Kapitel 18

Ich lag mit dem Gesicht in den Sägespänen und hörte, wie sie keuchend über mir standen — beide atmeten schwer nach der Anstrengung.

Peter Rammileese war offensichtlich zu ihnen getreten, denn ich hörte seine Stimme ganz nah, voll von Gehässigkeit und undeutlich murmelnd.

«Macht ihn kalt«, sagte er.»Hört jetzt nicht auf, sondern macht ihn kalt.«

«Den kalt machen?«sagte der Mann, der Chicos Bewacher gewesen war.»Sie spinnen wohl!«Er hustete, sog schnaufend Luft ein.»Das Bürschchen.«

«. hat mir den Kiefer gebrochen.«

«Dann machen Sie ihn doch selber kalt. Wir tun’s jedenfalls nicht.«

«Und wieso nicht? Er hat Ihnen das halbe Ohr abgesäbelt.«

«Jetzt kommen Sie mal zu sich, Mann. «Er hustete wieder.»Wir hätten doch innerhalb von fünf Minuten die Bullen am Hals. Wir sind schon viel zu lange hier unten. Uns haben zu viele Leute gesehen. Und das Bürschchen hier hat für jeden Wetter in Schottland Geld gewonnen. Wir säßen in weniger als einer Woche im Bau.«

«Ich will, daß ihr ihn kaltmacht«, sagte Peter Rammi-leese hartnäckig.

«Sie zahlen doch gar nicht«, sagte der Schotte ruhig, noch immer schwer atmend.»Wir haben unseren Auftrag

ausgeführt, und damit hat sich’s. Wir gehen jetzt zu Ihnen rein, trinken ein Bierchen, und wenn’s dunkel ist, laden wir die beiden wie besprochen irgendwo ab. Und dann ist Sense. Wir fahren noch heute nacht zurück in den Norden, wir sind nämlich schon viel zu lange hier unten.«

Sie gingen weg, schoben die Tür auf und traten hinaus auf den Hof Ich hörte das knirschende Geräusch der Kieselsteine unter ihren Füßen, hörte, wie die Tür sich wieder schloß und dann mit metallischem Scharren der Riegel an der Außenseite zugeschoben wurde, der verhindern sollte, daß Pferde hinausgelangten, und wohl auch für Menschen ausreichte.

Ich bewegte den Kopf ein wenig, um meine Nase aus den Sägespänen herauszubekommen, sah nur deren Farbe, da sie viel zu dicht vor meinen Augen waren, um sie im einzelnen erkennen zu können, blieb einfach liegen, wo ich lag, und fühlte mich formlos, wie zu Brei zerquetscht, dumm und geschlagen. Gelee. Lebendes Gelee. Rot. Brennend. Wie in einem Schmelzofen verglühend.

Es wurde wirklich ein Haufen romantischer Schwachsinn geschrieben, dachte ich, von wegen daß man vor Schmerzen ohnmächtig würde. Das wurde man keineswegs, weil die Natur das gar nicht vorgesehen hatte, der Mechanismus dazu fehlte. Die sensorischen Nerven hatten keine pannensichere Ab schaltvorrichtung, sondern übermittelten so lange Botschaften, wie es Botschaften zu übermitteln gab. Es hatte sich über die Jahrtausende kein anderes System entwickelt, weil es nicht erforderlich gewesen war. Nur der Mensch, dieses wildeste aller Tiere, fügte seinem Artgenossen Schmerzen um der Schmerzen willen zu.

Ich dachte: Ich habe das schon mal kurz geschafft, nach viel zu langer Zeit. Ich dachte: Dies hier ist nicht so schlimm wie damals, also werd ich wach bleiben, also denke ich mir besser etwas aus, worüber ich nachdenken kann. Wenn man schon nicht verhindern konnte, daß die Botschaft weitergeleitet wurde, so konnte man doch immerhin die Rezeptoren ablenken und dafür sorgen, daß sie ihr keine große Beachtung schenkten — wie bei der Akupunktur. Und ich hatte im Laufe der Jahre auf diesem Gebiet eine Menge Übung gehabt.

Ich dachte an eine Nacht, die ich in einem Zimmer verbracht hatte, von dem aus man die Krankenhausuhr sehen konnte. Um mich von meinem ziemlich fürchterlichen Zustand abzulenken, hatte ich die Minuten gezählt. Das heißt, wenn ich die Augen schloß und fünf Minuten zählte, dann sollten, wenn ich sie wieder aufmachte, eigentlich fünf vergangen sein. Aber jedesmal, wenn ich die Augen öffnete, um nachzusehen, waren erst vier herum. Das war eine sehr lange Nacht gewesen. Heute wußte ich Besseres zutun.

Ich dachte an John Viking in seinem Ballon und stellte mir vor, wie er über den Himmel dahinfuhr, die blauen Augen strahlend vor Freude darüber, daß er gerade wieder gegen irgendwelche Sicherheitsbestimmungen verstoßen hatte. Ich dachte an >Flotilla< und meinen morgendlichen Ritt in Newmarket und an seinen Sieg in den Dante Stakes in York. Ich dachte an Rennen, die ich geritten und die ich gewonnen oder verloren hatte. Und ich dachte an Louise, ziemlich viel an Louise und an Himmelbetten.

