Gourverneur zu sein war für Oliver sogar noch aufregender als erwartet. Macht war verführerisch, und Oliver liebte die Macht. Seine Entscheidungen hatten Einfluß auf das Leben unzähliger Menschen. Er wurde ein Meister im Steuern der Legislative des Staates; sein Ruf vergrößerte sich unaufhörlich. Ich kann tatsächlich etwas bewegen, dachte Oliver glücklich. Er erinnerte sich an die Worte von Senator Davis: Das ist bloß ein Sprungbrett, Oliver. Geh mit Bedacht.
Und er war vorsichtig. Er hatte zahlreiche Affären, verhielt sich jedoch immer äußerst diskret.
Oliver erkundigte sich im Krankenhaus von Zeit zu Zeit nach Miriams Zustand.
»Sie liegt immer noch im Koma, Gouverneur.«
»Halten Sie mich auf dem laufenden.«
Zu Olivers Obliegenheiten als Gouverneur gehörte es auch, Staatsbankette zu geben, zu denen Förderer, Persönlichkeiten aus der Welt des Sports und der Unterhaltungsindustrie, Menschen mit politischem Einfluß und auswärtige Würdenträger als Ehrengäste eingeladen wurden. Jan war eine charmante Gastgeberin und Oliver war entzückt von der Begeisterung, die sie bei Menschen weckte.
Eines Tages kam Jan zu Oliver ins Büro. »Ich habe gerade mit Vater gesprochen. Er gibt am kommenden Wochenende ein Fest und hätte uns gern dabei, weil ein paar Leute dasein werden, mit denen er dich bekanntmachen möchte.«
An diesem Samstag drückte Oliver etlichen der wichtigsten politischen Drahtzieher Washingtons die Hand. Die Party war eine große Sache, die Oliver gut gefiel.
»Es gefällt Ihnen hier, Oliver?«
»Ja. Es ist ein herrliches Fest, wie man es sich besser gar
nicht wünschen könnte.«
»Apropos wünschen, da fällt mir etwas ein«, meinte Peter Tager. »Da war meine sechsjährige Tochter Elisabeth neulich in übler Stimmung und wollte sich absolut nicht ankleiden, so daß Betsy richtig verzweifelt war, und Elizabeth schaute sie an und sagte: >Mama, was denkst du jetzt?< Und Betsy antwortete. >Schätzchen, ich wünsche mir nur, daß du eine bessere Laune hättest und dich wie ein braves Mädchen ankleidest und dein Frühstück ißt!< Und daraufhin sagte Elizabeth: >Mama, dein Wunsch wird dir nicht gewährt. < Ist das nicht köstlich? Die Kinder sind einfach fantastisch. Bis später, Gouverneur.«
Ein Ehepaar stand in der Tür, und Senator Davis gesellte sich zu ihm, um es willkommen zu heißen.
Sylvia, die Frau des italienischen Botschafters Atilio Picone - ein stattlicher Herr um die sechzig, mit dunklen sizilianischen Gesichtszügen -, war eine der schönsten Frauen, die Oliver je gesehen hatte. Sie war vor ihrer Heirat Schauspielerin gewesen und in Italien noch immer berühmt. Oliver begriff auch sofort, warum: Sie hatte große, sinnliche braune Augen, das Antlitz einer Madonna und den üppigen Leib eines Akts von Rubens. Sie war fünfundzwanzig Jahre jünger als ihr Mann.
Senator Davis brachte die beiden zu Oliver hinüber und stellte sie einander vor.
»Sehr erfreut, Sie kennenzulernen«, sagte Oliver. Er vermochte seinen Blick nicht von der Frau zu lösen.
Sie lächelte. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört.«
»Hoffentlich nichts Unangenehmes.«
»Ich ...«
Ihr Mann schnitt ihr das Wort ab. »Senator Davis spricht sehr positiv von Ihnen.«
»Ich fühle mich geschmeichelt«, erwiderte Oliver, ohne die Augen von Sylvia abzuwenden.
Senator Davis entführte das Ehepaar, kehrte anschließend jedoch gleich zu Oliver zurück. »In diesem Fall gilt: Betreten streng verboten, Gouverneur«, machte er ihm klar. »Verbotene Frucht. Wenn du dich daran vergreifst, kannst du deine Zukunftsaussichten in den Wind schreiben.«
»Nun reg dich nicht auf, Todd. Ich habe doch nicht ...«
»Ich meine es todernst. Du könntest es dir auf einen Schlag mit zwei Ländern verderben.«
Beim Abschied sagte Atilio: »Es hat uns gefreut, Sie kennenzulernen.«
»Ganz meinerseits.«
Sylvia nahm Olivers Hand und sagte leise: »Wir freuen uns auf ein Wiedersehen.«
Ihre Blicke trafen sich. »Ja.«
Und Oliver ermahnte sich: Sei auf der Hut.
