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TOTE SECHZEHNJÄHRIGE IDENTIFIZIERT ALS TOCHTER DER GOUVERNEURIN VON COLORADO.

FREUND ERHÄNGT SICH IN POLIZEIHAFT.

POLIZEI JAGT NACH MYSTERIÖSEM ZEUGEN.

Sein Blick fiel auf die Schlagzeilen, und ihm wurde auf einmal ganz schwach. Eine Sechzehnjährige! Sie war ihm viel älter vorgekommen. Wessen hatte er sich schuldig gemacht? Eines Mordes? Eines Totschlags? und obendrein einer Vergewaltigung.

Er hatte sie beobachtet, als sie aus dem Badezimmer der Suite kam, mit nichts am Leib als einem scheuen Lächeln. »Ich habe es noch nie gemacht.«

Er hatte sie in die Arme genommen und gestreichelt. »Ich bin ja so glücklich, daß du es das erste Mal mit mir erlebst, Honey. Er hatte zuvor ein Glas Ecstasy mit ihr geteilt. »Trink das mal. Da wirst du dich wohl fühlen.« Sie hatten sich geliebt, und anschließend hatte sie über Unwohlsein geklagt. Sie war dann aus dem Bett gestiegen, gestolpert und mit dem Kopf gegen den Tisch geschlagen. Ein Unfall. Nur daß die Polizei es selbstverständlich mit anderen Augen betrachten würde.Aber sie wird nichts finden, um mich mit ihr in Verbindung bringen zu können. Gar nichts.

Die ganze Episode hatte eine Aura des unwirklichen gehabt, wie ein Alptraum, der einen anderen Menschen heimgesucht hatte, bis es jetzt schwarz auf weiß in der Zeitung stand. Durch das Lesen der Schlagzeilen gewann der Vorfall irgendwie an Realität.

Er konnte plötzlich das Rauschen des Verkehrs draußen vor dem Weißen Haus auf der Pennsylvania Avenue durch seine

Bürowände hören. In wenigen Minuten sollte eine Kabinettssitzung stattfinden. Er holte tief Luft. Reiß dich zusammen.

Vizepräsident Malvin Wicks, Sime Lombardo und Peter Tager warteten im Oval Office.

Oliver trat ein und nahm hinter seinem Scheibtisch Platz.

»Einen guten Morgen den Herren.«

Allgemeine Begrüßung.

»Haben Sie heute morgen schon die Tribune gelesen, Mr. President?« fragte Peter Tager.

»Nein.«

»Man hat das Mädchen identifiziert, das im Hotel Monroe Arms gestorben ist - leider eine unangenehme Nachricht.«

Oliver wurde, ohne es selber zu merken, plötzlich ganz starr. »Ja?«

»Der Name des Mädchens lautet Chloe Houston. Sie ist die Tochter von Jackie Houston.«

»O mein Gott!« Der Präsident brachte die Worte kaum über die Lippen.

Sie schauten ihn an, weil seine Reaktion sie überrascht hatte. Er hatte sich jedoch schnell wieder im Griff. »Ich . ich war einmal mit Jackie Houston befreundet . vor langer Zeit. Das ... eine fürchterliche Nachricht. Furchtbar.«

»Selbst wenn wir nicht für die Kriminalität in Washington, D.C., verantwortlich sind«, meinte Sime Lombardo, »wird die Tribune die Sache uns anhängen und auf uns einschlagen.«

»Gibt es denn gar keine Möglichkeit«, schaltete sich Melvin Wicks ein, »um Leslie Stewart das Maul zu stopfen?«

Oliver fiel ihre Leidenschaft ein, die sie ihm an dem gemeinsamen Abend entgegengebracht hatte. »Nein«, erwiderte Oliver. »Die Freiheit der Presse, meine Herren.«

Peter Tager wandte sich an den Präsidenten. »und was ist mit der Gouverneurin?«

»Das übernehme ich.« Er drückte eine Intercomtaste. »Verbinden Sie mich bitte mit Gouverneurin Houston in Denver.«

»Wir müssen daran denken, auf Schadensbegrenzung hinzuarbeiten«, riet Peter Tager. »Ich werde Statistiken über die sinkende Kriminalität in unserem Staat zusammentragen. Und Sie haben den Kongreß aufgefordert, mehr Mittel für unsere Polizeidienste zu bewilligen, und so weiter, und so fort.« Es klang selbst in seinen eigenen Ohren hohl.

»Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Moment«, warnte Melvin Wicks.

Das Intercom summte. Oliver nahm ab. »Ja?« Er hörte kurz zu und legte auf. »Die Gouverneurin befindet sich im Flugzeug nach Washington.« Er drehte sich zu Peter Tager um. »Finden Sie heraus, welche Maschine Sie genommen hat, Peter. Holen Sie sie vom Flughafen ab und bringen Sie sie hierher.«

»In Ordnung. Die Tribune hat übrigens auch noch einen unangenehm scharfen Leitartikel gebracht.« Peter Tager reichte Oliver die Seite der Zeitung mit dem Leitartikel.

»Leslie Stewart ist ein Miststück.« Sime Lombardo sagte es ganz leise. »Mit der sollte einer von uns mal ein Wörtchen reden.«

Matt Baker saß in seinem Büro bei der Washington Tribune und las den Leitartikel noch einmal durch, der den Präsidenten wegen einer zu weichen Haltung in punkto Kriminalität angriff, als Frank Lonergan hereinkam. Lonergan, ein cleverer Journalist in den Vierzigern mit Welterfahrung, der früher einmal bei der Polizei gearbeitet hatte, wußte, wo's langging. Er zählte zu den besten Enthüllungsjournalisten der Branche.

»Haben Sie diesen Leitartikel geschrieben, Frank?«

»Ja«, antwortete er.

»Mir macht da nur dieser Absatz über einen fünfundzwanzigprozentigen Rückgang der Kriminalitätsrate in Minnesota Probleme. Gibt es einen Grund, warum Sie hier ausschließlich auf Minnesota zu sprechen kommen?«

»Es war ein Vorschlag der Prinzessin«, sagte Lonergan.

»Einfach lächerlich«, schimpfte Matt Baker. »Ich werde sie zur Rede stellen.«

Leslie Stewart telefonierte, als Matt Baker in ihr Büro trat.

»Die Ausarbeitung der Einzelheiten überlasse ich ganz Ihnen. Mir ist nur wichtig, daß wir soviel Geld wie möglich für ihn zusammenbringen. Wie es der Zufall will, ist Senator Embry von Minnesota heute mittag bei mir zu Gast, und er wird mir eine Liste mit Namen übergeben. Vielen Dank.« Sie legte den Hörer auf. »Matt.«

Matt Baker näherte sich ihrem Schreibtisch. »Ich würde gern über diesen Leitartikel mit Ihnen sprechen.«

»Er ist ausgezeichnet, finden Sie nicht?«

»Er stinkt, Leslie. Das ist reine Propaganda. Für die Bekämpfung der Kriminalität in Washington, D.C., ist nicht der Präsident zuständig. Hier gibt es einen Bürgermeister, der sich wirklich mal darum kümmern könnte. Und die Polizei. Und was soll dieser Quatsch über die angebliche fünfundzwanzigprozentige Senkung der Kriminalitätsrate in Minnesota? Woher haben Sie diese statistischen Werte?«

Leslie Stewart lehnte sich zurück. »Das ist hier meine Zeitung, Matt«, erwiderte sie ruhig. »Und in dieser Zeitung schreibe ich, was ich will. Oliver Russell ist ein lausiger Präsident. und Gregory Emby würde ein hervorragender amerikanischer Präsident werden. Weshalb wir ihn auch auf seinem Weg ins Weiße Haus unterstützen werden.«

Sie bemerkte den Ausdruck auf Matts Gesicht und wurde weicher. »Nun kommen Sie schon, Matt. Im nächsten Präsidentschaftswahlkampf wird die Tribune auf der Seite des siegreichen Kandidaten sein. Embry wird uns nützlich werden. Er ist übrigens gerade auf dem Weg zu uns. Würden Sie uns beim Mittagessen Gesellschaft leisten?«

»Nein. Ich mag keine Leute, die beim Essen die Hand aufhalten.« Er machte kehrt und verschwand.

Im Korridor wäre Matt Baker fast mit Senator Embry zu-sammengestoßen. Der Senator war ein aufgeblasener, wichtigtuerischer Politiker in den Fünfzigern.

