Die Festlichkeiten der Amtseinführung, die Paraden und die feierliche Vereidigung waren vorbei. Oliver brannte darauf, seine Amtstätigkeit als Präsident der Vereinigten Staaten aufzunehmen. Washington, D.C., war wahrscheinlich die einzige Stadt, die ausschließlich dem politischen Leben diente und von der Politik besessen war. Washington war das Machtzentrum der Welt und Oliver der Mittelpunkt dieses Machtzentrums. Es war ganz so, als ob hier auf die eine oder andere Weise jedermann mit der Bundesregierung in Beziehung stand. Im zentralen Bereich Washingtons waren fünfzehntausend Lobbyisten und über fünftausend Journalisten tätig, die sich allesamt von der Muttermilch der Regierung ernährten. Oliver kam das hinterhältige Diktum John F. Kennedys in Erinnerung: »Washington, D.C., ist eine Stadt mit der Effizienz der Südstaaten und dem Charme des Nordens.«
Am ersten Tag seiner Präsidentschaft schlenderte Oliver gemeinsam mit Jan durch das Weiße Haus, mit dessen statistischen Daten sie längst vertraut waren; es umfaßte 132 Räume, 32 Badezimmer, 29 Kamine, drei Fahrstühle, ein Schwimmbad, ein Putting Green fürs Golfspieltraining, Tennisplatz, Jogging-Laufbahn, Gymnastikraum, einen Spielplatz zum Hufeisenwerfen, Kegelbahn, Kino und eine etwa zwanzig Hektar große Fläche von hervorragend gepflegten Parkanlagen. Doch die Erfahrung, tatsächlich im Weißen Haus zu leben, Teil von ihm zu sein, war schier überwältigend.
»Es ist wie ein Traum, nicht wahr?« seufzte Jan.
Oliver nahm ihre Hand. »Ich bin glücklich, daß wir diese Erfahrung gemeinsam teilen.« Und das meinte er wirklich. Jan war ihm eine wunderbare Lebensgefährtin geworden, war immer für ihn da, stets hilfreich und treusorgend. Er stellte fest, daß ihm ihre Gesellschaft immer lieber wurde.
Oliver wurde von Peter Tager erwartet, als er zum Oval Office zurückkehrte. Die Ernennung Tagers zu seinem Stabschef war Olivers erste Amtstat gewesen.
»Ich kann es noch immer nicht glauben, Peter«, meinte Oliver.
Peter Tager quittierte es lächelnd. »Die Bevölkerung glaubt es aber. Die Bevölkerung hat Sie ins Amt gewählt, Mr. President.«
Oliver schaute vom Schreibtisch zu ihm hoch. »Für Sie bin ich nach wie vor Oliver.«
»In Ordnung, wenn wir unter uns sind. Sie müssen sich jedoch bewußt werden, daß von nun an jede Ihrer Handlungen Auswirkungen auf die gesamte Welt haben kann. Jede Aussage, die Sie machen, könnte die Wirtschaft erschüttern oder für hundert andere Länder rund um den Globus Folgen haben. So mächtig wie Sie ist kein anderer Mensch auf der Welt.«
Das Intercom rief. »Mr. President, Senator Davis ist da.«
»Er soll hereinkommen, Heather.«
Tager stöhnte. »Ich muß los. Mein Schreibtisch sieht aus wie ein Papierberg.«
Die Tür ging auf. Todd Davis trat ein. »Peter ...«
»Senator ...« Die zwei Männer gaben einander die Hand.
»Ich komme später wieder, Mr. President«, erklärte Tager.
Senator Davis kam zu Olivers Schreibtisch und nickte befriedigt. »Dieser Schreibtisch paßt zu dir, Oliver. Ich kann dir gar nicht sagen, welch ein erhebendes Erlebnis es für mich ist, dich dort sitzen zu sehen.«
»Danke, Todd. Ich habe noch etwas Mühe, mich an ihn zu gewöhnen. Ich meine . hier hat Adams gesessen . und Lincoln . und Roosevelt .«
Senator Davis lachte. »Davon solltest du dich aber nicht einschüchtern lassen. Das waren auch nur Männer wie du, bevor sie Legende wurden; sie haben auch nur dort gesessen und versucht, das Richtige zu tun. All deine Vorgänger haben am Anfang furchtbar Angst davor gehabt, ihren Arsch auf diesen Sessel zu setzen. Ich komme gerade von Jan. Sie ist im siebten Himmel, und sie wird eine großartige First Lady sein.«
»Das weiß ich.«
»Übrigens, ich habe hier eine kleine Liste, die ich gern mit dir besprechen würde, Mr. President.« Die Betonung lag auf »Mr. President«, und die Anrede klang sehr jovial.