Als Oliver zwei Wochen danach in Frankfort allein in seinem Büro arbeitete, meldete seine Sekretärin: »Gouverneur, Senator Davis ist da und möchte Sie sprechen.«
»Senator Davis ist hier?«
»Jawohl, Gouverneur.«
»Schicken Sie ihn herein.« Da Oliver wußte, daß sein Schwiegervater in Washington zur Zeit für einen wichtigen Gesetzentwurf im Senat kämpfte, fragte er sich besorgt, was Todd wohl nach Frankfort geführt hatte. Die Tür öffnete sich. Der Senator trat ein - in Begleitung von Peter Tager.
Senator Todd Davis legte Oliver mit einem strahlenden Lächeln den Arm um die Schultern. »Ich freue mich, dich zu sehen, Gouverneur.«
»Ich bin über deinen Besuch hocherfreut, Todd.« Er wandte sich an Peter Tager. »Morgen, Peter.«
»Morgen, Oliver.«
»Ich störe hoffentlich nicht«, sagte Senator Davis.
»Aber nein. Nicht im geringsten. Ist . ist etwas nicht in Ordnung?«
Senator Davis schaute Tager an und grinste. »Ach, Oliver, so würde ich es eigentlich nicht ausdrücken. Ganz im Gegenteil,
ich würde sogar behaupten, daß alles perfekt läuft.«
Oliver betrachtete die beiden mit einem Ausdruck von Irritation. »Ich verstehe kein Wort.«
»Ich habe gute Nachrichten für dich, Sohn. Dürften wir uns vielleicht setzen?«
»O Verzeihung. Was darf ich anbieten? Kaffee? Whiskey -?«
»Nein danke. Wir befinden uns bereits in ziemlich angeregter Verfassung.«
Woraufhin sich Oliver erneut fragte, was eigentlich vorging.
»Ich komme gerade mit dem Flugzeug aus Washington. Und dort gibt es eine ziemlich einflußreiche politische Gruppierung, die überzeugt ist, daß du unser nächster Präsident sein wirst.«
Oliver spürte eine Welle von Erregung durch seinen Körper ziehen. »Ich . tatsächlich?«
»In der Tat. Und aus diesem Grund bin ich auch hier, weil nämlich der Zeitpunkt gekommen ist, mit deiner Kampagne anzufangen, denn in zwei Jahren finden die nächsten Präsidentschaftswahlen statt.«
»Ein idealer Zeitpunkt«, erklärte Peter Tager begeistert. »Auf die Weise wird Sie zum Schluß der Kampagne alle Welt kennen.«
»Peter wird die Leitung der Kampagne übernehmen«, erläuterte Senator Davis. »Er wird dir die Arbeit abnehmen und sich um alles kümmern. Einen besseren findest du nicht.«
Oliver schaute Tager an und erklärte mit Nachdruck: »Da bin ich voll deiner Meinung.«
»Ich tu's gern. Wir werden 'ne Menge Spaß miteinander haben, Oliver.«
Oliver wandte sich an Senator Davis: »Wird das alles nicht ungeheure Summen kosten?«
»Da mach dir mal keine Gedanken. Wir verfügen über genug Mittel, damit du von Anfang bis Ende Erster Klasse fliegst. Ich habe viele meiner Freunde überzeugen können, daß du der
Mann bist, in den sie investieren müssen.« Er beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Nun unterschätz dich mal nicht, Oliver. Vor zwei Monaten bist du bei der Umfrage nach dem effizientesten Gouverneur in unserem Land auf dem dritten Platz gelandet. Du hast aber eine Qualität, die den Herren auf den ersten zwei Plätzen fehlt. Ich sage es dir nicht zum ersten Mal, Oliver - du besitzt Charisma, und das ist eine Gabe, die sich mit Geld nicht kaufen läßt. Die Leute mögen dich. Sie werden für dich stimmen.«
Olivers Erregung wuchs. »Und wann geht's los?«
»Wir haben bereits angefangen«, sagte Senator Davis. »Wir sind schon dabei, ein starkes Wahlkampfteam aufzustellen. Und wir werden im ganzen Land Delegierte mobilisieren.«
»Wie realistisch sind meine Chancen?«
»Bei den Vorwahlen wirst du alle Gegenkandidaten wegpusten«, antwortete Tager. »Was die Präsidentschaftswahlen selbst angeht, so würdest du dich schwertun, wenn du gegen Präsident Norton auftreten müßtest, weil Norton nämlich auf einem Erfolgshoch schwimmt. Nur - und das ist die gute Nachricht - kann er bekanntlich nicht wieder kandidieren, weil dies bereits seine zweite Amtszeit ist. Und Vizepräsident Cannon ist nur ein blasser Schatten, der mit ein bißchen Sonnenschein verschwindet.«
Nach der Besprechung, die vier Stunden dauerte, wandte Senator Davis sich an Tager: »Verzeihung, Peter, aber könnten Sie uns für einen Augenblick allein lassen?«
»Gewiß doch, Senator«, erwiderte Tager und verließ den Raum.
