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Dana Evans war eine Armeegöre - die Tochter eines Oberst, der als Ausbilder in neuen Waffensystemen von einem Militärstützpunkt zum nächsten zog. Mit elf Jahren hatte Dana bereits in fünf amerikanischen Städten und in vier ausländischen Staaten gelebt. Sie hatte ihre Eltern zum militärischen Versuchsgelände Aberdeen in Maryland, nach Fort Benning in Georgia, Fort Hood in Texas, Fort Leavenworth in Kansas und Fort Monmouth in New Jersey begleitet. Sie hatte Schulen für Offizierskinder auf Camp Zama in Japan, am Chiemsee in Deutschland, auf Camp Darby in Italien und in Fort Buchanan in Puerto Rico besucht.

Dana war ein Einzelkind; ihre Freundinnen und Freunde fand sie unter den Armeeangehörigen nebst Familienanhang, die zu den verschiedenen Stützpunkten versetzt worden waren. Sie war ein frühreifes, fröhliches und kontaktfreudiges Kind; die Mutter machte sich allerdings Sorgen, weil Dana keine normale Kindheit gehabt hatte.

»Ich weiß, wie schrecklich hart es für dich sein muß, alle sechs Monate wieder umzuziehen, Liebling«, erklärte ihre Mutter.

Dana schaute ihre Mutter verständnislos an. »Wieso?«

Dana reagierte mit Begeisterung auf jede neue Versetzung ihres Vaters. »Wir ziehen wieder um!« jubelte sie.

Ihrer Mutter dagegen war das ewige Umziehen aus tiefster Seele verhaßt.

Als Dana dreizehn Jahre alt geworden war, teilte ihr die Mutter mit: »Ich halte es nicht länger aus, wie eine Zigeunerin leben zu müssen. Ich lasse mich scheiden.«

Dana war entsetzt, allerdings weniger wegen der Scheidung, sondern aufgrund der Tatsache, daß sie dann nicht mehr mit

ihrem Vater durch die Welt ziehen konnte.

»Wo werden wir denn wohnen?« wollte Dana von ihrer Mutter wissen.

»In Kalifornien, in der Stadt Claremont. Dort bin ich aufgewachsen. Es ist ein wunderschönes Städtchen. Es wird dir dort sicher gefallen.«

Im ersten Punkt hatte Danas Mutter recht: Claremont war tatsächlich ein wunderschönes Städtchen. Mit der Vermutung, daß dieses Städtchen Dana gefallen würde, lag sie allerdings total daneben. Claremont lag am Fuß der San-Gabriel-Berge in Los Angeles County, hatte etwa dreißigtausend Einwohner, herrliche Alleen und die Lebensatmosphäre einer idyllischen College-Gemeinschaft, die Dana unerträglich fand. Der Wechsel vom Dasein als Weltreisende zum seßhaften Kleinstadtkind löste bei ihr einen Kulturschock aus.

»Werden wir hier immer bleiben?« fragte Dana bedrückt.

»Warum, Schatz?«

»Weil die Stadt für mich zu klein ist. Ich brauche eine größere Stadt.«

Am ersten Schultag in Claremont kam sie völlig deprimiert nach Hause zurück.

»Was ist los? Gefällt dir die Schule etwa nicht?«

Dana seufzte. »Die Schule ist schon in Ordnung. Aber da sind viel zu viele Kids.«

Die Mutter lachte. »Damit werden die Kids bestimmt fertig. Und du auch.«

Während ihrer Schulzeit an der Claremont High School wurde Dana Reporterin für die Schülerzeitschrift Wolfpacket. Sie stellte fest, daß ihr die Zeitungsarbeit großen Spaß machte; was ihr allerdings nach wie vor schrecklich fehlte, das war das Reisen.

»Wenn ich einmal groß bin«, erklärte Dana, »werde ich wieder durch die Welt ziehen.«

Mit achtzehn Jahren schrieb Dana sich für das Hauptfach

Journalismus am Claremont McKenna College ein und wurde dort sogleich für die Studentenzeitung Forum als Reporterin tätig; ein Jahr später wurde sie zur Chefredakteurin gewählt.

Unentwegt kamen Studienkollegen zu ihr, um sie um einen Gefallen zu bitten. »Unsere Studentinnenvereinigung gibt in der kommenden Woche einen Ball. Würdest du es bitte in der Zeitung erwähnen ...?«

»Am Dienstag tritt der Debattierclub zusammen ...«

»Könntest du eine Kritik über die Aufführung bringen, die der Theaterclub inszeniert?«

»Wir müssen Mittel für die neue Bibliothek auftreiben .«

Es hörte nie auf, doch Dana machte die Arbeit großen Spaß. Sie befand sich in einer Position, in der sie Menschen zu helfen vermochte, und es machte ihr Freude, anderen zu helfen. Im letzten Studienjahr entschloß Dana sich deshalb für eine Laufbahn als Zeitungsjournalistin.

