Kapitel 16

Gegen Mittag rief ich Chico an und erzählte ihm, was ich über Rosemarys Pferde in Erfahrung gebracht hatte.

«Es läuft alles darauf hinaus«, sagte ich,»daß diese vier Pferde einen Herzschaden hatten, weil ihnen eine Schweinekrankheit injiziert worden ist. Es gibt da eine ganze Menge sehr komplizierter Informationen zu der Frage, wie das bewerkstelligt worden ist, aber damit können sich die Stewards jetzt befassen.«

«Eine Schweinekrankheit?«fragte Chico ungläubig.

«Ja, genau. Der große Buchmacher Trevor Deansgate hat einen Bruder, und der arbeitet bei einer Firma, die Impfstoffe herstellt, mit denen Leute gegen Pocken und Diphtherie und so weiter geimpft werden. Und die beiden haben den Plan ausgeheckt, den heißen Favoriten Schweinerotlaufbazillen zu spritzen.«

«Worauf die dann natürlich verloren«, sagte Chico.»Und der Buchmacher sackte die Kohlen ein.«

«Du sagst es.«

Es war schon eigenartig, Trevor Deansgates Plan in erzählenden Worten wiederzugeben und über ihn selbst zu sprechen, als wäre er bloß eines unserer gewohnten Rätsel.

«Wie hast du das alles denn rausgefunden?«wollte Chico wissen.

«Im Stall von Henry Thrace ist >Gleaner< eingegangen,

und bei der Obduktion hat sich dann ergeben, daß es Rotlauf war. Als ich zu der pharmazeutischen Firma kam, be-gegnete mir ein Mann namens Shummuck, der mit ungewöhnlichen Erregerstämmen befaßt ist, und da fiel mir ein, daß Shummuck der eigentliche Name von Trevor Deansgate ist. Und Trevor Deansgate genießt die Freundschaft von George Caspar… und alle betroffenen Pferde, von denen wir wissen, kommen aus dem Stall von George Caspar.«

«Bißchen wacklig, wie?«sagte Chico.

«Ein bißchen, ja. Aber damit kann sich jetzt der Sicherheitsdienst befassen.«

«Eddy Keith?«bemerkte er skeptisch.

«Diese Geschichte kann er einfach nicht vertuschen, keine Bange.«

«Hast du’s Rosemary schon berichtet?«

«Noch nicht.«

«Schon ein bißchen zum Lachen«, sagte Chico.

«Hm.«

«Tja, Sid, mein Freund«, sagte er,»heute ist unser Erfolgstag. Wir haben nämlich auch Nicky Ashe am Haken.«

Nicky Ashe, ein Messer in der Socke. Ein Kinderspiel, verglichen mit. verglichen mit.

«He«, kam Chicos Stimme bekümmert aus dem Hörer,»freust du dich denn nicht?«

«Doch, natürlich. Was heißt übrigens am Haken?«

«Er hat ein paar von diesen schwachsinnigen Briefen losgelassen. Ich war heute morgen in deiner Wohnung, nur so, um mal nachzusehen, und da hab ich zwei Umschläge mit unseren Aufklebern drauf gefunden.«

«Großartig«, sagte ich.

«Ich hab sie aufgemacht. Beide kamen von Leuten, deren Name mit P anfängt. Lohn für all die Rumlatscherei.«

«Wir haben also den Spendenaufruf?«

«Aber ja doch. Ist haargenau derselbe Bettelbrief, den deine Frau hatte, natürlich mit ’ner anderen Adresse, an die das Geld geschickt werden soll. Hast du einen Stift?«

«Ja.«

Er las mir die Adresse vor — es handelte sich um Clifton, einen Ortsteil von Bristol. Ich besah sie mir nachdenklich. Ich konnte sie entweder direkt an die Polizei weitergeben oder sie erst einmal überprüfen. Letzteres hatte in einer ganz bestimmten Hinsicht sehr viel für sich.

«Du, Chico«, sagte ich,»ruf doch bitte mal bei Jenny in Oxford an und frag nach Louise McInnes. Bitte sie, mich im >Rutland Hotel< hier in Newmarket anzurufen.«

«Angst vor deiner Ollen, was?«

«Machst du’s?«

«Na klar. «Er lachte und legte auf. Als wenig später das Telefon klingelte, war allerdings nicht Louise am anderen Ende, sondern wieder Chico.

«Sie ist aus der Wohnung ausgezogen«, sagte er.»Deine Frau hat mir ihre neue Nummer gegeben. «Er diktierte sie mir.»Sonst noch was?«

«Kannst du mit deinem Kassettenrecorder morgen nachmittag zum Jockey Club am Portman Square kommen? Sagen wir, vier Uhr?«

«Wie beim letzten Mal?«

«Nein«, sagte ich.»Diesmal Haupteingang, wir beide.«

Zu meiner großen Erleichterung war Louise zu Hause. Als ich ihr gesagt hatte, was ich ihr sagen wollte, mochte sie es gar nicht glauben.

«Sie haben ihn wirklich und wahrhaftig gefunden?«

«Na ja«, entgegnete ich,»wahrscheinlich. Würden Sie mitfahren, um ihn zu identifizieren?«

«Ja. «Keinerlei Zögern.»Wann und wohin?«

«Ist irgendwo in Bristol. «Ich machte eine kleine Pause und sagte dann zögernd:»Ich bin im Augenblick in Newmarket. Ich könnte Sie heute nachmittag in Oxford abholen, und dann könnten wir gleich weiterfahren. Vielleicht erwischen wir ihn noch heute abend… oder sonst halt morgen früh.«

Sie schwieg eine Weile. Dann sagte sie:»Ich bin aus Jennys Wohnung ausgezogen.«

«Ja.«

Wieder Schweigen, dann ihre Stimme, ruhig und entschlossen:»Alles klar.«

In Oxford wartete sie schon vor dem Haus auf mich und hatte auch eine Reisetasche dabei.

