20

In Frank Lonergans Wohnzimmer sah es aus, als ob ein kleiner Hurrikan hindurchgetobt wäre. Sämtliche Schubladen und Schränke waren aufgerissen und der Inhalt auf den Fußboden verstreut worden.

Nick Reese schaute zu, als Frank Lonergans Leiche abtransportiert wurde. Er wandte sich an Detective Steve Brown. »Irgendwelche Hinweise auf die Tatwaffe?«

»Nein.«

»Haben Sie schon mit den Nachbarn gesprochen?«

»Ja. Der Wohnblock ist ein Affenzoo. Keiner hat etwas Schlimmes bemerkt, keiner etwas Schlimmes gesehen, keiner sagt etwas Schlimmes. Nada. Mrs. Lonergan ist hierher unterwegs. Sie hatte die Nachricht im Rundfunk gehört. In der Gegend hier hat es während der letzten sechs Monate mehrere andere Raubeinbrüche gegeben und -«

»Ich wäre mir nicht so sicher, daß hier ein Einbruch vorliegt.«

»Was soll das heißen?«

»Lonergan war neulich bei uns im Hauptquartier, um sich Paul Yerbys Sachen anzusehen. Ich würde gern wissen, an was für einer Geschichte Lonergan arbeitete. Keine Papiere in den Schubladen?«

»Nein.«

»Keinerlei Notizen?«

»Nichts.«

»Dann war er entweder ein extrem ordentlicher Mensch, oder es hat sich jemand die Mühe gemacht, alles auszuräumen.« Reese ging zum Arbeitstisch, von dem ein loses Kabel herunterbaumelte, und hielt es hoch. »Was ist das hier?«

Detective Brown kam herüber. »Ein Computerkabel. Also muß hier ein Computer gestanden haben. Das heißt, daß sich hier irgendwo auch Ersatzgeräte befinden könnten.«

»Den Computer haben sie mitgenommen. Möglicherweise hat Lonergan seine Dateien auf Disketten kopiert. Wir sollten mal danach suchen.«

Sie fanden die Diskette in einem Koffer in Lonergans Wagen. Reese übergab sie Brown.

»Bringen Sie das hier bitte zum Hauptquartier. Es bedarf vermutlich eines Passworts, um hineinzukommen. Veranlassen Sie, daß Chris Colby einen Blick darauf wirft. Auf dem Gebiet ist Colby Fachmann.«

Die Wohnungstür öffnete sich, und Rita Lonergan kam herein. Sie sah blaß und verstört aus. Als sie die Männer sah, blieb sie stehen.

»Mrs. Lonergan?«

»Wer sind -«

»Detective Nick Reese, Morddezernat. Und das ist Detective Brown.«

Rita Lonergan schaute sich um. »Wo ist -«

»Die Leiche Ihres Mannes haben wir fortbringen lassen, Mrs. Lonergan. Es tut mir furchtbar leid, ich weiß, daß es für Sie eine schwere Zeit ist, aber ich möchte Ihnen doch gern ein paar Fragen stellen.«

Sie schaute ihn an. Plötzlich stand nackte Angst in ihren Augen. Es war eine Reaktion, mit der Reese ganz und gar nicht gerechnet hatte. Wovor hatte die Frau Angst?

»Ihr Mann hat an einer Reportage gearbeitet, nicht wahr?«

Ich bin an einer Geschichte dran ... die aufregendste Sache, an der ich je drangewesen bin.

»Mrs. Lonergan?«

»Ich - ich weiß gar nichts.«

»Sie wissen nicht, mit welchem Auftrag er beschäftigt war?«

»Nein. Über seine Arbeit hat Frank nie mit mir gesprochen.«

Es war offenkundig, daß sie log.

»Sie haben keine Ahnung, wer ihn umgebracht haben könnte?«

Ihr Blick wanderte über die geöffneten Schubladen und Schränke. »Es - es muß eingebrochen worden sein.«

Detective Reese und Detective Brown wechselten Blicke.

»Wenn es Ihnen nichts ausmachen würde, dann ... ich wäre jetzt gern allein. Es ist für mich ein furchtbarer Schock gewesen.«

»Selbstverständlich. Gibt es irgend etwas, das wir für Sie tun können?«

»Nein. Nur ... nur, daß Sie jetzt bitte gehen.«

»Wir werden zurückkommen«, versprach Nick Reese.

