Senator Todd Davis war an diesem Morgen sehr beschäftigt. Er war zur Teilnahme an einer Auktion von Vollblutpferden aus der amerikanischen Hauptstadt in Louisville eingeflogen.
»Man muß die Blutlinien pflegen«, meinte er zu Peter Tager, als die beiden die herrlichen Tiere musterten, die eines nach dem anderen auf die Koppel geführt wurden. »Auf die Blutlinien kommt's an, Peter.«
Soeben wurde eine wunderschöne Stute in die Mitte der Koppel geführt. »Sail Away«, erklärte Senator Davis. »Eine Stute, die ich unbedingt haben muß.«
Sofort setzte ein lebhaftes Bieten ein, doch zehn Minuten später war Sail Away in den Besitz von Senator Davis übergegangen.
Das Mobiltelefon läutete. Peter Tager nahm ab. »Ja?« Er horchte kurz, bevor er sich dem Senator zuwandte. »Leslie Stewart. Wollen Sie mit ihr reden?«
Senator Davis zog die Stirn in Falten, zögerte einen Augenblick, dann nahm er Tager das Telefon aus der Hand.
»Miss Stewart?«
»Entschuldigen Sie die Störung, Senator Davis, aber könnte ich Sie vielleicht treffen? Ich muß Sie um einen Gefallen bitten.«
»Das könnte schwierig werden. Ich fliege bereits heute abend nach Washington zurück und .«
»Ich könnte ja herüberkommen und mich dort mit Ihnen treffen. Es ist wirklich wichtig.«
Senator Davis zögerte einen Augenblick. »Nun, wenn es Ihnen so wichtig ist, junge Dame, dann werde ich selbstverständlich Zeit für Sie finden. Ich werde in wenigen Minuten zu meiner Farm aufbrechen. Möchten Sie mich dort treffen?«
»Ausgezeichnet.«
»Dann erwarte ich Sie in einer Stunde.«
»Danke.«
Davis drückte die Schluss-Taste und drehte sich zu Tager um. »Ich habe sie falsch eingeschätzt. Ich hatte sie für klüger gehalten. Geldforderungen hätte sie vor der Hochzeit von Jan und Oliver stellen müssen.« Er wirkte nachdenklich, aber nur ganz kurz; dann machte sich auf seinem Gesicht ein zufriedenes Grinsen breit. »Den Teufel werde ich tun.«
»Worum geht's, Senator?«
»Mir ist soeben klar geworden, was es mit dieser dringenden Sache auf sich hat: Miss Stewart hat plötzlich entdeckt, daß sie von Oliver schwanger ist und deshalb eine kleine finanzielle Unterstützung braucht. Der älteste Trick der Welt.«
Eine Stunde später fuhr Leslie in Dutch Hill, der Farm des Senators, vor, wo am Eingang des Hauptgebäudes ein Wachmann stand. »Miss Stewart?«
»Ja.«
»Senator Davis erwartet Sie bereits. Bitte folgen Sie mir.« Er begleitete Leslie ins Innere des Hauses, wo ein breiter Flur zu einer großen, von Büchern überquellenden, holzgetäfelten Bibliothek führte. Dort saß Senator Davis an seinem Schreibtisch und blätterte in einem Buch. Als Leslie eintrat, hob er den Kopf und stand auf.
»Schön, Sie zu sehen, meine Liebe. Nehmen Sie doch bitte Platz.«
Leslie setzte sich.
Der Senator hielt das Buch in der Hand hoch. »Faszinierend. Eine Aufstellung mit allen Siegern vom ersten bis zum letzten Derby. Kennen Sie den Namen des Siegers im ersten Kentucky Derby?«
»Nein.«
»Aristides, im Jahre 1875. Aber Sie sind ja nicht hier, um mit mir über Pferde zu plaudern.« Er legte das Buch beiseite. »Sie wollten mich um einen Gefallen bitten.«
Er überlegte, wie sie die Sache wohl formulieren würde. Ich habe gerade herausgefunden, daß ich von Oliver ein Baby erwarte, ich weiß nicht, was ich machen soll ... Ich will ja keinen Skandal auslösen, aber ... Ich bin bereit, das Baby aufzuziehen, nur fehlt mir dazu das nötige Geld ...