«Hallo«, sagte ich und stieg aus dem Auto.

«Hallo.«

Wir sahen uns an. Ich küßte sie auf die Wange. Sie lächelte auf eine Art und Weise, die ich für freudige Zustimmung halten mußte, und verstaute dann ihre Tasche neben der meinen im Kofferraum.

«Du kannst dich aber jederzeit wieder zurückziehen«, sagte ich.

«Du auch.«

Wir stiegen jedoch beide ins Auto, und ich fuhr nach Bristol und fühlte mich zufrieden und sorgenfrei. Trevor Deansgate würde noch nicht angefangen haben, nach mir zu suchen. Peter Rammileese und seine Jungs hatten sich eine Woche nicht blicken lassen, und niemand außer Chico wußte, wohin ich unterwegs war. Die schattenreiche Zukunft, dachte ich, sollte mir nicht die schöne Gegenwart verderben. Ich beschloß, an erstere überhaupt nicht mehr zu denken, und im großen und ganzen gelang mir das auch.

Wir fuhren zunächst zu dem kleinen Landhotel, von dem mir mal jemand erzählt hatte. Es lag hoch über der Schlucht des Avon und war in seinem Komfort den Bedürfnissen wohlhabender amerikanischer Touristen angepaßt.

«Da kommen wir doch nie und nimmer rein«, sagte Louise, als sie seiner ansichtig wurde.

«Ich hab angerufen.«

«Wie überaus umsichtig! Ein oder zwei Zimmer?«

«Eins.«

Sie lächelte, als ob ihr das durchaus recht sei, und man führte uns in ein großes, holzgetäfeltes Zimmer mit großen Perserteppichen, antiken Möbeln und einem weißen Himmelbett, das oben — amerikanischem Stil entsprechend — eine Einfassung aus gekräuseltem Musselin hatte.

«Mein Gott!«sagte Louise.»Und ich hatte ein Motel erwartet!«

«Von dem Himmelbett habe ich nichts gewußt«, sagte ich ein bißchen lahm.

«Wow!«sagte sie und lachte.»Das hier ist jedenfalls sehr viel lustiger.«

Wir stellten unsere Reisetaschen ab, machten uns in dem modern ausgestatteten, diskret hinter der Holztäfelung verborgenen Bad frisch und kehrten zum Auto zurück — und Louise lächelte den ganzen Weg bis zur neuen Wohnung von Nicholas Ashe still vor sich hin.

Es war ein wohlhabend aussehendes Haus in einer wohlhabend aussehenden Straße. Eine grundsolide Angelegenheit mit fünf oder sechs Schlafzimmern, stand es gediegen und weiß gestrichen und wenig aufschlußreich in der frühen Abendsonne.

Ich hielt ziemlich dicht davor an einer Stelle an, von der aus wir sowohl die Haustür als auch die Garageneinfahrt überblicken konnten. Louise hatte mir berichtet, daß Nik-ky oft gegen sieben nach einem harten Arbeitstag an der Schreibmaschine einen Spaziergang machte. Vielleicht tat er das heute auch — wenn er überhaupt da war.

Vielleicht auch nicht.

Weil es so warm war, hatten wir die Seitenfenster heruntergekurbelt. Ich steckte mir eine Zigarette an, und der Rauch blieb fast unbewegt in der Luft stehen, da keinerlei Wind wehte. Sehr friedlich, da so zu warten, dachte ich.

«Wo kommst du eigentlich her?«fragte Louise.

Ich blies einen Rauchring.»Ich bin der posthume, illegitime Sohn eines zwanzigjährigen Fensterputzers, der unmittelbar vor der Hochzeit von seiner Leiter fiel.«

Sie lachte.»Sehr elegant formuliert.«

«Und du?«

«Die eheliche Tochter des Managers einer Glasfabrik und einer Stadträtin, beide noch am Leben und in Essex wohnhaft.«

Wir befragten uns nach etwaigen Geschwistern — ich hatte keine, sie zwei, einen Bruder und eine Schwester. Nach unserer Ausbildung, wovon ich ein bißchen und sie eine ganze Menge vorzuweisen hatte. Nach dem Leben im allgemeinen, wovon sie ein wenig und ich etwas mehr gesehen hatte.

Eine Stunde verstrich in der stillen Straße. Ein paar Vö-gel sangen. Gelegentlich fuhren Autos vorbei. Männer kamen von der Arbeit und bogen in die Einfahrten ihrer Häuser ein. In der Ferne wurden Türen zugeschlagen. Nichts rührte sich bei dem Haus, das wir beobachteten.

«Du bist sehr geduldig«, sagte Louise.

«Ich habe schon Stunden damit zugebracht, manchmal.«

«Ganz schön fad.«

Ich sah in ihre klaren, intelligenten Augen.»Nicht heute abend.«

Es wurde sieben, wurde später — aber kein Nicky erschien.

«Wie lange bleiben wir?«

«Bis es dunkel ist.«

«Ich habe Hunger.«

Eine weitere halbe Stunde verging. Ich erfuhr, daß sie gern Curry aß und Paella, Rhabarber aber verabscheute. Ich erfuhr auch, daß ihr die Doktorarbeit, an der sie schrieb, schwer zu schaffen machte.