»Oha! Der Senator! Meine Glückwünsche.«

Senator Embry sah ihn verständnislos an. »Vielen Dank. Äh ... wofür denn?«

»Weil Sie die Kriminalitätsrate in Ihrem Staat um fünfundzwanzig Prozent gedrückt haben.« Matt Baker ließ den Senator stehen, der ihm mit verdutzter Miene nachschaute.

Das Essen fand in Leslie Stewarts persönlichem, mit Antiquitäten eingerichtetem Eßzimmer statt. Als Leslie in Begleitung von Gouverneur Embry erschien, war der Chef in der Küche gerade mit den Vorbereitungen fertig. Der Oberkellner eilte herbei, sie willkommen zu heißen.

»Die Speisen können gereicht werden, wann immer es Ihnen genehm ist, Miss Stewart. Hätten Sie gern einen Drink?«

»Nicht für mich«, sagte Leslie. »Und Sie, Senator?«

»Also, normalerweise trinke ich ja tagsüber nicht, aber jetzt hätte ich nichts gegen einen Martini einzuwenden.

Leslie Stewart wußte, daß Senator Embry kräftig dem Alkohol zusprach, denn sie besaß ein umfassendes Dossier über ihn: Er war verheiratet, hatte fünf Kinder und hielt sich eine japanische Mätresse. Sein persönliches Hobby bestand darin, in seinem Heimatstaat heimlich eine paramilitärische Gruppierung zu finanzieren. All das war jedoch für Leslie ohne Bedeutung. Für sie fiel nur eines ins Gewicht - daß Gregory Embry der Auffassung war, die Politik solle die Konzerne und Großunternehmen in Ruhe schalten und walten lassen. Die Washington Tribune Enterprises waren ein Großunternehmen, das Leslie noch größer zu machen plante, und in diesem Zusammenhang rechnete sie mit der unterstützung eines uS-Präsidenten Embry.

Sie hatten sich am Eßtisch niedergelassen. Senator Embry gönnte sich einen Schluck von seinem zweiten Glas Martini.

»Ich möchte mich bei Ihnen für die großartige Spende für meinen Wahlkampf bedanken, Leslie. Das war eine wirklich schöne Geste.«

Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Es war mir ein Vergnügen. Ich werde alles tun, um Ihnen zu helfen, Oliver Russell zu schlagen.«

»Also, da stehen unsere Chancen gar nicht schlecht, will ich meinen.«

»Das glaube ich auch. Die Leute haben ihn und seine Skandale langsam satt. Falls er sich zwischen dem heutigen Datum und den Präsidentschaftswahlen noch eine weitere Affäre leistet, wird ihm die Bevölkerung bestimmt den Laufpaß geben.«

Senator Embry musterte sie mit einem forschenden Blick. »Glauben Sie denn, daß es noch einen Skandal geben wird?«

Leslie nickte und antwortete leise: »Es würde mich nicht überraschen.«

Das Essen war köstlich.

Der Anruf kam von Antonio Valdez, einem Mitarbeiter im Amt des Coroner. »Miss Stewart, Sie hatten mir doch gesagt, daß ich Sie im Fall Houston auf dem laufenden halten soll?«

»Ja .«

»Die Polizei hat uns angewiesen, in diesem Fall alles unterm Deckel zu halten, aber Sie sind immer fair zu uns gewesen, da habe ich mir gedacht .«

»Seien Sie ganz unbesorgt. Wir werden uns schon um Sie kümmern. Nun berichten Sie mir mal von dem Obduktionsbefund.«

»Ja, Ma'am. Todesursache war eine Droge namens Ecstasy.«

»Was?«

»Ecstasy. und das Mädchen hat es in flüssiger Form eingenommen.«

»Ich habe dir eine kleine Überraschung mitgebracht, ich hätte gern, daß du's probierst. Es ist flüssiges Ecstasy. Ich

habe es von einem Freund bekommen.«

und die Frau, die im Kentucky River gefunden wurde, war an einer Überdosis von flüssigem Ecstasy gestorben.

Leslie war wie gelähmt, und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.

Es gibt doch einen Gott.