»Ich hatte heute morgen ein Gespräch mit Jan.«
Oliver wurde unruhig. »Ach ja?«
Senator Davis musterte Oliver mit einem zufriedenen Lächeln. »Sie fühlt sich sehr glücklich.«
Oliver atmete erleichtert auf. »Das freut mich.«
»Mich auch, mein Sohn, ehrlich, mich auch. Gib nur acht,
daß du den Herd im eigenen Heim am Brennen hältst.«
»Da mußt du dir keine Sorgen machen, Todd. Ich ...«
Das Lächeln verschwand von den Zügen des Senators. »Ich mache mir deswegen aber Sorgen, Oliver. Ich kann dir keinen Vorwurf daraus machen, daß du geil bist - aber paß auf, daß du wegen deiner Geilheit nicht vom Prinzen in die Kröte verwandelt wirst.«
Auf dem Weg durch die Halle des Capitols in Frankfort instruierte Senator Davis Peter Tager. »Bitte stellen Sie einen Mitarbeiterstab zusammen, und scheuen Sie keine Kosten. Für den Anfang brauchen wir Wahlkampfbüros in New York, Washington, Chicago und San Francisco. Die Vorwahlen beginnen in zwölf Monaten, der Parteitag mit der Wahl des Präsidentschaftskandidaten ist in achtzehn Monaten. Danach müßte eigentlich alles glattgehen.« Sie hatten den Wagen erreicht. »Begleiten Sie mich zum Flughafen.«
»Er wird ein hervorragender Präsident werden.«
Senator Davis nickte. Und ich werde ihn in der Tasche haben, dachte er. Er wird meine Marionette sein. Ich werde die Fäden ziehen, und der Präsident der Vereinigten Staaten ist mein Sprachrohr.
Der Senator holte ein goldenes Etui aus der Tasche. »Zigarre?«
Die Vorwahlen liefen landauf, landab gut an. Senator Davis' Einschätzung von Peter Tager erwies sich als korrekt. Er war einer der besten Politikmanager der Welt; die Wahlkampfmaschinerie, die er aufbaute, war erstklassig; und weil Tager die Werte der Familie repräsentierte und ein frommer praktizierender Christ war, gewann er die religiöse Rechte, und da er verstand, wie Politik funktionierte, war er auch imstande, die Liberalen zu überzeugen, ihre Grabenkämpfe zu vergessen und zusammenzuarbeiten. Peter war ein glänzender Wahlkampfleiter; seine schwarze Augenklappe wurde auf allen Fernsehkanälen ein vertrautes Bild.
Tager war sich bewußt, daß Oliver mit einem Minimum von zweihundert Delegiertenstimmen in den Parteikonvent einziehen müßte, wenn er siegreicher Kandidat der Partei für die Präsidentschaftswahlen werden wollte.
Tager organisierte eine Terminplanung, die für jeden amerikanischen Bundesstaat mehrere Wahlkampfreisen vorsah.
Als Oliver das Wahlkampfprogramm zu Gesicht bekam, sagte er nur: »Das, das läßt sich unmöglich schaffen, Peter!«
»In der Form, wie wir es geplant haben, schon«, versicherte ihm Tager. »Die Termine sind nämlich optimal koordiniert. Der Senator stellt Ihnen seine Challenger zur Verfügung. Sie werden während Ihrer Wahlkampfreisen von kompetenten Leuten instruiert, und außerdem bin ich ja stets an Ihrer Seite.«
Senator Davis machte Oliver mit Sime Lombardo bekannt, eine finstere Erscheinung mit ebenso finsterer Seele, der kaum ein Wort sagte.