«Ich liege so weit hinter dem Plan zurück«, sagte sie,»und… ach du liebe Güte, da ist er ja!«

Sie hatte die Augen weit aufgerissen. Ich folgte ihrem Blick und sah Nicholas Ashe.

Er kam nicht aus der Haustür, sondern von der Seite des Gebäudes. Mein Alter, vielleicht etwas jünger. Größer, aber von meiner schlanken Statur. Meine Farben — dunkles Haar, leicht gelockt, dunkle Augen. Schmale Kinnpartie. Alles gleich.

Er sah mir jedenfalls ähnlich genug, daß es mich wie ein Schock traf, war aber zugleich auch ganz anders. Ich zog meine Minikamera aus der Tasche, spannte sie wie üblich mit den Zähnen und machte ein Foto von ihm.

Als er die Pforte erreicht hatte, blieb er stehen und sah zurück zum Haus. Von dort kam eine Frau gerannt und rief:»Ned, Ned, so warte doch auf mich.«

«Ned!«sagte Louise und rutschte tiefer in ihren Sitz.»Wird er mich nicht sehen, wenn er hier vorbeikommt?«

«Nicht, wenn ich dich küsse.«

«Na gut, dann tu’s«, sagte sie. Ich machte jedoch erst noch eine Aufnahme. Die Frau sah älter aus, um die vierzig. Schlank, gutaussehend, erregt. Sie schob ihren Arm in den seinen und sah ihn an — mit anbetendem Blick, wie selbst aus einer Entfernung von etlichen Metern deutlich zu erkennen war. Er schaute zu ihr hinab und lachte fröhlich, dann küßte er sie auf die Stirn, schwenkte sie in einem kleinen Bogen herum und hinaus auf den Bürgersteig, legte ihr den Arm um die Taille und kam dann sehr gutgelaunt und mit leicht hüpfendem Schritt auf uns zugegangen.

Ich riskierte aus dem Schatten des Wageninneren heraus noch eine Aufnahme, beugte mich dann zu Louise hinüber und küßte sie voller Enthusiasmus.

Die beiden gingen draußen vorbei. Auf unserer Höhe angelangt, mußten sie uns — oder zumindest meinen Rük-ken — entdeckt haben, denn beide kicherten plötzlich fröhlich los, Liebende, die ihr Geheimnis mit anderen Liebenden teilten. Sie wären fast stehengeblieben, gingen dann aber doch weiter, und ihre Schritte wurden immer leiser, bis sie nicht mehr zu hören waren Ich setzte mich widerwillig auf.

Louise sagte:»Wow!«, aber ob sich das auf den Kuß bezog oder auf die Nähe von Ashe, war mir nicht ganz klar.

«Er ist völlig unverändert«, sagte sie dann.

«Casanova höchstpersönlich«, bemerkte ich trocken.

Sie warf mir einen schnellen Blick zu, und ich erriet, daß sie sich die Frage stellte, ob ich wohl auf seinen Erfolg bei Jenny eifersüchtig war. Ich dagegen fragte mich, ob sich Jenny wohl deshalb zu ihm hingezogen gefühlt hatte, weil er mir so ähnlich war, oder ob sie erst von mir und dann von ihm angezogen worden war, weil wir beide ihrem Bild von einem sexuell attraktiven männlichen Wesen entsprachen. Sein Äußeres beunruhigte mich stärker, als mir lieb war.

«Na gut«, sagte ich,»das wär's erst einmal. Suchen wir uns was zu essen.«

Ich fuhr zum Hotel zurück, und wir gingen vor dem Essen noch mal hinauf aufs Zimmer, weil Louise meinte, sie habe ihren Rock und die Bluse schon den ganzen Tag an und wolle sich gern noch umziehen.

Ich nahm das Ladegerät aus meiner Reisetasche und stöpselte es ein. Dann holte ich eine leere Batterie aus meiner Jackentasche, rollte den Hemdsärmel hoch, nahm die in meinem Arm befindliche aus ihrer Halterung und steckte beide in das Ladegerät. Schließlich holte ich eine aufgeladene Batterie aus der Reisetasche und schob sie in die leere Halterung im Arm. Und Louise sah mir zu.

«Ist das… abstoßend für dich?«fragte ich sie.

«Nein, natürlich nicht.«

Ich zog den Ärmel wieder herunter und knöpfte die Manschette zu.

«Wie lange reicht so eine Batterie?«wollte sie wissen.

«Bei starker Beanspruchung sechs Stunden. Normalerweise etwa acht.«

Sie nickte bloß mit dem Kopf, als ob Leute mit elektrischen Armen so alltäglich wären wie Leute mit blauen Augen. Wir gingen zum Essen hinunter, wählten Seezunge und zum Nachtisch Erdbeeren, und wenn sie nach Meeresalgen geschmeckt hätten, wäre es mir auch egal gewesen. Das lag nicht nur an Louise, sondern auch daran, daß ich seit dem Morgen dieses Tages damit aufgehört hatte, mich selbst zu zerfleischen, und langsam wieder zu innerem Frieden fand. Ich konnte es regelrecht spüren, und es war wunderbar.

Nach dem Essen saßen wir auf einem kleinen Sofa in der Hotelhalle nebeneinander und tranken unseren Mokka.

«Natürlich brauchen wir jetzt, wo wir Nicky haben, nicht über Nacht hierzubleiben«, meinte sie.

