»Wo bist du in der vergangenen Nacht gewesen, Oliver?« fragte Jan am folgenden Morgen während des Frühstücks.
Olivers Herzschlag setzte für eine Sekunde aus. Aber sie konnte unmöglich wissen, was geschehen war, niemand konnte es wissen. Wirklich niemand. »Ich hatte eine Zusammenkunft mit .«
Jan fiel ihm ins Wort. »Die Sitzung ist abgesagt worden. Trotzdem bist du erst um drei Uhr nachts heimgekommen. Ich hatte versucht, dich zu erreichen. Wo bist du gewesen?«
»Na ja, da hat sich etwas ergeben. Aber warum? Bestand denn ein dringender Anlaß ...? War etwas nicht in Ordnung?«
»Das ist mittlerweile bedeutungslos«, antwortete Jan in einem müden Ton. »Du tust nicht einfach nur mir weh, Oliver, du schadest dir auch selbst. Du hast soviel erreicht. Ich will nicht mitansehen müssen, daß du das alles wieder verlierst, nur weil . weil du nicht fähig bist . « Ihr traten Tränen in die Augen.
Oliver erhob sich und ging zu ihr. Er legte ihr den Arm um die Schultern. »Es ist alles in Ordnung, Jan. Alles ist gut. Ich liebe dich sehr.«
Und ich liebe dich wirklich, dachte Oliver, jedenfalls auf meine Art. Was gestern nacht geschah, ist nicht meine Schuld. Sie hat die Initiative ergriffen, sie hat angerufen. Ich hätte mich nicht mit ihr treffen dürfen. Er hatte alle nur möglichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um nicht gesehen zu werden. Ich bin nicht in Gefahr, sagte sich Oliver.
Peter Tager machte sich wegen Oliver Sorgen. Er hatte begriffen, daß es unmöglich war, Olivers Libido unter Kontrolle zu halten, und schließlich mit ihm eine Vereinbarung getroffen. An bestimmten Abenden setzte Peter Tager fiktive Sitzungen fest, an denen der Präsident teilzunehmen hatte; Sitzungen, die außerhalb des Weißen Hauses anberaumt wurden; und außerdem verstand Tager es dann so einzurichten, daß seine Geheimdiensteskorte für ein paar Stunden verschwand.
Als Peter Tager Senator Davis aufgesucht hatte, um sich wegen der Entwicklung zu beklagen, hatte ihm der Senator in aller Ruhe bedeutet: »Oliver ist nun mal ein heißblütiger Mensch, Peter, und es ist manchmal unmöglich, solche Leidenschaft zu beherrschen. Ich empfinde große Bewunderung für Ihre Moralvorstellungen, Peter. Ich weiß, wieviel Ihnen Ihre Familie bedeutet und wie sehr Ihnen das Verhalten des Präsidenten zuwider sein muß. Doch wir sollten da nicht allzusehr den Richter spielen wollen. Sorgen Sie einfach weiterhin dafür, daß in dieser Hinsicht alles so diskret wie möglich verläuft.«
Die Besuche in dem weißgekachelten Autopsieraum waren Detective Nick Reese verhaßt. Dort roch es nach Formaldehyd und Tod. Als er durch die Tür trat, sah er, daß er bereits vom Coroner erwartet wurde - von der zierlichen, attraktiven Helen Chuan.
»Morgen«, sagte Reese. »Haben Sie die Obduktion beendet?«
»Ich habe für Sie ein vorläufiges Gutachten erstellt, Nick. Die arme Jane Doe ist nicht an Ihrer Kopfverletzung gestorben. Ihr Herz hat schon zu schlagen aufgehört, bevor sie mit dem Kopf gegen den Tisch schlug. Sie ist an einer Überdosis Methylenedioxymethanphetamine gestorben.«
Er seufzte. »Müssen Sie mich denn immer mit solch unverständlichen Ausdrücken verschrecken, Helen?«
»Verzeihung. In der Umgangssprache heißt das Zeug Ecsta-sy.« Sie reichte ihm ein Gutachten. »Das wäre der bisherige Stand unserer Ergebnisse.«