»Wie gehört der ins Bild?« wollte Oliver vom Senator wissen, als sie allein waren.
»Sime«, erklärte Senator Davis, »ist unser Mann für schwierige Fälle. Manchmal brauchen Leute Nachhilfeunterricht, um von einer Sache überzeugt zu werden. Und Sime besitzt große Überzeugungskraft.«
Oliver wechselte das Thema.
Als die Präsidentschaftskampagne so richtig anlief, gab Peter Tager Oliver detaillierte Anweisungen, was er zu sagen hatte, wann er es zu sagen hatte und wie er es zu sagen hatte. Er sorgte dafür, daß Oliver in allen Schlüsselwahlbezirken auftrat. Und wo immer Oliver in Erscheinung trat, sagte er immer genau das, was die Leute hören wollten.
In Pennsylvania: »Der Lebensnerv unseres Landes ist die Industrie. Das ist eine Wahrheit, die wir nie vergessen werden. Wir werden es möglich machen, daß die Fabriken wieder öffnen, wir werden Amerika wieder auf den rechten Weg
bringen.«
Applaus.
In Kalifornien: »Die Flugzeugindustrie zählt zu den entscheidenden Ressourcen Amerikas. Es besteht kein Grund für die Stillegung auch nur eines einzigen Fertigungsbetriebs. Wir werden sie alle wieder in Betrieb nehmen.«
Applaus.
In Detroit: »Wir haben die Automobile erfunden, und die Japaner haben uns die Technologie entwendet. Also, wir werden uns unseren rechtmäßigen Platz als Nummer Eins zurückerobern. Detroit wird wieder zum Weltmittelpunkt der Automobilindustrie!«
Applaus.
In den Universitäten versprach er den Studenten die Einrichtung von Studiendarlehen, für die die Bundesregierung garantieren sollte.
Auf Armeestützpunkten im ganzen Land redete er militärischer Wachsamkeit und Schlagkraft das Wort.
Anfangs standen Olivers Chancen schlecht, da er relativ unbekannt war, doch im Verlauf der Kampagne stiegen seine Umfragewerte stetig an.
In der ersten Juliwoche kamen über viertausend Delegierte und Stellvertreter mit Hunderten von Parteifunktionären und Kandidaten auf dem Wahlkongreß in Cleveland zusammen und stellten mit ihren Paraden, Festwagen und Parties die Stadt auf den Kopf. Das Spektakel wurde von TV-Kamerateams aus aller Welt gefilmt, und Peter Tager und Sime Lombardo organisierten alles so, daß stets Gouverneur Russell vor die Kameras kam.
Es gab in Olivers Partei ein Dutzend möglicher Präsidentschaftskandidaten; Senator Todd Davis hatte jedoch hinter den Kulissen darauf hingearbeitet, daß einer nach dem andern seine Unterstützung verlor und von seinen Förderern fallengelassen wurde. Dem Senator gelang dies durch skrupelloses Einfordern von alten Dankesschulden, die gelegentlich zwanzig Jahre zurückreichten.
»Toby? Hier Todd. Wie geht es Emma und Suzy? ... Gut. Ich muß mit dir über deinen Jungen reden, über Andrew. Ich mache mir Sorgen um ihn, Toby. Du weißt ja, daß er meiner Meinung nach zu liberal ist. Der amerikanische Süden wird ihn nie akzeptieren. Ich würde folgendes vorschlagen .«
»Alfred, hier Todd. Wie kommt Roy voran? ... Kein Grund, mir zu danken. Ich habe ihm gern aus der Patsche geholfen. Aber ich möchte mit dir über deinen Kandidaten reden, über Jerry. Meiner Meinung nach steht er zu weit rechts. Mit ihm würden wir den Norden verlieren. Also, da würde ich dir gern folgenden Vorschlag unterbreiten .«
»Kenneth - Todd. Ich wollte dir nur sagen, wie sehr ich mich darüber freue, daß diese Immobilientransaktion für dich so gut gelaufen ist. Da haben wir alle einen ziemlich guten Schnitt gemacht, nicht wahr? Ach, nur ganz nebenbei, ich glaube, wir beide sollten uns mal über Slater unterhalten. Ein schwacher Kandidat, ein Verlierertyp. Und wir können es uns nicht leisten, einen Verlierer zu unterstützen, meinst du nicht auch ...?«
Und so ging das weiter, bis der einzige, für die Partei mögliche Kandidat Gouverneur Oliver Russell war.