Hinterher schätzte ich, daß Chico und ich über eine Stunde lang bewegungslos dort gelegen waren, obwohl ich in dieser Phase kein klares Zeitgefühl hatte. Der erste, wahrnehmbare Einbruch der unerfreulichen Gegenwart in mein Bewußtsein war das Geräusch des scharrend zurückgezogenen, an der Außenseite der Tür befindlichen Riegels. Dann wurde die Tür knirschend ein Stück aufgeschoben. Sie wollten uns, hatten sie gesagt, nach Einbruch der Dunkelheit irgendwo abladen — aber es war noch gar nicht dunkel.

Auf dem weichen Untergrund waren keine Schritte zu hören, weshalb das nächste, was ich vernahm, eine Stimme war.

«Schlafen Sie?«

«Nein«, sagte ich.

Ich drehte den Kopf ein wenig und sah den kleinen Mark, der im Schlafanzug neben mir kauerte und mich mit der ganzen Besorgtheit eines sechsjährigen Jungen anschaute. Hinter ihm stand die Tür gerade so weit offen, daß er seinen schmächtigen Körper hatte hindurchzwängen können. Auf der anderen Seite der Tür, draußen auf dem Hof, stand der Landrover.

«Sieh doch mal nach, ob mein Freund da wach ist«, sagte ich.

«Okay.«

Er richtete sich auf und ging zu Chico hinüber, und ich hatte mich, als er mit seinem Lagebericht zurückkam, aus meiner liegenden in eine kniende Stellung hochgearbeitet.

«Er schläft«, sagte er und sah mich ängstlich an.»Ihr Gesicht ist ja ganz naß. Ist Ihnen heiß?«

«Weiß dein Vater, daß du hier bist?«fragte ich.

«Nein, tut er nicht. Ich mußte früh ins Bett, aber ich hab eine Menge Gezanke gehört. Ich glaub, ich hab mich gefürchtet.«

«Wo ist dein Papa jetzt?«erkundigte ich mich.

«Im Wohnzimmer. Mit so Freunden von ihm. Er hat sich im Gesicht weh getan und ist stinkwütend.«

Ich brachte so etwas wie ein Lächeln zustande.»Sonst noch was?«»Mama hat ihn gefragt, was er denn erwartet hätte, und sie haben dann alle was getrunken. «Er überlegte ein Weilchen.

«Einer von den Freunden hat gesagt, sein Trommelfell ist geplatzt.«

«Wenn ich du wäre«, sagte ich,»dann würde ich ganz schnell wieder in mein Bett gehen, damit sie dich nicht hier erwischen. Sonst kriegt dein Papa vielleicht auch auf dich ’ne Stinkwut, und das wäre sicher nicht lustig, könnte ich mir vorstellen.«

Er schüttelte den Kopf.

«Also dann… Gute Nacht«, sagte ich.

«Gute Nacht.«

«Und laß die Tür offen«, sagte ich noch.»Ich mach sie dann zu.«

«Ist gut.«

Er bedachte mich mit einem vertrauensvollen, ein bißchen verschwörerischen Lächeln und drückte sich durch die Tür hinaus, um sich zurück in sein Bett zu schleichen.

Ich kam auf die Beine, wankte ein wenig umher, erreichte dann aber doch die Tür.

Der Landrover stand ungefähr drei Meter entfernt. Wenn der Schlüssel steckte, dachte ich, warum dann erst darauf warten, daß die uns irgendwo abluden? Zehn Schritte. Ich lehnte mich gegen die grau-grüne Karosserie und schaute durch die Seitenscheibe.

Schlüssel. Im Zündschloß.

Ich ging in die Reithalle und zu Chico zurück, kniete mich neben ihn, weil das wesentlich weniger anstrengend war, als sich zu ihm hinabzubeugen, und sagte:»Los, wach auf! Zeit zu gehen.«

Er stöhnte.

«Chico, du mußt gehen. Ich kann dich nicht tragen.«

Er öffnete die Augen. Noch immer ziemlich durcheinander, dachte ich, aber doch schon sehr viel besser.

«Steh auf«, drängte ich.»Wir können hier abhauen, du mußt es nur versuchen.«

«Sid…«

«Ja«, sagte ich.»Los, komm.«

«Laß mich, ich kann nicht.«

«Und wie du kannst, verdammt noch mal. Du brauchst bloß zu sagen >Hol der Geier diese Schweine<, und schon geht’s ganz leicht.«

Es ging schwerer, als ich gedacht hatte, aber dann schaffte ich es doch, ihn halb hochzukriegen und ihm den Arm um die Taille zu legen. So schwankten wir auf einem Zickzackkurs zur Tür wie ein besoffenes Liebespaar.