Obduktionsprotokoll Name der Verstorbenen: Jane Doe, Aktennr: C-L961
Anatomische Zusammenfassung
I. Erweiterte und Hypertrophische Kardiomyopathie
A. Herzvergrösserung (750 gm)
B. Linke Ventrikelhyperthrophie, Herz (2,3 cm)
C. Kongestive Lebervergrösserung (2750 gm)
D. Banti-Syndrom (350 mg)
II. Akute Opiatvergiftung
A. Akute Venöse Blutstörung, sämtliche Eingeweide.
III. Toxikologie (cfr. Separates Gutachten)
IV. Hirnblutung (cfr. Separates Gutachten) Schlussfolgerung: (Todesursache)
Erweiterte und Hypertrophische Kardiomyopathie Akute Opiatintoxikation
Nick Reese hob den Kopf. »In schlichtes Englisch übersetzt heißt das also, daß sie an einer Überdosis Ecstasy gestorben ist?« »Ja.«
»Ist sie vergewaltigt worden?«
Helen Chuan zögerte. »Ihr Jungfernhäutchen war gebrochen, und es gab Spuren von Sperma und ein bißchen Blut auf ihren Oberschenkeln.« »Also ist sie vergewaltigt worden.« »Das glaube ich eigentlich nicht.«
»Was soll das heißen - Sie glauben es eigentlich nicht?« Reese runzelte die Stirn. »Es gab keinerlei Anzeichen von Gewaltanwendung.« Detective Reese schaute sie ratlos an. »Und das heißt?« »Ich glaube, daß Jane Doe eine Jungfrau gewesen ist. Es war ihr erstes sexuelles Erlebnis.«
Detective Reese versuchte die Information zu verarbeiten. Da war es einem Mann gelungen, eine Jungfrau zu überreden, mit ihm in die Imperial Suite hochzugehen und mit ihm zu schlafen. Das konnte nur jemand sein, den sie kannte. Oder ein berühmter, beziehungsweise mächtiger Mann.
Das Telefon läutete. Helen Chuan nahm ab. »Hier das Amt des Coroner.« Sie lauschte einen Augenblick, dann gab sie dem Detective den Hörer. »Es ist für Sie.«
Nick Reese nahm den Hörer. »Hier Reese.« Sein Gesicht hellte sich auf. »O ja, Mrs. Holbrook. Vielen Dank für den Rückruf. Es handelt sich um einen Klassenring von Ihrer Schule mit den Initialen P. Y. Gibt es bei Ihnen eine Schülerin mit diesen Initialen? ... Ich wäre Ihnen sehr verbunden. Danke. Ja, ich bleibe am Apparat.«
Er fixierte die Pathologin. »Sie sind überzeugt, daß sie nicht vergewaltigt wurde?«
»Ich habe keine Hinweise auf Gewaltanwendung gefunden. Nicht das mindeste.«
»Wäre es möglich, daß sie nach dem Tod penetriert wurde?«
»Das würde ich verneinen.« Nach einer kurzen Pause meldete sich Mrs. Holbrook wieder in der Leitung. »Detective Reese.«
»Ja.«
»Laut unserem Computer haben wir eine Schülerin mit den Initialen P. Y. Sie heißt Pauline Young.«
»Könnten Sie mir bitte eine Beschreibung von ihr geben, Mrs. Holbrook?«
»Aber gewiß. Pauline ist achtzehn Jahre alt. Sie ist ziemlich klein und stämmig und hat dunkles Haar .«
»Verstehe.« Das falsche Mädchen. »Und sie ist die einzige Schülerin mit diesen Initialen?«
»Der einzige weibliche Schüler. Ja.«
Er begriff. »Sie meinen, daß es in Ihrer Schule noch einen Jungen mit diesen Initialen gibt?« »Ja. Paul Yerby. Er besucht die Abschlußklasse. Übrigens -er hält sich zur Zeit gerade in Washington auf.«
Das Herz von Detective Reese begann schneller zu schlagen. »Er hält sich hier in Washington auf?«
»Ja. Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern der Denver High School befindet sich momentan in Washington, um das Weiße Haus und den Kongreß zu besichtigen und .«
»und alle Schülerinnen und Schüler dieser Gruppe sind in diesem Augenblick in der Hauptstadt?«
»So ist es.«
»Ist Ihnen zufällig auch bekannt, wo sie wohnen?«
»Im Hotel Lombardy. Das Hotel hat uns einen Gruppenrabatt eingeräumt. Die anderen Hotels, mit denen ich verhandelt habe, waren leider nicht .«
»Ich danke Ihnen von Herzen, Mrs. Holbrook. Ich bin Ihnen sehr verpflichtet.«
