Die Vorstandsmitglieder saßen im Sitzungszimmer des Zeitungsverlags am runden Tisch, schlürften ihren Kaffee, nahmen sich Bagels und Frischkäse und harrten der Ankunft Leslies.
»Meine Damen, meine Herren, verzeihen Sie, daß ich Sie habe warten lassen«, sagte sie beim Eintreten. »Henry hat mich gebeten, ihn mit einem Gruß zu entschuldigen.«
Die Haltung des Vorstands gegenüber Leslie hatte sich seit der ersten Sitzung, an der sie teilnahm, merklich verändert. Damals war sie von oben herab und wie ein Eindringling behandelt worden. Doch seit Leslie sich allmählich in das Zeitungsgeschäft eingearbeitet und wertvolle Vorschläge gemacht hatte, wurde sie von allen geachtet. Unmittelbar vor Sitzungsbeginn wandte Leslie sich an Amy, die gerade Kaffee nachschenkte. »Amy, ich möchte Sie bitten, daß Sie während der Sitzung dableiben.«
Amy schaute sie verdutzt an. »Ich bin leider nicht besonders gut in Steno, Mrs. Chambers. Cynthia ist viel tüchtiger fürs -«
»Sie sollen ja auch nicht Protokoll führen. Sie notieren nur die Resolutionen, die wir am Ende beschließen.«
»Jawohl, Mrs. Chambers.« Amy nahm sich Notizblock und Kugelschreiber und setzte sich auf einen Stuhl an der Wand.
Leslie wandte sich dem Vorstand zu. »Wir haben ein Problem. Unser Tarifvertrag mit der Druckergewerkschaft ist fast ausgelaufen. Wir verhandeln nun schon seit drei Monaten, ohne eine Vereinbarung erzielen zu können. Wir müssen deshalb jetzt eine Entscheidung treffen, und zwar sehr schnell. Sie haben die Berichte gelesen, die ich Ihnen zusandte. Ich würde gern Ihre Meinung hören.«
Sie fixierte Gene Osborne, der Partner einer örtlichen Anwaltskanzlei war.
»Wenn Sie mich fragen, Leslie, so kann ich nur sagen, daß die Kerle sowieso schon verdammt zuviel bekommen. Gibt man ihren jetzigen Forderungen nach, werden sie morgen noch mehr verlangen.«
Leslie nickte und ließ ihren Blick zum Kaufhausbesitzer Aaron Drexel wandern. »Aaron?«
»Dem kann ich nur beipflichten. Sie sind ohnehin viel zu sehr gehätschelt worden. Falls wir ihnen was geben, sollten wir dafür auch was bekommen. Nach meiner Meinung könnten wir einen Streik verkraften und sie nicht.«
Die Kommentare der übrigen Vorstandsmitglieder waren ähnlich.
»Ich muß Ihnen allen widersprechen«, erklärte Leslie, womit sie heftiges Erstaunen auslöste. »Ich finde, wir sollten ihren Forderungen stattgeben.«
»Das wäre reiner Wahnsinn.«
»Am Ende werden sie noch Eigentümer der Zeitung sein.«
»Dann werden sie überhaupt nicht mehr zu bremsen sein.«
»Wir dürfen ihnen auf keinen Fall nachgeben.«
Leslie ließ alle ausreden, um anschließend zu erklären: »John Riley ist ein anständiger Kerl. Er ist von der Richtigkeit seiner Forderungen überzeugt.«
Die völlig überraschte Amy verfolgte die Diskussion von ihrem Platz aus mit größtem Interesse.
Ein weibliches Vorstandsmitglied brachte die Kritik offen auf den Punkt. »Ich finde es absolut unverständlich, daß Sie für Riley Partei ergreifen, Leslie.«
»Ich ergreife hier für niemanden Partei. Ich halte es aber für erforderlich, in diesem Punkt moderat und vernünftig vorzugehen. Im übrigen liegt die Entscheidung ja nicht bei mir. Lassen Sie uns zur Abstimmung schreiten.« Sie drehte sich zu Amy um. »Ich möchte Sie bitten, das Folgende zu protokollieren.«
»Jawohl, Ma'am.«
Leslie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Gruppe zu.
