuß zu halten.

«Hat sie die Egge gesprengt?«sagte ich stirnrunzelnd.

«Nein, solche Bomben waren das nicht.«

«Was gibt’s denn noch für welche?«

«Die hat einen riesigen Funkenregen durch die Egge gejagt. Lauter goldene, glühende Fünkchen. Ein paar sind auf mich gefallen. Das waren Feuerwerkskörper. Ich hab die leeren Schachteln gefunden. Da stand >Bombe< drauf, soweit sie nicht verbrannt waren.«

«Und wo sind sie jetzt?«fragte ich.

«Wo sie hochgegangen sind. Ich hab sie nicht angerührt, bloß mit dem Fuß umgedreht, um zu lesen, was auf der Seite stand.«

«Und was hat Ihr Hund die ganze Zeit gemacht?«

Der Hundeführer sah enttäuscht drein.»Ich hatte ihn an der Leine. Hab ich natürlich immer. Er mochte das Geknalle nicht, und die Funken und den Geruch auch nicht. Er soll darauf abgerichtet sein, vor Gewehrschüssen keine Angst zu haben, aber die Feuerwerkskörper hat er nicht gemocht. Er bellte wie irre und wollte wegrennen.«

«Er wollte in eine andere Richtung laufen, aber Sie haben ihn festgehalten?«

«Stimmt.«

«Vielleicht wollte er hinter dem Mann her, der das Pferd erschossen hat?«

Der Mund des Hundeführers öffnete sich und schnappte wieder zu. Er strich mehrmals seinen Schnurrbart glatt und wurde merklich aggressiver.»Ranger hat wegen der Bomben gebellt«, sagte er.

Ich nickte. Jetzt spielte es doch keine Rolle mehr.

«Und weiter weg«, sagte ich,»haben Sie’s nicht knallen gehört… Sie haben nicht den Schuß gehört?«

«Nein. Mir klangen die Ohren, und Ranger schlug Krach.«

«Was haben Sie denn als nächstes getan?«

«Nichts«, sagte er.»Ich dachte, das wären ein paar von den Burschen gewesen, die hier arbeiten. Bloß Unsinn im Kopf. Also hab ich einfach mit den Streifengängen weitergemacht, ganz normal. Es war ja nichts passiert… das heißt, dem Anschein nach.«

Ich wandte mich an Wykeham, der finster zuhörte.»Haben Sie die Feuerwerkskörper nicht gehört?«fragte ich.

«Nein, ich hatte geschlafen. «Er zögerte, setzte dann hinzu:»Ich schlafe nicht besonders gut… neuerdings eigentlich kaum ohne Schlaftabletten. Wir hatten vier ruhige Nächte, wo ich die meiste Zeit wach lag, darum habe ich gestern abend… eine Tablette genommen.«

Ich seufzte. Wäre Wykeham wach gewesen, dann wäre er sowieso auf den Radau zugelaufen, und es hätte nichts geändert.

Ich sagte zu dem Hundeführer:»Sie waren auch am Mittwoch hier, als jemand um den Hof schlich?«

«Ja. Ranger hat gewinselt, aber ich konnte niemand entdecken.«

Nanterre, dachte ich, war Mittwoch nacht in den Stall gegangen, um zu töten. Die Anwesenheit des Hundes hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, und zwei Nächte später war er mit seinen Ablenkungsmanövern wiedergekommen.

Er mußte in Ascot gewesen sein und sich gemerkt haben, wie Col aussah, doch gesehen hatte ich ihn dort nicht, ebensowenig wie in Bradbury. Allerdings war das bei dem großen Andrang auf Rennplätzen, wo mich obendrein der Job in Anspruch nahm, nicht weiter verwunderlich.

Ich schaute auf Ranger hinunter und fragte mich nach seinen Reaktionen.»Wenn Leute herkommen«, sagte ich,»so wie ich vorhin, wie verhält sich Ranger dann?«

«Er steht auf und geht zur Tür und winselt ein wenig. Im allgemeinen ist er ruhig. Kein Kläffer. Deshalb wußte ich, daß er wegen der Bomben gebellt hat.«»Nun, ehm, was fangen Sie denn an, wenn Sie zwischendurch in der Küche sind?«

«‘n Tee trinken. Was essen. Austreten. Lesen. Fernsehen. «Er strich seinen Schnurrbart, mochte weder mich noch meine Fragen.»Ich dusle nicht ein, falls Sie das meinen.«

Es war das, was ich meinte, und offensichtlich das, was er zu dem einen oder anderen Zeitpunkt getan hatte. Bei vier langen, ruhigen, kalten Nächten war es wohl auch verständlich, wenn nicht entschuldbar.