«Möchtest du nach Hause fahren?«fragte ich.

«Etwa genausogern wie du.«

«Wer verführt hier eigentlich wen?«sagte ich.

«Mm«, meinte sie lächelnd.»Das kommt alles so unerwartet.«

Sie blickte ruhig auf meine linke Hand hinab, die zwischen uns auf dem Sofa lag. Ich wußte nicht, was sie dachte, aber einer plötzlichen Eingebung folgend sagte ich:»Berühr sie.«

Sie sah schnell auf.»Was?«

«Berühr sie. Faß sie an.«

Sie bewegte die rechte Hand zaghaft darauf zu, bis ihre Finger die harte, leblose Plastikhaut berührten. Sie zog sie nicht wieder zurück, in ihrem Gesicht zuckte kein Ekel auf.

«Innen ist sie aus Metall«, sagte ich.»Zahnrädchen, Gestänge, Stromkreise. Drück stärker drauf, dann kannst du es fühlen.«

Sie tat es, und ich sah ihre Überraschung, als sie die Form der inneren Realitäten erkundete.

«Da ist auch ein Schalter drin«, erklärte ich weiter.»Man kann ihn von außen nicht sehen, er sitzt unmittelbar unterhalb des Daumens. Man kann damit die Hand abschalten, wenn man will.«

«Und warum sollte man das wollen?«

«Sehr nützlich, wenn man Sachen tragen muß. Zum Beispiel eine Aktentasche. Man schließt die Finger um den Griff und stellt dann den Strom ab, und die Hand bleibt geschlossen, ohne daß man selbst dauernd dafür sorgen muß.«

Ich griff mit der rechten Hand hinüber und betätigte den Schalter, um ihr zu zeigen, wie es gemacht wurde.

«Ist wie ein Druckschalter bei einer Tischlampe«, sagte ich.

«Fühl mal. Drück ihn.«

Sie fummelte ein Weilchen herum, denn der Schalter war wirklich nicht ganz leicht zu finden, wenn man die Stelle nicht genau kannte, aber schließlich hatte sie ihn, stellte den Strom ab und wieder an. Ihr Gesicht zeigte nur Konzentration, sonst nichts.

Sie spürte, daß eine gewisse Anspannung in mir nachließ, und sah vorwurfsvoll auf.

«Du wolltest mich nur auf die Probe stellen, was?«sagte sie.

Ich lächelte.»Ja, wahrscheinlich.«

«Du bist gemein.«

Mich ritt unversehens der Teufel.»Ich kann sogar«, sagte ich, die Linke mit der Rechten haltend,»die Hand, wenn ich sie ein paarmal so herumdrehe, hier am Gelenk ganz abschrauben.«

«Tu’s nicht«, sagte sie entsetzt.

Ich lachte vor Freude. Ich hätte nie gedacht, daß ich jemals in der Lage sein würde, so mit meiner Hand umzugehen.

«Warum kann man sie da abschrauben?«fragte sie.

«Ach… Wartung, Reparatur, solche Sachen.«

«Du siehst so verändert aus«, sagte sie.

Ich nickte. Sie hatte recht.»Komm, laß uns ins Bett gehen.«

«Was für eine Riesenüberraschung«, sagte sie eine ganze Weile später.»Ich hätte nie und nimmer gedacht, daß du als Liebhaber so sanft bist.«

«Zu sanft?«

«Nein, ich fand’s sehr schön.«

Wir lagen schläfrig im Dunkeln. Sie selbst war empfänglich und großzügig gewesen und hatte mir die Sonne reinsten Entzückens scheinen lassen. Es war schade, dachte ich verschwommen, daß Sex so verdorben war durch Tabus und Techniken und Therapeuten und Schuldgefühle und Voyeurismus und das ganze kommerzielle Tamtam. Wenn zwei Menschen, wie von der Natur vorgesehen, zusammenkamen, sollten sie sich selbst überlassen bleiben — wenn man nicht zuviel erwartete, käme man viel besser zurecht. Man war so, wie man war. Selbst wenn ein Mädchen es gewollt hätte, hätte ich nie den aggressiven, sexuellen Draufgänger mimen können, denn ich hätte, dachte ich ironisch, sicher mittendrin angefangen, über mich selbst zu lachen. Und es war so, wie es gewesen war, sehr schön gewesen.

«Louise«, sagte ich.

Keine Antwort.

Ich drehte mich ein wenig, um noch bequemer zu liegen, und glitt wie sie in den Schlaf.

Ich wurde wie üblich früh wach und sah einige Zeit später zu, wie das Tageslicht auf ihrem schlafenden Gesicht immer heller wurde. Das blonde Haar lag so wirr um ihren

Kopf wie an dem Tag, an dem ich sie kennengelernt hatte, und ihre Haut sah weich und frisch aus. Als sie wach wurde, lächelte sie schon, bevor sie noch die Augen aufgeschlagen hatte.

«Guten Morgen«, sagte ich.

«Morgen.«

Sie schob sich in dem großen Bett, dessen sich oben am Betthimmel kräuselnder Musselinbesatz uns wie ein Rahmen umgab, näher zu mir.

«Als wenn man auf Wolken schliefe«, sagte sie.

Sie stieß gegen die harte Schale meines linken Armes, und es zuckte kurz in ihren Augen, als ihr wieder einfiel, was es war.

«Du schläfst doch nicht damit, wenn du allein bist, oder?«sagte sie.