Als Detective Reese zum Polizeipräsidium zurückkehrte, rief er Matt Baker an. »Ich ermittle im Fall des Mordes an Frank Lonergan«, erklärte Reese. »Können Sie mir sagen, woran er gerade arbeitete?«

»Gewiß. Er betrieb Nachforschungen im Mordfall Chloe Houston.«

»Ich verstehe. Hat er den Bericht bei Ihnen eingereicht?«

»Nein, wir hatten darauf gewartet, als ...«, er brach ab.

»In Ordnung. Ich danke Ihnen, Mr. Baker.«

»Werden Sie mir Bescheid geben, wenn Sie etwas in Erfahrung bringen?«

»Sie werden der erste sein«, versicherte ihm Reese.

Am nächsten Morgen suchte Dana Evans bei wte Tom Haw-kins auf. »Ich möchte einen Bericht über Franks Tod senden und würde gern mit seiner Witwe reden.«

»Gute Idee. Ich werde Ihnen ein Kamerateam besorgen.«

Am Spätnachmittag hielten Dana und ihr Team vor dem Gebäude, wo Frank Lonergan gewohnt hatte. Gefolgt von dem Team ging Dana zur Tür der Wohnung und klingelte. Es war genau diese Art von Interview, vor der Dana sich fürchtete. Es war schlimm genug, im Fernsehen die Opfer furchtbarer

Verbrechen zu zeigen; aber es kam ihr noch viel schlimmer vor, die Trauer schmerzerfüllter Familien zu stören.

Die Tür öffnete sich, und vor ihr stand Rita Lonergan. »Was wollen Sie von ...«

»Ich bitte um Entschuldigung für die Störung, Mrs. Loner-gan. Ich bin Dana Evans von wte. Wir würden Sie gern um eine Stellungnahme zu ...«

Rita Lonergan erstarrte für einen Augenblick, dann schrie sie los: »Ihr Mörder!« Sie drehte sich um und rannte in die Wohnung zurück.

Dana erschrak. Sie warf dem Kameramann einen Blick zu. »Warten Sie hier auf mich.« Sie betrat die Wohnung und fand Rita Lonergan im Schlafzimmer. »Mrs. Lonergan ...«

»Raus mit Ihnen! Sie haben meinen Mann umgebracht.«

Dana war ratlos. »Was reden Sie da?«

»Ihre Leute haben ihm einen so gefährlichen Auftrag gegeben, daß er mich fortschickte, weil er . er um mein Leben fürchtete.«

Dana schaute sie entsetzt an. »An ... an was für einer Geschichte hat er denn gearbeitet?«

»Das hat Frank mir nicht sagen wollen.« Sie kämpfte gegen die Tränen an. »Weil es zu ... zu gefährlich sei, hat er gesagt. Es war eine große Sache. Er hat davon geredet, daß er den Pulitzerpreis und ...« Sie fing an zu weinen.

Dana ging zu ihr und nahm sie in die Arme. »Es tut mir ja so leid. Hatte er sonst noch etwas gesagt?«

»Nein. Nur daß ich verreisen sollte, und dann hat er mich zum Bahnhof gefahren. Er war unterwegs zu irgendeinem Mann von der Hotelrezeption.«

»Von welchem Hotel?«

»Dem Monroe Arms.«

»Ich weiß nicht, warum Sie hergekommen sind, Miss Evans«, protestierte Jeremy Robinson. »Lonergan hat es mir verspro-chen, daß es im Fall meiner Kooperation für das Hotel keinerlei schlechte Presse geben würde.

»Mr. Lonergan ist tot, Mr. Robinson. Ich hätte einfach nur gern ein paar Informationen.«

Jeremy Robinson schüttelte den Kopf. »Ich weiß nichts.«

»Was haben Sie Mr. Lonergan erzählt?«

Robinson seufzte. »Er hat mich um die Adresse von Carl Gorman, meinem Empfangschef, gebeten.«

»Hat Mr. Lonergan ihn aufgesucht?«

»Ich habe keine Ahnung.«

»Ich hätte gerne diese Adresse.«

Jeremy schaute sie kurz an und seufzte erneut. »Also gut. Er wohnt bei seiner Schwester.«

Einige Minuten später hielt Dana die Adresse in den Händen. Robinson sah ihr nach, als sie das Hotel verließ, dann nahm er den Hörer ab und rief das Weiße Haus an.

Er fragte sich, warum man sich im Weißen Haus so sehr für den Fall interessierte.