«Übers Wochenende«, sagte ich zu Wykeham,»brauchen wir doppelte und dreifache Patrouillen. Durchgehend.«

Er nickte.»Unbedingt.«

«Haben Sie schon die Polizei verständigt?«

«Noch nicht. Aber bald. «Angewidert blickte er den Hundeführer an.»Die wird Sie auch hören wollen.«

Der Hundeführer stand jedoch auf, erklärte, sein Dienst sei seit einer Stunde beendet und wenn die Polizei ihn sprechen wolle, könne sie ihn über seine Firma erreichen. Er werde jetzt ins Bett gehen.

Wykeham beobachtete mürrisch seinen Abgang und sagte:»Was zum Teufel ist los, Kit? Die Prinzessin weiß, wer sie alle umgebracht hat, und Sie auch. Also sagen Sie’s mir.«

Es schien mir unfair, daß er nicht Bescheid wußte, deshalb erzählte ich ihm das Wesentliche: Ein Mann versuchte Roland de Brescou eine Unterschrift abzupressen, indem er seiner Familie schadete, wo immer er konnte.

«Aber das ist doch… Terror. «Wykeham benutzte das Wort widerwillig, als fände er schon dessen bloße Existenz beleidigend.

«Im kleinen«, sagte ich.

«Klein?«rief er aus.»Nennen Sie drei tote Prachtpferde klein?«

Ich tat es nicht. Ich war niedergeschlagen und wütend bei dem Gedanken an sie. Sie zählten wenig im Weltmaßstab des Terrors, aber dahinter steckte die gleiche niederträchtige Überzeugung, man könnte sein Ziel erreichen, indem man Unschuldige hinschlachtete.

Ich wollte handeln.»Zeigen Sie mir, wo sämtliche Pferde der Prinzessin sind«, schlug ich Wykeham vor, und gemeinsam gingen wir wieder hinaus an die kalte Luft und machten einen Rundgang durch die Höfe.

Die Boxen von Cascade und Cotopaxi waren noch leer, und sonst hatten keine Pferde der Prinzessin auf dem ersten Hof gestanden. Im zweiten war nur Col gewesen. In dem dahinter standen Hillsborough und Bernina sowie Kinley in der versteckten Eckbox.

Etwa ein Drittel der Stallbewohner waren zum Training auf den Downs, und als wir Kinleys Hof verließen, kamen sie gerade zurückgetrappelt, so daß alles plötzlich von Lärm und Aktion erfüllt war. Die Pfleger saßen ab und führten ihre Pferde in die Boxen. Wykeham und ich suchten uns weiter durch, während sie ihre Schützlinge striegelten, die Spreu erneuerten, die Eimer füllten, Heu in die Raufen brachten, ihre Sattel vor die Boxen hängten, die Türen verriegelten und zum Frühstück gingen.

Ich sah all die alten Freunde in ihren Quartieren, darunter North Face, Dhaulagiri, Icicle und Icefall und den jungen Helikon, das vierjährige Hürdenpferd, das an diesem Nachmittag nach Sandown sollte. Wykeham nannte die Hälfte von ihnen beim richtigen Namen, die anderen ließ er sich von mir vorsagen. Ihren Werdegang und ihre Persönlichkeiten kannte er jedoch unfehlbar, sie waren für ihn auf eine Weise real, daß sie keine Namensschilder brauchten. Seine erfahrene Sekretärin las die Teilnehmerlisten, die er für die Rennen schrieb, stets sinngemäß richtig.

Im letzten Hof kamen wir zu Abseil und öffneten den oberen Flügel seiner Tür. Abseil kam auf das einfallende Tageslicht zu und steckte neugierig seinen Kopf heraus. Ich rieb seine graue Nase und Oberlippe mit der Hand, legte meinen Kopf an seinen und blies sanft, wie bei einem umgekehrten Schnüffeln, in seine Nüster. Er rieb die Nase einige Male an meiner Wange und hob dann den Kopf weg, die Begrüßung war beendet. Wykeham achtete nicht darauf. Er unterhielt sich auf diese Art mit Pferden, wenn ihr Charakter es zuließ. Bei einigen würde man das nie tun, man konnte die Nase abgebissen bekommen.

Wykeham gab Abseil eine Möhre aus einer geräumigen Tasche und sperrte ihn wieder in sein Dämmerlicht.

Dann klatschte Wykeham mit der Hand an die angrenzende Box.»Das ist Kinleys Box normalerweise. Jetzt steht sie leer. Ich lasse ihn nicht gern in der Eckbox, die ist langweilig für ihn.«

«Es ist hoffentlich nicht mehr für lange«, sagte ich und schlug ihm vor, wir sollten uns einmal die» Bomben «ansehen.