Dann durch die Tür und zum Landrover. Kein wütender, unsere Entdeckung signalisierender Schrei vom Haus her

— und da das Wohnzimmer auf der anderen Seite des Gebäudes lag, würden sie, wenn wir Glück hatten, nicht mal das Anlassen des Motors hören.

Ich schob und stieß Chico auf den Beifahrersitz, schloß die Wagentür neben ihm möglichst leise und ging dann um das Auto herum zur Fahrerseite.

Der Landrover, dachte ich mißmutig, war was für Linkshänder — alle Bedienungselemente mit Ausnahme des Blinkerhebels befanden sich auf dieser Seite. Und ob es nun daran lag, daß ich noch zu schwach oder die Batterie leer oder der Mechanismus der Hand beschädigt worden war, weil ich sie als Schlagstock benutzt hatte — die Finger meiner linken Hand ließen sich kaum noch bewegen. Ich fluchte vor mich hin und machte alles mit der Rechten, was ziemliche Verrenkungen erforderte und sehr weh getan hätte, wenn ich es nicht so eilig gehabt hätte.

Ich ließ den Motor an. Löste die Handbremse. Legte den ersten Gang ein. Erledigte dankbar alles übrige mit den Füßen und fuhr los. Nicht gerade ein sanftes Anfahren, aber immerhin. Der Landrover rollte zum Tor, und wir fuhren hinaus. Ganz instinktiv bog ich in die Richtung ab, die von London weg führte, weil eine innere Stimme mir sagte, daß sie uns, wenn sie unser Verschwinden bemerkten und sich an die Verfolgung machten, wohl eher auf dem Weg in die Stadt vermuten würden.

Die» Hol der Geier diese Schweine«-Haltung hielt sich zwei, drei Meilen und ein paar knifflige, einhändige Gangwechsel lang, erlitt jedoch einen ernsten Rückschlag, als ich auf die Tankanzeige blickte und feststellen mußte, daß der Zeiger schon fast bei Null stand.

Die Frage, wohin wir denn nun fahren sollten, mußte also geklärt werden, und zwar sofort. Aber bevor ich mich entschieden hatte, kamen wir um eine Kurve und hatten eine Tankstelle vor uns, die noch geöffnet war. Meinen Augen kaum trauend, bog ich in die Einfahrt und brachte unser Gefährt ruckend vor einer der Zapfsäulen zum Stehen.

Geld in der rechten Hosentasche, zusammen mit meinen Autoschlüsseln und einem Taschentuch. Ich zog alles hervor und bündelte die zerknitterten Geldscheine. Öffnete das Seitenfenster, gab sie dem Tankwart, der herangetreten war, und sagte, daß ich dafür Benzin haben wolle.

Der Tankwart war sehr jung, noch im Schulalter, und sah mich neugierig an.

«Alles in Ordnung?«fragte er.

«Es ist sehr heiß«, sagte ich und wischte mir mit dem Taschentuch das Gesicht ab. Ein paar Sägespäne fielen mir aus den Haaren. Ich mußte wohl wirklich ein bißchen seltsam aussehen.

Der Junge nickte jedoch nur und steckte die Zapfpistole in den Einfüllstutzen des Landrovers, der sich direkt hinter der Fahrertür befand. Er sah an mir vorbei zu Chico hinüber, der mehr lag als saß, die Augen jetzt offen.

«Was fehlt denn dem?«

«Betrunken«, sagte ich.

Der Junge sah mich an, als dächte er, daß wir das wohl beide seien, aber er sagte nichts mehr, schraubte, als er mit Benzineinfüllen fertig war, die Kappe auf den Einfüllstutzen und wandte sich dem nächsten Kunden zu. Ich absolvierte einmal mehr meinen etwas mühsamen Rechtshänderstart und fuhr wieder auf die Straße hinaus. Nach etwa einer Meile bog ich in eine Nebenstraße ab, brachte ein paar Kurven hinter mich und hielt an.

«Was ist?«fragte Chico.

Ich sah ihm in die noch immer benommen blickenden Augen. Muß entscheiden, wohin wir fahren sollen, dachte ich. Ich mußte es für Chico entscheiden, denn was mich anbetraf, wußte ich es schon. Ich hatte mich entschieden, nachdem ich festgestellt hatte, daß ich den Landrover bewegen konnte, ohne dauernd irgendwas um- oder anzufahren, als sich bei der Tankstelle, die dankenswerterweise aufgetaucht war, ergeben hatte, daß ich genug Geld für Benzin dabei hatte, und als ich den Jungen nicht gebeten hatte, Hilfe in Gestalt von Polizisten und Ärzten herbeizuholen.

Krankenhäuser und Bürokratie und Fragen und Herumgeschubstwerden — das alles waren Dinge, die mir überaus verhaßt waren. Ich würde mich dem nicht aussetzen, wenn es nicht um Chicos willen sein mußte.

«Wo waren wir heute?«fragte ich ihn.