«Nein.«

«Dann nimm sie ab.«

Ich sagte lächelnd:»Nein.«

Sie sah mich lange und nachdenklich an.

«Jenny hat schon recht, wenn sie meint, du wärst härter als Stahl«, sagte sie dann.

«Nein, das bin ich nicht.«

«Sie hat mir erzählt, daß du dir in dem Augenblick, als dir der Kerl den Arm zerschmetterte, in aller Ruhe zurechtgelegt hättest, wie du ihn schlagen könntest.«

Ich verzog das Gesicht.

«Stimmt das?«wollte sie wissen.

«In gewisser Weise ja.«

«Jenny hat gesagt…«

«Um ehrlich zu sein«, unterbrach ich sie,»ich würde lieber über dich sprechen.«»Ich bin nicht interessant.«

«Das nenne ich die richtige Anmache«, sagte ich.

«Worauf wartest du dann!«

«Ich mag dein verschämtes, jungmädchenhaftes Erröten so gern.«

Ganz leicht nur berührte ich ihre Brust, und das schien bei ihr die gleiche Wirkung zu haben wie bei mir. Unverzügliche Erregung, zu gegenseitiger Freude.

«Wolken«, sagte sie glücklich.»Woran denkst du dabei?«

«Beim Sex?«

Sie nickte.

«Ich fühle. Das ist kein Denken.«

«Manchmal sehe ich Rosen… an einem Spalier… scharlachrot und rosa und golden. Manchmal gezackte Sterne. Diesmal müßten es weiße Musselinwölkchen sein.«

Ich fragte sie — hinterher.

«Nein, nur hellster Sonnenschein. Fast blendend hell.«

Das Sonnenlicht war auch in Wirklichkeit in unser Zimmer geströmt und ließ den ganzen weißen Betthimmel durchsichtig schimmern.

«Warum wolltest du gestern abend die Vorhänge nicht zuziehen?«fragte sie.»Magst du die Dunkelheit nicht?«

«Ich mag nicht schlafen, wenn meine Feinde wach sind und nahe.«

Ich hatte den Satz gedankenlos von mir gegeben. Die Bedeutung des Gesagten kam erst danach über mich wie ein eiskalter Regenguß.

«Wie ein Tier«, sagte sie. Und dann:»Was ist los?«

Erinnere dich so an mich, wie ich bin, dachte ich. Und sagte laut:»Wie wär’s mit Frühstück?«

Wir fuhren nach Oxford zurück. Ich brachte den Film zum Entwickeln, und dann aßen wir im» Les Quat’ Saisons «zu Mittag, wo die köstliche Päte de turbot und das traumhafte Quenelle de brocket soufflee dazu beitrugen, die Schatten noch ein bißchen länger von mir fernzuhalten. Mit dem Kaffee aber kam der unvermeidliche Augenblick.

«Ich muß um vier in London sein«, sagte ich.

Louise meinte:»Wann willst du wegen Nicky zur Polizei gehen?«

«Ich komme am Donnerstag wieder her, also übermorgen, um die Fotos abzuholen. Dann erledige ich auch das. «Ich überlegte kurz.»Schenken wir der Dame in Bristol noch zwei glückliche Tage.«

«Armes Ding.«

«Sehe ich dich am Donnerstag?«fragte ich.

«Wenn du nicht blind bist.«

Chico lehnte mit resigniertem Gesichtsausdruck an dem Gebäude am Portman Square, als warte er schon seit Stunden auf mich. Als ich zu Fuß auf ihn zukam, stieß er sich mit einem Schulterschwung von der Wand ab und sagte:»Hast dir ja ganz schön Zeit gelassen, was?«

«Der Parkplatz war voll.«

An seinem Handgelenk hing der schwarze Kassettenrecorder, den wir gelegentlich benutzten, ansonsten trug er Jeans, ein Freizeithemd und kein Jackett. Das warme Wetter war nicht vorübergegangen, sondern hatte sich mit einem nahezu ortsfesten Hochdrucksystem festgesetzt, weshalb auch ich in Hemdsärmeln war. Immerhin hatte ich aber einen Schlips um und ein Jackett über dem Arm. Im dritten Stock standen alle Fenster weit offen, so daß der Straßenlärm heraufdröhnte, und Sir Thomas Ullaston, der hinter seinem Schreibtisch saß, bewältigte die Obliegenheiten des Tages in einem blaßblauen Hemd mit weißen Streifen.

«Kommen Sie herein, Sid«, rief er mir zu, als er mich unter seiner Tür erscheinen sah.»Ich habe schon auf Sie gewartet.«

«Es tut mir leid, daß ich mich verspätet habe«, sagte ich und gab ihm die Hand.»Das ist Chico Barnes, wir arbeiten zusammen.«

Er gab Chico die Hand.»Schön«, sagte er dann.»Jetzt, wo Sie da sind, wollen wir gleich mal Lucas Wainwright und die anderen dazuholen. «Er drückte auf den Knopf seiner Sprechanlage und gab seiner Sekretärin entsprechend Bescheid.»Und bringen Sie noch ein paar Stühle, seien Sie so gut.«

Das Büro füllte sich langsam mit sehr viel mehr Menschen, als ich erwartet hatte, aber ich kannte alle gut genug, um mit ihnen reden zu können. Die Spitze der Administration in voller Besetzung, etwa sechs Leute, durchweg ehrbare, welterfahrene Männer, die im eigentlichen Sinne den Rennsport lenkten. Chico, leicht nervös, besah sie sich wie Vertreter einer fremden Rasse und war sehr erleichtert, als man ihm einen Tisch beschaffte, auf dem er seinen Recorder abstellen konnte. Er zog sich hinter dieses Möbelstück zurück wie hinter einen Schutzwall. Ich angelte in meinem Jackett nach der Kassette und reichte sie ihm.