Chris Colby, der Computerspezialist des Morddezernats, kam mit einer Diskette in der Hand zu Detective Reese. Er zitterte vor Erregung.

»Was haben Sie herausbekommen?« fragte Detective Reese.

Chris Colby holte tief Luft. »Sie werden ausflippen. Hier haben Sie einen Ausdruck vom Inhalt der Diskette.«

Als Detective Reese zu lesen begann, trat ein Ausdruck ungläubigen Staunens auf seine Züge. »Heilige Muttergottes«, sagte er, »das muß ich Captain Miller zeigen.«

Nach der Lektüre des Ausdrucks schaute Captain Otto Miller Detective Reese an. »Ich ... so etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gelesen.«

»So etwas hat es überhaupt noch nie gegeben«, betonte De-tective Reese. »Und was machen wir nun damit?«

»Ich denke«, sagte Captain Miller gedehnt, »daß wir diesen Text der Justizministerin übergeben sollten.«

Alle waren im Büro von Justizministerin Barbara Gatlin versammelt: der FBI-Direktor Scott Brandon, Dean Bergstrom als Polizeipräsident von Washington, der CIA-Direktor James Frisch und Edgar Graves in seiner Eigenschaft als Oberster Richter des Bundesgerichts.

»Ich habe Sie zu mir gebeten, Gentlemen«, begann Barbara Gatlin, »weil ich Ihren Rat brauche. Ganz offen gesagt, ich weiß nicht, wie ich in dieser Angelegenheit vorgehen soll. Wir sehen uns einer wirklich einzigartigen Situation gegenüber. Frank Lonergan war Reporter bei der Washington Tribune. Zum Zeitpunkt seiner Ermordung befand er sich in der Recherche über die Hintergründe des Mordes an Chloe Houston. Ich werde Ihnen jetzt die Abschrift des Inhalts einer Diskette vorlesen, die die Polizei in Lonergans Wagen gefunden hat.« Sie blickte auf den Computerausdruck und begann laut zu lesen:

»Ich habe Grund zu der Annahme, daß der Präsident der Vereinigten Staaten mindestens einen Mord begangen hat und in vier weitere Morde verwickelt ist .«

»Was?« stieß Scott Brandon hervor.

»Lassen Sie mich fortfahren.« Sie las weiter.

»Die folgenden Informationen habe ich von verschiedenen Quellen erhalten. Leslie Stewart, die Besitzerin und Verlegerin der Washington Tribune, ist bereit, unter Eid auszusagen, daß Oliver sie bei einer Gelegenheit zur Einnahme einer illegalen Droge, flüssiges Ecstasy, zu überreden versuchte.

Als Oliver Russell für das Amt des Gouverneurs von Kentucky kandidierte, drohte ihm die Rechtsgehilfin Lisa Burnette, die dort im Capitol tätig war, mit einer Klage wegen sexueller Belästigung. Russell hat gegenüber einem Anwaltskollegen erklärt, daß er mit ihr sprechen würde. Am nächsten Tag wurde Lisa Burnettes Leiche im Kentucky River aufgefunden. Sie war an einer Überdosis von flüssigem Ecstasy gestorben.

Die Sekretärin des damaligen Gouverneurs Russell, Miriam Friedland, wurde an einem Abend bewußtlos auf einer Parkbank gefunden. Sie lag im Koma, das durch flüssiges Ecstasy verursacht worden war. Die Polizei wartete darauf, daß sie wieder aus dem Koma aufwachen würde, um sie dann zu befragen, wer ihr die Droge gegeben hatte. Oliver Russell rief im Krankenhaus an und machte den Vorschlag, Miriam Friedlands Life-Support-Systems auszuschalten. Miriam Friedland starb, ohne je aus dem Koma zu erwachen.

Chloe Houston kam durch eine Überdosis von flüssigem Ecstasy ums Leben. Ich habe erfahren, daß am Abend ihres Todes von der Suite des Hotels aus im Weißen Haus angerufen wurde. Als ich zur Überprüfung meiner Information in den Telefonunterlagen des Hotels nachsuchte, fehlte das entsprechende Blatt für diesen Tag.

Mir wurde mitgeteilt, daß der Präsident an diesem Abend an einer Sitzung teilgenommen habe. Ich stellte jedoch fest, daß diese Sitzung abgesagt worden war. Niemand weiß, wo der Präsident sich an diesem Abend aufgehalten hatte.