Leslie ließ Frank Lonergan zu sich rufen. »Ziehen Sie bitte Erkundigungen über den Tod von Chloe Houston ein. Ich glaube, daß der amerikanische Präsident in den Fall verwickelt ist.«

Frank Lonergan fand dies unglaublich. »Der Präsident?«

»Man versucht, es zu vertuschen, davon bin ich fest überzeugt. Dieser Junge, den sie verhaftet haben, der Selbstmord begangen hat . graben Sie da mal nach. und eruieren Sie die Bewegungen des Präsidenten am Nachmittag und Abend des Todestags des Mädchens. Diese Nachforschungen müssen aber geheim bleiben. Streng vertraulich. Sie geben nur mir persönlich Bericht.«

Frank Lonergan verschlug es schier den Atem. »Sie sind sich der möglichen Konsequenzen bewußt?«

»Legen Sie los. Und, Frank ...«

»Ja?«

»Suchen Sie im Internet nach einer Droge namens Ecstasy. Und nach einer Verbindung dieser Droge zu Oliver Russell.«

Auf einer medizinischen Internet-Seite, die den Risiken und Gefahren dieser Droge gewidmet war, fand Lonergan die Geschichte von Oliver Russells früherer Sekretärin Miriam Friedland, die in einem Krankenhaus in Frankfort, Kentucky, lag. Lonergan rief dort an, um sich nach ihr zu erkundigen. »Miss Friedland ist vor zwei Tagen entschlafen«, wurde ihm von einem Arzt mitgeteilt. »Sie ist nicht mehr aus dem Koma erwacht.«

Frank Lonergan rief im Büro von Gouverneurin Houston an.

»Bedaure«, teilte die Sekretärin ihm mit. »Die Gouverneurin ist nach Washington gereist.«

Zehn Minuten später war Frank Lonergan unterwegs zum National Airport. Er kam zu spät.

Als die Passagiere das Flugzeug verließen, sah Lonergan Peter Tager auf eine blonde Frau um die Vierzig zugehen und sie begrüßen. Nach einem kurzen Gespräch begleitete Tager die Frau zu einem wartenden Wagen.

Ich muß unbedingt mit dieser Frau reden, sagte sich Loner-gan, der sie von weitem beobachtete. Auf der Rückfahrt zur Stadt begann er von seinem Autotelefon aus verschiedene Leute anzurufen. Beim dritten Anruf erfuhr er, daß die Gouverneurin Houston im Hotel Four Seasons logierte.

Jackie Houston wurde schon von Oliver Russell erwartet, als sie in sein persönliches Arbeitszimmer neben dem Oval Office geführt wurde.

Er nahm ihre Hände in seine Hände. »Mein herzliches Beileid, Jackie. Mir fehlen die Worte.«

Seit ihrer letzten Begegnung waren siebzehn Jahre vergangen. Sie hatten sich auf einem Anwaltskongreß in Chicago kennengelernt. Die junge, schöne, lebhafte Jackie hatte gerade ihr Jurastudium abgeschlossen. Es war zwischen ihnen zu einer kurzen, aber leidenschaftlichen Affäre gekommen.

Vor siebzehn Jahren.

Und Chloe war sechzehn Jahre alt gewesen.

Er wagte nicht, die Frage laut auszusprechen, die ihm auf der Seele lag. Ich will es gar nicht wissen. Sie sahen sich schweigend an; Oliver hatte kurz den Verdacht, daß sie von der Vergangenheit sprechen würde. Er wandte den Blick ab.

»Die Polizei ist der Auffassung«, sagte Jackie Houston, »daß Paul Yerby etwas mit dem Tod von Chloe zu tun hat.«

»Das stimmt.«

»Nein.« »Nein?«

»Paul war in Chloe verliebt. Er würde ihr nie ein Leid zufügen.« Ihr versagte die Stimme. »Sie ... die beiden wollten heiraten.«

»Nach meinen Informationen wurden Fingerabdrücke des Jungen in dem Hotelzimmer entdeckt, wo sie starb, Jackie.«

Jackie erwiderte: »Die Presse hat geschrieben, daß es ... daß es in der Imperial Suite des Hotels Monroe Arms passiert ist.«

»Ja.«

»Chloe bekam nur wenig Taschengeld, Oliver. Und Pauls Vater ist ein pensionierter Angestellter. Woher sollte Chloe das Geld für die Imperial Suite haben?«

»Ich ... ich weiß es nicht.«

»Das muß doch herauszubekommen sein. Ich werde nicht eher abreisen, bis ich erfahren habe, wer für den Tod meiner Tochter verantwortlich ist.« Sie dachte nach. »Chloe hatte an dem Nachmittag einen Termin bei dir. Hast du sie gesehen?«

Ein kurzes Zögern seinerseits. »Nein. Ich wünschte, ich hätte sie gesehen. Bedauerlicherweise kam eine Sitzung dazwischen, so daß ich unsere Verabredung absagen mußte.«

In einer Wohnung am anderen Ende der Stadt lagen zwei nackte Leiber eng umschlungen im Bett. Er konnte spüren, wie sie sich verspannte.