Lucas Wainwright kam herein, dicht gefolgt von Eddy Keith, der mich nur kalt ansah — der große, gutmütig-derbe Eddy, dessen freundschaftliche Gefühle für mich langsam dahinschwanden.

«Nun, Sid«, sagte Sir Thomas,»da wären wir also alle beisammen. Sie haben mir gestern am Telefon erklärt, daß Sie herausgefunden hätten, wie >Tri-Nitro< für die 2000

Guineas müde gemacht worden ist, und wie Sie sehen, sind wir… alle sehr interessiert. «Er lächelte.»Schießen Sie also los.«

Ich paßte mein Verhalten dem ihren an, war ruhig und leidenschaftslos, als ob ich mir der Drohungen Trevor Deansgates überhaupt nicht mehr bewußt wäre — obwohl sie mir doch dauernd quälend im Kopf herumgingen.

«Ich habe… äh… alles auf Band aufgenommen«, sagte ich.

«Sie werden da gleich zwei Stimmen hören, nämlich meine und die von Ken Armadale vom Equine Research Establishment, den ich gebeten habe, die veterinärmedizinischen Details zu erläutern, da das nicht mein Fach ist.«

Die wohlfrisierten Köpfe nickten. Nur Eddy Keith blickte starr vor sich hin. Ich warf Chico einen Blick zu, der daraufhin die Starttaste drückte — und meine körperlose Stimme tönte laut in die gebannte Stille hinein.

«Hier spricht Sid Halley, ich befinde mich im Equine Research Establishment, es ist Montag, der 14. Mai…«

Ich hörte mir die einfachen Sätze an, mit denen der Sachverhalt dargelegt wurde. Identische Symptome bei vier Pferden, die verlorenen Rennen, die Herzgeräusche. Meine Bitte, über Lucas Wainwright weitergeleitet, mich zu verständigen, wenn eines der drei noch lebenden Pferde eingehen sollte. Die Obduktion von >Gleaner<, wobei Ken Armadale meinen schlichten Bericht sehr viel ausführlicher wiederholte. Seine Stimme, die — wiederum nach mir — im einzelnen erklärte, wie Pferde mit einer Schweinekrankheit hatten infiziert werden können. Seine Stimme, die sagte:»Ich habe lebende, aktive Erreger in den Läsionen an >Gleaners< Herzklappen und auch in dem Blut, das >Zingaloo< abgenommen wurde, gefunden.«- und meine Stimme, die fortfuhr:»Ein mutierter Stamm des

Krankheitserregers wurde im Labor der Firma Tierson in Cambridge auf folgende Art und Weise produziert…«

Die Sache war nicht gerade leicht verständlich, weshalb ich die Gesichter der Zuhörer beobachtete. Ich konnte aber feststellen, daß sie begriffen hatten, worum es ging, vor allem, nachdem Ken Armadale alles noch einmal erläutert und meine Ausführungen bestätigt hatte.

«Was Motiv und Gelegenheit angeht«, sagte meine Stimme,»so kommen wir jetzt zu einem Mann namens Trevor Deansgate.«

Sir Thomas’ lauschend vorgebeugter Kopf fuhr hoch, und er starrte mich verständnislos an. Erinnerte sich ohne Zweifel daran, daß Trevor Deansgate in Chester in der Loge des Jockey Club sein Gast gewesen war. Erinnerte sich vielleicht auch daran, daß er mich und Trevor Deansgate dort zusammengebracht hatte.

Bei den anderen Zuhörern hatte der Name eine ähnliche Reaktion ausgelöst. Sie alle kannten ihn entweder persönlich oder wußten doch von ihm — von dieser aufstrebenden, einflußreichen Kraft unter den Buchmachern, von dem mächtigen Mann, der sich bis in die höchsten gesellschaftlichen Höhen hinaufgearbeitet hatte. Trevor Deansgate war ihnen ein Begriff, und ihre Gesichter verrieten, wie schockiert sie waren.

«Trevor Deansgates richtiger Name ist Trevor Shummuck«, sagte meine Stimme.»Und bei der Firma Tierson gibt es einen wissenschaftlichen Mitarbeiter namens Barry Shummuck, der sein Bruder ist. Beide Brüder, die sich sehr gut verstehen, sind mehrfach zusammen in den Labors von Tierson gesehen worden.«

O Gott, dachte ich. Meine Stimme sprach weiter, und ich hörte bruchstückhaft an mein Ohr dringen, was sie sagte. Ich hab’s getan, dachte ich, jetzt gibt es kein Zurück mehr.

«… Es handelt sich dabei um das Labor, in dem der mutierte Erregerstamm entstand… es ist unwahrscheinlich, daß es nach so langer Zeit noch irgendwo anders Teilmengen davon gibt… Trevor Deansgate besitzt ein Pferd, das von George Caspar trainiert wird. Trevor Deansgate hat ein gutes Verhältnis zu Caspar… sieht sich häufig die Morgenarbeit an und frühstückt bei ihm. Trevor Deansgate konnte ein Vermögen machen, wenn er im voraus wußte, daß die Favoriten des Guineas und des Derby nicht gewinnen würden. Trevor Deansgate hatte die Mittel in der Hand, um dafür zu sorgen: die Krankheitserreger; sein Motiv: Geld; und die Gelegenheit: Zugang zu Caspars streng bewachtem Stall. Es erscheint deshalb geboten, seine Aktivitäten genauer unter die Lupe zu nehmen.«

Meine Stimme verstummte, und nach ein oder zwei Minuten schaltete Chico den Recorder ab. Auch er sah ein bißchen benommen aus, als er die Kassette herausnahm und sie behutsam auf den Tisch legte.