Paul Yerby wurde des Mordes an Chloe Houston verdächtigt und in Haft genommen. Am folgenden Morgen wurde Yerby in seiner Zelle erhängt aufgefunden. Er hatte angeblich Selbstmord begangen und sich mit dem eigenen Gürtel erhängt. Als ich dann jedoch auf der Polizeistation seine persönlichen Sachen überprüfte, befand sich darunter auch der unversehrte Gürtel.

Durch einen Freund beim FBI habe ich erfahren, daß dem Weißen Haus ein Erpresserbrief zugegangen ist. Präsident Russell beauftragte das FBI, den Brief auf Fingerabdrücke zu untersuchen. Der größte Teil des Briefes war mit weißer Farbe unkenntlich gemacht worden; das FBI konnte den Text jedoch mit Hilfe eines Infraskops entziffern.

Die Fingerabdrücke auf dem Brief wurden als die von Carl Gorman identifiziert. Gorman arbeitete als Empfangschef im

Hotel Monroe Arms und war vermutlich die einzige Person, der die Identität jenes Individuums bekannt war, das die Suite gebucht hatte, wo das Mädchen ermordet wurde. Er war zum Angeln verreist. Sein Name war jedoch dem Weißen Haus bekannt geworden. Als ich bei dem Angelplatz ankam, war er kurz zuvor ums Leben gekommen, angeblich bei einem Unfall.

Zwischen diesen Morden bestehen zu viele Verbindungen, um sie noch als Zufälle betrachten zu können. Ich setze meine Nachforschungen fort, aber, um die Wahrheit zu sagen, ich habe Angst. Für den Fall, daß mir etwas zustoßen sollte, habe ich dies hier zu Protokoll gegeben. Weitere Informationen später.«

»Großer Gott«, rief James Frisch aus. »Wie ... furchtbar.«

»Ich kann es nicht glauben.«

»Lonergan hat es geglaubt«, wandte Justizministerin Gatlin ein, »und ist wahrscheinlich ermordet worden, damit diese Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangen.«

»Und was unternehmen wir nun?« fragte Richter Graves. »Wie kann man den Präsidenten der Vereinigten Staaten befragen, ob er ein halbes Dutzend Menschen ermordet hat?«

»Eine gute Frage. Ihn unter Anklage stellen? Ihn verhaften? Ihn ins Gefängnis werfen?«

»Bevor wir irgend etwas unternehmen«, erklärte die Justizministerin, »sollten wir meiner Meinung nach dieses Protokoll dem Präsidenten persönlich vorlegen und ihm Gelegenheit zu einer Stellungnahme geben.«

Es ertönte ein beifälliges Murmeln.

»Inzwischen lasse ich einen Haftbefehl für ihn aufsetzen. Nur für den Fall, daß es sich als notwendig erweisen sollte.«

Ein im Raum anwesender Herr dachte: Ich muß Peter Tager davon in Kenntnis setzen.

Peter Tager legte den Hörer auf und dachte lange über das nach, was ihm soeben mitgeteilt worden war. Er stand auf und ging über den Korridor zum Büro von Deborah Kanner. »Ich muß den Präsidenten sprechen.«

»Er befindet sich in einer Sitzung. Wenn Sie ...«

»Ich muß ihn jetzt sofort sprechen, Deborah. Es ist dringend.«

Sie bemerkte den Ausdruck auf seinem Gesicht. »Nur einen Augenblick, bitte.« Sie nahm das Telefon und drückte eine Taste. »Verzeihen Sie die Unterbrechung, Mr. President. Mr. Tager steht neben mir und erklärt, daß er sie unbedingt sprechen muß.« Sie hörte kurz zu. »Ich danke Ihnen.« Sie legte den Hörer zurück und drehte sich zu Tager um. »In fünf Minuten.«

Fünf Minuten später war Peter Tager im Oval Office allein mit Präsident Russell.

»Was ist denn so wichtig, Peter?«

Tager atmete tief durch. »Die Justizministerin und das FBI sind der Auffassung, daß Sie in sechs Mordfälle verwickelt sind.«

Oliver lächelte. »Das soll wohl so etwas wie ein Witz sein

...?«

»Ach ja? Sie sind hierher unterwegs, und sie glauben, daß Sie Chloe Houston umgebracht haben und außerdem auch .«

Oliver war bleich geworden. »Wie bitte?«

»Ich weiß ... es ist total verrückt. Nach allem, was ich gehört habe, sind die Vorwürfe nur auf Indizien begründet. Ich bin überzeugt, daß Sie erklären können, wo Sie an dem Abend gewesen sind, als das Mädchen starb.«

Oliver schwieg.