»Mit diesem Beruf werde ich bedeutende Personen in aller Welt interviewen können«, teilte Dana ihrer Mutter mit. »Ich werde dazu beitragen können, daß etwas geschieht, daß die Dinge in Bewegung kommen.«

Wenn Dana sich während der Pubertät im Spiegel betrachtete, wurde sie jedesmal deprimiert. Sie war zu klein, zu mager, zu flachbrüstig. Und die anderen Mädchen in Kalifornien waren so überwältigend schön. Es kam ihr vor wie Schicksal: Ich bin ein häßliches Entlein in einem Land von Schwänen, dachte sie. Daraufhin mied sie es krampfhaft, in den Spiegel zu schauen. Wenn sie hineingeschaut hätte, wäre ihr aufgefallen, daß sich im Alter von vierzehn Jahren ihr Körper zu entfalten begann, und bis zu ihrem sechzehnten Geburtstag war sie ein schönes Mädchen geworden. Als sie siebzehn wurde, fingen die Jungen an, sich ernsthaft um sie zu bemühen. Ihr lebhaftes, herzförmiges Gesicht, die forschenden großen Augen und ihr heiseres Lachen hatten etwas an sich, das gleichermaßen bezaubernd und herausfordernd war.

Seit dem zwölften Lebensjahr hatte Dana eine genaue Vorstellung davon, wie sie einmal ihre Jungfräulichkeit verlieren wollte: in einer wundervollen Mondscheinnacht auf einer fernen tropischen Insel, wo die Wellen sanft plätschernd am Strand ausliefen und im Hintergrund leise Musik spielen würde. Dann würde sich ein schöner, gebildeter Fremder nähern und ihr tief in die Augen und ins Herz schauen, und er würde sie wortlos in die Arme nehmen und behutsam zu einer nahen Palme tragen. Dort würden sie sich gegenseitig entkleiden und einander lieben, während die Musik im Hintergrund anschwellen würde.

Es kam dann aber so, daß Dana ihre Unschuld nach einem Schulball im Fond eines alten Chevrolet an einen achtzehnjährigen dürren Jungen namens Richard Dobbins verlor, der mit ihr beim Forum zusammenarbeitete. Er schenkte Dana seinen Ring. Einen Monat später zog er mit seinen Eltern nach Mil-waukee, und Dana hörte nie mehr von ihm.

Ein Monat vor ihrem Collegeabschluß mit einem Bakkalau-reat im Fach Journalismus suchte Dana die Lokalzeitung - den Claremont Examiner - auf, um sich für eine Stellung als Reporterin zu bewerben.

Ein Herr von der Personalabteilung überflog ihren Lebenslauf. »Sie waren also Chefredakteurin des Forum, stimmt's?«

Dana lächelte bescheiden. »Richtig.«

»Okay. Sie haben Glück. Wir sind im Augenblick gerade unterbesetzt. Sie bekommen bei uns eine Chance.«

Dana war begeistert und hatte im stillen bereits eine Liste mit den Ländern und Kontinenten vor Augen, über die sie als Reporterin einmal berichten wollte: Rußland . China . Afrika.

»Ich weiß, daß ich nicht gleich als Auslandskorrespondentin anfangen kann«, sagte Dana, »aber sobald .«

»Korrekt. Sie werden als Botin anfangen und werden dafür sorgen, daß die Redakteure morgens ihren Kaffee bekommen.

Übrigens - die Redakteure mögen ihren Kaffee gern stark. Außerdem werden Sie die druckfertigen Texte zur Druckerei tragen.«

Dana war schockiert. »Aber ich kann doch nicht .«

Er beugte sich irritiert vor. »Was können Sie nicht?«

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, diese Stelle zu bekommen.«

Die Reporter machten ihr wegen ihres Kaffees Komplimente. Sie galt schon bald als die beste Botin, die man in der Zeitung je gekannt hatte. Sie kam allmorgendlich sehr früh zur Arbeit und wurde mit allen gut Freund. Sie war stets hilfsbereit, weil ihr klar war: mit solchem Verhalten kommt man voran.

Das Problem war nur, daß Dana nach sechs Monaten kein bißchen vorangekommen und nach wie vor Botin war. Sie suchte den geschäftsführenden Redakteur Bill Crowell auf.

»Ich glaube, daß ich jetzt wirklich soweit bin«, erklärte Dana ernst. »Wenn Sie mir einen Korrespondentenposten geben, werde ich Ihnen .«

Crowell blickte nicht einmal auf. »Es gibt zur Zeit aber bei uns keine freie Stelle«, sagte er. »Übrigens: Mein Kaffee ist kalt.«

Das ist ungerecht, dachte Dana. Am Ende habe ich doch keine Chance. Dana hatte einmal eine Redewendung gehört, von deren Richtigkeit sie fest überzeugt war. »Wenn dich auf deinem Weg etwas aufhalten kann, wird es dich bestimmt aufhalten.« Mich wird auf meinem Wege aber nichts aufhalten, dachte Dana. Gar nichts ... Doch wie komme ich zunächst einmal überhaupt in Bewegung?