«Das ist ja unglaublich«, sagte Sir Thomas schließlich, aber nicht so, als glaube er es tatsächlich nicht.»Was meinen Sie, Lucas?«

Lucas Wainwright räusperte sich.»Ich meine, wir sollten Sid zu seiner außerordentlich guten Arbeit gratulieren.«

Mit Ausnahme von Eddy Keith waren alle seiner Meinung und taten es, was mich sehr verlegen machte. Ich fand es sehr großzügig von Lucas, daß er das überhaupt gesagt hatte, denn schließlich hatte ja der Sicherheitsdienst selbst negative Dopingtests durchgeführt und es dabei bewenden lassen. Aber andererseits, ging mir dann durch den Kopf, hatte der Sicherheitsdienst auch keine Rosemary Caspar gehabt, die mit Perücke und voller Hysterie bei ihm erschienen war. Und sie hatten nicht den Vorteil gehabt, daß sich ihnen Trevor Deansgate selbst als

Schurke zu erkennen gab, ehe sie ihn überhaupt verdächtigten, und üble Dinge androhte, falls sie ihn nicht in Ruhe ließen.

Wie Chico ganz richtig bemerkt hatte, schreckten unsere Erfolge den Feind dermaßen auf, daß er uns schon fertigzumachen versuchte, bevor wir noch wußten, warum.

Eddy Keith saß sehr still da und beobachtete mich nur. Ich erwiderte seinen Blick, und das wahrscheinlich mit der gleichen trügerischen Ausdruckslosigkeit. Woran er dachte, konnte ich nicht erraten. Ich jedenfalls dachte an unseren Einbruch in sein Büro — und wenn er diesen Gedanken lesen konnte, dann war er Hellseher.

Sir Thomas und seine Verwaltungsfachleute, die sich untereinander beraten hatten, hoben die Köpfe und hörten zu, als Lucas Wainwright eine Frage an mich richtete.

«Glauben Sie wirklich, Sid, daß es Deansgate selber war, der den Pferden die Injektion verabreicht hat?«Er schien es für unwahrscheinlich zu halten.»Er konnte ja wohl nicht gut in der Nähe der Pferde mit einer Spritze herumhantieren… und das gleich viermal.«

«Ich dachte zunächst auch«, antwortete ich,»daß es ein anderer gewesen sein könnte… etwa einer der Arbeitsjok-keys oder sogar ein Tierarzt. «Inky Poole und Brothersmith, dachte ich, würden mich wegen Verleumdung drankriegen, wenn sie das hätten hören können.»Aber es gibt eine Methode, mit der es so gut wie jeder fertigbrächte.«

Ich suchte erneut in den Taschen meines Jacketts und zog die Einwegpackung mit der an einer erbsengroßen Blase sitzenden Injektionsnadel hervor. Ich gab sie Sir Thomas, der sie öffnete und den Inhalt auf seinen Schreibtisch kippte.

Alle sahen hin. Verstanden sofort. Waren überzeugt.

«Es ist wahrscheinlicher, daß er es selbst erledigt hat«, sagte ich,»denn es wäre ihm sicher zu riskant gewesen, einen Mitwisser zu haben, der ihn dann in der Hand hätte.«

«Ich finde es verblüffend«, sagte Sir Thomas mit offensichtlicher Aufrichtigkeit,»wie Sie diese Dinge immer alle herausbekommen, Sid.«

«Aber ich.«

«Ja, ja«, sagte er lächelnd.»Wir alle wissen schon, was Sie sagen wollen. Im Herzen sind Sie immer noch Jok-key.«

Es trat ein Schweigen ein, das sehr lange zu dauern schien. Dann sagte ich:»Sie irren sich, Sir. Das da«- ich zeigte auf die Kassette —»das ist es, was ich jetzt bin. Und von nun an sein werde.«

Sein Gesichtsausdruck ernüchterte sich, er runzelte die Stirn, und es sah ganz so aus, als überprüfe er die Meinung, die er sich von mir gebildet hatte — wie es in letzter Zeit viele andere auch getan hatten. Er und auch Rosemary mochten in mir ja immer noch den Jockey sehen, ich aber tat das nun nicht mehr. Als er wieder das Wort ergriff, war seine Stimme eine Oktave tiefer und klang nachdenklich.

«Wir haben Sie unterschätzt. «Er machte eine Pause und fuhr dann fort:»Ich habe durchaus gemeint, was ich in Chester gesagt habe, nämlich daß Sie im Rennsport eine sehr positive Rolle spielen, aber ich muß auch zugeben, daß ich es mit Blick auf den Detektiv nicht ganz so ernst gemeint habe. «Er schüttelte langsam den Kopf.»Es tut mir leid.«

Lucas Wainwright sagte energisch:»Es ist uns allen inzwischen sehr viel deutlicher geworden, was für eine Rolle Sid übernommen hat. «Er war des Themas müde und wartete wie stets darauf, sich der nächsten Aufgabe zuwenden zu können.