»Selbstverständlich, Todd.«
Senator Davis schob ihm eine Namensliste über den Schreibtisch zu.
»Wozu das?«
»Nur ein paar Vorschläge, die ich dir für deine Kabinettsbildung machen möchte.«
»Ach so. Da habe ich mich allerdings bereits entschieden .«
»Ich hatte mir gedacht, daß du die Liste gerne durchsehen würdest.«
»Es hat aber gar keinen Sinn .«
»Schau dir die Namen an, Oliver.« Die Stimme des Senators klang merklich kühler.
Oliver kniff die Augen zusammen. »Todd .«
Senator Davis hob eine Hand. »Oliver, du darfst nicht eine Minute lang annehmen, daß ich dir meinen Willen oder meine Wunschvorstellungen aufzwingen möchte. Da würdest du dich irren. Ich habe diese Liste zusammengestellt, weil ich der Überzeugung bin, daß dies hier die Männer sind, die dir am besten dabei helfen könnten, deinem Lande zu dienen. Ich bin ein Patriot, Oliver, und ich schäme mich dessen nicht. Dieses Land bedeutet mir alles.« Er stockte. »Alles. Wenn du der Meinung sein solltest, daß ich dir nur deshalb zu diesem Amt verholfen habe, weil du mein Schwiegersohn bist, dann irrst du gewaltig. Ich habe alles getan, um sicherzustellen, daß du es bis hierher schaffst, weil ich der festen Überzeugung bin, daß du der beste Mann, der geeignetste für dieses Amt bist. Darauf kommt es für mich an.« Er klopfte mit einem Finger auf das Stück Papier. »Und diese Männer hier könnten dir bei der Erfüllung deiner Aufgabe behilflich sein.«
Oliver schwieg.
»Ich bin schon seit vielen, vielen Jahren in dieser Stadt tätig, Oliver. Und weißt du auch, was ich gelernt habe? Es gibt nichts Traurigeres als einen Präsidenten mit nur einer Amtszeit. Und weißt du, warum? Weil er in den ersten vier Jahren nur eine Grundidee davon zu formen vermag, was er unternehmen könnte, um dieses Land zu verbessern. Da entstehen all diese Träume, die er wahrmachen möchte. Und genau in dem Moment, da er bereit und soweit ist, ein Präsident zu werden, der tatsächlich Veränderungen bewirkt,« - er ließ seinen Blick durch das Büro wandern - »zieht ein anderer hier ein, und alle seine Träume sind dahin. Ganz schön traurig, nicht wahr? Alle diese Männer mit ihren großartigen Träumen, denen lediglich eine Amtszeit zur Verfügung stand. Hast du eigentlich gewußt, daß über die Hälfte der amerikanischen Präsidenten seit dem Amtsantritt McKinleys im Jahre 1897 lediglich für eine Amtsperiode hier gesessen haben? Doch was dich angeht, Oliver -ich werde dafür Sorge tragen, daß du ein Präsident mit zwei Amtszeiten wirst. Mir liegt daran, daß du imstande bist, all deine Träume zu verwirklichen. Ich werde dafür sorgen, daß du wiedergewählt wirst.«
Senator Davis warf einen Blick auf seine Armbanduhr und stand auf. »Ich muß jetzt gehen. Wir sind aufgerufen worden, im Senat eine beschlußfähige Sitzung zu ermöglichen. Wir sehen uns heute abend bei Tisch.« Er entschwand durch die Tür.
Oliver schaute ihm lange versonnen nach, und dann griff er nach der Namensliste, die Todd Davis ihm zurückgelassen hatte.