»Wer die Forderungen der Gewerkschaft ablehnt, möge die Hand heben.« Es wurden elf Hände hochgehoben. »Halten Sie im Protokoll fest, daß ich persönlich für eine Annahme und die übrigen Vorstandsmitglieder gegen die Annahme der gewerkschaftlichen Forderungen votiert haben.«
Amy notierte es mit nachdenklicher Miene in ihren Notizblock.
»Also, das war's dann wohl.« Sie erhob sich. »Falls keine weiteren Themen zur Diskussion anstehen ...«
Die anderen erhoben sich.
»Ich danke Ihnen für Ihr Erscheinen.« Leslie wartete, bis alle den Raum verlassen hatten, bevor sie Amy ansprach: »Würden Sie das bitte ordentlich ins reine tippen, Amy?«
»Unverzüglich, Mrs. Chambers.«
Leslie begab sich zu ihrem Büro.
Es dauerte gar nicht lang, bis der Anruf kam.
»Mr. Riley für Sie, auf Leitung eins«, sagte Amy.
Leslie nahm den Hörer ab. »Hallo.«
»Hier Joe Riley. Ich wollte Ihnen einfach nur für Ihre Bemühungen danken.«
»Ich weiß gar nicht, wovon .«
»Auf der Vorstandssitzung. Ich habe gehört, was sich da getan hat.«
»Das wundert mich aber sehr, Mr. Riley«, hielt Leslie ihm entgegen. »Die Sitzung war geheim.«
Joe Riley lachte in sich hinein. »Sagen wir mal, daß ich Freunde in gewissen Stellungen habe. Ich finde es jedenfalls großartig, was Sie zu erreichen versucht haben. Wirklich schade, daß es nicht geklappt hat.«
Nach einem kurzen Schweigen sagte Leslie, und sie sprach plötzlich ganz langsam. »Mr. Riley ... und wenn ich wüßte, wie es doch noch klappen könnte?«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich habe da eine Idee, die ich allerdings nur ungern am Telefon diskutieren würde ... Wäre es möglich, daß wir uns zusammensetzen, irgendwo . unauffällig?«
Pause. »Klar. Und woran hatten Sie gedacht?«
»An ein Lokal, wo uns beide niemand erkennen würde.«
»Wir wär's mit einem Treff im Golden Cup?«
»Einverstanden. In einer Stunde bin ich da.«
»Bis gleich.«
Das Golden Cup war ein verrufenes Cafe im schäbigeren Teil von Phoenix, in Bahngleisnähe und in einem Viertel, das Touristen auf Anraten der Polizei mieden. Joe Riley war bereits da, als Leslie eintraf, er saß in einer Ecknische und erhob sich, als sie auf ihn zukam.
»Danke, daß Sie gekommen sind«, sagte Leslie. Sie nahmen Platz.
»Ich bin gekommen, weil Sie meinten, es gebe vielleicht doch noch eine Möglichkeit, daß ich meinen Tarifvertrag bekomme.«
»Es gibt eine Möglichkeit. Ich finde, daß der Vorstand sich kurzsichtig und dumm verhält, und ich habe versucht, es den Leuten klarzumachen. Sie wollten aber nicht hören.«
Er nickte. »Ich weiß. Sie haben dem Vorstand empfohlen, uns den gewünschten Tarifvertrag zu geben.«
»Das stimmt. Die anderen Vorstandsmitglieder begreifen einfach nicht, wie wichtig ihr Drucker für unsere Zeitung seid.«
Er musterte sie mit einem Ausdruck von Ratlosigkeit. »Sie sind aber überstimmt worden, Mrs. Chambers. Was bleibt uns danach als Möglichkeit ...?«
»Der Vorstand hat nur aus einem Grund gegen meine Empfehlung gestimmt: weil er Ihre Gewerkschaft nicht ernst nimmt. Falls Sie einen langen Streik und möglicherweise das Ende der Zeitung verhüten wollen, müssen Sie denen zeigen, daß Sie es ernst meinen.«
»Wie meinen Sie das?«
Leslie wurde sichtlich nervös. »Was ich Ihnen jetzt sage, ist äußerst vertraulich. Es gibt aber keinen anderen Weg, um Ihre Forderungen durchzusetzen. Das Problem ist ganz einfach folgendes: Man glaubt, daß Sie nur bluffen. Man glaubt einfach nicht, daß es Ihnen ernst ist. Sie müssen beweisen, daß Sie es ernst meinen. Der bestehende Tarifvertrag geht am Freitag dieser Woche um Mitternacht zu Ende.«
»Ja .«
»Man rechnet damit, daß Ihre Leute dem Arbeitsplatz danach einfach ganz still und leise fernbleiben.« Sie beugte sich vor. »Tun Sie's nicht!« Er hörte ihr aufmerksam, fasziniert zu. »Zeigen Sie's denen! Demonstrieren Sie, daß diese Herrschaften den Star ohne Ihre Mitarbeit gar nicht herausbringen können. Lauft nicht einfach wie Lämmer davon. Richten Sie Schaden an.«
Er machte große Augen.