Nach einer Weile antwortete er:»Newmarket.«:

«Wieviel ist zwei mal acht?«

Schweigen. Dann:»Sechzehn.«

Ich saß da, empfand so etwas wie matte Dankbarkeit angesichts seines langsam wieder arbeitenden Verstandes und sammelte Kräfte. Der Schwung, der mich in den Landrover und bis zu dieser Stelle befördert hatte, war dahin und hatte ein Vakuum hinterlassen, in das Feuer und Kraftlosigkeit zurückgeströmt waren. Ich würde, dachte ich, weitermachen können, wenn ich mir nur ein bißchen Zeit ließ. Stehvermögen und Energie waren Schwankungen unterworfen, und was man im einen Augenblick nicht schaffte, schaffte man im nächsten.

«Ich brenne«, sagte Chico.

«Mm.«

«Das war zuviel.«

Ich sagte nichts. Er bewegte sich, versuchte, sich in seinem Sitz aufzurichten, und ich sah an seinem Gesicht, daß ganz plötzlich die Erinnerung an das Geschehene wieder da war. Er schloß die Augen und sagte:»Mein Gott!«-und nach einer Weile sah er mich mit zusammengekniffenen Augen an und fragte:»Du auch?«

«Mm.«

Der lange, heiße Tag versank langsam in der Abenddämmerung. Wenn ich mich nicht aufraffte, dachte ich, würde ich nirgendwo mehr hinkommen.

Die Hauptschwierigkeit war nach wie vor, daß es sehr riskant, wenn nicht sogar höchst gefährlich war, einen Landrover mit nur einer Hand zu fahren, denn ich mußte bei jedem Gangwechsel das Steuerrad loslassen und mit der rechten Hand nach links greifen, um den Ganghebel zu betätigen. Dieses Problem ließ sich nur lösen, wenn es mir gelang, wenigstens einmal noch den oben am Schalthebel sitzenden Knopf mit den Fingern der linken Hand fest zu umfassen, denn dann konnte ich den Strom abschalten, und die Hand würde dort liegenbleiben, bis sie neue Instruktionen erhielt.

Ich versuchte es — und mit Erfolg. Dann ließ ich den Motor an und schaltete das Abblendlicht ein. Wenn ich bloß etwas Trinkbares hätte, dachte ich, und startete zu der langen Heimreise.

«Wohin fahren wir?«erkundigte sich Chico.

«Zum Admiral.«

Ich wählte die südliche Route über Sevenoakes, Kingston und Colnbrook, dann ein Stück über die M4 bis zum Autobahnkreuz Maidenhead und weiter auf der M40 bis nördlich von Marlow und auf der Ringstraße im Norden um Oxford herum. Und dann die letzte Etappe bis Aynsford.

Landrover werden nicht um des Fahrkomforts willen gebaut und schütteln folglich ihre Insassen gehörig durch. Chico stöhnte immer wieder auf, fluchte und schwor, sich nie wieder in so einen Schlamassel hineinziehen zu lassen. Schwäche und Übelkeit zwangen mich zweimal anzuhalten, aber es war nicht viel Verkehr, und so erreichten wir das Haus von Charles schon nach dreieinhalb Stunden — unter den gegebenen Umständen keine schlechte Zeit.

Ich schaltete den Motor ab und meine linke Hand an, konnte aber meine Finger trotzdem nicht bewegen. Das fehlte gerade noch, dachte ich verzweifelt, wäre die letzte, diesen Scheißabend krönende Demütigung, wenn ich mich von meiner Hand losfummeln, den elektrischen Teil von mir am Schalthebel hängen lassen müßte. Warum, warum nur konnte ich nicht zwei Hände haben wie jeder andere Mensch auch?

«Streng dich nicht so an«, sagte Chico,»dann schaffst du’s spielend.«

Ich gab ein Husten von mir, das halb Lachen und halb Schluchzen war, und da öffneten sich die Finger ein klein wenig, und die Hand fiel vom Ganghebel herab.

«Sag ich doch«, murmelte Chico.

Ich legte den rechten Arm auf das Steuer und ließ den Kopf darauf sinken. Ich fühlte mich völlig erschöpft und deprimiert und.. - bestraft. Und irgend jemand mußte sich doch irgendwie dazu aufraffen, ins Haus zu gehen und Charles Bescheid zu sagen, daß wir da waren.

Dieses Problem löste sich dadurch, daß er im Morgenmantel zu uns herauskam, angestrahlt von dem Licht, das aus seiner offenen Haustür strömte. Ich bemerkte ihn aber erst, als er neben dem Landrover stand und durch die Scheibe hereinblickte.

«Sid?«fragte er ungläubig.»Bist du das?«

Ich zwang mich, den Kopf zu heben, die Augen zu öffnen und zu sagen:»Ja.«

«Es ist nach Mitternacht«, sagte er.

Es gelang mir, wenigstens in meine Stimme ein Lächeln zu bringen.»Du hast doch gesagt, ich könnte jederzeit herkommen.«

Eine Stunde später lag Chico oben im Bett, und ich saß ausgestreckt auf dem Goldsofa, barfuß, die Füße hochgelegt, wie so oft.