Nick Reese legte auf und wandte sich an die Pathologin. »Geben Sie bitte Bescheid, Helen, wenn der Obduktionsbefund abgeschlossen ist, ja?«
»Selbstverständlich. Viel Glück, Nick.«
Er nickte mit dem Kopf. »Ich denke, daß ich gerade Glück gehabt habe.«
Das Hotel Lombardy befand sich in der Pennsylvania Avenue, zwei Straßen vom Washington Circle entfernt; von dort waren das Weiße Haus, einige Denkmäler und eine u-Bahnstation zu Fuß erreichbar. Detective Reese betrat die altmodische Eingangshalle und ging auf die Rezeption zu. »Wohnt ein gewisser Paul Yerby bei Ihnen?«
»Bedaure, aber wir geben grundsätzlich keine ...«
Reese zeigte seine Dienstmarke. »Ich bin sehr in Eile, Freundchen.«
»Jawohl, Sir.« Der Empfangschef sah im Gästebuch nach. »Da gibt es einen Mr. Yerby auf Zimmer 315. Soll ich ...?«
»Nein. Ich werde ihn überraschen. Und geben Sie ihm jetzt
nicht telefonisch Bescheid.«
Reese nahm den Lift, stieg im dritten Stock aus und ging zu Zimmer 315, in dem er Stimmen hören konnte. Er öffnete einen Knopf seiner Jacke und klopfte an die Tür.
»Hallo.«
»Paul Yerby?«
»Nein.« Der Junge drehte sich nach einem anderen im Raum um. »Paul, Besuch für dich.«
Nick Reese schob sich an ihm vorbei. Aus dem Badezimmer kam ein schlanker Junge mit zerzaustem Haar in Jeans und Pulli.
»Paul Yerby?«
»Ja. Wer sind Sie?«
Reese zeigte seine Dienstmarke. »Detective Nick Reese. Morddezernat.«
Der Junge erbleichte. »Ich ... was kann ich für Sie tun?«
Nick Reese konnte die Angst des Jungen förmlich riechen. Er nahm den Ring des Mädchens aus der Tasche und hielt ihn dem Jungen hin.
»Haben Sie diesen Ring schon einmal gesehen, Paul?«
»Nein«, erwiderte der Junge prompt. »Ich .«
»Er trägt aber Ihre Initialen.«
»Tut er das? O ja.« Er zögerte. »Es könnte mein Ring sein. Ich muß ihn verloren haben.«
»Oder haben Sie ihn einem anderen Menschen geschenkt?«
Der Junge leckte sich die Lippen. »Ah, na ja. Könnte sein.«
»Dann begleiten Sie mich mal ins Stadtzentrum, Paul.«
Der Junge schaute ihn nervös an. »Bin ich verhaftet?«
»Weswegen denn?« fragte Detective Reese. »Haben Sie ein Verbrechen begangen?«
»Natürlich nicht. Ich ...« Die Worte verklangen.
»Warum sollte ich Sie dann verhaften?«
»Ich - ich weiß nicht. Ich wüßte nicht, warum ich Sie ins Stadtzentrum begleiten sollte.«
Er fixierte die offenstehende Tür. Detective Reese streckte die Hand aus und hielt Paul am Arm fest. »Machen wir keine Umstände.«
»Soll ich deine Mutter oder sonst jemand anrufen?« fragte der Zimmergenosse.
Paul Yerby schüttelte unglücklich den Kopf. »Nein. Ruf niemanden an.« Seine Stimme war nur mehr ein Flüstern.
Das Henry I. Daly Building an der Indiana Avenue, NW, im Zentrum von Washington ist ein unansehnliches, sechsstöckiges graues Backsteingebäude, das als Bezirkshauptquartier der Polizei dient. Die Räume des Morddezernats liegen im dritten Stock. Während von Paul Yerby Fotos gemacht und die Fingerabdrücke genommen wurden, suchte Detective Nick Reese das Büro von Captain Otto Miller auf.
»Ich glaube, daß wir in dem Monroe-Arms-Fall einen Durchbruch haben.
Miller lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Erzählen Sie.«
»Ich habe den Freund des toten Mädchens gefunden. Der Junge hat wahnsinnige Angst. Wir werden ihn jetzt vernehmen. Wollen Sie beim Verhör anwesend sein?«
Captain Miller machte eine Bewegung mit dem Kopf, um auf die Berge von Papier auf seinem Schreibtisch hinzuweisen. »Ich bin für die nächsten paar Monate beschäftigt. Geben Sie mir einen Bericht.«
»Okay.« Detective Reese machte sich auf den Weg zur Tür.