«Haben Sie schon irgendwelche Vorstellungen, Sid, was Sie als nächstes unternehmen werden?«

«Mit den Caspars sprechen«, sagte ich.»Ich dachte mir, ich fahre morgen mal zu ihnen rauf.«

«Gute Idee«, meinte Lucas.»Hätten Sie was dagegen, wenn ich mitkäme? Die Geschichte ist jetzt natürlich Sache des Sicherheitsdienstes.«

«Und zu gegebener Zeit Sache der Polizei«, sagte Sir Thomas leicht bedrückt. Er betrachtete jede gerichtliche Verfolgung von Straftaten im Rennsport als Schande für die gesamte Industrie und neigte dazu, Leuten einiges durchgehen zu lassen, wenn ihre Verfolgung zu einem rufschädigenden Skandal führen konnte. Im großen und ganzen teilte ich diese Auffassung und hielt es genauso — allerdings nur, wenn die Angelegenheit unter der Hand so zu regeln war, daß es keine Wiederholung geben würde.

«Wenn Sie mitkommen, Commander«, sagte ich zu Lucas Wainwright,»darf ich Sie vielleicht bitten, einen Termin mit den Caspars auszumachen. Könnte sein, daß sie nach York fahren wollen. Ich wollte einfach relativ früh in Newmarket sein und dann auf gut Glück bei ihnen vorbeischauen, aber das ist Ihnen sicher nicht so lieb.«

«Ganz und gar nicht«, sagte er knapp.»Ich rufe sofort mal bei ihnen an.«

Er eilte in sein Arbeitszimmer, und ich steckte die Kassette in die Plastikhülle zurück und übergab sie Sir Thomas.

«Ich habe alles auf Band aufgenommen, weil die Geschichte doch ziemlich kompliziert ist und Sie es sich vielleicht gern noch mal anhören möchten.«

«Da haben Sie sehr recht daran getan, Sid«, sagte einer der Verwaltungsleute kläglich.»Diese ganze Geschichte mit den Tauben da.«

Lucas Wainwright kam wieder zurück.»Die Caspars sind in York, haben aber ein Luft-Taxi genommen und kommen heute abend zurück. George Caspar möchte sich morgen früh seine Pferde noch bei der Arbeit ansehen, bevor er wieder nach York fliegt. Ich habe seinem Sekretär gesagt, daß es sehr wichtig ist und ich Caspar unbedingt sprechen muß, und wir haben ein Treffen für elf Uhr vereinbart. Ist Ihnen das recht, Sid?«

«Ja, sehr.«

«Holen Sie mich hier ab? Sagen wir, neun Uhr?«

Ich nickte.»Okay.«

«Ich bin in meinem Büro und sehe die Post durch.«

Eddy Keith warf mir einen letzten, ausdruckslosen Blick zu und entfernte sich, ohne ein Wort gesagt zu haben.

Sir Thomas und die anderen Herren schüttelten mir und auch Chico die Hand, und als wir im Lift nach unten fuhren, meinte er:»Beim nächsten Mal küssen sie dich auch noch.«

«Das bleibt nicht so.«

Wir gingen zusammen zu der Stelle, wo ich mein Auto abgestellt hatte, aber nicht hätte abstellen dürfen. Ein Strafzettel steckte unter dem Scheibenwischer. Immer dasselbe.

«Fährst du zur Wohnung zurück?«fragte Chico und faltete sich in den Beifahrersitz.

«Nein.«

«Du denkst, die Jungs mit den Stiefeln sind noch immer.«

«Trevor Deansgate«, sagte ich.

Chicos Gesicht nahm einen halb spöttischen, halb verständnisvollen Ausdruck an.

«Angst, daß er dich jetzt zu Hackfleisch macht?«

«Er hat’s inzwischen sicher erfahren… von seinem Bruder«, sagte ich — und die mich beharrlich begleitende Angst durchfuhr mich so stark, daß ich erschauerte.

«Ja, schon möglich. «Ihn bekümmerte das nicht weiter.»Hör mal, ich habe dir diesen Bettelbrief mitgebracht…«Er langte in seine Hosentasche und zog ein vielfach gefaltetes und leicht angeschmuddeltes Stück Papier hervor. Ich beäugte es angewidert, las es dann durch. Haargenau das gleiche Schreiben, das Jenny verschickt hatte, nur diesmal mit einem schwungvollen» Elizabeth More «unterzeichnet und mit der Cliftoner Anschrift im Briefkopf.

«Ist dir eigentlich klar, daß dieser schmierige Fetzen Papier vielleicht als Beweisstück vorgelegt werden muß?«

«Hab’s halt in die Tasche stecken müssen«, sagte er, sich verteidigend.

«Was hast du denn sonst noch da drin? Komposterde?«

Er nahm mir den Brief aus der Hand, legte ihn ins Handschuhfach und kurbelte das Fenster runter.

«Heiß, was?«

«Hm.«

Ich drehte die Scheibe auf meiner Seite ebenfalls herunter, ließ den Motor an und fuhr ihn zu seiner Wohnung in der Finchley Road.

«Ich übernachte wieder in dem Hotel«, sagte ich.»Und, hör mal… begleite mich doch bitte morgen nach Newmarket.«

«Klar, wenn du willst. Aber wozu?«

Ich zuckte die Achseln und sagte möglichst unbeschwert:»Als Leibwächter.«

Er war überrascht, sagte verblüfft:»Du hast doch wohl

nicht wirklich Angst vor ihm… vor diesem Deansgate. oder?«

Ich rutschte ein bißchen im Sitz hin und her und seufzte.»Ich fürchte doch.«

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