Peter Tager wartete.

»Oliver - Sie können es doch erklären, nicht wahr?«

Oliver schluckte. »Nein, das kann ich nicht.«

»Sie müssen aber!«

»Peter«, sagte Oliver mit schwerer Stimme, »ich muß jetzt allein sein.«

Peter Tager suchte Senator Davis im Capitol auf.

»Was kann denn nur so eilig sein, Peter?«

»Es geht ... es betrifft den Präsidenten.«

»Ja?«

»Die Justizministerin und das FBI halten Oliver für einen Mörder.«

Senator Davis starrte Tager völlig verständnislos an. »Wovon reden Sie überhaupt?«

»Man ist davon überzeugt, daß Oliver mehrere Morde begangen hat. Ein Freund im FBI hat mir einen Hinweis zukommen lassen.«

Tager berichtete ihm von dem Beweismaterial.

Als Tager zu Ende gesprochen hatte, sagte Senator Davis langsam: »Dieser verdammte Trottel! Sie wissen, was das bedeutet?«

»Jawohl, Sir. Es bedeutet, daß Oliver .«

»Zum Teufel mit Oliver. Ich habe Jahre gebraucht, um ihn dahin zu bringen, wo ich ihn haben wollte. Was aus ihm wird, ist mir völlig egal. Nein, jetzt habe ich alles in der Hand, Peter, jetzt liegt alle Macht bei mir, und ich werde nicht dulden, daß ich sie nur wegen Olivers Dummheit verliere. Ich werde sie mir nicht nehmen lassen! Und zwar von niemandem!«

»Ich vermag nicht zu sehen, wie Sie .«

»Hatten Sie nicht gesagt, daß es nur Indizien als Beweise gibt?«

»Korrekt. Wie mir mitgeteilt wurde, liegen keine handfesten Beweise gegen ihn vor. Aber er hat kein Alibi.«

»Wo befindet sich der Präsident jetzt?«

»Im Oval Office.«

»Ich habe eine gute Nachricht für ihn«, versprach Senator Todd Davis.

Senator Davis saß Oliver im Oval Office gegenüber. »Mir sind da ein paar äußerst beunruhigende Dinge zu Ohren gekommen, Oliver. Alles Schwachsinn natürlich. Ich weiß wirklich nicht, wie jemand auch nur auf die Idee kommen könnte, daß du .«

»Ich auch nicht. Ich habe nichts Unrechtes getan, Todd.«

»Dessen bin ich mir sicher. Aber wenn das Gerücht an die Öffentlichkeit dringt, daß du auch nur solch furchtbarer Verbrechen verdächtigt worden bist - nun, du bist dir doch bewußt, wie sich das auf dein Amt auswirken würde, nicht wahr?«

»Selbstverständlich, aber ...«

»Du bist viel zu wichtig, um solche Entwicklung zuzulassen. Dieses Amt beherrscht die Welt, Oliver. Das willst du bestimmt nicht aufgeben wollen.«

»Todd ... ich habe mich in keiner Weise schuldig gemacht.«

»Man hält dich aber für schuldig. Ist es wahr, daß du für den Abend des Mordes an Chloe kein Alibi hast?«

Kurzes Schweigen. »Nein, ich habe kein Alibi.«

Senator Davis lächelte. »Was ist bloß mit deinem Gedächtnis los, Sohn? An diesem Abend bist du mit mir zusammengewesen. Wir haben den ganzen Abend zusammen verbracht.«

Oliver schaute ihn verständnislos an. »Was?«

»Du hast richtig gehört. Ich bin dein Alibi. Es wird niemand wagen, mein Wort in Zweifel zu ziehen. Niemand. Ich werde dich retten, Oliver.«

Daraufhin setzte ein langes Schweigen ein, bis Oliver die Frage stellte: »Und was verlangst du im Gegenzug dafür, Todd?«

Senator Davis nickte zustimmend. »Fangen wir mit der Friedenskonferenz für den Mittleren Osten an. Du wirst sie absagen. Anschließend werden wir weitersehen. Ich habe große Pläne für uns, und die lassen wir uns durch niemanden verderben.«

»Ich führe die Friedenskonferenz fort«, widersprach ihm Oliver.