»Bist du okay, JoAnn?«

»Ja, ja, Alex.«

»Du scheinst aber ganz weit weg zu sein, Baby. Woran denkst du?«

»Ach, nichts«, erwiderte JoAnn McGrath.

»Wirklich?«

»Also, um die Wahrheit zu sagen, mir fiel das arme Mädchen ein, das im Hotel ermordet wurde.«

»Ja, ich habe darüber gelesen. Sie war die Tochter einer Gouverneurin.«

»Ja.«

»Weiß die Polizei, mit wem sie zusammengewesen war?«

»Nein. Die Polizisten haben alle Hotelangestellten verhört.«

»Dich auch?«

»Ja. Ich konnte ihnen aber auch nichts sagen. Außer die Sache mit dem Telefongespräch.«

»Was für ein Telefongespräch?«

»Da war ein Anruf aus der Suite ins Weiße Haus.«

Er war plötzlich ganz still. »Ach«, meinte er beiläufig, »das muß gar nichts bedeuten. Im Weißen Haus würde doch jeder mal gern anrufen. Mach das noch einmal, Baby. Hast du noch etwas Ahornsirup?«

Frank Lonergan war vom Flughafen gerade in sein Büro zurückgekehrt, als das Telefon läutete. »Lonergan.«

»Hallo, Mr. Lonergan. Hier spricht Shallow Throat.« Es war Alex Cooper, ein kleiner Schmarotzer, der sich gern wie ein Informant der Watergateklasse vorkam. Sich so zu nennen entsprach seiner Vorstellung von Komik. »Zahlen Sie immer noch für heiße Tips?«

»Kommt darauf an, wie heiß die Tips sind.«

»Was ich diesmal weiß, ist so heiß, daß es Ihnen den Arsch verbrennen wird. Dafür will ich fünftausend Dollar haben.«

»Adieu.«

»Moment mal. Legen Sie nicht auf. Es betrifft ein Mädchen, das im Monroe Arms ermordet wurde.«

Frank Lonergan war hellwach. »Was ist mir ihr?«

»Können wir beide uns irgendwo treffen?«

»In einer halben Stunde bei Ricco's.«

Um vierzehn Uhr saß Frank Lonergan neben Alex Cooper bei Ricco's. Alex Cooper war ein hagerer Typ, und Lonergan hatte ungern mit ihm zu tun. Es war Lonergan schleierhaft, wie Cooper an seine Informationen kam; andererseits hatte er sich in der Vergangenheit als äußerst nützlich erwiesen.

»Hoffentlich ist das hier keine Zeitverschwendung«, sagte Lonergan.

»Oh, ich kann mir nicht vorstellen, daß es Zeitverschwendung ist. Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen verriete, daß zwischen der Ermordung dieses Mädchens und dem Weißen Haus ein Zusammenhang besteht?« Er zeigte ein selbstzufriedenes Lächeln.

Es gelang Frank Lonergan, seine Aufregung zu verbergen. »Fahren Sie fort.«

»Fünftausend Dollar?«

»Eintausend.«

»Zwei.«

»Abgemacht. Erzählen Sie.«

»Meine Freundin arbeitet beim Monroe Arms als Telefonistin.«

»Wie heißt sie?«

»JoAnn McGrath.«

Lonergan machte sich eine Notiz. »Und?«

»In der Zeit, als das Mädchen dort war, hat jemand aus der Imperial Suite im Weißen Haus angerufen.«

»Ich glaube, daß der Präsident in die Sache verwickelt ist«, hatte Leslie Stewart erklärt. »Sind Sie sicher?«

»Information aus erster Hand.«

»Ich werde sie überprüfen. Wenn sie stimmt, kriegen Sie Ihr Geld. Haben sie es irgendeiner anderen Person gegenüber erwähnt?«

»Nein.«

»Gut. Das sollten Sie auch nicht.« Lonergan erhob sich. »Wir bleiben in Kontakt.«

»Da wäre noch ein Punkt«, sagte Cooper.

