Als der Tag der Präsidentschaftswahlen näher rückte, kam es zwischen den beiden Kandidaten zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen.
»Wir müssen unbedingt in Ohio gewinnen«, meinte Peter Tager. »Ohio würde uns einundzwanzig Wahlstimmen bringen. In Alabama gibt es für uns keine Probleme - das bedeutet neun Stimmen -, und die fünfundzwanzig Stimmen von Florida sind uns sicher.« Er hielt eine Tabelle hoch. »Illinois zweiundzwanzig Stimmen ... New York einunddreißig und Kalifornien vierundzwanzig Stimmen. Verdammt. Es ist zu früh, um von einem Sieg ausgehen zu können.«
Da waren sie alle besorgt. Nur Senator Davis nicht.
»Ich hab's in der Nase«, sagte er. »Ich kann den Sieg riechen.«
In einem Krankenhaus in Frankfort lag Miriam Friedland immer noch im Koma.
Am Wahltag - es war der erste Dienstag im November - blieb Leslie zu Hause, um im Fernsehen die Bekanntgabe der Wahlergebnisse zu verfolgen. Oliver gewann mit über zwei Millionen Volksstimmen und einer großen Mehrheit von Wahlmännervoten. Nun war er also der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika geworden und hatte das höchste Ziel erreicht, das er sich auf der Erde vorstellen konnte.
Niemand hatte seine Wahlkampagne so aufmerksam und gründlich verfolgt wie Leslie Stewart Chambers. Sie hatte ihr Medienimperium eifrig erweitert und quer durch die Vereinigten Staaten sowie in Großbritannien, Australien und Brasilien eine Kette von Zeitungsverlagen, Fernseh- und Radioanstalten erworben.
»Wann werden Sie endlich genug haben?« wurde sie von ihrer Chefredakteurin Darin Solana gefragt.
»Bald«, antwortete Leslie. »Sehr bald.«
Einen einzigen Schritt gab es da noch, der getan werden mußte; und das letzte Steinchen, das ihr im Mosaik ihrer Expansionsabsichten noch fehlte, fiel während einer Dinnerparty in Scottsdale an seinen Platz.
»Ich habe - ganz vertraulich - gehört, daß Margaret Portman sich scheiden lassen will«, bemerkte ein Gast auf diesem Dinner. Margaret Portman war Eigentümerin der Washington Tribune mit Sitz in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten.
An diesem Abend äußerte sich Leslie dazu mit keinem Wort. Am nächsten Morgen aber gab sie als erstes ihrem Anwalt Chad Morton telefonisch den Auftrag: »Sie müssen herausfinden, ob die Washington Tribune zum Verkauf steht.«
Die Antwort bekam sie einige Stunden später am gleichen Tag. »Es ist mir unerklärlich, wie Sie es erfahren haben, Mrs. Chambers, doch es sieht ganz so aus, als ob Sie recht haben könnten. Mrs. Portman läßt sich in aller Stille von ihrem Mann scheiden, und der gemeinsame Besitz wird zwischen beiden aufgeteilt. Meinen Informationen zufolge stehen die Washington Tribune Enterprises zum Verkauf.«
»Ich will das Unternehmen unbedingt erwerben.«
»Da handelt es sich allerdings um ein riesiges Paket. Zu den Washington Tribune Enterprises gehören eine Kette von Zeitungen, ein Journal, eine Fernsehanstalt und .«
»Ich will das Unternehmen kaufen.«
Am gleichen Nachmittag flog Leslie mit Chad Morton zusammen nach Washington, D.C.
Leslie rief Margaret Portman an, die sie einige Jahre zuvor flüchtig kennengelernt hatte.
»Ich bin in Washington«, begann Leslie, »und ich .«
»Ich weiß.«
Die Nachricht macht aber wirklich schnell die Runde, dachte
Leslie und fuhr fort: »Ich habe gehört, daß Sie eventuell am Verkauf Ihrer Tribune Enterprises interessiert wären.«
»Vielleicht.«
»Könnten Sie mir eine Besichtigung des Zeitungsunternehmens ermöglichen?«
»Sind Sie an einem Kauf der Zeitung interessiert, Leslie?«
»Vielleicht.«
Margaret Portman ließ Matt Baker zu sich rufen. »Sie wissen, wer Leslie Chambers ist?«
»Die Eisprinzessin. Natürlich.«
»Sie wird in wenigen Minuten hier eintreffen. Ich möchte Sie bitten, Leslie Chambers auf einer Führung durch die Anlagen zu begleiten.«
Bei der Tribune war man sich des bevorstehenden Verkaufs bewußt.