»Ich meine ja nichts richtig Schlimmes«, korrigierte sich Leslie schnell. »Nur gerade genug, um denen zu beweisen, daß Ihre Drohungen ernstgemeint sind. Kappen Sie ein paar Leitungen, setzen Sie ein oder zwei Druckmaschinen außer Betrieb. Der Vorstand muß verstehen, daß ihm die Pressen allein, ohne Ihre Mitarbeit, überhaupt nichts nutzen. Solcher Schaden läßt sich in ein bis zwei Tagen reparieren, aber Sie hätten den Herrschaften erst mal einen gehörigen Schrecken eingejagt und sie zur Vernunft gebracht, damit sie endlich kapieren, worum es geht und mit wem sie es zu tun haben.«
Joe Riley verschlug es die Sprache. Sein Blick ruhte auf Leslie. »Sie sind eine bemerkenswerte Dame.«
»Nicht wirklich. Es ist nur so, daß ich nach gründlichem Nachdenken vor einer ganz simplen Alternative stehe. Entweder es kommt so, daß Sie mit Ihren Leuten einen geringfügigen Schaden verursachen, der sich leicht reparieren läßt, den Vorstand aber dazu zwingt, ernsthaft mit Ihnen zu verhandeln.
Oder Ihr bleibt still und leise der Arbeit fern und nehmt einen Dauerstreik in Kauf, von dem die Zeitung sich eventuell nie wieder erholen wird. Mir persönlich geht es einzig und allein darum, die Zeitung zu schützen.«
Auf Rileys Gesicht breitete sich langsam ein Lächeln aus. »Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee spendieren, Mrs. Chambers? Wir streiken! Wir schlagen zu!«
Der Angriff der Drucker unter Joe Rileys Führung begann in der Nacht von Freitag auf Samstag - genau eine Minute nach Mitternacht. Sie rissen Maschinenteile herunter; sie kippten Tische mit Instrumenten und Geräten um; sie legten Feuer an zwei Druckerpressen. Ein Nachtwächter, der ihnen Einhalt gebieten wollte, wurde zusammengeschlagen. Die Drucker, die eigentlich nur vorhatten, ein paar Maschinen außer Betrieb zu setzen, wurden vom Fieber der Erregung erfaßt und zunehmend destruktiver.
»Zeigen wir's den Schweinen, daß wir uns nicht rumstoßen lassen!« rief einer.
»Ohne uns gibt's keine Zeitung!«
»Der Star sind wir!«
Jubel und Hurrageschrei - die Männer wurden zunehmend aggressiver, und die Produktionshalle verwandelte sich in ein Trümmerfeld.
Inmitten dieser Raserei blitzten plötzlich von den vier Ecken der Halle her Scheinwerfer auf. Die Männer hielten inne und blickten sich verdutzt um. An den Eingängen waren Fernsehkameras postiert, die das Chaos der Verwüstung und Zerstörung aufnahmen, und neben den Kameras notierten Reporter von der Arizona Republic, der Phoenix Gazette und mehreren Nachrichtenagenturen die Orgie der Gewalt. Außerdem waren auf einmal mindestens ein Dutzend Polizisten und Feuerwehrleute anwesend.
Joe Riley registrierte es mit Entsetzen. Wie, zum Teufel, hat-ten Journalisten, Polizisten und Feuerwehrleute so rasch hergefunden? Als die Polizei anrückte und die Feuerleute die Schläuche aufdrehten, ging Riley plötzlich ein Licht auf, und ihm war, als ob er einen Tritt in den Magen erhalten hätte. Leslie Chambers hatte ihm eine Falle gestellt! Wenn diese Bilder einer durch die Gewerkschaft verursachten Zerstörung ausgestrahlt wurden, hätten er und seine Leute bei der Bevölkerung sämtliche Sympathien verloren. Sie hätten die öffentliche Meinung gegen sich aufgebracht. Und genau das hatte das Miststück von Anfang an geplant.