In seinem Traum erwachte Miriam Friedland aus ihrem Koma und setzte sich in ihrem Bett auf. Neben ihrem Bett stand ein Polizist. Der Polizist schaute auf sie herunter und sagte zu ihr: »Jetzt können Sie uns mitteilen, wer Ihnen das angetan hat.«
»Ja.«
Er wachte schweißgebadet auf.
Am frühen Morgen rief Oliver in dem Krankenhaus an, wo Miriam lag.
»Bedaure, doch leider ist keine Besserung eingetreten, Mr. President«, sagte der Chefarzt. »Um die Wahrheit zu sagen: Es sieht nicht gut aus.«
Oliver zögerte, bevor er es aussprach. »Ich stelle die Frage, weil sie keine Verwandten und Angehörigen hat. Wäre es nicht humaner, sie von den lebenserhaltenden Apparaturen abzunehmen, wenn Sie nicht der Meinung sind, daß sie sich wieder erholen wird?«
»Ich denke, wir sollten noch ein wenig länger warten und sehen, was sich tut«, erwiderte der Arzt. »Manchmal geschieht doch ein Wunder.«
Jay Perkins, der Protokollchef des Weißen Hauses, unterrichtete den Präsidenten. »Es gibt in Washington hundertsiebenund-vierzig diplomatische Missionen, Mr. President. Das Blaue Buch - die Diplomatische Liste - enthält die Namen aller Botschafter bzw. Missionschefs ausländischer Regierungen nebst ihren Gemahlinnen. Das Grüne Buch - die Gesellschaftsliste - führt die Namen der Spitzendiplomaten, der Vertretungen in Washington und der Kongreßabgeordneten auf.«
Er reichte Oliver mehrere Blätter Papier. »Hier ist die Aufstellung der potentiellen ausländischen Botschafter, die Sie empfangen werden.«
Oliver las die Liste durch und fand den italienischen Botschafter und seine Frau: Atilio Picone und Sylvia. Sylvia. Oliver erkundigte sich mit Unschuldsmiene. »Werden die
Botschafter ihre Ehefrauen mitbringen?«
»Nein. Die Ehefrauen werden Ihnen zu einem späteren Zeitpunkt vorgestellt. Ich würde Ihnen vorschlagen, daß Sie so früh wie möglich mit dem Empfang der Kandidaten beginnen.«
»Einverstanden.«
»Ich werde versuchen, es so zu arrangieren«, sagte Perkins, »daß sämtliche ausländischen Botschafter bis zum nächsten Samstag akkreditiert sind. Sie möchten es vielleicht in Erwägung ziehen, ob Sie ihnen zu Ehren ein Dinner im Weißen Haus geben wollen.«
»Gute Idee.« Oliver warf erneut einen Blick auf die Liste auf seinem Schreibtisch. Atilio und Sylvia Picone.
Der State Dining Room war am Samstag abend mit den Flaggen der Länder geschmückt, die durch ihre Botschafter vertreten waren. Zwei Tage zuvor hatte Oliver anläßlich der Entgegennahme seines Beglaubigungsschreibens mit Atilio Picone gesprochen.
»Und wie geht es Mrs. Picone?« hatte Oliver gefragt.
Kurze Pause. »Meiner Gemahlin geht es gut. Vielen Dank der Nachfrage, Mr. President.«
Das Dinner verlief angenehm. Oliver ging von Tisch zu Tisch, plauderte mit seinen Gästen und bezauberte sie. Er war sich der Tatsache bewußt, daß in diesem Raum einige der wichtigsten Persönlichkeiten der Welt versammelt waren. Oliver Russell näherte sich drei prominenten Damen der Gesellschaft, die mit wichtigen Männern verheiratet waren, doch aus eigenem Antrieb eine führende Rolle im öffentlichen Leben spielten. »Leonore ... Delores ... Carol ...«
Als Oliver sich quer durch den Raum bewegte, kam Sylvia Picone auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Auf diesen Augenblick habe ich schon lange gewartet.« Ihre Augen funkelten.
»Ich auch«, erwiderte Oliver leise.
»Ich habe gewußt, daß Sie zum Präsidenten gewählt würden.« Es war fast ein Flüstern.
»Können wir uns später sprechen?«
»Selbstverständlich.«
Auf das Souper folgte ein Ball im Großen Ballsaal, wo die Marine Band aufspielte. Oliver beobachtete Jan beim Tanzen und dachte: Was für eine wunderschöne Frau. Welch ein herrlicher Körper.