Charles kam ins Wohnzimmer und berichtete, daß der Arzt mit Chico fertig sei und auf mich warte, aber ich sagte, er solle ihm danken und ihn nach Hause schicken.

«Er gibt dir auch etwas zum Einschlafen, wie Chico.«

«Ja, und genau das ist’s, was ich nicht möchte. Und ich hoffe, daß er sich angesichts von Chicos Gehirnerschütterung mit seinen Medikamenten zurückgehalten hat.«

«Das hast du ihm selbst doch schon sechsmal gesagt, als er kam. «Er machte eine Pause.»Er wartet auf dich.«

«Es ist mir ernst, Charles«, sagte ich.»Ich möchte nachdenken. Ich möchte einfach nur hier sitzen und nachdenken, also sag dem Doktor bitte gute Nacht und geh ins Bett.«

«Nein«, sagte er,»das geht doch nicht.«

«Und ob das geht. Es muß gehen, solange ich mich noch.«

Ich schwieg. Solange ich mich noch so gerupft fühle, dachte ich — aber das konnte man nicht laut sagen.

«Das ist aber ganz und gar nicht vernünftig.«

«Nein. Aber die ganze Geschichte ist nicht vernünftig. Das ist ja der springende Punkt. Deshalb geh bitte und laß mich darüber nachdenken.«

Mir war früher schon aufgefallen, daß man manchmal, wenn man eine Verletzung erlitten hatte, sehr klar denken konnte und der Verstand mit großer Schärfe arbeitete. Diese Zeit durfte man nicht ungenutzt verstreichen lassen, soweit einem daran gelegen war.

«Hast du Chicos Haut gesehen?«bohrte er.

«Oft«, sagte ich schnippisch.

«Ist deine auch in diesem Zustand?«

«Ich hab noch nicht nachgeschaut.«

«Du kannst einen wirklich zur Weißglut treiben.«

«Ja, ja«, sagte ich.»Geh ins Bett.«

Als er gegangen war, saß ich da und erinnerte mich bewußt und lebhaft an die entsetzlichen physischen und psy-chischen Schmerzen, die zu verdrängen ich mich bis zu diesem Augenblick so angestrengt hatte.

Es war zuviel gewesen, wie Chico gesagt hatte.

Zuviel. Warum?

Charles kam um sechs wieder herunter, im Morgenmantel und mit seinem unbewegtesten Gesichtsausdruck.

«Du bist ja immer noch hier«, sagte er.

«Ja.«

«Kaffee?«

«Tee«, sagte ich.

Er ging, machte welchen und kam mit zwei großen, dampfenden Bechern wieder. Er stellte meinen auf ein Tischchen neben dem Sofa und ließ sich dann in seinem Sessel nieder. Die leer blickenden Augen waren nun fest auf mich gerichtet.

«Und?«sagte er.

Ich rieb mir die Stirn.»Wenn du mich ansiehst«, sagte ich zögernd,»ich meine, normalerweise, nicht jetzt. Wenn du mich also anschaust, was siehst du dann?«

«Das weißt du doch.«

«Siehst du dann ein Bündel von Ängsten und Selbstzweifeln, Gefühlen von Scham und Nutzlosigkeit und Unzulänglichkeit?«

«Natürlich nicht. «Er schien die Frage eher amüsant zu finden, nippte an seinem kochendheißen Tee und sagte, nun wieder ernst:»Solche Gefühle zeigst du nie.«

«Niemand tut das«, sagte ich.»Jeder hat seine Außen-und seine Innenseite, und die beiden können sehr verschieden voneinander sein.«

«Ist das eine eher allgemeine Beobachtung?«

«Nein. «Ich nahm den Becher auf und blies über die dampfende Oberfläche des Tees.»Ich bin für mich selbst ein einziger Wust von Unsicherheit und Angst und Dummheit. Für andere dagegen… tja, was Chico und mir gestern abend passiert ist, liegt an dem Bild, das andere von uns haben. «Ich nahm vorsichtig einen Schluck. Wie immer, wenn Charles Tee machte, war er so stark, daß der Löffel drin stand. Ich trank ihn sehr gern so, jedenfalls manchmal. Ich fuhr fort:»Wir haben seit dem Beginn unserer Tätigkeit als Ermittler ziemlich großes Glück gehabt. Anders gesagt, die Jobs waren relativ leicht zu erledigen, was uns den Ruf eingetragen hat, erfolgreich zu sein — und dann ist unser Ruf langsam größer geworden, als durch die Realität gerechtfertigt ist.«

«Die natürlich«, bemerkte Charles trocken,»so aussieht, daß ihr ein paar schwachköpfige Tagediebe seid.«

«Du weißt schon, wie ich es meine.«

«Ja, gewiß. Thomas Ullaston hat mich gestern morgen angerufen. Sagte, es sei wegen des Einsatzes der Stewards in Epsom, aber ich hatte den Eindruck, daß er mir vor allem sagen wollte, was er so über dich denkt. Er meinte, ganz grob zusammengefaßt, daß es schade wäre, wenn du heute noch Jockey wärst.«

«Nein, das wäre einfach großartig«, seufzte ich.