Wykeham hatte sie bereits gesehen und zeigte sie mir, und wie erwartet waren es die Unterteile von Pappbehältern, jeder zehn Zentimeter im Quadrat, die Oberteile waren abgebrannt. Beide waren gleich, mit grell rotgelb gemalten Flammen auf der angesengten Pappe, und auf dem Behälter unter der Egge stand GOLDENE BOMBE in poppiger Schrift.

«Wir lassen sie besser liegen, bis die Polizei kommt«, sagte ich.

Wykeham stimmte zu, meinte aber, die Feuerwerkskörper würden die Polizei erst recht überzeugen, daß es das Werk von Jugendlichen war.

Wir gingen zurück ins Haus, wo Wykeham die Polizei anrief und die Zusicherung erhielt, es werde alles Nötige veranlaßt. Danach rief ich Dawson an und bat ihn, der Prinzessin zu sagen, daß ich bei Wykeham sei und von dort aus nach Sandown führe.

Wykeham und ich frühstückten und brausten in seinem großrädrigen Kleinlaster hinauf in die Downs, um das zweite Lot bei der Arbeit zu sehen, und unter dem weiten, kalten, windigen Himmel überraschte er mich damit, daß er ganz nebenbei bemerkte, er denke daran, sich wieder einen Assistenten zu nehmen. Er hatte wohl früher schon Assistenten gehabt — die nie lange geblieben waren —, aber zu meiner Zeit nicht.

«Wirklich?«sagte ich.»Ich dachte, Sie könnten Assistenten nicht ausstehen.«

«Die hatten alle keine Ahnung«, meinte er.»Aber ich werde alt… Es wird jemand sein müssen, den die Prinzessin mag. Einer, mit dem Sie auch auskommen. Wenn Ihnen also jemand einfällt, sagen Sie mir Bescheid. Ich kenne mich da nicht mehr so aus.«

«In Ordnung«, sagte ich, wenn auch mit einem unguten Gefühl. Wykeham war trotz seiner Schrullen unersetzlich, unverzichtbar.»Sie wollen sich doch nicht zur Ruhe setzen?«

«Nein. Niemals. Ich hätte nichts dagegen, hier oben zu sterben, während ich meinen Pferden zusehe. «Er lachte plötzlich, in den Augen ein Aufblitzen der Energie, die ihn vor gar nicht so langer Zeit ständig erfüllt hatte, als er noch ein Titan war.»Ich habe ein tolles Leben gehabt, wissen Sie. Großartig.«

«Bleiben Sie uns erhalten«, sagte ich.

Er nickte.»Nächstes Jahr«, sagte er,»packen wir vielleicht das Grand National.«

Wykehams vier Renner in Sandown starteten in den drei ersten Läufen und im fünften, und die Prinzessin sah ich erst, als sie vor Helikons Rennen, Nummer 3 laut Programm, in den Führring kam.

Beatrice war bei ihr, ebenso Litsi und auch Danielle, die mich nach einem fast geflüsterten Gruß aus ihren Gedanken zu verbannen schien, indem sie aufmerksam die herumgehenden Pferde betrachtete.

«Guten Morgen«, sagte die Prinzessin, als ich mich vor ihr verneigte.»Dawson sagt, Wykeham hat heute früh. wieder angerufen. «Mit einer Spur von Besorgnis schaute sie mich an, und was sie in meinem Gesicht las, verstärkte ihre Befürchtung jäh.

Sie ging ein wenig weg von ihrer Familie, und ich folgte ihr.

«Noch mal?« Sie wollte es nicht glauben.»Welche?«

«Eins«, sagte ich.»Col.«

Sie nahm den Schock mit einem langen, ausdruckslosen Blick auf.

«Genauso wie… neulich?«sagte sie.

«Ja. Mit dem Bolzenschußgerät.«

«Mein armes Pferd.«

«Es tut mir sehr leid.«

«Ich werde meinem Mann nichts davon sagen«, überlegte sie.»Bitte sagen Sie’s keinem von ihnen, Kit.«

«Es wird morgen oder am Montag in den Zeitungen stehen«, sagte ich,»diesmal wohl noch ausführlicher.«

«Oh…«Die Aussicht darauf traf sie fast so sehr wie Cols Tod.»Ich werde zu dem Druck auf meinen Mann keinesfalls beitragen«, sagte sie heftig.»Er darf diesen elenden Vertrag nicht unterschreiben. Verstehen Sie, es bringt ihn um, wenn er das tut. Die Schande überlebt er nicht. Er würde sterben wollen… so wie er die ganzen Jahre, obwohl sein Zustand eine solche Prüfung für ihn ist, hat leben wollen. «Sie machte eine kleine Geste mit ihrer behandschuhten Hand.»Er ist mir… sehr teuer, Kit.«

In der Erinnerung hörte ich meine Großmutter sagen:»Ich liebe den alten Mistkerl, Kit«, womit sie meinen kampflustigen Großvater meinte; ein ganz ähnliches Bekenntnis zu einem Mann, der nicht auf den ersten Blick liebenswert war.