Im Fernsehen wurden die Bilder binnen einer Stunde ausgestrahlt. Die Rundfunksender brachten ausführliche Berichte von der mutwilligen Zerstörung. Die Geschichte wurde weltweit in Zeitungen abgedruckt, und alle Veröffentlichungen hatten den gleichen Tenor. Bösartige Angestellte hatten die Hand gebissen, die sie ernährte. Für den Phoenix Star war das Ganze ein totaler PR-Triumph.
Leslie hatte alles ausgezeichnet vorbereitet. Sie hatte vorab ein paar Manager des Star heimlich nach Kansas geschickt, wo sie sich mit der Bedienung der riesigen neuen Druckereimaschinen vertraut machten und lernten, nicht gewerkschaftlich organisierte Angestellte in die elektronische Zeitungsproduktion einzuweisen. Im übrigen kamen nach dem Sabotageakt auch zwei andere streikende Gewerkschaften - die Arbeiter im Zustelldienst und die Fotograveure - in ihren Tarifverhandlungen mit dem Star prompt zu einer Einigung.
Mit der Niederlage der Gewerkschaften war der Weg zur Modernisierung der Drucktechnologien beim Star frei. Die Produktivität stieg über Nacht um zwanzig Prozent, und die Zeitung machte zunehmend Gewinn.
Amy wurde am Morgen nach dem Streik fristlos entlassen.
Es war zwei Jahre nach dem Hochzeitstag, an einem Freitag, daß Henry spätnachmittags über eine leichte Magenverstim-mung klagte. Als er am Samstag morgen unter Schmerzen im Brustkorb litt, rief Leslie eine Ambulanz, die ihn sofort ins Krankenhaus brachte. Am Sonntag morgen schloß Henry Chambers die Augen für immer.
Er hatte Leslie sein gesamtes Vermögen vermacht.
Am Montag nach der Beerdigung bekam Leslie Besuch von Craig McAllister. »Ich würde gern ein paar juristische Fragen mit Ihnen besprechen. Falls es Ihnen aber dafür noch zu früh ist ...«
»Nein«, sagte Leslie. »Ich komme klar.«
Henrys Tod hatte Leslie tiefer als erwartet getroffen. Er war ein lieber, freundlicher Ehemann gewesen; doch sie hatte ihn als Mittel zum Zweck ihrer Rache an Oliver benutzt, und irgendwie wurde Henrys Tod in Leslies Bewußtsein nun noch ein weiterer Grund zur Vernichtung Olivers.
»Welche Absichten hegen Sie jetzt für den Star?« fragte McAllister. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie Ihre Zeit auf die Geschäftsführung der Zeitung verwenden wollen.«
»Genau das ist meine Absicht. Wir werden expandieren.«
Leslie ließ sich ein Exemplar der Branchenzeitschrift Mana-ging Editor bringen, die die Makler von Zeitungsverlagen für das gesamte Gebiet der Vereinigten Staaten auflistet. Leslie entschied sich für die Agentur Dirks, Van Essen and Associates in Santa Fe, New Mexico.
»Hier Mrs. Henry Chambers. Ich bin am Erwerb einer weiteren Zeitung interessiert und hätte gern gewußt, was zur Zeit gerade auf dem Markt ist .«
Es war die Sun in Hammond, Oregon.
»Fliegen Sie für mich hin und schauen Sie sich den Verlag einmal an«, bat Leslie McAllister.
Zwei Tage später meldete McAllister sich telefonisch bei Leslie. »Die Sun können Sie vergessen, Mrs. Chambers.«
»Und worin besteht das Problem?«
»Das Problem besteht darin, daß Hammond eine Stadt mit zwei Lokalzeitungen ist. Die verkaufte Tagesauflage der Sun beträgt fünfzehntausend. Die Auflage der anderen Zeitung, des Hammond Chronicle, liegt fast doppelt so hoch, nämlich bei achtundzwanzigtausend. Im übrigen verlangt der Eigentümer für die Sun fünf Millionen Dollar. Solch ein Handel ist unsinnig.«
Leslie dachte kurz nach. »Bleiben Sie dort. Warten Sie auf mich. Ich komme.«
Während der nächsten zwei Tage nahm Leslie die Zeitung und ihre Geschäftsbilanz unter die Lupe.