»Kennen Sie Henry Chambers persönlich?« fragte Leslie.
Der völlig überraschte Senator blinzelte. »Ob ich ... Henry? Ja, natürlich kenne ich ihn. Warum?«
»Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir ein Empfehlungsschreiben an ihn mitgeben könnten.«
Senator Davis musterte sie mit einem erstaunten Blick, während er sich gedanklich auf die neue Situation einstellte. »Ist das der Gefallen, um den Sie mich bitten? Daß ich Sie mit Henry Chambers bekanntmache?«
»Ja.«
»Er wohnt aber leider nicht mehr hier, Miss Stewart. Er lebt in Phoenix, Arizona.«
»Ich weiß. Deshalb komme ich ja zu Ihnen. Ich reise nämlich morgen früh nach Phoenix und hatte gedacht, daß es schöner wäre, wenn ich dort wenigstens einen Menschen kennen würde.«
Senator Davis musterte sie kritisch, weil sein Instinkt ihm sagte, daß da irgend etwas im Busch war, das er nicht begriff
Die folgende Frage formulierte er mit größtem Bedacht. »Wissen Sie irgend etwas über Henry Chambers?«
»Nein. Nur daß er aus Kentucky stammt.«
Er suchte nach der richtigen Entscheidung. Sie ist eine schöne Frau, dachte er, Henry wird es mir bestimmt danken. »Ich rufe ihn an.«
Fünf Minuten später hatte er Henry Chambers in der Leitung.
»Henry, hier Todd. Du wirst es mit Bedauern hören, aber ich habe heute morgen Sail Away erworben. Ich weiß doch, daß du ein Auge auf die Stute geworfen hattest.« Er schwieg, hörte einen Moment zu und lachte. »Und ob ich dir das zutraue! Und du hast schon wieder eine Scheidung hinter dir, wie ich höre. Eigentlich schade. Ich hatte Jessica gern.«
Und so zog sich das Gespräch noch ein paar Minuten lang hin, bis Senator Davis erklärte: »Hör zu, Henry, ich werde dir einen guten Dienst erweisen. Eine Freundin von mir kommt morgen in Phoenix an, und weil sie dort keine Menschenseele kennt, wäre ich dir dankbar, wenn du dich ihrer ein bißchen annehmen würdest . Wie sie aussieht?« Er schaute Leslie an und lächelte. »Sie sieht nicht mal schlecht aus. Aber komm mir bloß nicht auf falsche Gedanken.«
Er lauschte. Dann wandte er sich erneut an Leslie. »Wann landet Ihr Flugzeug?«
»Um zehn vor drei, eine Maschine der Delta Airlines. Flug Nummer 159.«
Der Senator wiederholte die Information ins Telefon. »Sie heißt Leslie Stewart. Du wirst mir dafür noch einmal dankbar sein. Und jetzt paß auf dich auf, Henry. Ich lasse wieder von mir hören.« Er legte den Hörer auf die Gabel.
»Danke«, sagte Leslie.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
»Nein. Das war alles, was ich brauchte.«
Aber wieso? Was, zum Teufel, will Leslie Stewart von Henry Chambers?
In der Öffentlichkeit hatte das Fiasko mit Oliver Russell sich für Leslie hundertmal schlimmer ausgewirkt als alles, was sie sich hätte vorstellen können. Es war ein endloser Alptraum. Wo immer sie auftauchte, gab es Getuschel.