Daß die Prinzessin es ausgesprochen hatte, war erstaunlich, aber nicht so undenkbar wie vor der Ankunft von Nanterre. In den letzten acht Tagen, sah ich, hatte sich sehr viel zwischen uns geändert.

Seine Ehre retten, sein Leben retten, ihr Zusammenleben retten. Mein Gott, dachte ich, was für eine Bürde. Sie brauchte Superman, nicht mich.

«Sagen Sie ihm nichts von Col«, mahnte sie nochmals.

«Nein.«

Ihr Blick kam auf Beatrice zu ruhen.

«Ich erzähle es auch sonst niemand«, sagte ich.»Aber auf der Rennbahn bleibt es vielleicht kein Geheimnis. Dusty und die Pfleger, die mit den Pferden gekommen sind, wissen Bescheid, und sie werden es anderen Pflegern erzählen… es spricht sich herum, fürchte ich.«

Sie nickte kurz, unglücklich, und verlegte ihre Aufmerksamkeit von Beatrice auf Helikon, der gerade an uns vorbeikam. Sie betrachtete ihn mehrere Sekunden lang, drehte den Kopf nach ihm, als er weiterging.

«Was halten Sie von ihm?«fragte sie; ihr bewährter Abwehrmechanismus schaltete sich ein.»Was darf ich erwarten?«

«Er ist immer noch etwas hitzköpfig«, sagte ich,»aber wenn ich ihn in den Griff bekomme, müßte er gut laufen.«

«Aber kein zweiter Kinley?«tippte sie an.

«Bisher nicht.«

«Tun Sie Ihr Bestes.«

Ich sagte wie immer, das würde ich, und wir kehrten zu den anderen zurück, als hätten wir über nichts als über ihr Hürdenpferd gesprochen.

«Ist dir aufgefallen, wer wieder herstarrt?«sagte Danielle, und ich antwortete, das hätte ich in der Tat bemerkt, diese Augen verfolgten mich überall.

«Geht dir das nicht auf die Nerven?«fragte Danielle.

«Welche Nerven?«meinte Litsi.

«Sprecht ihr von Mr. Allardeck?«wollte Beatrice wissen.»Mir ist schleierhaft, was ihr gegen ihn habt. Er sieht doch einfach reizend aus.«

Der einfach reizende Mann übertrug von weitem seine unerbittlichen Gedanken auf mich, beging eindeutig eine Verletzung psychologischen Territoriums, und ich dachte mit Unbehagen wieder an die Geistesverfassung, die ihn dazu trieb. Der böse Blick, dachte ich — und kein schützender Talisman weit und breit.

Die Zeit zum Aufsitzen kam, und der hitzköpfige Helikon und ich gingen auf das Geläuf. Er war nervös und ungestüm, nicht direkt ein Reitvergnügen. Ich versuchte ihn auf dem Weg zum Start zu beruhigen, aber wie immer war das, als wollte man einen Stacheldrahtverhau beruhigen. Die Prinzessin hatte ihn als Jährling gekauft und setzte große Hoffnungen auf ihn, aber so gut er auch sprang, we-der Wykeham noch mir war es gelungen, ihm seine Muk-ken auszutreiben.

Es waren zwanzig oder mehr Teilnehmer, und ich brachte Helikon zeitig nach vorn, denn bei einem Zusammenstoß in dem Gedränge würde er vor Angst stehenbleiben; andererseits mußte ich ihn mit fester Hand führen, sonst konnte es sein, daß er sich selbständig machte und durch ging.Er antwortete auf die Freiheitsbeschränkung erst wieder einmal mit unbändigem Kopfschlagen, aber ich hatte ihn stabilisiert und recht gut am Laufen, und an der dritten Hürde dachte ich, das Schlimmste wäre überstanden, wir könnten jetzt ein wenig runtergehen und ein passables Rennen austüfteln.

Es war nicht sein Tag. An der vierten Hürde geriet das Pferd unmittelbar vor uns mit dem Fuß ins Hindernis, ging krachend zu Boden und rutschte auf der Flanke die Bahn entlang. Helikon stolperte darüber, schlug hin, warf mich ab; und wie es weiterging, habe ich gar nicht so ganz mitbekommen, obwohl es eine Karambolage war wie bei Nebel auf der Autobahn. Fünf Pferde, erfuhr ich nachher, stürzten an diesem Sprung. Eins von ihnen schien direkt auf mir zu landen; es gibt Gesünderes.

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