Lonergan blieb stehen. »Ja?«

»Mich müssen Sie völlig aus der Sache heraushalten. Ich möchte nicht, daß JoAnn erfährt, daß ich darüber mit jemand gesprochen habe.«

»Kein Problem.«

Alex Cooper blieb allein zurück und überlegte, wie er die zweitausend Dollar ausgeben würde, ohne JoAnn davon zu erzählen.

Die Telefonzentrale des Hotels Monroe Arms befand sich in der Eingangshalle in einer Kabine hinter der Rezeption. JoAnn McGrath hatte Dienst, als Lonergan mit einem Klemmbrett in der Hand hereinschaute. Sie sprach gerade die Worte »Ich verbinde Sie« in die Muschel.

Sie stellte die Verbindung her, und dann drehte sie sich zu Lonergan um. »Was kann ich für Sie tun?«

»Ich bin von der Telefongesellschaft«, erklärte Lonergan und schwenkte irgendeinen Ausweis. »Wir haben einer Beschwerde nachzugehen.«

JoAnn McGrath war überrascht. »Was für eine Beschwerde?«

»Uns hat jemand gemeldet, daß ihm Telefongespräche berechnet worden sind, die er nicht geführt hat.« Er tat so, als ob er auf seinem Klemmbrett nachsah. »Am fünfzehnten Oktober. An dem Tag ist diesen Leuten ein Anruf nach Deutschland berechnet worden, und dabei kennen sie überhaupt niemanden in Deutschland. Sie sind ziemlich genervt.«

»Also, von der Sache ist mir nichts bekannt«, entrüstete sich JoAnn. »Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, daß ich im vergangenen Monat auch nur eine einzige Verbindung mit Deutschland hergestellt habe.«

»Haben Sie für den Fünfzehnten die Unterlagen da?«

»Selbstverständlich.«

»Darf ich mal rasch einen Blick drauf werfen?«

»Wenn's sein muß.« Sie fand unter einem Stapel von Papieren eine Mappe, die sie ihm reichte. Die Zentrale summte unentwegt. Während sie mit den Anrufen beschäftigt war, schaute Lonergan rasch die Blätter in der Mappe durch. Der 12.

Oktober ... 13. Oktober ... 14. Oktober ... 16. Oktober.

Das Blatt für den 15. Oktober fehlte.

Frank Lonergan wartete in der Lobby des Hotels Four Seasons, als Jackie Houston vom Weißen Haus zurückkam.

»Gouverneurin Houston?«

»Sie drehte sich um. »Ja?«

»Frank Lonergan. Ich bin von der Washington Tribune. Ich möchte Ihnen nur mitteilen, wie sehr wir alle mit Ihnen fühlen, Gouverneurin.

»Ich danke Ihnen.«

»Wäre es wohl möglich, daß ich Sie für eine Minute spreche?«

»Ich bin jetzt wirklich nicht in der .«

»Ich könnte Ihnen möglicherweise behilflich sein.« Er machte eine Kopfbewegung zur Lounge abseits der Hauptlobby. »Könnten wir für einen Moment dorthin gehen?«

Sie gab sich einen Ruck. »Also gut.«

Sie schritten zur Lounge hinüber und setzten sich.

»Soweit ich weiß, war Ihre Tochter zu einer Besichtigung im Weißen Haus an dem Tag, als sie .« Er konnte es nicht über sich bringen, den Satz zu Ende zu sprechen.

»Ja. Sie ... sie nahm mit Schulkameraden und -freundinnen an einer Besichtigung teil. Sie war sehr aufgeregt, weil sie eine Verabredung mit dem Präsidenten hatte.«

Lonergan hatte Mühe, ruhig zu bleiben. »Sie hatte einen Termin bei Präsident Russell persönlich?«

»Ja. Das habe ich selbst organisiert. Präsident Russell und ich sind von früher befreundet.«

»Und hat sie sich auch mit ihm getroffen, Gouverneurin?«

»Nein. Er war plötzlich verhindert«, erwiderte sie mit erstickter Stimme. »In einem Punkt bin ich mir jedoch absolut sicher.«