»Es wäre ein Fehler, die Tribune an Leslie Chambers zu verkaufen«, sagte Matt Baker rundheraus.
»Und was veranlaßt Sie zu dieser Meinung?«
»Erstens bezweifle ich, daß sie überhaupt etwas vom Zeitungsgeschäft versteht. Haben Sie verfolgt, was aus den Zeitungen geworden ist, die sie gekauft hat? Sie hat angesehene Zeitungen zu billigen Boulevardblättern gemacht. Sie wird die Tribune zerstören. Sie ist ...« Er hob den Kopf: Leslie Chambers stand im Türrahmen und hörte zu.
Margaret Portman rettete die Situation, indem sie fröhlich ausrief: »Leslie! Wie schön, Sie wiederzusehen. Der Herr neben mir ist Matt Baker, der Chefredakteur von Tribune Enterprises.«
Die beiden begrüßten einander kühl.
»Matt wird Sie durch unseren Betrieb führen.«
»Sehr angenehm.«
Matt Baker holte tief Luft. »Also, lassen Sie uns anfangen.«
Matt Baker begann die Führung in einem unüberhörbar herablassenden Ton mit der Bemerkung: »Die Zeitung hat folgende Struktur: An der Spitze steht der Chefredakteur ...«
»Also Sie, Mr. Baker.«
»Richtig. Mir untergeordnet ist der geschäftsführende Redakteur und dann die Redaktion, die sich in folgende Ressorts gliedert: Hauptstadt, USA, Ausland, Sport, Wirtschaft, Modernes Leben und Lebensstil, Leute, Kalendertermine, Buchbesprechungen, Immobilien, Tourismus, Essen und Trinken . Wahrscheinlich habe ich jetzt noch ein paar vergessen.«
»Erstaunlich! Und wie viele Mitarbeiter sind bei den Washington Tribune Enterprises beschäftigt, Mr. Baker?«
»Über fünftausend.«
Sie kamen an einem Redaktionstisch vorbei. »Hier entwirft der Nachrichtenredakteur das Layout der Seiten. Er entscheidet die Plazierung der Fotos und die Seitenzuordnung der Textbeiträge. Auf dem Redaktionstisch werden die Schlagzeilen gemacht und die Artikel redigiert, die anschließend dann in der Setzerei zusammengestellt werden.«
»Faszinierend.«
»Würde es Sie interessieren, die Druckerei zu besichtigen?«
»O ja. Ich möchte alles sehen.«
Er murmelte etwas.
»Wie bitte?«
»Ich habe gesagt: >In Ordnung .. .<«
Sie fuhren mit dem Lift nach unten ins Erdgeschoß und gingen ins Nebengebäude hinüber.
Die Druckerei hatte die Höhe von vier Stockwerken und die Größe von vier Fußballfeldern. In diesem Riesenraum war alles vollautomatisiert. Es gab in dem Gebäude dreißig Robotwagen, die enorme Papierrollen transportierten und an unterschiedlichen Stationen abluden.
»Jede Rolle«, erläuterte Baker, »hat ein Gewicht von ungefähr elfhundert Kilogramm. Würde man das Papier ausrollen, so ergäbe sich ein rund dreizehn Kilometer langes Band. Das Papier durchläuft die Druckerpressen mit einer Stundengeschwindigkeit von vierunddreißig Kilometern. Von den größeren Robotwagen können manche sechzehn Rollen auf einmal transportieren.«
Es gab sechs Druckmaschinen, an jeder Längsseite des Raumes drei. Leslie und Matt Baker waren stehengeblieben und schauten zu, wie die Zeitungen automatisch zusammengelegt, geschnitten, gefaltet, zu Ballen verpackt und auf wartende LKW geladen wurden.