Senator Davis kniff die Augen zusammen. »Was hast du da

gesagt?«

»Ich habe mich entschlossen, die Friedenskonferenz zu Ende zu führen. Todd, wichtig ist doch nicht, wie lange ein Präsident im Amt bleibt, sondern was er während seiner Amtszeit leistet.«

Senator Davis lief rot an. »Weißt du auch, was du da tust?«

»Ja.«

Der Senator lehnte sich über den Schreibtisch. »Ich habe den Eindruck, daß du es keineswegs weißt. Die Justizministerin ist hierher unterwegs, um dich wegen Mordes anzuklagen, Oliver! Von wo aus willst du eigentlich deine gottverdammten Verhandlungen führen - von der Strafanstalt aus? Du hast gerade dein ganzes Leben vertan, du dummer ...«

Eine Stimme ertönte über die Sprechanlage. »Mr. President -Sie werden gewünscht. Justizministerin Gatlin, Mr. Brandon vom FBI, Chief Justice Graves und .«

»Schicken Sie sie herein.«

»Es sieht wirklich so aus, als ob ich mich auf die Beurteilung von Pferdefleisch beschränken sollte«, meinte Senator Davis bissig. Ich habe mit dir einen großen Fehler gemacht, Oliver. Aber du hast soeben den größten Fehler deines Lebens gemacht. Ich werde dich zermalmen.«

Die Tür öffnete sich. Die Justizministerin kam herein, und ihr folgten Brandon, Graves und Bergstrom.

»Senator Davis ...« mahnte Richter Graves.

Todd Davis nickte knapp und verließ den Raum. Barbara Gatlin machte die Tür hinter sich zu. Sie trat auf den Schreibtisch zu.

»Wir sehen uns einer äußerst peinlichen Situation gegenüber, Mr. President. Ich hoffe jedoch auf Ihr Verständnis. Wir haben Ihnen ein paar Fragen zu stellen.«

Oliver sah sie direkt an. »Ich habe erfahren, aus welchem Grund Sie gekommen sind. Ich habe selbstverständlich mit keinem dieser Todesfälle etwas zu tun.« »Ich bin sicher, daß jeder von uns hier erleichtert ist, das zu hören, Mr. President«, erklärte Scott Brandon, »und ich darf Ihnen versichern, daß unter uns niemand tatsächlich angenommen hat, daß Sie darin verwickelt sein könnten. Es ist jedoch eine Beschuldigung erhoben worden, und wir haben keine andere Wahl, als ihr nachzugehen.«

»Ich verstehe.«

»Mr. President - haben Sie je die Droge Ecstasy genommen?«

»Nein.«

Die Gruppe wechselte vielsagende Blicke.

»Mr. President - wenn sie uns erklären könnten, wo Sie am Abend des fünfzehnten Oktober, am Abend des Todes von Chloe Houston, gewesen sind .«

Schweigen.

»Mr. President?«

»Ich kann im Augenblick nicht klar denken. Darf ich Sie bitten, später wiederzukommen?«

»Was meinen Sie mit später?« fragte Bergstrom.

»Um zwanzig Uhr.«

Oliver sah ihnen nach, als sie den Raum verließen. Er stand auf und ging in den kleinen Aufenthaltsraum, wo Jan an einem Schreibtisch arbeitete. Als Oliver eintrat, hob sie den Kopf.

Er atmete tief durch. »Jan«, sagte er, »ich . ich muß dir ein Geständnis machen.«

Senator Davis befand sich in einem Zustand eiskalten Zorns. Wie habe ich nur so blöd sein können? Ich habe den falschen Mann gewählt. Er versucht, alles zunichte zu machen, wofür ich gearbeitet habe. Aber ich werde ihm zeigen, was aus Leuten wird, die ein falsches Spiel mit mir treiben. Der Senator saß lange Zeit nachdenklich an seinem Schreibtisch. Schließlich nahm er den Hörer ab und wählte eine Nummer. »Miss Stewart - Sie haben mir einmal erklärt, daß ich mich wieder melden sollte, wenn ich Ihnen ein bißchen mehr anzubieten hätte.«

»Ja, Senator?«

»Lassen Sie mich vorab klarstellen, was ich von Ihnen verlange. Von jetzt an erwarte ich die volle Unterstützung der Tribune - Wahlkampfbeiträge, begeisterte Leitartikel, den ganzen Kram.«

»Und was bekomme ich dafür als Gegenleistung?« fragte Leslie.