»Nick - vergessen Sie nicht, ihn über seine Rechte aufzuklären.«
Paul Yerby wurde in einen Vernehmungsraum geführt. Es war ein kleines Zimmer, zwei Meter siebzig lang und drei Meter sechzig breit, die Einrichtung bestand aus einem abgenutzten Schreibtisch, vier Stühlen und einer Videokamera. Außerdem war er mit einem Einwegspiegel versehen, so daß Kriminalbeamte das Verhör vom Nebenzimmer aus beobachten konnten.
Paul Yerby saß Nick Reese und den beiden Detectives Doug Hogan und Edgar Bernstein gegenüber.
»Ihnen ist bewußt, daß wir diese Unterredung auf Videoband aufzeichnen?« fragte Detective Reese.
»Jawohl, Sir.«
»Sie haben das Recht auf einen Anwalt. Falls Sie sich keinen Anwalt leisten können, wird Ihnen ein Anwalt zugewiesen, der Sie vertritt.«
»Wünschen Sie, daß bei diesem Gespräch ein Anwalt zugegen ist?« fragte Detective Bernstein.
»Ich brauche keinen Anwalt.«
»In Ordnung. Sie haben das Recht zu schweigen. Wenn Sie auf dieses Recht verzichten, kann und wird alles, was Sie aussagen, beim Gericht gegen Sie verwendet werden. Ist das klar?«
»Jawohl, Sir.«
»Wie lautet Ihr rechtmäßiger Name, bitte?«
»Paul Yerby.«
»Ihre Adresse?«
»23 Marian Street, Denver, Colorado. Hören Sie, ich habe nichts unrechtmäßiges getan. Ich .«
»Das hat auch niemand behauptet. Wir sind nur darum bemüht, ein paar Auskünfte zu erhalten, Paul. Dabei würden Sie uns doch gern weiterhelfen, nicht wahr?«
»Gewiß, aber ich ... Ich weiß gar nicht, worum es geht.«
»Sie haben keine Ahnung?«
»Nein, Sir.«
»Haben Sie Freundinnen, Paul?«
»Na ja, wissen Sie .«
»Nein, wir wissen es nicht. Warum erzählen Sie uns nicht etwas darüber?«
»Na schön, sicher. Ich treffe mich mit Mädchen .«
»Sie meinen, daß Sie sich mit Mädchen verabreden? Gehen Sie mit Mädchen aus?«
»Ja.«
»Gehen Sie mit einem ganz bestimmten Mädchen aus?« Schweigen.
»Haben Sie eine Freundin, Paul?« »Ja.«
»Und wie heißt sie?« fragte Detective Bernstein.
»Chloe.«
»und weiter?«
»Chloe Hanks.«
Reese machte eine Notiz. »Wie lautet ihre Adresse?« »62 Oak Street, Denver.« »und wie heißen ihre Eltern?« »Sie lebt mit ihrer Mutter zusammen.« »und wie heißt die Mutter?« »Jackie Houston. Sie ist Gouverneur von Colorado.« Die Kriminalbeamten warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Mist! Das hat uns gerade noch gefehlt!
Reese hielt einen Ring hoch. »Gehört dieser Ring Ihnen, Paul?«
Er schaute kurz hin und bejahte dann widerstrebend. »Haben Sie diesen Ring Chloe geschenkt?« Er schluckte nervös. »Ich ... ich glaube schon.« »Sie sind sich nicht sicher?«
»Nun erinnere ich mich. Ja, ich habe ihn ihr geschenkt.« »Sie sind mit einigen Klassenkameraden nach Washington gekommen, stimmt's? Mit einer Schulgruppe?« fragte Detecti-ve Hogan. »Ja, das stimmt.«
»Hat Chloe zu dieser Gruppe gehört?« »Jawohl, Sir.«
»Wo befindet Chloe sich zur Zeit, Paul?« fragte Detective Bernstein. »Ich - ich weiß es nicht.«
»Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?« fragte Detective
Hogan.
»Vor ein paar Tagen.«
»Vor zwei Tagen?« hakte Detective Reese nach.
»Ja.«
»Und wo?« wollte Detective Bernstein wissen.
»Im Weißen Haus.«
Die Detectives wechselten erstaunte Blicke. »Sie ist im Weißen Haus gewesen?« fragte Reese.