»Ja, Ma'am?«

»Paul Yerby ist nicht ihr Mörder. Die beiden waren ineinander verliebt.«

»Die Polizei hat aber doch behauptet .«

»Was die Polizei behauptet hat, ist mir völlig egal. Sie hat einen unschuldigen Jungen verhaftet, und er . er war dann so verstört, daß er sich erhängt hat. Es ist schrecklich.«

Frank Lonergan musterte sie einen Augenblick. »Wenn Paul Yerby Ihre Tochter nicht ermordet hat - haben Sie eine Ahnung, wer es getan haben könnte? Ich meine, hat sie davon gesprochen, daß sie sich in Washington mit jemandem treffen wollte?«

»Nein. Sie kannte hier keine einzige Menschenseele. Und sie hatte sich so darauf gefreut . darauf . « Ihre Augen schwammen in Tränen. »Es tut mir leid. Sie müssen mich jetzt entschuldigen.

»Selbstverständlich. Vielen Dank, daß Sie Zeit für mich gefunden haben, Mrs. Houston.«

Lonergans nächstes Ziel war das Leichenschauhaus, wo Helen Chuan soeben aus dem Obduktionsraum kam.

»Schau mal, wer da kommt.«

»Hallo Doc.«

»Was führt Sie denn hierher?«

»Ich wollte mit Ihnen über Paul Yerby sprechen.«

Helen Chuan seufzte. »Es ist eine verdammte Schande. Die beiden Kids waren noch so jung.«

»Warum würde so ein Junge wie er Selbstmord begehen?«

Helen Chuan zuckte die Achseln. »Wer weiß?«

»Ich meine ... sind Sie sicher, daß er Selbstmord begangen hat?«

»Wenn es kein Selbstmord war, hat er's jedenfalls sehr überzeugend gemacht. Der Gürtel war ihm so eng um den Hals gewickelt, daß sie ihn durchschneiden mußten, um den Jungen herunterzuholen.«

»Und ansonsten wies sein Körper keinerlei Zeichen auf, die

auf ein Verbrechen hindeuten könnten?«

Sie schaute ihn neugierig an. »Nein.«

Lonergan nickte. »Okay, danke. Sie wollen Ihre Patienten doch bestimmt nicht zu lange warten lassen.«

»Sehr witzig.«

Draußen im Flur befand sich eine Telefonzelle. Lonergan erkundigte sich bei der Auskunft in Denver nach der Nummer von Paul Yerbys Eltern. »Hallo.«

»Mrs. Yerby?«

»Am Apparat.«

»Entschuldigen Sie, daß ich störe. Ich bin Frank Lonergan von der Washington Tribune. Ich würde gerne ...«

»Ich kann nicht .«

Einen Augenblick später war Mr. Yerby am Telefon. »Es tut mir leid. Aber meine Frau ist ... Die Zeitungen haben uns schon den ganzen Morgen belästigt. Wir sind nicht bereit ...«

»Ich brauche Sie nur für eine Minute, Mr. Yerby. Es gibt in Washington ein paar Personen, die nicht glauben, daß Ihr Sohn Chloe Houston ermordet hat.«

»Aber natürlich hat er das nicht getan!« Seine Stimme klang plötzlich fester. »So etwas hätte Paul nie und nimmer über sich gebracht.«

»Hatte Paul irgendwelche Freunde in Washington, Mr. Yer-by?«

»Nein. Er kannte niemanden dort.«

»Verstehe. Also, wenn es da irgend etwas gibt, was ich für Sie tun könnte .«

»Ja, Sie könnten etwas für uns tun, Mr. Lonergan. Wir haben bereits alles Notwendige veranlaßt, damit Pauls Leiche nach Denver überführt wird, aber ich weiß nicht so recht, wie ich an seine Sachen herankommen kann. Wir hätten doch gern alles, was er . Wenn sie mir freundlicherweise mitteilen könnten, mit wem ich da Kontakt aufnehmen .«

»Ich werde es für Sie übernehmen.« »Da wären wir Ihnen sehr dankbar. Vielen Dank.«

Im Morddezernat öffnete der diensthabende Sergeant eine Schachtel, die Paul Yerbys Habseligkeiten enthielt. »Viel ist es ja nicht«, meinte er. »Nur die Kleider des Jungen und eine Kamera.«

Lonergan griff in die Schachtel und nahm einen schwarzen Ledergürtel heraus.