«Da ist nun also gestern jemand über dich und Chico hergefallen, um euch an einem neuerlichen Erfolg zu hindern?«

«Nicht ganz.«

Ich berichtete ihm, zu welchem Ergebnis mich meine Überlegungen der vergangenen Nacht geführt hatten, und sein Tee wurde kalt.

Als ich geendet hatte, saß er eine Weile schweigend da und sah mich mit seiner undurchdringlichsten Miene an.

Dann sagte er:»Das klingt alles ganz danach, als sei der gestrige Abend… entsetzlich gewesen.«

«Nun ja, das war er wohl.«

Wieder Schweigen. Dann:»Und was nun?«

«Ich hab mich gefragt«, sagte ich zaghaft,»ob du heute vielleicht ein, zwei Dinge für mich erledigen könntest, weil ich… äh.«

«Natürlich kann ich das«, sagte er.»Worum geht’s?«

«Heute ist Donnerstag, dein London-Tag. Würde es dir etwas ausmachen, mit dem Landrover statt mit dem Rolls runterzufahren und ihn gegen mein Auto auszutauschen?«

«Wenn du willst«, sagte er und sah mich nicht gerade entzückt an.

«Das Ladegerät liegt da drin, in meiner Reisetasche.«

«Selbstverständlich, wird gemacht.«

«Und könntest du vorher in Oxford noch ein paar Fotos abholen? Auf denen ist Nicholas Ashe drauf.«

«Sid!«

Ich nickte.»Wir haben ihn gefunden. In meinem Wagen liegt auch ein Brief mit seiner neuen Adresse. Ein Bettelbrief, wie gehabt.«

Er schüttelte angesichts der Dummheit von Nicholas Ashe den Kopf.»Noch weitere Aufträge?«

«Ja, tut mir leid, noch zwei. Der eine für London, aber der ist einfach. Der andere dagegen… könntest du auch nach Tunbridge Wells fahren?«

Als ich ihm erklärt hatte, worum es ging, willigte er ein, obwohl es bedeutete, daß er seine Teilnahme an der Vorstandssitzung, die für diesen Nachmittag anberaumt war, absagen mußte.

«Ach ja, und würdest du mir bitte deine Kamera leihen, weil meine auch im Auto liegt… und ein frisches Hemd?«»In dieser Reihenfolge?«

«Ja, bitte.«

Obwohl ich mir wünschte, daß ich mich noch ein paar Jahrtausende lang nicht zu bewegen brauchte, rappelte ich mich wenig später vom Sofa auf und ging mit dem Fotoapparat von Charles nach oben, um Chico einen Besuch abzustatten.

Er lag auf der Seite und starrte mit ebenso trübem wie leerem Blick in den Raum, stand noch unter der nur langsam nachlassenden Wirkung des Schlafmittels. Immerhin war er präsent genug, um matt zu protestieren, als ich ihm eröffnete, daß ich ihn gern fotografieren würde.

«Verpiß dich.«

«Denk an Bardamen.«

Ich zog die Decke und das Bettuch fort, mit denen er zugedeckt war, und machte Aufnahmen von seinen sichtbaren Verletzungen, vorn und auf dem Rücken — die unsichtbaren ließen sich nicht dokumentieren. Dann deckte ich ihn wieder zu.

«Tut mir leid«, sagte ich.

Er antwortete nicht, und ich fragte mich, ob meine Entschuldigung eigentlich der Tatsache gegolten hatte, daß ich ihn gestört, oder eher der, daß ich ihn mit so schlimmen Folgen in mein Leben hineingezogen hatte. Wir würden bei dieser Syndikatsgeschichte eins draufkriegen, hatte er gesagt, und er hatte recht gehabt.

Ich verließ sein Zimmer und gab Charles seine Kamera zurück.»Bitte sie, uns bis morgen früh Vergrößerungen anzufertigen«, sagte ich.»Sag ihnen, daß sie für polizeiliche Ermittlungen gebraucht würden.«

«Aber du hast doch gesagt, die Polizei sollte nicht…«:, warf Charles ein.

«Ja, stimmt. Aber wenn die hören, daß die Bilder für die Polizei sind, dann kommen sie nicht auf die Idee, selber hinzugehen, wenn sie sehen, was sie da vergrößern.«

«Ich nehme an, dir ist noch nie in den Sinn gekommen«, sagte Charles und reichte mir ein frisches Hemd,»daß deine Ansichten über dich falsch und die von Thomas Ul-laston zutreffend sein könnten?«

Ich rief Louise an und sagte ihr, daß ich es doch nicht schaffen würde, mich an diesem Tag mit ihr zu treffen. Es sei etwas dazwischen gekommen, entschuldigte ich mich unter Rückgriff auf diese schon klassische Ausflucht, und sie antwortete mir mit der Desillusioniertheit, die das verdiente.