»In der guten alten Zeit waren für diesen Vorgang, der heute von einem Menschen besorgt wird, ungefähr dreißig Männer notwendig«, kommentierte Matt Baker. »Die Segnungen der Technologie.«
Leslie schaute ihn einen Augenblick lang prüfend an. »Die Segnungen der Rationalisierung.«
»Ich weiß nicht - interessieren Sie sich für die wirtschaftliche Seite des Betriebs?« fragte Matt Baker kühl. »Vielleicht wäre es Ihnen ja lieber, wenn Ihr Anwalt oder Ihr Wirtschaftsprüfer ...«
»Ich interessiere mich sehr für die wirtschaftliche Seite des Betriebs, Mr. Baker«, konterte Leslie. »Ihr Redaktionsetat beträgt fünfzehn Millionen Dollar. Ihre Verkaufsauflage an Wochentagen liegt bei 816 474 Exemplaren, an Sonntagen bei 1 140 498 Exemplaren. Ihr Werbebudget beläuft sich auf 68,2 Millionen.«
Matt schaute sie erstaunt an.
»Mit den übrigen, dazugehörigen Zeitungen kommen Sie auf eine Verkaufsauflage von insgesamt rund zwei Millionen Exemplaren an Wochentagen und sonntags auf zweieinhalb Millionen. Und damit haben Sie natürlich keineswegs die auflagenstärkste Zeitung der Welt, nicht wahr, Mr. Baker? Zwei der größten Zeitungen werden in London gedruckt, die größte ist die Sun mit einer Auflage von vier Millionen Exem-plaren täglich - und der Daily Mirror verkauft täglich über drei Millionen Zeitungen.«
Matt Baker atmete tief durch. »Es tut mir leid, ich hatte gar nicht gewußt, daß Sie .«
»In Japan existieren mehr als zweihundert Tageszeitungen, darunter Asahi Shimbun, Mainchi Shimbun und Yomiri Shim-bun. Sie verstehen, was ich meine?«
»Ja. Ich bitte um Entschuldigung, falls ich Ihnen gegenüber einen herablassenden Eindruck erweckt haben sollte.«
»Ich nehme Ihre Entschuldigung an, Mr. Baker. Gehen wir zu Mrs. Portmans Büro zurück.«
Am nächsten Morgen saß Leslie im Konferenzraum der Washington Tribune Mrs. Portman und einer Handvoll Anwälten gegenüber.
»Lassen Sie uns auf den Preis zu sprechen kommen«, sagte Leslie, und nach einer vierstündigen Diskussion war Leslie Stewart Chambers Eigentümerin der Washington Tribune Enterprises.
Die Übernahme hatte mehr gekostet, als Leslie vorausgesehen hatte, aber das spielte keine Rolle.
Es gab etwas, das ihr wichtiger war als Geld.
An dem Tag, als der Kauf rechtsgültig abgeschlossen wurde, ließ Leslie Matt Baker zu sich rufen.
»Was haben Sie persönlich für Pläne?« fragte Leslie.
»Ich werde kündigen.«
Sie schaute ihn neugierig an. »Warum?«
»Sie genießen einen gewissen Ruf. Niemand arbeitet gern für Sie. Das Eigenschaftswort, mit dem Sie am häufigsten gekennzeichnet werden, lautet >rücksichtslos<. Dafür habe ich nichts übrig. Die Washington Tribune ist eine gute Zeitung, die ich ungern und mit Bedauern verlasse. Ich habe jedoch mehr Stellenangebote, als ich annehmen kann.«
»Wie lange haben Sie hier gearbeitet?« »Fünfzehn Jahre.«
»Und Sie sind bereit, die Leistung von fünfzehn Jahren wegzuwerfen?«
»Ich werfe überhaupt nichts weg. Ich bin ...«
Sie schaute ihm fest in die Augen. »Hören Sie. Ich finde auch, daß die Tribune eine gute Zeitung ist. Mein Wunsch geht dahin, daß sie eine große Zeitung wird. Ich möchte Sie bitten, daß Sie mir dabei helfen.«
»Nein. Ich .«
»Ein halbes Jahr. Probieren Sie es sechs Monate lang mit mir. Zum doppelten Gehalt, für den Anfang.«
Er musterte sie einen Augenblick: jung, schön und intelligent. Und doch ... Er hatte ein ungutes Gefühl, was sie betraf.
»Und wer wird hier das Sagen haben?«
Sie lächelte. »Sie sind der Chefredakteur der Washington Tribune Enterprises. Und genau das werden Sie auch bleiben.«
Und er glaubte ihr.