»Das ist sie. Er hat ihr sozusagen vor dem Altar den Laufpaß gegeben .«
»Die Einladung zu der Hochzeit hebe ich mir als Souvenir
auf .«
»Ich hätte zu gern gewußt, was sie mit ihrem Hochzeitskleid macht .«
Der öffentliche Klatsch steigerte Leslies Qualen; die Demütigung wurde schier unerträglich. Sie würde nie wieder einem Mann vertrauen können. Trost fand sie einzig in dem Gedanken, daß sie Oliver diese unverzeihliche Schandtat heimzahlen würde. Sie hatte noch keine Ahnung, wie ihr das gelingen könnte, zumal Oliver mit Senator Davis im Rücken über Reichtum und Macht verfügte. Dann muß ich eben einen Weg finden, um selbst noch größeren Reichtum und größere Macht zu gewinnen als er, überlegte Leslie. Aber wie? Wie denn?
Die Amtseinführung fand unmittelbar neben der exquisiten Blumenuhr mit dreizehn Meter Durchmesser im Garten des Capitols in Frankfort statt.
An Olivers Seite stand Jan, die der Vereidigung ihres stattlichen Ehemanns als Gouverneur von Kentucky atemlos zuschaute.
Wenn Oliver schön brav bleibt, werdet ihr anschließend im Weißen Haus residieren, hatte ihr der Vater versichert. Und Jan hatte sich fest vorgenommen, mit allen Kräften dafür zu sorgen, daß nichts, absolut gar nichts schiefging.
Nach der Feier saß Oliver mit seinem Schwiegervater in der prunkvollen Bibliothek des Executive Mansion beisammen -das herrliche Gebäude war Marie Antoinettes Schloß Le Petit Trianon in der Nähe von Versailles nachgebildet.
Senator Todd Davis nickte befriedigt mit dem Kopf, nachdem er sich in dem luxuriösen Raum umgeschaut hatte. »Hier wird's dir gutgehen, Sohn. Richtig gut.«
»Ich verdanke das alles nur dir«, erklärte Oliver sichtlich bewegt. »Und ich werde es dir nie vergessen.«
Senator Davis tat es mit einer Handbewegung ab. »Laß es gut sein, Oliver. Du bist hier, weil du es verdient hast. Na ja, vielleicht habe ich ein klein bißchen nachgeholfen. Das ist aber nur der Anfang - ich bin schließlich schon lange in der Politik, da habe ich ja wohl ein paar Sachen gelernt.«
Er blickte zu Oliver hinüber, abwartend, und Oliver erwiderte pflichtschuldig: »Ich würde nur zu gern von dir lernen, Todd.«
»Schau her, da gibt es ein generelles Mißverständnis. Es ist nämlich keineswegs so, daß Beziehungen das Entscheidende sind. Es kommt nicht so sehr darauf an, wen man kennt«, dozierte Senator Davis, »sondern auf das, was man über die wichtigen Leute weiß, die man kennt. Irgendwo hat jeder eine kleine Leiche im Keller. Du mußt sie nur ausgraben, dann wirst du dich wundern, wie alle gelaufen kommen, um dir zu helfen, wenn du etwas brauchst. Ich weiß zufällig, daß ein Kongreßab-geordneter in Washington mal ein Jahr in einer psychiatrischen Anstalt zugebracht hat. Ein Abgeordneter aus dem Norden wurde wegen eines Diebstahls als Jugendlicher in eine Besserungsanstalt eingewiesen. Nun, du wirst dir vorstellen können, was es für die politische Laufbahn der Herren bedeuten würde, wenn so was bekannt würde. Das ist Wasser auf unsere Mühlen.«
Der Senator öffnete eine kostbare Lederaktentasche und nahm ein Bündel Papiere heraus, das er Oliver überreichte. »Unterlagen über die Personen, mit denen du in Kentucky zu tun haben wirst. Es handelt sich um mächtige Herrschaften. Und doch hat jeder seine Achillesferse.« Er grinste. »So hat der Bürgermeister beispielsweise eine enorme Achillesferse. Er ist nämlich ein Transvestit.«
Oliver bekam große Augen, als er die Papiere überflog.