Der Nominierungsprozeß lief reibungslos. Oliver Russell vereinigte gleich im ersten Wahlgang siebenhundert Stimmen auf sich: über zweihundert aus den sechs nordöstlichen Bundesstaaten, hundertsechsundfünfzig von den sechs New-England-Staaten, vierzig aus den vier Südstaaten, weitere hundertachtzig aus zwei Agrarstaaten und den Rest von drei Bundesstaaten an der Pazifikküste.
Peter Tager arbeitete wie ein Verrückter, damit die PR-Trommel gerührt wurde, und bei der endgültigen Auszählung hieß der klare Gewinner Oliver Russell, dessen Nominierung in der - mit Kalkül orchestrierten - Erregung der Parteitagsatmo-sphäre unter stehendem Beifall bekanntgegeben wurde.
Als nächstes stand die Entscheidung über den Vizepräsidenten an. Melvin Wicks war als politisch korrekter Kalifornier, wohlhabender Unternehmer und sympathischer Kongreßabge-ordneter eine ideale Wahl.
»Sie werden einander ergänzen«, versicherte Tager Oliver. »Und jetzt beginnt für uns die eigentliche Arbeit. Wir jagen der magischen Zahl zweiundsiebzig nach.« Der Stimmenzahl, die ein Kandidat benötigt, um Präsident der Vereinigten Staaten zu werden.
»Die Leute wollen einen jungen Menschen als Leader . «, erklärte Tager Gouverneur Russell. »Einen Mann, der gut aussieht, Humor und Visionen hat ... Sie möchten von Ihnen gern hören, wie großartig Sie sind - und es Ihnen glauben ... Geben Sie ihnen zu erkennen, daß Sie ein kluger Politiker sind; Sie sollten aber nicht versuchen, allzu klug zu sein ... Greifen Sie Ihren Gegner nie direkt persönlich an ... Blicken Sie nie von oben auf Reporter herab. Wenn Sie Reporter wie Freunde behandeln, werden Sie Ihre Freunde sein . Achten Sie darauf, nie kleinlich zu wirken. Vergessen Sie es nie - Sie sind ein Staatsmann.«
Der Wahlkampf war unerbittlich, lief ohne Unterbrechung. Senator Davis' Jet flog Oliver für drei Tage nach Texas, einen Tag nach Kalifornien, einen halben Tag nach Michigan, für sechs Stunden nach Massachusetts. Es wurde nicht eine einzige Minute verschwendet. Es gab Tage, an denen Oliver zehn Städte besuchte und zehn Wahlkampfreden hielt. Er schlief Nacht für Nacht in einem anderen Hotel, dem Drake in Chicago, dem St. Regis in Detroit, dem Carlyle in New York City, dem Place d'Armes in New Orleans - bis schließlich alle Hotelzimmer für ihn zu einem verschmolzen. Und wo Oliver auch auftauchte - überall fuhren Polizeieskorten voraus, sammelten sich große Menschenmengen und gab es jubelnde Wähler.
Auf den meisten Reisen wurde Oliver von Jan begleitet, und er mußte sich eingestehen, daß sie eine große Stütze war. Sie war schön, sie war intelligent, sie nahm die Reporter für sich ein. Von Zeit zu Zeit las Oliver über die jüngsten Aktivitäten von Leslie: eine Zeitung in Madrid, eine Fernsehstation in Mexiko, ein Rundfunksender in Kansas, und er freute sich über ihren Erfolg; denn dann fühlte er sich nicht mehr so schuldig wegen seines üblen Benehmens ihr gegenüber.
Überall, wo Oliver eintraf, wurde er von Reportern fotografiert, interviewt und zitiert. Über seinen Wahlkampf berichteten mehr als hundert Korrespondenten, von denen einige aus Ländern am anderen Ende der Welt kamen. Kurz vor dem Erreichen des Höhepunkts der Kampagne wiesen Umfragen Oliver als Spitzenreiter aus; dann - gänzlich unerwartet -begann sein Rivale, Vizepräsident Cannon, aufzuholen.
Peter Tager machte sich Sorgen. »Cannons Beliebtheitskurve steigt. Wir müssen etwas tun, um ihn zu bremsen.«
Es waren zwei Fernsehdebatten zwischen den Kontrahenten vereinbart worden.