»In Konkurrenz mit dem Chronicle hat die Sun nicht die geringsten Chancen«, versicherte ihr McAllister. »Der Chroni-cle wächst und wächst, die Auflage der Sun dagegen ist in den letzten fünf Jahren kontinuierlich gesunken.«
»Ich weiß«, sagte Leslie. »Aber ich werde sie kaufen.«
Er schaute sie fassungslos an. »Sie wollen was ...?«
»Ich werde diese Zeitung kaufen.«
Der Handel wurde in drei Tagen durchgezogen. Der alte Besitzer war froh, die Zeitung loszuwerden. »Ich habe die Dame zu dem Deal überredet«, frohlockte er. »Sie hat mir die vollen fünf Millionen gezahlt.«
Walt Meriwether stattete Leslie in seiner Eigenschaft als Verleger des Hammond Chronicle einen Höflichkeitsbesuch ab.
»Dann sind Sie also meine neue Konkurrentin«, meinte er herablassend.
Leslie nickte. »Korrekt.«
»Wenn die Sache hier für Sie nicht aufgeht, werden Sie vielleicht daran interessiert sein, die Sun an mich zu verkaufen.«
Leslie lächelte. »Und falls die Sache doch aufgeht, wären Sie vielleicht daran interessiert, mir Ihren Chronicle zu verkaufen.«
Meriwether lachte. »Bestimmt. Viel Glück, Mrs. Chambers.«
Als Meriwether wieder in seinem Büro des Chronicle saß, erklärte er selbstbewußt: »In einem halben Jahr gehört die Sun uns.«
Leslie flog nach Phoenix zurück. Sie führte eine Unterredung mit dem geschäftsführenden Redakteur des Star. »Sie begleiten mich nach Hammond in Oregon«, sagte sie zu Lyle Bannister. »Ich möchte Sie bitten, dort die Geschäfte zu führen, bis die Zeitung auf die Beine kommt.«
»Ich habe mit Mr. McAllister gesprochen«, antwortete Ban-nister. »Die Zeitung hat ja nicht mal Beine, und er meinte, es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Katastrophe komplett ist.«
Sie sah ihm in die Augen. »Tun Sie mir den Gefallen.«
In Oregon rief Leslie bei der Sun eine Betriebsversammlung ein.
»Wir werden jetzt eine etwas andere Geschäftspolitik betreiben«, gab sie bekannt. »Hammond ist eine Stadt mit zwei Zeitungen, und ich gehe davon aus, daß die zweite Zeitung bald uns gehören wird.«
»Verzeihen Sie, Mrs. Chambers«, widersprach Derek Zornes, der geschäftsführende Redakteur der Sun, »aber ich weiß nicht, ob man Ihnen die Situation klargemacht hat. Unsere Zeitung hat eine wesentlich niedrigere Auflage als der Chronicle und sackt von Monat zu Monat weiter ab. Wir haben keine Chance, die Auflage des Chronicle einzuholen.«
»Wir werden ihre Auflage nicht nur einholen«, versicherte ihm Leslie, »sondern den Chronicle vom Markt verdrängen.«
Die im Konferenzraum versammelten Männer sahen einander an, und alle hatten den gleichen Gedanken: Weiber und Amateure sollten sich aus dem Zeitungsgewerbe heraushalten.
»Und wie wollen Sie das erreichen?« erkundigte sich Zornes höflich.
»Haben Sie schon mal einen Stierkampf gesehen?« fragte Leslie zurück.
Er zuckte erstaunt mit den Augen. »Einen Stierkampf? Nein
...«
»Dann passen Sie auf: Wenn der Stier in die Arena stürmt, verfolgt der Matador nicht die Absicht, ihn gleich zu töten. Er läßt den Stier bluten, bis er so schwach ist, daß er sich töten läßt.«
Zornes hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. »Und wir werden den Chronicle bluten lassen?«
»Genau.«
»Und wie werden Sie das anstellen?«
»Es beginnt damit, daß wir den Preis der Sun ab kommendem Montag von fünfunddreißig Cents auf zwanzig Cents und unsere Anzeigenpreise um dreißig Prozent heruntersetzen. Und in der folgenden Woche beginnen wir mit einem Preisausschreiben, bei dem unsere Leser Gratisreisen in alle Welt gewinnen können. Mit der Ankündigung des Preisausschreibens fangen wir sofort an.«
Als die Angestellten hinterher zusammenkamen, um über die Betriebsversammlung zu diskutieren, waren alle der Meinung, daß ihre Zeitung von einer total verrückten Frau übernommen worden war.