Der Abend wurde ein großer Erfolg.
In der folgenden Woche prangte auf der ersten Seite der Washington Tribune die Schlagzeile: Präsident des Wahlkampfbetrugs beschuldigt.
Oliver starrte ungläubig auf die Schlagzeile. Das war für ihn der denkbar ungünstigste Zeitpunkt überhaupt. Wie hatte es nur dazu kommen können? Dann begriff er plötzlich, wie es dazu hatte kommen können. Er sah die Antwort auf seine Frage vor sich im Impressum. »Herausgeberin: Leslie Stewart.«
In der folgenden Woche lautete die Überschrift eines weiteren Artikels auf der Titelseite der Tribune: Frühere Mitarbeiterin von Präsident Russell plant Klage wegen sexueller Belästigung.
Die Tür des Oval Office flog auf. Jan stürmte herein. »Hast du die Morgenzeitung gelesen?«
»Ja, ich .«
»Wie konntest du uns das antun, Oliver? Du .«
»Einen Augenblick, bitte! Verstehst du denn nicht, was da vorgeht, Jan? Hinter dieser Geschichte steckt Leslie Stewart. Ich bin sicher, daß sie diese Frau durch Bestechung zu solch einem Vorgehen veranlaßt hat. Sie will sich rächen, weil ich sie deinetwegen sitzenlassen habe. In Ordnung. Sie hat ihre Rache gehabt. Nun ist es ausgestanden.«
Senator Davis war in der Leitung. »Ich möchte dich gern in einer Stunde sprechen.«
»Ich werde hier sein, Todd.«
Oliver saß in der kleinen Bibliothek, als Todd Davis eintraf. Oliver erhob sich, um ihn zu begrüßen, »Guten Morgen.«
»Ich will verdammt sein, wenn das heute ein guter Morgen ist.« Die Stimme des Senators war zornerfüllt. »Diese Frau will uns vernichten.«
»Nein, das will sie nicht. Sie versucht nur ...«
»Dieses verflixte Klatschblatt wird von allen gelesen, und die Leute glauben, was sie schwarz auf weiß lesen.«
»Todd, die Sache beruhigt sich von selbst und ...«
»Sie beruhigt sich nicht von selbst. Hast du heute morgen den Nachrichtenkommentar auf dem Kanal wte gehört? Er handelte davon, wer unser nächster Präsident sein wird. Du warst ganz unten auf der Liste. Leslie Stewart hat es auf dich abgesehen. Du mußt sie stoppen. Wie heißt doch noch der Vers - >die Hölle kennt kein Wüten< ...?«
»Es gibt auch noch eine andere Spruchweisheit, Todd, die die Pressefreiheit betrifft. Dagegen können wir nichts unternehmen.«
Senator Davis schaute Oliver nachdenklich an. »Es gibt aber einen Weg.«
»Was redest du da?«
»Setz dich.« Die beiden Männer nahmen Platz. »Diese Frau ist offensichtlich noch immer in dich verliebt, Oliver. Die Attacke gegen dich ist einfach ihre Art, dich für dein damaliges Verhalten zu bestrafen. Man sollte nie Streit haben mit einer Person, die massenhaft Druckerschwärze versprüht. Ich würde dir den guten Rat geben, Frieden mit ihr zu schließen.«
»Wie soll ich das bewerkstelligen?«
Senator Davis ließ seinen Blick zu Olivers Leisten wandern. »Gebrauch deinen Kopf.«
»Moment mal, Todd! Willst du mir damit etwa sagen, ich sollte ...?«
»Ich will damit lediglich sagen, daß du sie beruhigen mußt. Gib ihr zu verstehen, daß es dir leid tut. Ich versichere dir: Sie liebt dich noch. Sonst hätte sie dich nie und nimmer auf diese Art angegriffen.«
»Und was erwartest du ganz konkret von mir?«
»Setz deinen Charme ein, Junge, bezaubere sie. Du hast es schon einmal geschafft, da wird es dir auch ein zweites Mal gelingen. Du mußt sie für dich gewinnen. Du gibst doch am Freitag abend ein Galadiner für das State Department. Lade sie ein. Du mußt etwas tun, um sie davon zu überzeugen, mit solchen Aktionen aufzuhören.«