»Jawohl, Sir. Wir waren zusammen auf einer Privatbesichtigung, die Chloes Mutter für uns organisiert hat.«
»und Chloe hat daran teilgenommen?« erkundigte sich De-tective Hogan.
»Ja.«
»Ist während der Besichtigung des Weißen Hauses etwas Ungewöhnliches vorgefallen?« fragte Detective Bernstein.
»Wie meinen Sie das?«
»Haben Sie während der Besichtigung irgend jemanden getroffen oder gesprochen?« erläuterte Detective Bernstein.
»Na klar, den Führer.«
»und das ist alles?« fragte Reese.
»So ist es.«
»War Chloe die ganze Zeit über bei Ihrer Gruppe?« fragte Detective Hogan.
»Ja ...« Yerby zögerte. »Nein. Sie schlich sich davon, auf die Damentoilette. Sie war ungefähr eine Viertelstunde lang weg. Als sie wieder zurückkam, war sie ...« Er brach ab.
»War sie was?« insistierte Reese.
»Nichts. Sie kam einfach zurück.«
Es war offensichtlich, daß der Junge log.
»Mein Junge«, sagte Detective Reese, »wissen Sie, daß Chloe Houston tot ist?«
Sie beobachteten ihn genau. »Nein! Mein Gott! Wieso?« Seine erstaunte Miene war möglicherweise auch simuliert.
»Haben Sie das denn nicht gewußt?« fragte Detective Bern-stein.
»Nein! Ich ... das kann ich nicht glauben.«
»Sie hatten nichts mit ihrem Tod zu tun?« fragte Detective Hogan.
»Natürlich nicht. Ich liebe ... Ich hatte Chloe lieb.«
»Haben Sie je mit ihr geschlafen?« wollte Detective Bernstein wissen.
»Nein. Wir . wir wollten warten. Wir wollten nämlich heiraten.«
»Aber Sie haben manchmal gemeinsam Drogen genommen?« sagte Detective Reese.
»Nein! Wir haben nie Drogen genommen.«
Die Tür ging auf. Ein untersetzter Detective namens Harry Carter trat herein, ging zu Reese hinüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Reese nickte. Er fixierte Yerby.
»Wann haben Sie Chloe Houston zum letztenmal gesehen?«
»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt, bei der Besichtigung im Weißen Haus.« Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum.
Detective Reese beugte sich vor. »Sie befinden sich in großen Schwierigkeiten, Paul. Die Imperial Suite des Hotels Monroe Arms ist mit Fingerabdrücken von Ihnen übersät. Wie sind Sie dorthin gekommen?«
Paul Yerby war blaß geworden.
»Sie können sich die Lügen jetzt schenken. Wir haben Sie festgenagelt.«
»Ich ... Ich habe nichts getan.«
»Waren Sie die Person, die die Suite im Hotel Monroe Arms gebucht hat?« fragte Detective Bernstein.
»Nein. Das war ich nicht.« Die Betonung lag auf »ich«.
Reese setzte sofort nach. »Aber Sie wissen, wer es war?«
»Nein.« Die Antwort kam zu schnell.
»Sie geben aber zu, daß Sie in der Suite gewesen sind?« fragte Detective Hogan.
»Ja, aber ... aber als ich fortging, war Chloe am Leben.« »Warum sind Sie fortgegangen?« fragte Detective Hogan.
»Sie hat mich darum gebeten. Sie ... hat jemanden erwartet.«
»Kommen Sie, Paul. Wir wissen doch, daß Sie Chloe umgebracht haben«, sagte Detective Bernstein.
»Nein!« Er zitterte am ganzen Körper. »Ich schwöre, daß ich damit nichts zu tun habe. Ich habe Sie bloß nach oben in die Suite begleitet. Und ich bin nur ganz kurz dageblieben.«
»Weil sie jemanden erwartet hat?« fragte Detective Reese.
»Ja. Sie ... sie war irgendwie sehr aufgeregt.«
»Hat Sie Ihnen gesagt, wen sie dort treffen würde?« fragte Detective Hogan.
Er leckte sich die Lippen. »Nein.«
»Sie lügen. Sie hat es Ihnen gesagt.«
»Sie haben gesagt, daß Chloe aufgeregt war. Weshalb?« wollte Detective Reese wissen.
Paul leckte sich erneut die Lippe. »Wegen dem Mann, den sie zum Abendessen treffen würde.«
»Wer war dieser Mann?«
»Das darf ich nicht sagen.«
»Warum nicht?« fragte Detective Hogan.
