4

Leslie hatte die Lösung ihres Problems aufgrund von zwei getrennten Beiträgen im Lexington Herald Leader gefunden. Da war zum einen der lange, schmeichelhafte Leitartikel, der Gouverneur Oliver Russell euphorisch lobte und mit den Worten schloß: »Wer hier in Kentucky Oliver Russell persönlich kennt, wird nicht überrascht sein, wenn er eines Tages Präsident der Vereinigten Staaten geworden ist.«

Zum anderen stand auf der folgenden Seite die Meldung: »Henry Chambers, der früher in Lexington ansässig und mit seinem Pferd Lightening vor fünf Jahren das Kentucky Derby gewann, und seine dritte Frau, Jessica, haben sich scheiden lassen. Chambers, der heute in Phoenix lebt, ist Besitzer und Verleger des Phoenix Star.«

Die Macht der Presse. Da lag die wahre Macht. Katharine Graham und ihre Washington Post hatten einen US-Präsidenten vernichtet.

An diesem Punkt begann die Idee Gestalt anzunehmen.

Während der folgenden zwei Tage hatte Leslie sich über Henry Chambers kundig gemacht. Sie fand interessante Informationen im Internet. Chambers war ein zweiundfünfzigjähriger Philanthrop und Erbe eines Tabakvermögens, der sein Leben insbesondere dem Ziel gewidmet hatte, seinen Reichtum zu verschenken. Leslie war aber nicht des Geldes wegen an ihm interessiert.

Sie interessierte vielmehr die Tatsache, daß ihm eine Zeitung gehörte und daß er frisch geschieden war.

Eine halbe Stunde nach ihrer Unterredung mit Senator Davis marschierte Leslie ins Büro von Jim Bailey. »Ich gehe, Jim.«

Er schaute sie verständnisvoll an. »Selbstverständlich. Sie

brauchen dringend Ferien. Anschließend können wir ...«

»Ich komme nicht zurück.«

»Wie bitte? Ich . laufen Sie bitte nicht einfach fort, Leslie. Mit Davonlaufen löst man keine .«

»Ich laufe nicht davon.«

»Sie sind fest entschlossen?«

»Ja.«

»Sie werden uns fehlen. Wann wollen Sie uns verlassen?«

»Ich bin schon weg.«

Leslie Stewart hatte viel darüber nachgedacht, wie sie Henry Chambers' Bekanntschaft machen könnte, und alle Möglichkeiten, die ihr dazu eingefallen waren, eine nach der anderen verworfen; denn das Ziel, das ihr vor Augen stand, erforderte äußerste Umsicht. Dann war ihr plötzlich Senator Davis in den Sinn gekommen. Davis hatte den gleichen gesellschaftlichen Hintergrund wie Chambers; die beiden verkehrten in den gleichen Kreisen; sie kannten sich bestimmt. Das war der Augenblick gewesen, in dem Leslie beschlossen hatte, den Senator anzurufen.

Als Leslie im Sky Harbor Airport in Phoenix gelandet war, folgte sie im Terminal einem plötzlichen Impuls und kaufte am Zeitungskiosk ein Exemplar des Phoenix Star, den sie gleich überflog. Kein Glück. Sie kaufte die Arizona Republic, dann die Phoenix Gazette, und dort fand sie schließlich Zoltaires >Astrologische Kolumnec. Nicht, daß ich an Astrologie glaube. Für solchen Unsinn bin ich viel zu klug. Aber ...

Löwe (23. Juli - 22. August) Jupiter erreicht Ihre Sonne. Liebespläne, die jetzt geschmiedet werden, gehen in Erfüllung. Ausgezeichnete Zukunftschancen. Gehen

Sie mit bedacht vor.

Am Straßenrand wartete ein Chauffeur mit Limousine. »Miss Stewart?«

»Ja, die bin ich.«

»Mr. Chambers läßt Ihnen einen Gruß bestellen. Er hat mich gebeten, Sie zu ihrem Hotel zu fahren.«

»Das ist sehr gütig von ihm.« Leslie war enttäuscht. Sie hatte gehofft, daß er sie persönlich vom Flughafen abholen würde.

»Mr. Chambers hätte gerne gewußt, ob sie heute abend frei sind, um ihm beim Abendessen Gesellschaft zu leisten.«

Schon besser. Sehr viel besser.