Er war nicht durchgeschnitten.

Präsident Russells Sekretärin Deborah Kanner machte sich gerade für die Mittagspause fertig, als Frank Lonergan in ihr Büro trat.

»Was kann ich für Sie tun, Frank?«

»Ich habe da ein Problem, Deborah.«

»Haben Sie sonst keine Neuigkeiten?«

Frank Lonergan tat so, als ob er in Notizen nachschaute. »Ich habe eine Information bekommen, daß der Präsident am fünfzehnten Oktober ein Geheimtreffen mit einem Emissär aus China hatte. Es ging um Tibet.«

»Von solch einem Treffen ist mir nichts bekannt.«

»Könnten Sie es für mich überprüfen?«

»Welches Datum haben Sie gesagt?«

»Den fünfzehnten Oktober.« Lonergan beobachtete Deborah, die aus einer Schublade einen Terminkalender zog und durchblätterte.

»Der fünfzehnte Oktober? Und um welche Uhrzeit soll dieses Treffen stattgefunden haben?«

»Um zehn Uhr abends. Hier im Oval Office.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. An diesem Abend war der Präsident für zweiundzwanzig Uhr zu einer Unterredung mit General Whitman verabredet.«

Lonergan runzelte die Stirn. »Da habe ich aber etwas anderes gehört. Könnte ich mal einen Blick in dieses Buch werfen?«

»Bedaure. Das ist vertraulich, Frank.«

»Vielleicht habe ich ja auch eine Fehlinformation bekommen. Vielen Dank, Deborah.« Er verließ den Raum.

Eine halbe Stunde später saß Frank Lonergan General Steve Whitman gegenüber.

»General, die Tribune würde gerne etwas über die Unterredung bringen, die Sie am fünfzehnten Oktober mit dem Präsidenten hatten und bei der meines Wissens einige wichtige Themen besprochen wurden.«

Der General schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Informationen haben, Mr. Lonergan. Diese Unterredung ist abgesagt worden, weil der Präsident einen anderen Termin wahrnehmen mußte.«

»Sind Sie sicher?«

»Ja. Wir werden unsere Sitzung neu verabreden müssen.«

»Ich danke Ihnen, General.«

Frank Lonergan kehrte noch einmal zum Weißen Haus und ins Büro von Deborah Kanner zurück.

»Was ist es nun schon wieder, Frank?«

»Das gleiche«, erwiderte Lonergan zerknirscht. »Mein Informant schwört, daß der Präsident hier am Abend des fünfzehnten Oktober mit einem chinesischen Emissär ein Gespräch über Tibet geführt hat.«

Sie schaute ihn mit einem Ausdruck der Verärgerung an. »Wie viele Male muß ich Ihnen noch versichern, daß es keine derartige Sitzung gegeben hat?«

Lonergan seufzte. »Ehrlich, ich weiß nicht, was ich machen soll. Mein Chef will unbedingt etwas über diese Sache bringen, es ist wichtig. Da werden wir sie eben einfach so publizieren müssen.« Er ging zur Tür.

»Warten Sie!«

Er drehte sich zu ihr um. »Ja?«

»Das dürfen Sie nicht berichten. Es ist nicht wahr. Der Präsident wird außer sich sein vor Zorn.«

»Die Entscheidung liegt nicht bei mir.«

Deborah zögerte. »Werden Sie diese Geschichte vergessen, wenn ich Ihnen beweisen kann, daß er zu dem Zeitpunkt mit General Whitman zusammengetroffen ist?«

»Klar. Ich möchte doch schließlich keine Schwierigkeiten verursachen.« Lonergan sah zu, als Deborah noch einmal den Terminkalender hervorholte und durchblätterte. »Hier haben Sie eine Aufstellung mit den Terminen des Präsidenten für diesen Tag. Schauen Sie - der fünfzehnte Oktober.« Da gab es zwei Spalten. Deborah zeigte auf einen Eintrag für zweiundzwanzig Uhr. »Da haben Sie's schwarz auf weiß.«

»Sie haben recht«, sagte Lonergan, und beeilte sich, die ganze Seite zu überfliegen. Es gab einen Eintrag für fünfzehn Uhr: Chloe Houston.

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