»Ich liefere Ihnen den Präsidenten der Vereinigten Staaten auf dem Tablett. Die Justizministerin hat soeben wegen Mordes einen Haftbefehl gegen ihn beantragt.«

Ein heftiges Atmen am anderen Ende der Leitung. »Fahren Sie fort.«

Leslie Stewart redete so schnell, daß Matt Baker kein Wort verstehen konnte. »Um Gottes willen, nun beruhigen Sie sich doch«, sagte er. »Was wollen Sie mir denn erzählen?«

»Der Präsident! Wir haben ihn am Wickel, Matt! Ich habe gerade mit Senator Todd Davis gesprochen. Der Oberste Richter vom Bundesgericht, der Polizeipräsident, der Direktor des FBI und die amerikanische Justizministerin befinden sich gegenwärtig im Amtszimmer des Präsidenten - mit einem Haftbefehl gegen ihn wegen Verdachts auf Mordes. Es gibt einen Haufen Beweise gegen ihn, Matt, und er hat kein Alibi. Das ist die Sensationsgeschichte des Jahrhunderts!«

»Das können Sie aber nicht veröffentlichen.«

Sie schaute ihn erstaunt an. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Leslie, solch eine Story ist zu groß, um sie so einfach ... ich meine, da müssen erst einmal die Fakten überprüft und nochmals überprüft werden .«

»Und dann werden sie so lange überprüft, bis das Ganze bereits als Schlagzeile in der Washington Post steht? Nein, danke. So eine Chance werde ich mir nicht entgehen lassen.« »Sie können den Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht des Mordes beschuldigen, ohne .«

Leslie grinste. »Das werde ich auch nicht, Matt. Wir müssen jetzt gar nichts weiter tun, als die Tatsache veröffentlichen, daß es einen Haftbefehl gegen ihn gibt. Das reicht, um ihn zu vernichten.«

»Senator Davis ...«

». liefert seinen eigenen Schwiegersohn ans Messer. Er hält den Präsidenten für schuldig. Er hat es mir selbst gesagt.«

»Das ist nicht ausreichend. Wir werden die Sache zuerst einmal verifizieren .«

»Bei wem denn - bei Katharine Graham? Haben Sie den Verstand verloren! Wir bringen die Geschichte jetzt gleich, damit sie uns nicht entgeht.«

»Ich kann Ihnen das nicht durchgehen lassen, nicht ohne vorherige Verifizierung .«

»Wissen Sie eigentlich, mit wem Sie reden? Das ist hier meine Zeitung, und ich mache damit, was ich will.«

Matt Baker stand auf. »Das ist unverantwortlich. Ich werde es nicht erlauben, daß einer von meinen Journalisten diese Story schreibt.«

»Ihre Journalisten brauchen sie auch gar nicht zu schreiben. Ich werde sie selbst verfassen.«

»Wenn Sie das tun, Leslie, kündige ich. Und zwar unwiderruflich.«

»Nein, Matt, Sie werden mich nicht verlassen. Wir beide, Sie und ich, werden uns den Pulitzerpreis teilen.« Sie beobachtete, wie er sich auf dem Absatz umdrehte und den Raum verließ. »Sie werden schon wieder zurückkommen.«

Leslie drückte die Taste der Gegensprechanlage. »Lassen Sie Zoltaire rufen.«

Sie schaute ihm in die Augen. »Ich brauche mein Horoskop für die nächsten vierundzwanzig Stunden«, erklärte sie ihm.

»Ja, Miss Stewart, sehr gern.« Er nahm eine kleine Epheme-ride, die Bibel der Astrologen, aus seiner Tasche und schlug sie auf. Er studierte die Stellung der Sterne und Planeten. Seine Augen wurden groß.

»Was ist?«

Zoltaire blickte auf. »Ich . da scheint sich gegenwärtig etwas sehr Wichtiges zu ereignen.« Er zeigte auf die Ephemeride. »Schauen Sie. Der transitive Mars bewegt sich drei Tage lang über Ihrem neunten Haus im Pluto, indem er ein Quadrat bildet zu Ihrem .«

»Das ist uninteressant«, unterbrach ihn Leslie ungeduldig. »Lassen Sie uns gleich zum Wesentlichen übergehen.«

Er schien verwirrt. »Zum Wesentlichen? Ach so, ja.« Er schaute erneut in das Buch. »Da bereitet sich ein großes Ereignis vor, und Sie stehen mittendrin. Sie werden noch viel berühmter werden, als sie jetzt schon sind, Miss Stewart. Ihr Name wird aller Welt bekannt sein.«

Leslie empfand ein Gefühl von unbändiger Euphorie. Die ganze Welt würde ihren Namen feiern. Sie sah sich bei den Feiern zur Preisverleihung; der Redner verkündete: »Und jetzt die Empfängerin des diesjährigen Pulitzerpreises für die bedeutendste Reportage in der Geschichte des Journalismus. Ich präsentiere Ihnen Miss Leslie Stewart.« Es gab stehende Ovationen, der Beifall war ohrenbetäubend.