»Sagen Sie ihm bitte, daß ich die Einladung gern annehme.«

Abends um acht Uhr saß Leslie mit Henry Chambers, einem gutaussehenden Herrn mit aristokratischen Gesichtszügen, ergrauendem braunem Haar und einer liebenswerten Begeisterungsfähigkeit, an einem Tisch.

Er betrachtete Leslie mit sichtlicher Bewunderung. »Todd hatte recht, als er sagte, daß er mir einen Gefallen täte.«

»Danke für das Kompliment«, erwiderte Leslie lächelnd.

»Was hat Sie eigentlich nach Phoenix geführt, Leslie?«

Das würden Sie mit Sicherheit nicht erfahren wollen. »Ich habe so viel von Phoenix gehört, daß ich mir dachte, ich würde hier vielleicht gern leben.«

»Arizona ist ein großartiges Land. Es wird Ihnen sicherlich gefallen. Arizona hat alles - den Grand Canyon, die Wüste, Gebirge. Hier findet man einfach alles, was man sich wünschen kann.«

Ich habe es bereits gefunden, dachte Leslie.

Leslie war sich darüber im klaren, daß ihre finanziellen Mittel nicht länger als drei Monate ausreichen würden. Wie sich dann herausstellte, benötigte sie jedoch nur zwei Monate, um ihren Plan zu verwirklichen.

Die Buchhandlungen quollen über von Ratgebern zu dem Thema, wie Frauen sich einen Mann angeln können. Die unterschiedlichen populärpsychologischen Richtungen reichten von »Machen Sie es ihm schwer« bis zu »Ködern Sie ihn im Bett«. Leslie befolgte keine dieser Empfehlungen. Sie hatte ihre ganz persönliche Methode: Sie nahm Henry Chambers auf den Arm. Nicht körperlich, sondern geistig. Einer Frau wie ihr war Henry in seinem Leben noch nie begegnet. Er gehörte zur alten Schule und war der Ansicht: Wenn eine Blondine schön ist, muß sie dumm sein. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, daß er sich immer nur zu Frauen hingezogen fühlte, die zwar schön, aber nicht sonderlich intelligent waren. Leslie war für ihn eine Offenbarung. Sie war intelligent, sie konnte sich ausdrücken, und sie wußte über ein erstaunliches Spektrum von Wissensgebieten Bescheid.

Sie unterhielten sich über Philosophie, über Religion, über Geschichte. Henry vertraute einem Freund an: »Ich glaube, sie liest sich eine Menge an, nur um mit mir mithalten zu können.«

Henry Chambers war wahnsinnig gern mit Leslie zusammen. Er war stolz, sie seinen Freunden zeigen zu können, und führte sie am Arm, als ob sie eine Trophäe wäre. Er besuchte mit ihr gemeinsam das Carefree Wine and Fine Art Festival sowie das Actors Theater. Die beiden schauten sich in der America West Arena ein Match der Phoenix Suns an. Sie besuchten die Lyon Gallery in Scottsdale, die Symphony Hall und das Städtchen Chandler, um die Doo-dah Parade mitzuerleben. Eines Abends schauten sie einem Hockeyspiel der Phoenix Roadrunners zu.

»Ich habe Sie wirklich gern, Leslie«, sagte Henry nach dem Match. »Ich glaube, wir passen zusammen. Ich möchte gern mit Ihnen schlafen.«

Sie nahm seine Hand und erwiderte mit leiser Stimme: »Ich mag Sie auch gern, Henry. Aber die Antwort heißt: Nein.«

Am folgenden Mittag waren sie zum Essen verabredet. Henry rief Leslie an. »Warum holen Sie mich nicht beim Star ab? Ich würde Ihnen gern unseren Zeitungsbetrieb zeigen.«

»Mit Vergnügen«, antwortete Leslie. Darauf hatte sie gewar-tet. Es gab in Phoenix noch zwei weitere Zeitungen, die Arizona Republic und die Phoenix Gazette, doch Henrys Star war die einzige Zeitung, die Verluste machte.

Die Büros und Produktionsräume des Phoenix Star waren kleiner, als Leslie es sich vorgestellt hatte. Henry machte einen Rundgang mit ihr. Leslie schaute sich um und dachte: Damit wird man einen Gouverneur oder einen Präsidenten nie zu Fall bringen. Aber es war ein Sprungbrett, es bot eine Grundlage für ihre Pläne.