»Du hältst sie gut unter Verschluß, hörst du? Das ist reines Gold.«
»Keine Sorge, Todd. Ich werde darauf aufpassen.«
»Noch eins, Oliver, setz diese Leute nicht zu stark unter Druck, wenn du etwas von ihnen brauchst. Du darfst sie nie brechen - immer nur ein bißchen biegsam machen.« Er muster-te Oliver. »Wie kommt ihr beiden, Jan und du, miteinander aus?«
»Prima«, erwiderte Oliver prompt, und das entsprach in gewisser Hinsicht sogar der Wahrheit. Aus Olivers Sicht handelte es sich um eine pragmatische Ehe, und er paßte daher auf, nichts zu tun, was sie gefährden könnte. Er vergaß es nie, wie teuer ihn seine Affäre beinahe zu stehen gekommen wäre.
»Gut. Jans Glück bedeutet mir nämlich sehr viel.« Es war eine deutliche Warnung.
»Mir auch«, bekräftigte Oliver.
»Wie gefällt dir übrigens Peter Tager?«
»Ich mag ihn sehr«, entgegnete Oliver mit Begeisterung. »Er ist mir eine phantastische Hilfe gewesen.«
»Freut mich, zu hören. Einen besseren Mann wirst du nie finden. Ich werde ihn dir ausborgen, Oliver. Er kann dir viele Wege ebnen.«
Oliver grinste. »Ausgezeichnet. Ich weiß es zu schätzen.«
Senator Davis stand auf. »Also gut. Ich muß wieder zurück nach Washington. Du meldest dich, wenn du etwas brauchst.«
»Mit Sicherheit, danke, Todd.«
Am Sonntag nach seiner Unterredung mit Senator Davis versuchte Oliver, Peter Tager zu erreichen.
»Er ist in der Kirche, Gouverneur.«
»Ganz recht. Hatte ich völlig vergessen. Ich werde morgen mit ihm sprechen.«
Peter Tager ging mit seiner Familie Sonntag für Sonntag zum Gottesdienst und besuchte außerdem dreimal wöchentlich eine zweistündige Gebetsversammlung. Irgendwie beneidete ihn Oliver. Er ist wahrscheinlich der einzig wirklich glückliche Mensch, den ich kenne, dachte er.
Am Montagmorgen betrat Tager Olivers Büro. »Sie wollten mich sprechen, Oliver.«
»Ich muß Sie um eine Gefälligkeit bitten. Etwas Persönliches.«
Peter nickte. »Soweit es in meinen Kräften steht.«
»Ich benötige ein Apartment.«
Tager ließ die Augen mit einem Ausdruck gespielten Unglaubens durch den riesigen Raum wandern. »Ist dieses Haus für Sie etwa zu klein, Gouverneur?«
»Nein.« Oliver sah Peter fest ins Auge. »Es ist nur so, daß ich abends manchmal private Termine habe, für die Diskretion erforderlich ist. Sie verstehen mich?«
Eine peinliche Pause. »Ja.«
»Ich brauche etwas außerhalb des Stadtzentrums. Können Sie das für mich regeln?«
»Ich denke schon.«
»Die Angelegenheit bleibt selbstverständlich unter uns.«
Peter Tager machte einen unglücklichen Eindruck, als er mit dem Kopf nickte.
Eine Stunde später sprach Tager am Telefon mit Senator Davis in Washington.
»Oliver hat mich gebeten, ein Apartment für ihn zu mieten, Senator. Etwas sehr Diskretes.«
»Tatsächlich? Also, er macht sich, Peter. Er hat begriffen, und er lernt dazu. Tun Sie's. Aber passen Sie verdammt gut auf, daß Jan nichts davon erfährt.« Der Senator dachte kurz nach. »Beschaffen Sie ihm ein Apartment in Indian Hills. Ein Apartment mit separatem Eingang.«
»Aber es ist doch nicht recht, daß er ...«
»Peter ... tun Sie's einfach.«