Eines Morgens trug Dana Tassen mit heißem Kaffee durch den leeren Fernschreiberraum, als eine Polizeimeldung über den Ticker lief. Sie wurde neugierig, trat an den Fernschreiber und las den Ausdruck: Associated Press - Claremont, Kalifornien. Heute

morgen fand ein Kidnapping-Versuch statt. Ein

sechsjähriger Junge wurde von einem Unbekannten

entführt und ... Dana las die Meldung mit großen Augen bis zum Schluß. Sie atmete einmal tief durch, riß das Blatt aus dem Fernschreiber und steckte es in die Tasche. Es hatte sonst niemand den Eingang der Meldung bemerkt. Dann stürzte sie ins Büro von Bill Crowell. »Mr. Crowell - heute morgen hat ein Mann in Claremont einen kleinen Jungen zu kidnappen versucht. Er hat ihn mit einem Ritt auf einem Pony gelockt, weil der Junge aber unbedingt zuerst ein Bonbon haben wollte, ist der Entführer mit ihm in ein Süßwarengeschäft gegangen, wo der Besitzer den Jungen erkannte und die Polizei verständigt hat. Der Entführer ist geflüchtet.«

Bill Crowell wurde aufgeregt. »Über Telex ist darüber bei uns nichts eingegangen. Wie haben Sie von dieser Sache erfahren?«

»Ich . Ich kam zufällig in das Geschäft, als sich dort die Leute drüber unterhielten .«

»Ich werde sofort einen Reporter losschicken.«

»Warum lassen Sie mich nicht darüber berichten?« fragte Dana rasch. »Der Besitzer des Süßwarengeschäfts kennt mich persönlich. Er wird bestimmt mit mir reden.«

Crowell musterte Dana einen Augenblick und sagte, wenn auch widerstrebend: »Einverstanden.«

Dana interviewte den Besitzer des Süßwarengeschäfts. Ihr Bericht erschien am folgenden Tag auf der ersten Seite des Claremont Examiner und kam gut an.

»Keine schlechte Arbeit«, sagte Bill Crowell. »Gar nicht schlecht.«

»Danke.«

Als Dana sich eine knappe Woche danach erstmals wieder allein im Fernschreiberraum befand, kam gerade ein Telex der Nachrichtenagentur Associated Press herein:

Pomona, Kalifornien: Judo-Lehrerin überwältigt Vergewaltiger.

Ideal, entschied Dana. Sie riß den Ausdruck aus der Maschine, knüllte das Stück Papier zusammen, ließ es in ihrer Tasche verschwinden und eilte ins Büro von Bill Crowell. »Gerade hat mich eine alte Wohngenossin angerufen«, erzählte ihm Dana erregt. »Sie schaute aus dem Fenster, als unten eine Frau einen Mann angriff, der sie zu vergewaltigen versucht hatte. Ich würde die Sache gern übernehmen.«

Crowell schaute sie einen Augenblick an. »Schießen Sie los.«

Dana fuhr nach Pomona, bekam ein Interview mit der JudoLehrerin, und ihr Bericht erschien auch diesmal auf der ersten Seite.

Bill Crowell ließ Dana zu sich bestellen. »Würden Sie gern regelmäßig für uns schreiben?«

Dana war im siebten Himmel. »Großartig!« Jetzt geht's los, dachte sie. Jetzt hat meine Karriere endlich angefangen.

Am nächsten Tag wurde der Claremont Examiner an die Washington Tribune in Washington, D.C, verkauft.

Als die Nachricht vom Verkauf publik wurde, reagierten die meisten Angestellten des Claremont Examiner bestürzt, weil eine Reduzierung des Personals unausweichlich schien - und somit etliche ihre Arbeitsstelle verlieren würden. Dana betrachtete die veränderte Situation aus einem anderen Blickwinkel. Damit, so überlegte sie, bin ich eine Angestellte der Washington Tribune; und sie stellte sich die logische Frage: Warum sollte ich da nicht am Hauptsitz arbeiten können?

Sie marschierte in Bill Crowells Büro. »Ich hätte gerne zehn Tage Urlaub.«

Er schaute sie voller Neugier an. »Ich bitte Sie, Dana, die meisten Leute hier trauen sich nicht einmal mehr, auf die Toilette zu gehen vor lauter Angst, daß ihr Schreibtisch verschwunden sein wird, wenn sie zurückkommen. Machen Sie sich denn gar keine Sorgen?«

»Warum sollte ich? Ich bin der beste Reporter, den Sie haben«, erklärte sie selbstbewußt, »da werde ich doch bestimmt eine Stellung bei der Washington Tribune bekommen.«

»Meinen Sie das im Ernst?« Dann sah er ihren Gesichtsausdruck. »Sie meinen es wirklich ernst.« Er seufzte. »Also gut. Versuchen Sie, einen Termin bei Matt Baker zu bekommen. Er ist der Geschäftsführer der Washington Tribune Enterprises und hat dort die Gesamtverantwortung - für Zeitungen, Fernsehen und Rundfunk.«

»Matt Baker. In Ordnung.«

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