Leslie war an allem interessiert. Sie stellte unentwegt Fragen, die Henry immer wieder an seinen geschäftsführenden Redakteur Lyle Bannister weitergab. Leslie wunderte sich, wie wenig Henry vom Zeitungsgeschäft verstand und wie unwichtig es ihm offensichtlich war - was sie in ihrer Entschlossenheit, es selbst so gründlich wie möglich zu lernen, nur noch bestärkte.

Der entscheidende Moment kam schließlich nach einem vorzüglichen Dinner in der Borgata, einem Restaurant im altitalienischen Stil. Sie hatten sich an einer Hummersuppe, an Kalbsmedaillons mit Sauce bearnaise, weißem Spargel mit Vinaigrette und einem Souffle au Grand Marnier gütlich getan, und Henry Chambers war ein liebenswürdiger, äußerst angenehmer Gesellschafter gewesen. Es war ein wundervoller Abend.

»Ich liebe diese Stadt«, sagte Henry. »Es fällt schwer sich vorzustellen, daß Phoenix vor fünfzig Jahren nur fünfundsech-zigtausend Einwohner zählte. Heute sind's über eine Million.«

Es gab da einen Punkt, der schon lang Leslies Neugier erregte. »Was hat Sie eigentlich dazu bewogen, Kentucky zu verlassen und hierherzuziehen, Henry?«

Er zuckte die Schultern. »Es war eigentlich keine freie Entscheidung. Es war wegen der verdammten Lungen. Die Ärzte wußten nicht, wie lange ich noch zu leben hatte, und meinten, Arizona hätte für mich das gesündeste Klima. Draufhin habe ich beschlossen, den Rest meines Lebens - was immer das bedeuten mag - hier zu verbringen und das Leben in vollen Zügen zu genießen.« Er lächelte sie an. »Und da wären wir nun.« Er nahm ihre Hand. »Die Ärzte konnten damals nicht wissen, wie gut Arizona mir tun würde. Leslie, Sie glauben doch nicht etwa, daß ich zu alt für Sie bin?« fragte er nervös.

»Zu jung.« Leslie lächelte. »Viel zu jung.«

Er schaute sie lange schweigend an. »Ich meine es ernst. Wirst du mich heiraten?«

Als Leslie einen Moment die Augen schloß, sah sie wieder das handgemalte Schild auf dem Fußweg im Breaks Interstate Park vor sich: leslie, wirst du mich heiraten ... »Ich kann dir leider nicht versprechen, daß du einen Gouverneur zum Mann haben wirst, immerhin bin ich aber ein recht guter Anwalt.«

Leslie schlug die Augen auf und sah Henry an.

»Ja, ich möchte deine Frau sein.« Mehr als alles in der Welt.

Zwei Wochen später fand die Trauung statt.

Als die Hochzeitsanzeige im Lexington Herald Leader erschien, vermochte Senator Todd Davis den Blick lange nicht davon zu lösen. »Entschuldigen Sie die Störung, Senator, aber könnte ich Sie vielleicht treffen? Ich muß Sie um einen Gefallen bitten ... Kennen Sie Henry Chambers persönlich? ... Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn sie mir ein Empfehlungsschreiben für ihn geben könnten.

Falls sie es nur darauf abgesehen hatte, würde es keine Probleme geben.

Falls sie es nur darauf abgesehen haben sollte .

Die Flitterwochen verbrachten Henry und Leslie in Paris, wo Leslie überall und immer wieder die Frage durch den Kopf schoß, ob Oliver und Jan wohl die gleichen Stätten besichtigt hatten, ob sie ebenfalls durch diese Straßen spaziert, in den gleichen Restaurants gespeist, in den gleichen Geschäften eingekauft hatten. Sie stellte sich die beiden zusammen vor: wie sie einander liebten, wie Oliver Jan die gleichen Lügen ins Ohr flüsterte, die er vorher ihr zugeflüstert hatte - Lügen, die sie ihm heimzahlen würde.

Henry war von aufrichtiger Liebe zu ihr erfüllt; er scheute keine Mühe, sie glücklich zu machen. Unter anderen Umständen hätte Leslie sich sehr wohl in ihn verlieben können, doch in ihrem tiefsten Innern war etwas gestorben. Ich werde nie wieder einem Mann vertrauen können.

Wenige Tage nach der Rückkehr überraschte Leslie Henry mit der Bitte: »Henry, ich würde gerne bei der Zeitung mitarbeiten.«

Er lachte. »Und warum?«

»Weil ich es mir interessant vorstelle. Und aufgrund meiner früheren Tätigkeit als leitende Angestellte bei einer Werbeagentur könnte ich in diesem Bereich möglicherweise sogar von Nutzen sein.«

Er protestierte, gab aber zu guter Letzt nach.