»Miss Stewart ...«

Leslie schüttelte den Traum ab.

»Sonst noch etwas?«

»Nein«, sagte Leslie. »Ich danke Ihnen, Zoltaire. Das ist genug.«

An diesem Abend las Leslie eine Kopie des von ihr persönlich verfaßten Berichts. Die Schlagzeile lautete: Haftbefehl wegen Mordverdachts gegen Präsident Russell

ausgestellt. Präsident muss sich auch in Ermittlungen

von fünf Todesfällen zum Verhör stellen.

Leslie paßte ihren Text in die Spalte und wandte sich an ihren geschäftsführenden Redakteur Lyle Banister. »Lassen Sie drucken«, sagte sie. »Bringen Sie's als Extraausgabe heraus. Es muß in einer Stunde im Straßenverkauf sein. wte kann es gleichzeitig senden.«

Lyle Bannister zögerte. »Sind sie nicht doch der Meinung, daß Matt Baker noch einen Blick darauf werfen .«

»Das ist hier nicht seine Zeitung, sie gehört mir. Lassen Sie drucken. Sofort.«

»Jawohl, Ma'am.« Er griff nach dem Telefon auf Leslies Schreibtisch und wählte eine Nummer. »Wir bringen es.«

Um 19 Uhr 30 bereiteten Barbara Gatlin und die übrigen Mitglieder der Delegation sich auf die Rückkehr zum Weißen Haus vor. »Ich hoffe inständigst,«, meinte Barbara Gatlin, »daß es nicht notwendig wird, den Haftbefehl gegen den Präsidenten zu verwenden. Seien Sie jedoch darauf vorbereitet.«

Eine halbe Stunde später kündigte Olivers Sekretärin die Justizministerin und die übrigen Herren an.

»Schicken Sie sie zu mir herein.«

Oliver war blaß, als er sie ins Oval Office einmarschieren sah. Jan stand neben ihm und hielt seine Hand.

»Sind Sie jetzt bereit, Mr. President«, begann Barbara Gatlin, »uns auf unsere Fragen Antwort zu geben?«

Oliver nickte. »Ich bin bereit.«

»Mr. President - hatte Chloe Houston am fünfzehnten Oktober einen Termin bei Ihnen?«

»Sie hatte einen Termin.«

»Und haben Sie das Mädchen empfangen?«

»Nein. Ich mußte den Termin absagen.«

Der Anruf war kurz vor fünfzehn Uhr gekommen. »Darling, ich bin's. Ich bin so einsam ohne dich. Ich befinde mich jetzt im Pförtnerhaus in Maryland. Ich sitze nackt am Rand des Swimmingpools.«

»Da müssen wir gemeinsam etwas unternehmen.«

»Wann kannst du kommen?«

»Ich werde in einer Stunde bei dir sein.«

Oliver stellte sich vor die Gruppe. »Wenn das, was ich Ihnen jetzt mitteilen werde, aus diesem Büro je an die öffentlichkeit gelangte, so würde es dem amerikanischen Amt des Präsidenten und unseren Beziehungen mit einem anderen Land einen irreparablen Schaden zufügen. Ich handle nur mit größtem inneren Widerstreben. Doch Sie lassen mir ja keine andere Wahl.«

Oliver ging, gefolgt von den staunenden Blicken der Anwesenden, zu einer Nebentür, die zu einem gemütlichen kleinen Raum führte, und machte die Tür auf. Sylvia Picone betrat den Raum.

»Diese Dame ist Sylvia Picone, die Gemahlin des italienischen Botschafters. Am fünfzehnten Oktober sind Mrs. Picone und ich von vier Uhr nachmittags bis um zwei Uhr früh am nächsten Morgen in ihrem Pförtnerhaus in Maryland zusammengewesen. Ich weiß nicht das geringste von dem Mord an Chloe Houston noch von einem der übrigen Todesfälle.«

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