«Na ja, ist ja auch egal.«

«Mir ist es aber nicht egal«, sagte ich.»Wie wär's also heute in einer Woche? Und was hast du in den Tagen danach vor?«

«Tagen?«

«Und Nächten.«

Ihre Stimme klang jetzt schon wieder sehr viel fröhlicher.

«Arbeit an meiner Dissertation.«

«Wie lautet denn das Thema?«

«Zur Erscheinungsform und Häufigkeit von Wolken, Rosen und Sternen im Leben der emanzipierten Durchschnittsfrau.«

«Ach, Louise«, sagte ich,»ich werde dir. äh. dabei helfen, so gut ich kann.«

Sie lachte und legte auf, und ich ging in mein Zimmer und zog mein schmutziges, durchgeschwitztes Hemd aus. Besah mir kurz mein Abbild im Spiegel, was mir aber keinerlei Freude bereitete. Zog mir das weiche Baumwoll-hemd von Charles an und legte mich aufs Bett. Ich lag auf der Seite, wie Chico, und spürte, was er spürte. Irgendwann schlief ich ein.

Am Abend ging ich wieder nach unten und setzte mich wie zuvor aufs Sofa, um auf Charles zu warten. Wer jedoch kam, war Jenny.

Sie kam herein, sah mich und war sofort verärgert. Dann betrachtete sie mich etwas eingehender und sagte:»O nein, nicht schon wieder!«

Ich sagte nur:»Hallo.«

«Was ist’s denn diesmal? Wieder die Rippen?«

«Nichts.«

«Dazu kenne ich dich zu gut. «Sie setzte sich ans andere Ende des Sofas, neben meine Füße.»Was machst du hier?«

«Auf deinen Vater warten.«

Sie sah mich mürrisch an.»Ich werde die Wohnung in Oxford verkaufen«, sagte sie.

«So?«

«Ich mag sie nicht mehr. Louise McInnes ist ausgezogen, und alles da erinnert mich zu sehr an Nicky.«

Sie brach ab, und ich fragte nach kurzem Schweigen:»Erinnere ich dich an Nicky?«

Sie hob erstaunt den Kopf und sagte schnell:»Natürlich nicht!«Und dann langsamer:»Aber er…«Sie verstummte wieder.

«Ich habe ihn gesehen«, sagte ich.»Vor drei Tagen in Bristol. Und er sieht mir ähnlich, ein bißchen jedenfalls.«

Sie war wie vor den Kopf gestoßen und sprachlos.

«Ist dir das nie aufgefallen?«fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf.

«Du hast versucht zurückzukehren«, sagte ich.»Zu dem, was uns beide mal verbunden hat, am Anfang.«

«Das stimmt nicht!«Aber ihre Stimme verriet, daß sie es besser wußte. Sie hatte mir das ja auch selbst mehr oder weniger deutlich zu verstehen gegeben an dem Abend, als ich nach Aynsford gekommen war, um die Suche nach Ashe zu beginnen.

«Wo willst du denn hinziehen?«erkundigte ich mich.

«Was interessiert dich das?«

Ich nahm an, daß es mich in gewissem Maße immer interessieren würde, aber das war mein Problem, nicht ihres.

«Wie hast du ihn gefunden?«wollte sie wissen.

«Er ist ein Dummkopf.«

Diese Bemerkung gefiel ihr gar nicht. Ihr feindseliger Blick ließ deutlich erkennen, wem von uns beiden sie den Vorzug gab.

«Er lebt mit einer anderen Frau zusammen«, sagte ich.

Sie sprang wütend auf, und ich erinnerte mich ein wenig zu spät daran, daß ich wirklich nicht von ihr berührt werden wollte.

«Erzählst du mir das aus purer Bosheit?«wollte sie wissen.

«Ich erzähle dir das, damit du ihn aus deinem Leben streichst, bevor er vor Gericht gestellt wird und ins Gefängnis wandert. Du wirst verdammt unglücklich werden, wenn du’s nicht tust.«

«Ich hasse dich«, sagte sie.

«Das ist nicht Haß, sondern verletzter Stolz.«

«Wie kannst du so etwas sagen!«

«Aber Jenny«, sagte ich.»Ich gestehe dir offen, daß ich immer noch viel für dich tun würde. Ich habe dich lange geliebt, und es ist mir nicht gleichgültig, was aus dir wird. Es bringt doch gar nichts, wenn wir Ashe finden und er an deiner Stelle wegen Betruges verurteilt wird, aber du nicht aufwachst und ihn endlich so siehst, wie er ist. Ich möchte dich wütend auf ihn machen. Um deinetwillen.«

«Das wird dir nicht gelingen«, stieß sie hervor.

«Dann geh«, sagte ich.

«Was?«

«Geh, ich bin müde.«

Sie stand da und sah ebenso verwirrt wie zornig aus — und in diesem Augenblick kam Charles zurück.

«Hallo«, sagte er und nahm die herrschende Atmosphäre mit Mißbilligung in sich auf.»Hallo, Jenny.«

Alter Gewohnheit folgend, ging sie zu ihm hin und küßte ihn auf die Wange.