»Ich weiß nicht. Wie könnte ich denn ...«
»Wie du das anstellst, ist mir völlig egal. Du könntest ja eventuell mit ihr irgendwohin fahren, wo ihr zwei euch einmal ungestört und in aller Ruhe aussprecht. Ich habe in Virginia ein Landhaus, ein sehr abgeschiedenes, diskretes Plätzchen. Ich selber fliege fürs Wochenende nach Florida und habe es so eingerichtet, daß Jan mich begleitet.« Er holte einen Zettel und einen Schlüsselbund aus der Tasche, die er Oliver überreichte. »Hier hast du die Anweisung, wie man hinkommt, und die Schlüssel fürs Haus.«
Oliver machte große Augen. »Mein Gott! Du hattest längst alles vorausgeplant? Und was ist, wenn Leslie nun nicht will ... was ist, wenn sie kein Interesse hat, wenn sie es ablehnt, mitzukommen?«
Senator Davis erhob sich. »Sie hat Interesse. Sie wird mitkommen. Wir sprechen uns am Montag wieder, Oliver. Viel Glück.«
Oliver blieb noch lange Zeit nachdenklich sitzen. Nein, sagte er sich, das kann ich ihr nicht antun, nicht schon wieder. Darauf lasse ich mich nicht ein.
Als sie sich abends zum Essen umzogen, sagte Jan: »Oliver, Vater hat mich gebeten, ihn an diesem Wochenende nach Florida zu begleiten. Er erhält da irgendeinen Preis, und ich vermute, daß er sich dort gern als Vater der Präsidentengattin ins rechte Licht rücken möchte. Wäre es ein sehr großes Opfer für dich, wenn ich ihm den Gefallen tun würde? Ich weiß, am Freitag abend findet ein Galadiner des State Department statt, und falls du es aus diesem Grunde lieber hättest, daß ich hierbleibe .«
»Nein, nein. Fahr nur mit ihm. Obwohl ich dich natürlich vermissen werde.« Und ich werde sie tatsächlich vermissen, dachte er. Sobald ich das Problem mit Leslie gelöst habe, werde ich mir mehr Zeit für Jan nehmen.
Leslie Stewart war gerade am Telefon, als ihre Sekretärin hereinstürzte. »Miss Stewart ...«
»Sehen Sie denn nicht, daß ich .«
»Präsident Russell! Auf Leitung drei.«
Leslie überlegte kurz, dann zog ein Lächeln über ihr Gesicht. »Gut«, sagte sie zur Sekretärin, und in den Hörer: »Ich rufe später wieder an.«
Sie drückte den Knopf der Leitung drei. »Hallo.«
»Leslie?«
»Hallo, Oliver. Oder muß ich dich jetzt mit >Mr. President< anreden?«
»Du kannst mich nennen, wie du willst.« Und er fügte in leichtem Ton hinzu: »Was du ja auch schon getan hast.« Schweigen. »Leslie, ich möchte dich gerne sehen.«
»Bist du auch sicher, daß das eine gute Idee ist?«
»Sehr sicher.«
»Du bist der Präsident. Da darf ich dir ja wohl keine Bitte abschlagen, nicht wahr?«
»Jedenfalls nicht, wenn du eine patriotisch denkende Amerikanerin bist. Am Freitag abend findet im Weißen Haus ein Galadiner des State Department statt. Bitte, komm.«
»Um welche Uhrzeit?«
»Um acht.«
»Einverstanden. Ich komme.«
Sie sah hinreißend aus in ihrem schwarzen, enganliegenden
Jerseykleid von St. John, mit Mandarinkragen und einer Knopfreihe mit Goldüberzug. Links hatte das Kleid einen fünfunddreißig Zentimeter langen Schlitz.
Als Oliver sie sah, wurde er von Erinnerungen überwältigt. »Leslie .«
»Mr. President.«
Er nahm ihre Hand. Sie war feucht. Das ist ein Zeichen, dachte Oliver. Doch ein Zeichen wovon? Nervosität? Zorn? Von alten Erinnerungen, die wachgeblieben sind?