Henry fiel auf, daß Leslie tagtäglich den Lexington Herald Leader las.

»Um hinsichtlich der Leute in deiner Heimat auf dem laufenden zu bleiben?« neckte er sie.

»Gewissermaßen«, erwiderte Leslie lächelnd. Sie verfolgte mit größtem Interesse alles, was über Oliver geschrieben wurde. Sie wünschte sich, daß er glücklich und erfolgreich war. Je höher sie in den Himmel wachsen ...

Henry lachte, als Leslie ihn darauf hinwies, daß der Star defizitär arbeitete. »Das ist nur ein Tropfen auf einen heißen Stein, Schatz. Mir fließen Gewinne aus Ecken zu, von denen du nicht einmal gehört hast. Es ist völlig unwichtig, ob der Star Verluste macht.«

Für Leslie war es aber wichtig. Es war ihr sogar ungemein wichtig. Und je mehr sie sich mit dem Management der Zeitung befaßte, um so klarer schien ihr der Hauptgrund für die Verluste bei den Gewerkschaften zu liegen. Die Druckerpres-sen des Phoenix Star waren veraltet; die Gewerkschaften verweigerten für die Anschaffung moderner Maschinen ihre Zustimmung, weil damit, so behaupteten sie, Jobs von Gewerkschaftsmitgliedern verlorengehen würden. Sie verhandelten zu der Zeit gerade mit der Geschäftsführung des Star über einen neuen Tarifvertrag.

Als Leslie mit Henry über die Situation diskutieren wollte, meinte er: »Warum willst du dich mit solchem Zeug plagen? Komm, laß uns einfach Spaß haben.«

»Mir macht solches Zeug Spaß«, versicherte sie ihm.

Leslie hatte eine Unterredung mit Craig McAllister, dem Anwalt des Star.

»Wie kommen die Tarifverhandlungen voran?«

»Ich hätte wirklich gern bessere Nachrichten für Sie, Mrs. Chambers, aber es sieht leider gar nicht gut aus.«

»Verhandelt wird aber noch, oder?«

»Angeblich. Aber dieser Joe Riley, der Boß der Druckergewerkschaft, ist ein sturer Huren -, ein wahrer Dickschädel. Er will nicht einen Fingerbreit nachgeben. In zehn Tagen läuft unser Tarifvertrag mit den Druckern aus, und Riley hat uns mit Streik gedroht, falls die Gewerkschaft bis dahin keinen neuen Vertrag hat.«

»Und Sie nehmen seine Drohung ernst?«

»Ja. Ich gebe den Gewerkschaften gegenüber ungern nach. Nur sieht die Realität eben so aus, daß wir ohne sie keine Zeitung haben. Sie haben es in der Hand, ob der Verlag schließen muß. Wir wären nicht das erste Presseunternehmen, das zusammenbricht, weil die Unternehmensführung sich gegen die Gewerkschaften durchzusetzen versucht.«

»Und was verlangen sie diesmal?«

»Das Übliche: kürzere Arbeitszeiten, Lohnerhöhungen, Schutz vor künftiger Automatisierung .«

»Sie wollen uns erpressen, Craig. Das mag ich nicht.«

»Hier geht es nicht um eine Frage des Gefühls, Mrs. Chambers, hier steht eine pragmatische Frage zur Debatte.«

»Dann raten Sie uns also, nachzugeben?«

»Ich glaube, wir haben gar keine andere Wahl.«

»Warum unterhalte ich mich nicht mal mit Joe Riley?«

Die Besprechung war auf vierzehn Uhr angesetzt. Leslie kam verspätet vom Mittagessen zurück, so daß Riley bereits wartete; er unterhielt sich gerade mit Leslies Sekretärin Amy, als sie ins Empfangsbüro trat. Riley war mehr als fünfzehn Jahre lang Drucker gewesen und vor drei Jahren zum Boß seiner Gewerkschaft gewählt worden; und er hatte sich als härtester Verhandlungsführer der Branche einen Namen gemacht. Leslie blieb einen Augenblick am Eingang stehen und beobachtete ihn beim Flirten mit Amy.