«Hat Sid dir schon erzählt, daß er deinen Freund Ashe gefunden hat?«fragte er.

«Er konnte es gar nicht erwarten.«

Charles hatte einen großen, braunen Umschlag in der Hand. Den öffnete er jetzt, zog seinen Inhalt heraus und gab ihn mir — die drei Aufnahmen von Ashe, die ganz gut geworden waren, und den neuen Spendenaufruf.

Jenny trat mit unsicheren Schritten zu mir und blickte auf das Foto, das zuoberst lag.

«Sie heißt Elizabeth More«, sagte ich langsam.»Und sein richtiger Name ist Norris Abbot. Sie nennt ihn Ned.«

Das Foto — es war das dritte, das ich gemacht hatte — zeigte die beiden, wie sie lachend und eng umschlungen auf mich zugekommen waren, sich gerade anschauten. Das Glück auf ihren Gesichtern war in aller Deutlichkeit festgehalten.

Ich reichte Jenny wortlos den Brief. Sie entfaltete ihn, sah auf die Unterschrift und wurde sehr blaß. Sie tat mir leid, hätte aber nicht gewollt, daß ich es auch sagte.

Sie schluckte und gab den Brief an ihren Vater weiter.

«Gut«, sagte sie nach einer Weile.»Übergib die Sache der Polizei.«

Sie setzte sich wieder aufs Sofa, wobei so etwas wie emotionale Erschöpfung ihre Glieder kraftlos zu machen, ihren Rücken zu krümmen schien. Sie sah mich an.

«Soll ich dir jetzt danken?«fragte sie.

Ich schüttelte den Kopf.

«Eines Tages werd ich’s wohl tun, denke ich.«

«Nicht nötig.«

Sie fuhr aufgebracht hoch.»Da, du machst es schon wieder!«

«Was denn?«

«Du machst mir Schuldgefühle. Ich weiß ja, daß ich manchmal ziemlich fies zu dir bin. Aber nur, weil du mir Schuldgefühle machst und ich dir das heimzahlen will.«

«Aber weswegen fühlst du dich denn schuldig?«

«Weil ich dich verlassen habe. Weil unsere Ehe schiefgegangen ist.«

«Das war doch aber nicht deine Schuld«, entgegnete ich.

«Nein, es war deine. Dein Egoismus, deine Sturheit. Dein verdammter Siegeswille. Du tätest wirklich alles, um nur ja zu gewinnen. Du mußt immer gewinnen. Du bist so hart. Hart gegen dich selbst. Bist dir selbst gegenüber unbarmherzig. Damit konnte ich nicht leben. Niemand kann das. Frauen möchten einen Mann, der auch mal zu ihnen kommt, um sich trösten zu lassen. Der sagt, du, ich brauche dich, tröste mich, küß mir meine Sorgen fort. Aber du… du kannst das nicht. Du baust immer eine Mauer um dich auf und schlägst dich in aller Stille mit deinen Problemen rum, wie jetzt auch. Erzähl mir doch nicht, daß du nicht verletzt wärst, denn das habe ich schon zu oft an dir gesehen… die Art, wie du dir dann den Kopf hältst… und diesmal ist’s sehr schlimm, das kann ich wohl sehen. Aber du würdest nie sagen, komm, Jenny, halt mich fest, hilf mir, ich möchte weinen, du nicht. Oder?«

Sie hielt inne und machte eine traurige, kleine Handbewegung in die Stille hinein.

«Siehst du?«sagte sie dann.»Du bringst es nicht über die Lippen.«

Nach einer weiteren, sehr langen Pause sagte ich:»Nein.«

«Gut«, sagte sie,»aber ich brauche einen Mann, der sich nicht so total unter Kontrolle hat. Ich brauche einen, der keine Angst vor Gefühlen hat, einen, der schwächer ist. Ich kann in dieser Art von Fegefeuer, zu dem du dein Leben machst, nicht existieren. Ich brauche einen, der auch mal zusammenbrechen kann, ich brauche halt… einen ganz normalen Mann.«

Sie stand auf, kam zu mir und küßte mich auf die Stirn.

«Ich habe lange gebraucht, bis mir das alles klar geworden ist«, sagte sie.»Und bis ich es aussprechen konnte. Aber jetzt bin ich froh, daß ich es geschafft habe. «Sie wandte sich ihrem Vater zu.

«Sag Mr. Quayle, daß ich von Nicky geheilt bin und keine Schwierigkeiten mehr machen werde. Ich glaube, ich fahre nach Hause, in meine Wohnung. Ich fühle mich jetzt sehr viel besser.«

Sie ging mit Charles zur Tür, blieb dort noch einmal stehen und drehte sich zu mir um.»Auf Wiedersehen, Sid«, sagte sie.

«Auf Wiedersehen«, antwortete ich — und ich wollte noch sagen: Komm, Jenny, halt mich fest, hilf mir, ich möchte weinen. Aber ich konnte es nicht.

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