»Ich bin ja so froh, daß du da bist, Leslie.«
»Ich auch.«
»Wir sprechen uns später.«
Ihr Lächeln erwärmte sein Herz. »Ja.«
Zwei Tische weiter saß eine Gruppe arabischer Diplomaten, darunter ein dunkler Mann mit scharf konturierten Gesichtszügen und schwarzen Augen, der Oliver mit auffälligem Interesse beobachtete.
Oliver beugte sich zu Peter Tager hinüber und machte eine Kopfbewegung in Richtung des Arabers. »Wer ist der Herr dort?«
Tager vergewisserte sich mit einem raschen Blick. »Ali al-Fulani. Legationsrat der Vereinigten Arabischen Emirate. Warum fragen Sie?«
»Nur so.« Oliver schaute noch einmal hinüber. Die Augen des Mannes waren unverändert auf ihn gerichtet.
Oliver war den ganzen Abend über damit beschäftigt, von Tisch zu Tisch zu gehen, einen Gast nach dem andern anzusprechen, damit sich alle willkommen und wohl fühlten. Sylvia saß nicht bei Leslie am Tisch. Es gelang ihm erst, für einen Augenblick mit Leslie allein zu sein, als der Abend fast zu Ende war.
»Ich muß mit dir reden, ich habe dir eine Menge zu erzählen. Können wir uns irgendwo treffen?«
Ihre Stimme verriet ein kaum merkliches Zögern. »Oliver -vielleicht wäre es doch besser, wenn wir uns nicht .«
»Ich habe da ein Haus in Manassas, Virginia, ungefähr eine Stunde von Washington entfernt. Würdest du mich dort besuchen?«
Sie schaute ihm in die Augen, und diesmal war keinerlei Zurückhaltung zu spüren. »Wenn du mich darum bittest.«
Oliver erklärte ihr den Weg zum Haus. »Morgen abend um acht?«
Leslies Stimme klang rauh. »Ich werde dasein.«
Auf der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats ließ James Frisch, der Direktor des Geheimdienstes cia, am Morgen darauf eine Bombe platzen.
»Mr. President, wir haben heute morgen Nachricht bekommen, daß Libyen vom Iran und von China verschiedene Arten von Nuklearwaffen kauft. Es gibt ein Gerücht, demzufolge sie für einen Angriff auf Israel gedacht sind. Wir werden allerdings ein bis zwei Tage benötigen, um eine Bestätigung zu erhalten.«
»Ich bin der Auffassung«, erklärte Außenminister Lou Werner, »daß wir die Bestätigung nicht abwarten sollten. Wir sollten sofort in der schärfstmöglichen Form protestieren.«
»Beschaffen Sie uns so viele zusätzliche Informationen wie eben möglich«, wies ihn Oliver an.
Die Sitzung nahm den ganzen Morgen in Anspruch, und Oliver ertappte sich immer wieder dabei, daß er in Gedanken bei seinem Rendezvous mit Leslie weilte. Bezaubere sie, mein Junge ... Du mußt sie für dich gewinnen.
Am Samstag abend war Oliver mit einem Wagen des Personals vom Weißen Haus auf dem Weg nach Manassas, Virginia; am Steuer saß ein zuverlässiger, vertrauenswürdiger Geheimdienstagent. Oliver hätte das Rendezvous am liebsten abgesagt, doch dafür war es zu spät. Ich mache mir grundlos Sorgen. Sie wird wahrscheinlich überhaupt nicht auftauchen.
Als Oliver abends um acht aus dem Fenster schaute, sah er
Leslies Wagen bei der Villa des Senators vorfahren. Er beobachtete, wie Leslie aus dem Auto ausstieg und auf den Eingang zuging. Oliver öffnete. Und dann standen die beiden einander wortlos gegenüber, und die Zeit stand still, und irgendwie war ihnen, als ob sie nie voneinander getrennt gewesen wären.