Als das Ausbluten begann, war es jedoch die Sun, die zur Ader gelassen wurde.
»Haben Sie eigentlich eine Vorstellung von der Höhe unserer Verluste bei der Sun?« fragte McAllister.
»Ich könnte Ihnen die Verluste der Sun genauestens beziffern«, erwiderte Leslie.
»Und wie lange beabsichtigen Sie, das durchzuhalten?«
»Bis wir gewonnen haben«, antwortete Leslie. »Seien Sie unbesorgt. Wir werden gegen die Konkurrenz gewinnen.«
Insgeheim war Leslie allerdings äußerst besorgt. Die Verluste stiegen von Woche zu Woche, und die Auflagenentwicklung war weiterhin rückläufig. Im übrigen war die Senkung der Anzeigentarife bei den Interessenten lediglich auf geringes Interesse gestoßen.
»Ihre Methode zieht nicht«, erklärte McAllister. »Wir müssen unsere Verluste unbedingt reduzieren. Natürlich können Sie weiterhin Geld hineinpumpen - aber was soll's?«
In der folgenden Woche fand das Sinken der Auflage ein Ende.
Es dauerte acht Wochen, bis die Wende kam und die Auflage der Sun zu steigen anfing.
Der reduzierte Preis der Zeitung und die Senkung der Anzeigentarife waren gewiß verlockend gewesen; der eigentliche Grund für die Auflagensteigerungen der Sun waren jedoch die Preisausschreiben. Sie liefen über zwölf Wochen; eine Teilnahme war mit jeder neuen Woche möglich. Als Preise waren Kreuzfahrten in der Südsee sowie Reisen nach London, Paris und Rio ausgeschrieben. Die Zahlen der Auflagenhöhe der Sun explodierten förmlich, seit die Preise ausgehändigt und durch Fotos der Gewinner auf der Titelseite groß und werbewirksam herausgestellt wurden.
»Da haben Sie sich auf ein verdammt riskantes Lotteriespiel eingelassen, aber es hat funktioniert«, räumte Craig McAllister widerwillig ein.
»Das war keineswegs ein Lotteriespiel«, korrigierte ihn Les-lie. »Die Leute können nicht widerstehen, wenn sie etwas umsonst kriegen können.«
Als Walt Meriwether die Aufstellung der neuesten Absatzzahlen in die Hand bekam, geriet er außer sich vor Wut. Es war seit vielen Jahren das erste Mal, daß die Sun mehr Exemplare verkaufte als der Chronicle.
»Na schön«, meinte Meriwether grimmig zu seinen Managern. »So ein blödes Spiel können wir schließlich auch. Dann reduzieren wir eben unsere Anzeigentarife. Und denken Sie sich irgendein Preisausschreiben aus.«
Da war es aber schon zu spät. Elf Monate nach Leslies Übernahme der Sun ersuchte Walt Meriwether sie um eine Unterredung.
Er war kurz angebunden. »Ich verkaufe«, sagte er. »Sind Sie an einem Kauf des Chronicle interessiert?«
»Ja.«
Am Tag der Unterzeichnung des Kaufvertrags für den Chronicle rief Leslie erneut eine Betriebsversammlung ein.
»Von Montag an«, gab sie bekannt, »erhöhen wir den Preis der Sun. »Wir setzen die Anzeigentarife aufs Doppelte fest und hören mit den Preisausschreiben auf.«
Einen Monat später teilte Leslie Craig McAllister mit: »Der Evening Standard in Detroit steht zum Verkauf. Zu diesem Zeitungsverlag gehört übrigens auch ein Fernsehsender. Ich denke, da sollten wir zuschlagen.
McAllister protestierte. »Aber Mrs. Chambers, wir verstehen nicht das mindeste vom Fernsehen und .«
»Dann werden wir es eben lernen müssen, nicht wahr?« Das Medienimperium, das Leslie für ihre Pläne benötigte, nahm langsam Gestalt an.