»Cannon wird über Wirtschaftsthemen sprechen«, teilte Tager Oliver mit, »und da wird er ausgezeichnet sein. Wir müssen ihm die Schau stehlen. Ich habe dazu folgenden Plan ausgearbeitet .«
Am Abend der ersten Debatte sprach Vizepräsident Cannon vor den laufenden Fernsehkameras über die Wirtschaft. »Amerika ist ökonomisch noch nie so gesund gewesen wie heute. Die Wirtschaft floriert.« Und er nutzte seine Sprechzeit von zehn Minuten dazu, diese Situation auszumalen und mit Fakten und Zahlen zu belegen.
Als dann Oliver Russell an der Reihe war und ans Mikrofon trat, machte er die Feststellung: »Das war alles sehr beeindruk-kend. Wir sind sicherlich alle miteinander sehr froh darüber, daß die Großunternehmen florieren und daß die Profite der
Konzerne noch nie so hoch gewesen sind.« Er wandte sich seinem Rivalen zu. »Nur haben Sie vergessen zu erwähnen, warum die großen Unternehmen dermaßen blühen und gedeihen. Ein Grund dafür liegt nämlich in dem Phänomen, das euphemistisch mit >Unternehmensverschlankung< umschrieben wird. Um es kurz und bündig auszudrücken: >Unternehmens-verschlankung< bedeutet nichts anderes, als daß Menschen entlassen und durch Maschinen ersetzt werden. Es hat in unserem Land noch nie so viele Arbeitslose gegeben. Es wird Zeit, daß wir uns mit dem menschlichen Aspekt der Situation beschäftigen. Ich vermag Ihre Auffassung keineswegs zu teilen, daß der finanzielle Erfolg der Großunternehmen wichtiger ist als das Leben der Menschen . « Und so ging das weiter.
Während Vizepräsident Cannon das Business in den Vordergrund stellte, vertrat Oliver Russell eine humanitäre Auffassung von Politik und sprach von menschlichen Empfindungen und Chancen. Zum Schluß war es Russell gelungen, daß Cannon wie ein kaltblütiger Politiker klang, dem das Wohl der amerikanischen Bevölkerung gleichgültig war.
Am Morgen nach der Fernsehdebatte kamen die Umfragestatistiken in Bewegung: Oliver Russell rückte bis auf drei Punkte zum Vizepräsidenten auf. Und es stand noch eine weitere, landesweit ausgestrahlte Diskussion bevor.
Arthur Cannon hatte seine Lektion gelernt. Als er bei der letzten Debatte vor dem Mikrofon stand, erklärte er: »Wir leben in einem Land, in dem alle Bürger gleiche Chancen erhalten müssen. Amerika ist mit der Freiheit gesegnet worden, doch Freiheit allein ist nicht genug. Unser Volk muß auch die Freiheit haben, arbeiten und einen anständigen Lebensunterhalt verdienen zu können .«
Diesmal gedachte er, Oliver Russell die Schau zu stehlen, indem er sich auf die vielen Pläne konzentrierte, die er zur
Verbesserung der Lebensqualität der Menschen umsetzen wollte. Genau damit hatte Peter Tager jedoch gerechnet, und als Cannon zu Ende gesprochen hatte, trat Oliver Russell ans Mikrofon.
»Das war ungemein rührend. Ich bin sicher, wir alle sind sehr bewegt von dem, was Sie über das Elend der Arbeitslosen und - um Ihren Ausdruck zu zitieren - der vergessenen Menschern gesagt haben. Mich stört und beunruhigt nur eines: Sie haben überhaupt nicht erwähnt, wie Sie alle diese wunderbaren Dinge für diese Menschen eigentlich realisieren wollen.« Und während Vizepräsident Cannon hier die Emotionen angesprochen hatte, sprach Oliver Russell über reale Probleme und Wirtschaftspläne, so daß der Vizepräsident am Ende ausgebootet war.
Oliver und Jan saßen mit Senator Davis beim Abendessen in der Georgetown-Villa des Senators, als der Senator sich mit einem zufriedenen Lächeln seiner Tochter zuwandte.
»Ich habe soeben die Ergebnisse der jüngsten Umfragen erfahren und glaube, daß du dir wirklich überlegen kannst, wie du das Weiße Haus tapezieren möchtest.«
Ihre Miene hellte sich auf. »Du glaubst wirklich, daß wir gewinnen, Vater?«
»Ich irre mich ja in vielen Dingen, Honey, doch niemals, wenn es um Politik geht. Politik ist mein Lebensblut. Der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sitzt direkt neben dir.«