Es war Oliver, der die Sprache zuerst wiederfand. »O mein Gott! Als ich dich gestern abend vor mir sah ... Ich hatte beinahe vergessen, wie schön du bist.« Oliver nahm Leslies Hand, und sie gingen ins Wohnzimmer. »Was würdest du gern trinken?«
»Ich brauche nichts zu trinken. Danke.«
Oliver nahm neben ihr auf der Couch Platz. »Ich muß dich etwas fragen, Leslie. Haßt du mich?«
Sie schüttelte ganz langsam den Kopf. »Nein. Obwohl - ich glaubte, dich zu hassen.« Sie lächelte ironisch. »In gewissem Sinn lag darin sogar der Grund für meinen persönlichen Erfolg.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich hatte den Wunsch, mich an dir zu rächen, Oliver. Ich habe Zeitungsverlage und Fernsehanstalten nur mit dem Ziel erworben, damit ich dich angreifen konnte. Du bist der einzige Mann, den ich je geliebt habe. Und als du ... als du mich verließest, da habe ich . da habe ich geglaubt, ich würde es einfach nicht aushalten.« Sie kämpfte gegen die Tränen an.
Oliver legte einen Arm um sie. »Leslie ...« Und dann lagen seine Lippen auf ihrem Mund, es wurde ein leidenschaftlicher Kuß.
»O mein Gott«, rief sie. »Darauf war ich wirklich nicht vorbereitet.« Sie hielten einander umschlungen. Er nahm sie an der Hand und führte sie ins Schlafzimmer, und sie zogen sich gegenseitig aus.
»Schnell, Darling«, sagte Leslie. »Schnell ...«
Und dann waren sie im Bett, in enger Umarmung lagen sie
da, ihre Körper berührten sich, fanden wieder zueinander, und sie liebten sich so, wie es damals gewesen war, am Anfang, zärtlich und mit leidenschaftlicher Wildheit; es war ein Neubeginn. Glücklich und völlig erschöpft lagen sie Seite an Seite.
»Es ist wirklich komisch«, sagte Leslie.
»Was ist komisch?«
»All dieses schreckliche Zeug, das ich über dich veröffentlicht habe. Ich habe es eigentlich nur getan, um deine Aufmerksamkeit zu gewinnen.« Sie kuschelte sich enger an ihn. »Und ich habe sie damit tatsächlich gewonnen, nicht wahr?«
Er grinste. »In der Tat.«
Leslie setzte sich im Bett auf und schaute ihn an. »Ich bin ja so stolz auf dich. Auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten.«
»Ich gebe mir Mühe, ein guter Präsident zu sein. Das ist für mich das Allerwichtigste im Leben. Ich möchte in diesem Land etwas zum Guten ändern.« Oliver warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Es tut mir leid, aber ich muß zurück nach Washington.«
»Gewiß. Ich lasse dich vorausfahren.«
»Wann werde ich dich wiedersehen, Leslie?«
»Wann immer du willst.«
»Wir müssen aber vorsichtig sein.«
»Ich weiß. Wir werden aufpassen.«
Leslie blieb im Bett liegen und schaute Oliver verträumt beim Ankleiden zu.
Als Oliver aufbruchbereit war, beugte er sich über sie und sagte: »Du bist das Wunder meines Lebens.«
»Und du meines. Das bist du immer gewesen.«
Er gab ihr einen Kuß. »Ich ruf dich morgen an.«
Oliver eilte zum Wagen und wurde wieder nach Washington gefahren. Je stärker sich die Dinge ändern, um so mehr bleibt sich alles gleich, überlegte Oliver. Ich muß nur aufpassen, daß ich ihr nicht wieder weh tue. Er nahm das Autotelefon und wählte die Nummer in Florida, die ihm Senator Davis gegeben hatte.
Der Senator war selbst am Apparat. »Hallo.« »Hier Oliver.« »Wo bist du?«
»Auf dem Rückweg nach Washington. Ich rufe nur rasch an, um dir eine gute Nachricht mitzuteilen. Wegen des besagten Problems brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen. Es ist alles unter Kontrolle.«
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, das zu erfahren.« Die Stimme des Senators verriet, wie groß seine Erleichterung war.
»Ich habe gewußt, daß es dich freuen würde, Todd.«
Als Oliver am nächsten Morgen beim Anziehen nach der neuesten Ausgabe der Washington Tribune griff, sprang ihm auf der Titelseite ein Foto vom Landhaus des Senators Davis in Manassas in die Augen, das die Bildunterschrift trug: Das geheime Liebesnest von Präsident Russell.