Riley erzählte ihr gerade eine Geschichte. »... und dann drehte sich der Mann zu ihr und sagte: >Sie haben gut reden. Aber wie werde ich wieder rauskommen?<«

Amy lachte. »Wo hörst du nur solche Sachen, Joe?«

»Ich komme eben herum, Schätzchen. Gehen wir heute abend zusammen essen?«

»Liebend gern.«

Riley bemerkte Leslie, als er den Kopf hob. »Tag, Mrs. Chambers.«

»Guten Tag, Mr. Riley. Kommen Sie zu mir herein, ja?«

Sie hatten im Sitzungsraum Platz genommen. »Möchten Sie einen Kaffee?« fragte Leslie.

»Nein, danke.«

»Etwas Stärkeres vielleicht?«

Er grinste. »Sie wissen doch, daß es gegen die Regeln verstößt, wenn ich während der Arbeitszeit trinke, Mrs. Chambers.«

Leslie holte tief Luft. »Ich habe dieses Gespräch mit Ihnen gewünscht, weil ich gehört habe, daß Sie ein äußerst fairer

Mensch sind.«

»Ich gebe mir Mühe, fair zu sein«, erwiderte Riley.

»Sie müssen wissen, daß die Gewerkschaft meine Sympathien hat. Ich finde, daß Ihre Männer das Recht haben, etwas zu fordern. Ihre jetzigen Forderungen sind allerdings unvernünftig. Sie haben sich Sachen angewöhnt, die uns jährlich Millionen kosten.«

»Könnten Sie das konkreter ausdrücken?«

»Nur zu gern. Ihre Männer arbeiten weniger reguläre Arbeitszeit, finden dann aber Auswege, um in den Schichten zu arbeiten, die mit Überstundentarif bezahlt werden. Manche arbeiten in drei solcher Schichten nacheinander, so daß sie das ganze Wochenende über an den Pressen stehen. Dafür haben sie sogar einen besonderen Ausdruck, wenn ich mich nicht irre - >an die Peitschen gehen<. Das können wir uns nicht länger leisten. Wenn es uns möglich wäre, die neue elektronische Drucktechnologie einzuführen ...«

»Ausgeschlossen! Die von Ihnen gewünschte neue Ausrüstung würde meine Männer arbeitslos machen, und ich habe nicht die Absicht, dabei mitzumachen, daß meine Männer wegen Maschinen vor die Tür gesetzt werden. Ihre verdammten Maschinen müssen nichts zu essen haben; meine Männer schon.« Riley stand auf. »Nächste Woche läuft der gültige Vertrag aus. Wir bekommen entweder, was wir verlangen, oder wir streiken.«

Als Leslie ihrem Mann von der Unterredung berichtete, meinte er: »Warum willst du dich mit dem allen abgeben? Wir müssen nun mal mit den Gewerkschaften leben. Erlaube, daß ich dir einen guten Rat gebe, mein Schatz. Für dich sind diese Dinge neu, du bist darin unerfahren, und außerdem bist du eine Frau. Überlaß diese Angelegenheit den Männern. Laß uns beide bitte nicht ...« Er brach mitten im Satz ab, denn er bekam keine Luft mehr.

»Dir geht's nicht gut?«

Er nickte. »Ich war heute bei meinem dummen Arzt. Er findet, daß ich eine Sauerstoff-Flasche brauchte.«

»Ich werde mich darum kümmern«, versprach Leslie. »Und ich werde dir eine Krankenschwester suchen, für die Zeiten, wenn ich nicht daheim bin, damit .«

»Nein! Ich brauche keine Krankenschwester. Ich bin - ich bin bloß ein bißchen müde.«

»Komm, Henry. Wir sollten dich zu Bett bringen.«

Als Leslie den Vorstand drei Tage später zu einer Krisensitzung zusammenrief, sagte Henry: »Geh du hin, Baby, ich bleibe zu Hause, um mich zu schonen.« Die Sauerstofflasche hatte geholfen; er fühlte sich jedoch schwach und deprimiert.

Leslie rief Henrys Arzt an. »Er verliert zu viel Gewicht und hat Schmerzen. Es muß doch etwas geben, das Sie für ihn tun können.«

»Wir tun unser Möglichstes, Mrs. Chambers. Achten Sie bitte darauf, daß er viel Ruhe bekommt und regelmäßig seine Medikamente einnimmt.«

Leslie beobachtete Henry, der hustend im Bett lag.

»Tut mir leid wegen der Sitzung«, sagte Henry. »Übernimm du den Vorsitz. Machen kann man da sowieso nichts.«

Sie lächelte.

Загрузка...