»Ich habe es Chloe versprochen, daß ich es niemandem verraten würde.«
»Chloe ist tot.«
Paul Yerbys Augen füllten sich mit Tränen. »Ich kann es einfach nicht glauben.«
»Nennen Sie uns den Namen des Mannes«, verlangte Detec-tive Reese.
»Das kann ich nicht. Ich habe ihr ein Versprechen gegeben.«
»Ich will Ihnen sagen, was geschehen wird. Sie werden die Nacht im Gefängnis verbringen. Falls Sie uns morgen früh den Namen des Mannes nennen, mit dem Chloe verabredet war, werden wir Sie freilassen. Ansonsten werden wir Sie wegen Mordes ersten Grades unter Anklage stellen.«
Sie warteten, daß er etwas sagte.
Schweigen.
Nick Reese gab Bernstein ein Zeichen mit dem Kopf. »Führen Sie ihn ab.«
Detective Reese kam ins Büro von Captain Miller zurück.
»Ich habe eine schlechte Nachricht, und ich habe eine noch schlechtere Nachricht.«
»Für solche Spielchen habe ich wirklich nichts übrig, Nick.«
»Die schlechte Nachricht ist die, daß ich mir nicht sicher bin, daß der Junge ihr das Rauschgift gegeben hat. Die schlimmere Nachricht ist die, daß die Mutter des toten Mädchens Gouverneur von Colorado ist.«
»O Gott! Da wird die Presse jubilieren.« Captain Miller rang nach Luft. »Warum glauben Sie nicht daran, daß der Junge schuldig ist?«
»Er gibt zu, daß er mit dem Mädchen zusammen in der Suite war, behauptet jedoch, daß sie ihn weggeschickt hat, weil sie jemanden erwartete. Ich halte den Jungen einfach für zu intelligent, um eine solch dumme Geschichte zu erfinden. Was ich jedoch glaube, ist folgendes: Der Junge weiß, wen Chloe Houston erwartet hat. Er will aber nicht sagen, wer es war.«
»Haben Sie da irgendeine Vermutung?«
»Das Mädchen war zum erstenmal in Washington und nahm mit einer Gruppe ihrer Schule an einer Besichtigung des Weißen Hauses teil. Sie hat hier in Washington keine Menschenseele gekannt. Sie hat ihren Mitschülern erklärt, daß sie zur Damentoilette ginge. Es gibt aber im Weißen Haus keine öffentlichen Toiletten. Da hätte sie nach draußen zum Besucherpavillon an der Ellipse bei der 15th Street und E Street oder ins Besucherzentrum des Weißen Hauses laufen müssen. Sie war ungefähr eine Viertelstunde lang weg. Ich stelle mir die Sache so vor, daß sie auf der Suche nach einer Damentoilette jemandem über den Weg gelaufen ist - jemandem, den sie vielleicht wiedererkannt hat, eventuell jemand, den sie im
Fernsehen gesehen hat. Es muß auf jeden Fall ein bedeutender Mensch gewesen sein, und der hat sie zu einer privaten Toilette im Weißen Haus begleitet und auf sie einen hinreichend großen Eindruck gemacht, daß sie zustimmte, sich mit ihm in Monroe Arms zu treffen.
Captain Miller war nachdenklich geworden. »Da sollte ich besser das Weiße Haus anrufen. Man hat mich gebeten, sie in dieser Angelegenheit auf dem laufenden zu halten. Aber lassen Sie bei dem Jungen nicht locker. Ich muß diesen Namen wissen.«
»In Ordnung.«
Als Detective Reese durch die Tür verschwunden war, griff Captain Miller nach dem Telefon und wählte eine Nummer. Wenige Minuten später erklärte er: Jawohl, Sir. Wir haben einen wichtigen Zeugen in Gewahrsam genommen. Er befindet sich in der Polizeistation an der Indian Avenue in Gewahrsam ... Bestimmt nicht, Sir. Ich nehme an, daß der Junge uns morgen den Namen des Mannes nennen wird . Ja, Sir, ich verstehe.« Die Verbindung wurde unterbrochen.
Captain Miller seufzte und widmete sich wieder den Papierbergen auf seinem Schreibtisch.
Als Detective Nick Reese am nächsten Morgen darauf um acht Uhr Paul Yerbys Zelle betrat, hing Yerby tot an einem der obersten Gitterstäbe.